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Technik | Green Building, 06.03.2020

Ein Haus wie ein lässiger Maßanzug

forum-Interview mit dem „tiny house"-Visionär Nils Holger Moormann

Aschau im bayerischen Chiemgau. Hier lebt und arbeitet ein Mann, dessen Gespür für Design legendär ist. forum traf Nils Holger Moormann in der ehemaligen Reithalle, die er zur Designwerkstatt umgebaut hat und fragte nach den Spuren und Rahmenbedingungen des aktuellen Trends zum „Tiny House" und zur neuen Bescheidenheit.

Herr Moormann, was ist für Sie ein Minihaus?
Nils Holger Moormann begann 1982, die Möbel aufstrebender Jungdesigner zu produzieren und zu vertreiben. Seither richtet er sich nach drei grundlegenden Prinzipien aus: Einfachheit, Intelligenz und Innovation. Moormann wurde für seine Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. © Hans FritzNils Holger Moormann begann 1982, die Möbel aufstrebender Jungdesigner zu produzieren und zu vertreiben. Seither richtet er sich nach drei grundlegenden Prinzipien aus: Einfachheit, Intelligenz und Innovation. Moormann wurde für seine Arbeit mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. © Hans Fritz
Die schönste Herausforderung für einen Planer. Um auf einem kleinen Grundstück großes Wohnen zu ermöglichen kommt es zwar darauf an, die Wohnfläche zu reduzieren, aber keinesfalls die Wohnqualität. Das erfordert viel Nachdenken und Können. Das ist wie ein lässiger Maßanzug, der auf den Körper genau zugeschnitten ist, ohne dass er zwickt.

Ist es ein psychologischer Aspekt, dass man ein großes Haus ab einem bestimmten Status „haben muss"?
Sicherlich, die Quadratmeter der Wohnfläche sind für viele immer noch ein Statussymbol – genau wie die Pferdestärken des Autos. Ich dagegen fühlte mich immer schon in kleinen, unorganisierten Räumen am wohlsten.

Im Tiny Home fühlst du dich geborgen und es gibt kein „Zuviel". Du musst dich nicht groß ums Heizen kümmern, um viel Putzen, um Status. Du hast kurze Wege, alles ist nahe um dich rum.

Woher kommt der plötzliche Boom der Tiny Houses?
Wir leben derzeit in einer Welt, in der alles möglich ist – auch der lustvolle Verzicht. Nach dem Motto: Ich muss nicht bei allem mitmachen; ich möchte das, was ich mache, richtig machen; es muss zu mir passen, nicht andersherum. „Zurück zur kleinen Nummer" entspricht unserer Zeit.

Wie könnten wir das Meinungsbild so weit ändern, dass es für Leute interessant wird, bewusst in einem kleinen Haus zu wohnen, weil sie sich ein größeres nicht mehr leisten können?
Indem es die Leute vormachen, die sich ein größeres Haus leisten könnten. Dass es billiger wird, darf damit nicht das einzige Kriterium sein, viel wichtiger ist der Wohlfühlaspekt. Wenn es ausschließlich über Vernunft und Kosten geht, funktioniert es nur bedingt. Der Mensch darf nicht drangsaliert werden, in ein kleines Haus zu ziehen. Wenn sich jedoch Statussymbole wandeln, wird sich viel ändern.

Warum ist der TinyHouse-Boom in Amerika entstanden?
Einfach weil du mit einem kleinen Haus mehr Freiheiten hast als mit einer Riesenhütte. Du brauchst keinen Hausmeister und kannst jederzeit die Tür zumachen und verreisen. In diesem Fall finde ich es super, was aus Amerika kommt. Es ist ein Zeichen von Lässigkeit. Nach dem Motto, ich verzichte, aber dafür bekomme ich andere Freiheiten. Es braucht dazu eine neue Haltung. Wer in einem „Small-and-Smart-Haus" wohnt, kann absolut „in" sein!

Der Wandel ist auch der Zeit geschuldet. Zum einen weil es „in" ist, aber auch weil sich die Leute ein großes Haus nicht mehr leisten können. Noch überwiegt die Negativ-Denke des Verzichts, des „Es-sich-nicht-leisten-könnens", aber das kippt gerade. Ich gönne jedem sein großes Haus, aber oft passt es einfach nicht. Es ist dann wie ein zu groß geschneiderter Anzug. In Zeiten von knappen Grundstücken und versiegelten Böden sollte es selbstverständlich sein, dass auf einem großen Grundstück fünf Familien leben und nicht eine.
 
Luxus ist, in einem ganz kleinen Haus zu leben!

Zwingt uns der Umweltschutz nicht ohnehin dazu?
Natürlich, alles andere ist unvernünftig. Platzverbrauch, Heizkosten, Unterhalt… Wir sollten uns ein Beispiel an den Wohnmobilbauern nehmen. Meine glücklichste „Wohn-Zeit" war zu zweit in einem 38 m² Haus. Ich hatte nicht ein einziges Mal das Gefühl, dass es mir zu eng ist. Die Kunst ist allerdings, je kleiner es wird, desto funktionaler und durchdachter muss jedes Detail genau überlegt werden. An eine Fünf-Meter-Wand kann ich immer einen Wohnzimmerschrank stellen, da muss ich nicht lange überlegen, wie er beschaffen sein soll. Beim kleinen Haus wollen jedes Möbelstück und alle Einbauten schon im Vorfeld geplant sein.

Um hier Kosten zu reduzieren, muss man sich schon überlegen, ob man nicht eine gewisse Serienproduktion aufbaut, ähnlich dem Automobilbau, bei dem sich trotz Serie jeder sein individuelles Auto zusammenstellen kann. Man muss Wohnen und Leben neu denken und neu planen. Überlegen Sie mal, wie viele Quadratmeter in Ihrem Haus das ganze Jahr nur ein paar Mal betreten werden. Ja – die müssen doch gar nicht erst gebaut werden!

Sollten wir Häuser grundsätzlich flexibel und erweiterbar planen?
Diese Idee finde ich absolut notwendig. Ich würde einen Basic-Kern anbieten und drum herum drei bis vier mögliche Varianten einplanen. Ich habe mir auch schon mal einen beheizbaren Kern-/Winterbereich überlegt und die andere Haushälfte nur im Sommer zu nutzen.

Wie kann der Normalbürger von dieser Bauweise begeistert werden?
Designstudie Kammerspiel: Raum im Raum-Konzepte ermöglichen das Wohnen auf kleinstem Raum. Designstudie Kammerspiel: Raum im Raum-Konzepte ermöglichen das Wohnen auf kleinstem Raum. Designstudie Kammerspiel: Raum im Raum-Konzepte ermöglichen das Wohnen auf kleinstem Raum. © Julia RotterDesignstudie Kammerspiel: Raum im Raum-Konzepte ermöglichen das Wohnen auf kleinstem Raum. Designstudie Kammerspiel: Raum im Raum-Konzepte ermöglichen das Wohnen auf kleinstem Raum. Designstudie Kammerspiel: Raum im Raum-Konzepte ermöglichen das Wohnen auf kleinstem Raum. © Julia Rotter
Ich wiederhole mich: Durch vorleben. Je öfter so gebaut wird, desto mehr wird es überzeugen. Und letztendlich dann doch auch durch den Preis. Der Traum vom Haus wird bleiben. Wenn ein Haus dann nicht 600.000 €, sondern nur 200.000 € ­kostet, wird es für viele Menschen interessant. Aber auch hier wiederhole ich mich: Qualität und Design müssen hochwertig sein.
 
Hier kann man auch mit Bauelementen „spielen". Ich würde zum Beispiel die ganze Installation ästhetisch sichtbar verlegen. Ich finde das wunderschön. Richtig gemacht, ist das eher eine Zierde. Du brauchst nichts schlitzen, nichts kaputt machen, es ist leichter, etwas zu verändern und problemlos zu reparieren. Wir brauchen viel mehr Ehrlichkeit in Form und Funktion! Dafür kommt jetzt der Mut so langsam.

Wie lautet Ihre Vision für das zukünftige Bauen?
Kleiner, bescheidener, intelligenter, wertvoller, energieeffizienter. Wir müssen wieder Materialen verwenden, die mit den Menschen mehr zu tun haben. Wir haben zu viel Bauindustrie und Chemie in unseren Häusern. Es ist wie bei einem Kuchenrezept: einfacher, natürlicher und gleichzeitig besser. Ich mag Holzheizungen und als Zusatz zum Beispiel eine einfache Elektroheizung. Fossile Energie kommt für mich nicht mehr in Frage. Strom hat für mich Zukunft, weil es von der Politik vorgegeben ist, in 20 Jahren unseren gesamten Strom aus alternativen Energiequellen zu beziehen.

Mein Motto lautet „Wo nötig High-Tech nutzen und wo möglich Low-Tech leben". Wir sollten wieder mit der Seele des Hauses leben. Es muss nicht, wenn ich nach Hause komme, mit mir sprechen und sagen: „Ihr Bad ist vorgeheizt, der Kühlschrank ist voll." Nein! Einfachheit ist wundervoll! Zentralheizung ist toll, hat aber nichts mit dem Wärmegefühl eines Menschen zu tun. Das Bewusstsein für das Energiesparen muss ein schönes, ein positives, lustvolles Erlebnis sein. Verzicht ist negativ, wenn er nicht lustvoll geschieht.

Was ist Ihr größtes Anliegen für die Zukunft?
Wir sollten lernen, mit mehr Bewusstsein zu handeln. Nicht verführen, verleiten und manipulieren lassen. Auch mal gegen den Strom schwimmen. Unser Handeln muss ein Verbesserungsprozess werden, die Veränderung alleine reicht nicht aus. Der Hausbau hat enorm viel Potenzial für eine bessere Wohn- und vor allem eine wesentlich bessere Umweltbilanz.
 
Mein Eindruck ist: Uns geht es zu gut und das verschüttet viel von einer „ganz normalen Lebensführung". Die Sinnfrage des Lebens lässt sich für viele leider immer noch am leichtesten durch klassische Statussymbole befriedigen. Doch wir sollten erkennen, dass Luxus nach heutiger Auffassung auch Belastung sein kann. Luxus könnte zukünftig auch sein, in einem ganz kleinen Haus völlig „unbeschwert" zu leben, frei nach dem Motto „small is beautiful".
 
Der rührige Land- und Forstwirt Hans Fritz aus Rimsting am Chiemsee ist ein Mann der Tat und befasst sich schon seit langer Zeit mit ungewöhnlichen Häusern. Lesen Sie dazu auch das forum-Portrait KISS.


Dieser Artikel ist in forum 01/2020 - Dabeisein ist alles! erschienen.

Autor: Hans Fritz

     
        
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