Matthias Tang
Wirtschaft | Branchen & Verbände, 01.09.2019
Die Denkfabrik
Vom Wissen zum Handeln
Unsere Welt verändert sich rasant. Damit Klima, Artenvielfalt und Umweltschutz bei diesem Wandel nicht auf der Strecke bleiben, brauchen wir einen Kompass, der den Weg in Richtung Nachhaltigkeit zeigt. Das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam will die Gesellschaft auf diesem Weg unterstützen.
Versetzen Sie sich einmal in die Lage eines Menschen, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelebt hat. Ihm würde der Kompass fehlen, um sich in unserer heutigen Welt zurechtzufinden, denn unser Alltag ist geprägt vom Internet, von Computern und Smartphones. Jeder Ort der Welt ist mit dem Flugzeug in wenigen Stunden erreichbar, die meisten Menschen sind global vernetzt. Die Folgen des Klimawandels sind weithin spürbar, die Artenvielfalt geht zurück, unsere natürlichen Lebensgrundlagen geraten zunehmend in Gefahr.
Vor diesem Hintergrund treffen sich in Potsdam Nobelpreisträgerinnen und -träger zu einem interdisziplinären Symposium. Es ist Oktober des Jahres 2007. Das Ergebnis des Treffens ist das sogenannte Potsdam Memorandum „Global Sustainability: A Nobel Cause", mit der klar formulierten Erkenntnis: "Wir stehen an einem geschichtlichen Wendepunkt, wo der Bedrohung unseres Planeten nur mit einer Großen Transformation begegnet werden kann. Diese Transformation muss jetzt beginnen."Ein Institut zur Frage: Wie gelingt Veränderung?
Diese Idee fand einen Paten in dem damaligen Präsidenten der Leibniz-Gemeinschaft, Professor Ernst Theodor Rietschel. Er kombiniert verschiedene Konzepte und entwickelt daraus die Blaupause für ein Institut für Klimawandel, Erdsystem und Nachhaltigkeit. Es ist der Sommer des Jahres 2008. Aufgrund des besonderen, transformativen, zugleich politiknahen und internationalen Ansatzes des neuen Instituts wird der frühere Bundesumweltminister und ehemalige Leiter des UN-Umweltprogrammes Professor Klaus Töpfer zum Gründungsdirektor berufen. „Es war eine sehr kreative Zeit und richtig viel Arbeit. Allein die Suche nach der richtigen Immobilie war ein Kraftakt, natürlich durchlebten wir mit dem Institut die ein oder andere Geburtswehe", erinnert sich Töpfer an jene Anfänge, wo er mit gerade einmal zwei Mitarbeitern begann, das Institut in Potsdam aufzubauen.
Es ist der Januar des Jahres 2009. Das Institut soll bestehendes Wissen aller Disziplinen über die notwendige Transformation bündeln, um es kritisch zu reflektieren. Die transformative Forschung des IASS geht noch einen Schritt weiter: Wissenschaft und Gesellschaft sollen gemeinsam Lösungen suchen und umsetzen. Es gilt, demokratische Mehrheiten zu erreichen für Veränderungen, die zwar kurzfristig Nachteile, dafür langfristig den Schutz der menschlichen Lebensgrundlagen bringen können. Dieser neue Ansatz ist reizvoll und so gelingt es Töpfer, als wissenschaftlichen Leiter den Physiker und Nobelpreisträger Professor Carlo Rubbia zu gewinnen. Es ist der Juni des Jahres 2009.
Der Dritte im Bunde in der Gründungszeit wird Professor Mark Lawrence, der auch heute noch im IASS-Direktorium ist. „Es war ganz wundervoll und zugleich sehr herausfordernd", beschreibt der Erd- und Atmosphärenwissenschaftler Lawrence jene ersten Jahre. „Es herrschte fiebrige Aufbruchsstimmung, jeder wusste: Etwas ganz Neues entsteht."
Spektakuläre Ergebnisse erzielt in jenen Anfangsjahren beispielsweise die IASS Arbeitsgruppe „Ocean Governance", die für einen nachhaltigen Umgang mit der Hohen See für Bereiche außerhalb nationalstaatlicher Zuständigkeiten eintritt. Sie legt bereits im Januar 2013 einen Policy-Brief vor, der beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen oder auch dem Stanford Law School Symposium präsentiert wird. Dies kann als Beginn eines transdisziplinären Dialogprozesses über eine Meeres-Governance und ein weiteres Nachhaltiges Entwicklungsziel, dem „Leben unter Wasser" (SDG 14), gesehen werden.
Paris 2015: Das Klimaabkommen setzt Ziele
Ein weiterer, internationaler Meilenstein wird gesetzt auf der UN-Klimakonferenz in Paris. Fast alle Staaten unterzeichnen den internationalen Klimavertrag. Es ist Winter des Jahres 2015. Auch die Nachhaltigkeitsziele der UN zeigen, wohin die Reise gehen muss. Trotz all des Wissens um den Zustand der Welt begibt sich die Menschheit nur sehr zögerlich auf diese Reise. Für Professor Ortwin Renn, einer von drei wissenschaftlichen Direktoren am IASS, folgt daraus: „Damit wir Kurs halten in Richtung Nachhaltigkeit, brauchen wir mehr als nur Fakten: Wir brauchen Antworten auf die Frage, wie wir vom Wissen zum Handeln kommen." Professorin Patrizia Nanz, seit 2016 wissenschaftliche Direktorin, soll das Thema Partizipation und Beteiligung an transformativen Prozessen bearbeiten, denn Politikberatung darf keine Einbahnstraße sein. „Transdisziplinär", also über die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen hinaus, soll der Weg in Richtung Nachhaltigkeit gemeinsam mit Politik und Zivilgesellschaft beschritten werden.
Fridays for Future fordert: Veränderung ist erwünscht, aber schneller
Wieder zwei Jahre später, ab Spätherbst 2018, treten Schülerinnen und Schüler in den Streik und demonstrieren für ihre Zukunft. Fridays for Future – das ist vor allem ein Protest dagegen, dass die Regierungen viel zu wenig für den Klimaschutz tun und getan haben. Obwohl doch das Wissen vorhanden ist und die Ziele formuliert sind.
Aber Veränderungen umzusetzen ist, wie wir aus unserem Alltag wissen, ein schwieriges Unterfangen. Das IASS – inzwischen auf rund 200 Mitarbeiter angewachsen – will mit aller Kraft dazu beitragen: Es ist August 2019 und ein Modellprojekt geht an den Start. In Tempelhof-Schöneberg nimmt erstmals ein Bürgerinnen- und Bürgerrat seine Arbeit auf. Er diskutiert eine Vielzahl von Themen, die später der kommunalen Verwaltung vorgestellt werden.
Das Projekt startet in Berlin-Friedenau. Monatlich bis ins Frühjahr 2020 folgen Räte in anderen Ortsteilen des Bezirks Tempelhof-Schöneberg. Der Bürgerrat soll die Beteiligung an demokratischen Prozessen weiterentwickeln und zwar generationsübergreifend, interkulturell und basisdemokratisch. Der Prozess wird von einem Team des IASS wissenschaftlich begleitet und beforscht. Dieser besondere, transdisziplinäre Ansatz des IASS zeigt sich auch in den anderen Arbeitsbereichen des Instituts, von denen nachfolgend die vier Bereiche Kohleausstieg, Schutz der Ozeane, saubere Energie und Klimawandel exemplarisch vorgestellt werden sollen.
Kohleausstieg
Wir müssen Abbau und Verstromung der Kohle beenden, besser heute als morgen. Braunkohleregionen wie die Lausitz brauchen deswegen ein neue, eine nachhaltige Perspektive. Mit dem Ende des Kohleabbaus verliert die Region nicht nur einen wichtigen Wirtschaftszweig, sondern es geht auch eine Tradition zu Ende. Wie kann dieser Verlust zu einer Chance für nachhaltiges Leben und Arbeiten werden?
Die vielen Milliarden Euro, die in die ehemaligen Kohleregionen fließen sollen, sind keine ausreichende Antwort. Die IASS-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler setzen den transformativen Ansatz des IASS um. Sie tauschen sich mit Kommunalpolitikern, Initiativen, Wirtschaftsverbänden und anderen in der Lausitz aus, um daraus Rückschlüsse für ihre Forschung zu ziehen. Sie begleiten die Menschen vor Ort auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft. Professorin Patrizia Nanz: „Mit dem Kohleausstieg könnte dann eine Erzählung beginnen, wie Kommunen, Länder und Bundesregierung gemeinsam mit Unternehmen, Vereinen und Bürgern die besten Konzepte abwägen für eine CO2-freie, nachhaltige und lebensfreundliche Zukunft."
Schutz der Ozeane
Der Mensch ist auf den Ozean angewiesen. Die Weltmeere sind eine wichtige Nahrungsquelle, sie regulieren das globale Klima und tragen als Lebensraum einer Vielzahl von Arten zur weltweiten Biodiversität bei. Aber der Lebensraum Ozean ist zunehmend bedroht, etwa durch viele Millionen Tonnen Plastikmüll im Meer. Die Forscherinnen und Forscher des IASS fragen nach dem gesetzlichen Rahmen für einen nachhaltigen Umgang mit den Weltmeeren. Fast zwei Drittel der Ozeane liegen außerhalb der nationalen Hoheitsgewässer. Wie kann die Artenvielfalt in der Hochsee erhalten und eine nachhaltige Nutzung gefördert werden?
Zum Beispiel geht es um die Entwicklung internationaler Regeln für den Tiefseebodenabbau. Oder um den Schutz und die Artenvielfalt in Gebieten außerhalb der nationalen Hoheitsbereiche im Südostatlantik und Südostpazifik. Die Forschungsgruppe berät Regierungen, internationale Organisationen und andere gesellschaftliche Akteure, tauscht sich mit ihnen aus und entwickelt Lösungsansätze.
Saubere Energie
International haben bereits viele Staaten die Reise weg von fossilen Energieträgern hin zu erneuerbaren Energien angetreten. Und das nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes, sondern auch wegen wirtschaftlicher und sozialer Vorteile. In Indien sind zum Beispiel bis zum Jahr 2030 allein durch das Wachstum der Solarenergie bis zu einer Million zusätzlicher Arbeitsplätze zu erwarten – zu diesem Ergebnis kommt eine vom IASS koordinierte Studie. Texas ist aufgrund des unschlagbaren Kostenvorteils der neuesten Generation Windenergie inzwischen wegweisend in Richtung globaler Energiewende.
Diese „Co-Benefits" untersuchen Forscherinnen und Forscher am IASS in Ländern wie Südafrika, Vietnam und anderen. Und sie belassen es nicht beim Forschen, sondern suchen gemeinsam mit Politik und Verwaltung nach Wegen, wie diese Co-Benefits am besten genutzt werden können.
Klimawandel
Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, werden immer häufiger technische Eingriffe in unser Klima ins Spiel gebracht. Geo- oder Climate Engineering lauten die Schlagworte dafür. Das Ergebnis der IASS-Forschung ist eindeutig: Den Klimawandel können diese Technologien nicht aufhalten. Eine deutliche Senkung der Emissionen von CO2 ist derzeit der einzig zuverlässige Weg, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Aber die IASS-Forscherinnen und Forscher stellen darüber hinaus weitere Fragen: Welche Folgen für Politik und Gesellschaft haben diese Technologien? Welche Risiken sind damit verbunden?
Mit Akteuren aus Politik, Umweltverbänden, mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern werden diese Fragen diskutiert, zum Beispiel auf einer alle drei Jahre stattfindenden Konferenz. Ziel: ein offener Dialog über alle Facetten dieser Technologien und die Folgen für unsere Gesellschaft. Das IASS beschäftigt sich darüber hinaus mit einer Vielzahl weiterer Themen: Digitalisierung und Nachhaltigkeit gehört dazu, genauso wie die Fragen danach, wie Demokratie und Nachhaltigkeit zusammenhängen, wie sich die Luftverschmutzung auf den Klimawandel auswirkt oder welche Denkweisen und Geisteshaltungen zu mehr Nachhaltigkeit führen. In einer Reihe von Foren und Plattformen, wie zum Beispiel der Wissenschaftsplattform Nachhaltigkeit, ist das IASS mit anderen Akteuren vernetzt.
Allen gemeinsam ist: Im Dialog mit der Gesellschaft arbeitet das IASS am Kompass der Nachhaltigkeit. Damit aus Wissen Handeln wird.
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Das IASS – im Portrait
Das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung oder Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) ist ein wichtiger Thinktank für die „Große Transformation", der zukünftig enger mit forum Nachhaltig Wirtschaften zusammenarbeiten wird. Nachfolgend Daten und Fakten im Kurzüberblick:
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Von Matthias Tang
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2019 - Social Business beseitigt Plastik-Müll und schafft neue Jobs erschienen.
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