Unser Appetit ist unersättlich

Tierische Geschäfte mit Nutztieren

Soja aus Brasilien, Milchexporte nach China, Steaks aus Argentinien und Parmaschinken in die USA – längst sind Tierhaltung und Lebensmittelproduktion international vernetzt. Alle Akteure, seien es Konsumenten, Produzenten, Unternehmer oder Entscheider in der Politik, sind in ein komplexes System eingebunden, das schwer zu durchschauen ist.

Auf fast jeder Milchpackung prangt das Bild glücklicher Kühe auf grünen Weiden. Doch die Wirklichkeit sieht schon lange ganz anders aus.© EIKON Media und MIDAMONTE FILM, Martin Rattini, Tiberius FilmLeidtragende dieses internationalen Geschäfts sind vor allem die Tiere. Doch auch wir Menschen zahlen dafür mit unserer Gesundheit und riskieren große Umweltschäden. Dies stellen wir am Beispiel der Milchproduktion und der Hähnchenmast exemplarisch vor. Doch es geht noch weiter: Eine industrialisierte Landwirtschaft setzt kleinbäuerliche Strukturen unter Druck, zerstört Vielfalt, ersetzt regionale Besonderheiten durch Monokultur und ruiniert durch Subventionsvorteile Mitbewerber in armen Ländern. Aber es gibt Alternativen! Diese müssen allerdings unterstützt und kontinuierlich optimiert werden. 

Das System Milch
Auf fast jeder Milchpackung prangt das Bild glücklicher Kühe auf grünen Weiden. Doch die Wirklichkeit sieht schon lange anders aus. Milch ist Big Business. Hinter dem unschuldig anmutenden Lebensmittel verbirgt sich ein milliardenschweres Industriegeflecht, das auf Kosten der Umwelt, der Tiere, der Menschen und unserer Gesundheit riesige Profite macht. Und die Drahtzieher sorgen unbeirrt dafür, dass der Milchkonsum weltweit weiterhin ansteigt. Die Milchquellen und die Profite sollen sprudeln. Dazu einige Fakten:

Jährlich werden in Europa etwa 200 Millionen Tonnen Milch und Milchpulver produziert. Es geht hier um einen Markt von 100 Milliarden Euro. Der Konsum von Milcherzeugnissen in Deutschland liegt stabil bei etwa 90 Kilogramm pro Person und Jahr. 2016 verzehrte hier jeder Bürger durchschnittlich 52,3 kg Milch, 24,4 kg Käse, 16,7 kg Joghurt und 6 kg Butter. Anfang 2018 wurden in Deutschland etwa 31 Cent pro Liter Vollmilch gezahlt. Um kostendeckend zu arbeiten, brauchen Milchbauern im Schnitt aber mindestens 40 Cent je Liter. Milchbauern und andere Landwirte werden von der Europäischen Union mit etwa 500 Millionen Euro subventioniert. Von 32,7 Millionen Tonnen Milch, die 2016 in Deutschland produziert wurden, war etwa die Hälfte für den Export bestimmt, mit zunehmender Tendenz. Gleichzeitig stieg die Nitratbelastung unseres Trinkwassers durch den Gülleeintrag der Landwirtschaft…

Gestiegene Leistung – die Turbo-Kuh
Die Milchproduktion hat sich in den vergangenen 50 Jahren vervielfacht, und das, obwohl es heute viel weniger Milchkühe gibt als früher. Sie fragen, wie das geht? Die Milchkühe erbringen „einfach" immer höhere Leistungen: Gab eine Milchkuh in den 1950er Jahren etwa 2.500 Kilogramm Milch im Jahr, so kann sie heute bis zu 10.000 Kilogramm pro Jahr liefern. Das ist ein Vielfaches ihres Körpergewichts. Deutschen Kühen der beiden Hauptrassen Holstein-Friesian und dem Fleckvieh wurden im Jahr 2014 im Durchschnitt rund 9.000 beziehungsweise 7.400 Kilogramm Milch aus ihren prallen Eutern gesaugt. Damit hat sich die Milchleistung in den letzten zehn Jahren bei den Holstein-Kühen um rund acht Prozent und bei den Fleckviehkühen um rund elf Prozent erhöht. Das liegt zum einen an intensiver Züchtung und zum anderen am Hochleistungsfutter – neben Gras, Mais und Futterkonzentraten bekommt die Milchkuh eine Extraportion Eiweiß. Für dieses Kraftfutter zum Beispiel aus Soja, das vor allem aus Südamerika importiert wird, werden dort Regenwälder und Savannen abgeholzt.

Die Kehrseite des „Milchsegens": Pro Liter Milch entstehen in der intensiven Landwirtschaft etwa drei Liter Gülle und die Schwerstarbeit geht an den „Milch- und Güllemaschinen" nicht spurlos vorbei. Die Tiere werden durchschnittlich bereits im Alter von 4,7 Jahren geschlachtet, obwohl Kühe bis zu 25 Jahre alt werden können. Während es in Deutschland noch Familienbetriebe gibt, deren Bestände überschaubar sind und wo der Bauer seine Kühe zum Teil noch beim Namen kennt, sind etwa in den USA regelrechte Milchfabriken mit Turbokühen die Regel. 

Schneller am Ende – Kuh kaputt
Viehzüchtermesse (Cremona, Italien) - die Optimierung der Kühe für die Optimierung des Rohstoffs Milch. © EIKON Media MIRAMONTE FILM, Martin Rattini, Tiberius FilmDie Züchtung und Fütterung der Milchkühe zu „Hochleistungstieren" hat weitere Schattenseiten: Krankheiten wie Euterentzündungen häufen sich, die Fruchtbarkeit nimmt ab, die Kühe sterben früher beziehungsweise müssen „ausgemustert" werden. Kritiker warnen vor dem Einsatz von Antibiotika und klagen über Medikamentenrückstände in der Milch.

Doch auch die Milchbetriebe selbst stehen unter Druck und werden zu Höchstleistungen gezwungen. Um den niedrigen Milchpreis auszugleichen, fahren sie die Produktion um jeden Preis nach oben. Die Folge:

Aus der hart erarbeiteten Milch entstehen bei Global Playern wie Friesland Campina (NL) vielfältige Produkte, vom Butter bis zum Käse und Milchpulver für verschiedene Altersgruppen, die man international absetzen will. Neue, lukrative Fernmärkte werden erschlossen, beispielsweise in China, wo durch den gestiegenen Bedarf an Milch mittlerweile schon eigene riesige Rinderställe hochgezogen werden. In vielen Regionen Afrikas zerstört das billige Milchpulver aus der europäischen Überproduktion dagegen die dortige regionale Landwirtschaft.

Doch es gibt Gegenentwürfe: der Bauer, der sich bewusst für ökologische Landwirtschaft entscheidet und seine Produkte selbst weiterverarbeitet, dabei bei der Vermarktung bewusst regional bleibt, um lange Transportwege zu vermeiden; kleine Molkereien im Senegal, die die einheimischen Bauern unterstützen und lokale Kreisläufe fördern; Bauern, die zeigen, dass Gülle unter den richtigen Bedingungen wertvollen Boden erzeugen kann; Züchter und Tierhalter, denen das Wohlbefinden und die Gesundheit der Kuh gegenüber einer ständigen Steigerung der Milchproduktion wieder ein Anliegen ist und die erkannt haben: Gesunde und zufriedene Kühe leben länger und geben damit auch länger und auf Dauer mehr Milch.

Es geht auch anders – ökologische Milchproduktion
Der Preis für ein Kilo Biovollmilch liegt derzeit bei über 50 Cent. Im Gegensatz zur konventionellen Tierhaltung gibt es im Rahmen der EU-Öko-Verordnung konkrete gesetzliche Mindeststandards, die streng überwacht werden. Vorgaben wie: Auslauf im Freien, keine Anbindung, Mindestplatz pro Tier, Ausgestaltung der Stall- und Liegeflächen. Der Verbraucher erkennt Produkte mit diesen Vorgaben am europäischen oder deutschen Biosiegel. Aber auch in Sachen Bio gibt es Abstufungen. Private Anbauverbände wie Naturland, Bioland oder Demeter haben zum Teil noch wesentlich strengere Richtlinien. Siehe dazu auch unseren Beitrag „Die Zukunft der Nutztierhaltung" auf den folgenden Seiten. Last but not least hier noch ein „Sachcomic" als Lesetipp.

Mensch. Macht. Milch.
Verbraucher können einen andere Weg fordern und fördern. © GermanwatchDie Landwirtschaft in Deutschland steht vor einem Scheideweg: Sie wird zunehmend auf Export getrimmt. Bäuerliche Milchhöfe müssen wachsenden Betrieben weichen. Ökologie und Tierschutz stehen auf dem Spiel. Und in armen Ländern dieser Welt verzerren billige Lebensmittel aus Europa und Deutschland die dortigen Märkte. Verbraucher können einen anderen Weg fordern und fördern: durch das Kaufen von regional erzeugter Milch, die unter fairen Bedingungen für Mensch, Tier und Umwelt produziert wird.

Der Sachcomic „Mensch Macht Milch" kann kostenlos, als PDF runtergeladen werden. Er gibt einen Einblick in die politische, gesellschaftliche, bäuerliche und privatwirtschaftliche Auseinandersetzung um diese Entwicklungen. Und er macht Vorschläge, wie eine zukunftsfähige Milchwirtschaft aussehen könnte.

 

Der Film zum System
Die Bilder im Film zielen nicht auf Schockwirkung ab und lassen den Zuschauer dennoch nachdenklich zurück. © Tiberius Film Der Film „Das System Milch – Die Wahrheit über die Milchindustrie" nimmt den Zuschauer mit auf die Reise hinter die Kulissen.

Milchtüten auf endlosen Fließbändern zeigen das Ausmaß der Technisierung und die Mengen an Milch, die verarbeitet werden. Die Molkereien als Verbindung zwischen Produzenten und Konsumenten werden immer größer und nehmen in der Verarbeitungskette eine mächtige Rolle ein. Die Bauern sind gezwungen, immer mehr zu produzieren oder aufzugeben. Die Folge: Milchkühe werden durch Züchtung auf Höchstleistung getrimmt und müssen ständig trächtig sein. Damit entstehen Kälber am Fließband und es bleiben immer wieder Kälber „übrig", besonders die Bullenkälber. Diese werden als Masttiere weiterverkauft und, wenn hier der Preis die Kosten nicht deckt, einfach getötet – aus ökonomischen Gründen, von Bauern, die von EU-Förderung abhängig sind, um überhaupt überleben zu können.

Die Bilder im Film zielen nicht auf Schockwirkung ab und lassen den Zuschauer dennoch nachdenklich zurück.  Ein eindrücklicher Film, durch den man die Milch im Kühlschrank mit anderen Augen sieht.

Weitere Beiträge zu dem Thema "Tierische Geschäfte" finden Sie online hier oder Sie in unserer aktuellen forum Ausgabe.
 
Von Fritz Lietsch

Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2018 - Digital in die Zukunft? Tierische Geschäfte! erschienen.

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