Hydrogen Dialogue 2024

Naturwälder als perfekte Lehrmeister für Manager

Wir schicken Sie in den Wald …

Was Unternehmen von Waldökosystemen lernen können - Veranstaltungstipp
Das vom B.A.U.M. e.V und dem Tübinger Weltethos-Institut entwickelte Seminar „Wälder beraten Wirtschaft" gibt Unternehmen, Kommunen und Organisationen einen Einblick in Systemzusammenhänge von Natur und Wirtschaft. Es zeigt den Teilnehmern, wie der zukunftsweisende Ansatz von „ethikologischen Geschäftsmodellen" praktisch umgesetzt werden kann.
Ökosysteme sind deshalb erfolgreich, weil sie durch Vielfalt, Teilhabe und Symbiose einen Mehrwert für alle Beteiligten schaffen. Mit den Erfolgsprinzipien der Ökologie entdecken Sie ein neues Wettbewerbsverständnis und werden zum Gewinner auf den Märkten von morgen.
 
Kennen Sie den Wald? „Klar!", sagen Sie. Er ist ideal zum Mountainbiking, Wandern oder Pilze Sammeln, gut für die Erholung und außerdem wichtig für den Klimaschutz, als Holzlieferant und Wasserspeicher. Richtig! All das und noch viel mehr erbringt insbesondere der Naturwald zum Nutzen für den Menschen.
 
Wie aber funktioniert der Wald genau? Was macht ihn seit 350 Millionen Jahren zu einem der erfolgreichsten Wirtschaftsunternehmen der Natur, das selbst Vulkanausbrüche, Überschwemmungen und diverse Klimakatastrophen der Erdgeschichte gemeistert hat? Welche Naturprinzipien machen Wälder so erfolgreich und was kann man davon auf heutige Wirtschaftsunternehmen übertragen?
 
Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse aus den letzten Jahren geben Antworten. Sie lassen nicht nur Waldökosysteme in neuem Licht erscheinen, sondern weisen auch den Weg für eine erfolgreiche Unternehmensführung. Die Natur zeigt, wie beispielsweise Kommunikation und Kooperation, Symbiose und Nutzenstiftung zu Kräften werden, die einzelne Arten und zugleich das gesamte Waldsystem stärken. Folgende Beispiele aus Waldökosystemen verdeutlichen, wie Unternehmen diese Erfolgsprinzipien für sich nutzen können.
 
Symbiose auf dem Markt für Nährstoffe
Das perfekte Zusammenspiel im Wald geht über eine Kreislaufwirtschaft hinaus, denn es werden neue, zusätzliche Ressourcen aufgebaut © Rainer KantJüngere Forschungsergebnisse belegen, dass Waldböden ein dichtes Geflecht aus Wurzeln und Pilzen durchzieht, durch das Bäume untereinander Kohlenstoff in großen Mengen austauschen. Lange bekannt ist, dass Mykorrhiza-Pilze, die in Symbiose mit einem Baum leben, ihren Wirt über ihr Wurzelgeflecht mit wichtigen Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphor versorgen. Zusätzlich steigern sie das Wachstum und die Stressresistenz der Bäume, indem sie die Wasserversorgung verbessern oder Krankheitserreger und giftige Schwermetalle abfangen. Im Gegenzug erhalten sie von den Bäumen Kohlenstoff in Form von Zucker, den der Baum durch seine Photosynthese herstellt und den Pilze benötigen, aber nicht selbst erzeugen können. Da sich Mykorrhiza-Pilze gleichzeitig mit mehreren Bäumen verknüpfen, wird der Zucker auch zwischen den Bäumen unterschiedlicher Arten ausgetauscht – also von der Buche zum Ahorn oder von der Fichte zur Kiefer. Der Pilz handelt hierbei als Zwischenhändler. Das lässt darauf schließen, dass der Baum seine selbst hergestellten, energiereichen Zuckerbestandteile nicht nur für sich und seine Pilzpartner einsetzt, sondern indirekt über das weitreichende unterirdische Pilznetzwerk an alle anderen Waldbäume mitverteilt. Das bedeutet: Viele gut versorgte Nachbarbäume erhalten den Wald als Ganzes und dadurch ist auch der Einzelbaum in seiner Existenz besser geschützt. Übertragen wir das Prinzip der Symbiose auf Unternehmen, bedeutet dies, erfolgreiche Unternehmen organisieren Austauschprozesse, bei denen Lieferketten ersetzt werden durch Kooperationsnetzwerke, die allen nutzen, die an der Erstellung und Nutzung eines Produktes beteiligt oder von ihr betroffen sind.
 
Ein Beispiel für das Prinzip symbiotischer Kooperationsnetzwerke bietet die TRUMPF GmbH, ein in Ditzingen bei Stuttgart ansässiger Weltmarktführer für Werkzeugmaschinen, Elektrowerkzeuge und Lasertechnik. So gründete TRUMPF 2014 eine eigene Bank, um sich von den globalen Finanzmärkten zu entkoppeln und Kunden beim Kauf von TRUMPF-Anlagen kostenadäquat zu finanzieren. Dadurch erhalten Kunden auch in schwierigen Marktsituationen eine tragfähige Finanzierung und werden zugleich langfristig an TRUMPF gebunden. Das Finanzierungsangebot stellt damit einen weiteren Schritt im Aufbau von partnerschaftlichen Kooperationsnetzwerken dar, da TRUMPF schon seit Langem in enger Zusammenarbeit mit seinen Kunden neue Produkte entwickelt.
 
Ein Geflecht von Wirtschaftsbeziehungen
Der Wald bietet ein Netzwerk symbiotischer Beziehungen und ist damit Lebensgrundlage für Pflanzen, tiere und Menschen. © Rainer KantSo wie ein Unternehmen mit seinen Zulieferern und Kunden interagiert, sind auch Bäume in der Lage, ihre Handelsbeziehungen mit den Pilzen aktiv zu regeln. Häufig lebt ein Baum mit mehreren Pilzpartnern in Symbiose, die mit ihm unterschiedlich stark kooperieren. Diese Konkurrenzsituation der Pilze nutzen Bäume gezielt zum eigenen Vorteil. Dabei wird ein quasi marktwirtschaftlicher Prozess ausgelöst, der von Preis und Leistung bestimmt wird. Sind die Pilze zu geizig, drosseln die Bäume einfach die Versorgung mit Zucker und zwingen die Pilze so zu stärkerer Kooperation. Liefert der Pilz daraufhin zum Beispiel vermehrt Phosphate, wird er vom Baum wieder vermehrt mit lebensnotwendigen Kohlenhydraten versorgt. Der Druck auf die Pilze muss allerdings maßvoll sein, denn die Entwicklung der Pilze darf nicht geschädigt werden. Schließlich sollen sie sich gut entwickeln können, um langfristig ausreichend Nährstoffe für die Versorgung der Bäume bereitzustellen.
 
Übertragen wir dieses win-win-Prinzip des angemessenen Leistungsaustausches auf die Wirtschaft, bedeutet dies, dass nur jene Wirtschaftskreisläufe zukunftsfähig sind, die Vielfalt fördern und Maß halten. Heutige Gewinner-nehmen-alles-Märkte, das rücksichtslose Streben nach Marktanteilen und die maximale Standardisierung sind deshalb Kennzeichen eines Wirtschaftens, das die eigene Ressourcenbasis langsam, aber sicher zerstört.
 
Ein Beispiel für die maßhaltende Förderung von Vielfalt bietet das neuseeländische Unternehmen Icebreaker. Das vor gut 15 Jahren in Neuseeland gegründete Unternehmen bewegt sich im Markt der Sportfunktionswäsche. Es verwendet ausschließlich Wolle von Merinoschafen, die von kleinen Schafzüchtern in naturnaher Weidewirtschaft gehalten werden. In allen Arbeitsschritten wie Färben, Spinnen, Weben, Nähen achtet Icebreaker darauf, dass Nachhaltigkeitsstandards sowie Arbeitsschutz und faire Entlohnung eingehalten werden. In jedem Kleidungsstück befindet sich eine Nummer, über die der Endkunde im Internet den Entstehungsweg seines Kleidungsstückes bis zurück zur ursprünglichen Schafherde verfolgen kann. Außerdem hat die Merinowolle gegenüber Synthetik Stoffen vielfältige Produktvorteile, da ausgemusterte Kleidungsstücke nicht nur recyclebar, sondern zusätzlich auch biologisch abbaubar sind. Das Geschäftsmodell von Icebreaker setzt so auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette auf substantiell nachhaltige Nutzenstiftung.
 
Kommunikation – der Vorteil, zu wissen, was los ist
Seit dem Bestseller „Das geheime Leben der Bäume" von Peter Wohlleben wissen aufmerksame Leser: Ohne ständige Kommunikation läuft im Wald gar nichts. Wurzeln, Blüten, Blätter, Früchte und sogar Tiere spielen dabei überwiegend auf der chemischen Klaviatur. Unzählige pflanzliche und tierische Drüsen stoßen flüchtige organische Substanzen aus, die über die Luftströmung oder im Wasser verbreitet werden und dabei Botschaften übermitteln. Werden beispielsweise die Blätter der Pappel von Fressfeinden attackiert, erhöhen sie die Gerbsäureproduktion und dünsten einen ganz bestimmten Duftstoff aus: Äthylen. Dieser wirkt wie ein Angstschrei und setzt Nachbarbäume in Alarmbereitschaft, die ebenfalls den Gehalt an Gerbsäure in ihren Blättern erhöhen und damit Fressfeinde abschrecken und weitere Baumkollegen warnen. Damit wird der Fraß Schaden großflächiger verteilt, wie das nächste Beispiel zeigt.
 
Die jüngste Entdeckung: die Bäume kommunizieren. Und nicht nur sie, eine Vielzahl von Pflanzen und Tiere verständigen sich miteinander. © Rainer KantGiraffen in Südafrika haben sich entwicklungsgeschichtlich auf den gestiegenen Tanningehalt angeknabberter Akazienblätter eingestellt. Sie fressen nur kurz und ziehen dann weiter – aber nicht zur nächsten Akazie, sondern zu einer weiter entfernten, die noch nicht durch Duftstoffe vorgewarnt wurde. Eine andere Strategie der Giraffen ist, gleich gegen die Windrichtung zu ziehen, um damit die Verbreitung der Alarmsignale über die Luftströmung zu umgehen. Pflanzen haben aber noch andere raffinierte Tricks auf Lager: Bei Schädlingsbefall können sie die Feinde ihrer Feinde herbeirufen. Wird die Pflanze angeknabbert, stellt sie das „Wundhormon" Jasmon her, das sich innerhalb von Minuten in allen Röhrensystemen, vom Stängel bis zur Wurzel, verbreitet und eine hohe Anzahl biochemischer Reaktionen in Gang setzt. Sie aktivieren Gene, die einen auf den Schädling abgestimmten Geruch produzieren, der aus den Spaltöffnungen der Blätter ausgesendet wird. Nützlinge wie Insekten verstehen diesen Duftcode auch noch aus einer Entfernung, die aus menschlicher Perspektive dem Geruch einer Erbsensuppe über mehrere Kilometer entspricht. Auf diese Weise lockt die Pflanze zum Beispiel Schlupfwespen, Erzwespen und Raubmilben zur Vertilgung gefräßiger Raupen herbei und wirft den Fressfeind seinen Feinden zum Fraß vor.
 
Übertragen wir das Prinzip natürlicher Kommunikation auf die Unternehmenswelt, wird deutlich: Kommunikation wird dort zum Erfolgsfaktor, wo sie wahrhaftig und relevant ist. Dies taucht viele Werbeaussagen in ein fragwürdiges Licht. Nicht so die bekannte Werbeaussage des Babynahrungsherstellers Claus Hipp: „Dafür stehe ich mit meinem Namen." Diese Aussage ist deshalb so ausdrucksstark und werbewirksam, weil der Besitzer selbst einsteht für ein Wirtschaften, bei dem Ökologie, Ökonomie und sozial engagiertes Unternehmertum Hand in Hand gehen.
 
Je länger sich ein Wald an einem Standort entwickeln kann und je höher die Baumartenvielfalt ist, desto größer ist das Biomasseangebot des Waldes – der Ressourcengrundstock für das Wachstum. Mit zunehmender Altersspanne der Bäume, der Vielgestaltigkeit der Waldstruktur und dem Anstieg des Totholzanteils nehmen der Reichtum an besiedelbaren Kleinstlebensräumen und damit die Artenvielfalt zu. Der Naturwald differenziert sich damit im Laufe der Zeit zunehmend aus und erschließt seinen Mitbewohnern symbiotische Wechselbeziehungen. Das Ergebnis ist eine hohe Dynamik und Erneuerungsfähigkeit auf kleiner Fläche sowie eine hohe Stabilität der Gesamtwaldfläche. Die Vielfalt an Nischen und Arten ist so groß, dass Störungen von außen keine ernsthafte Gefahr darstellen, da zu jeder Zeit eine walderhaltende Reaktion erfolgen kann.
 
Durch das Vorhalten einer lokalen Vielfalt durch beispielsweise eine hohe Anzahl unterschiedlicher Samen und Pilzgeflechte im Boden kann nach einem Großfeuer der Standort rasch wieder besiedelt werden. Großstrukturen, Monopolbildungen, „globalisierendes" Wirtschaften und Ressourcenraubbau sind Naturwäldern fremd. Dieses natürliche, krisenresistente Wachstumsprinzip führt zu einer „ressourcenschöpfenden Mehrwertstiftung" und zeigt damit folgende Wege für den Unternehmenserfolg auf: Nachhaltig erfolgreich werden Unternehmen, wenn sie Mehrwertkreisläufe aufbauen, die sich selbst tragende Systeme bilden. Wie dies gelingen kann, zeigt uns erneut ein Blick in den Wald: Spechte reduzieren in ihrem Umfeld die Anzahl holzfressender Insekten: unmittelbar durch Verzehr, indirekt durch die Schaffung von Nistmöglichkeiten für weitere Insektenfresser wie Eulen, Kleiber, Dohlen, Stare und Fledermäuse. Zusätzlich schaffen sie Raum für weitere Folgebesiedler, wie zum Beispiel Baum-, Garten-, Siebenschläfer, Wildbienen, Wespen, Hummeln etc.
 
Ressourcenaufbau und Nutzenstiftung
Ameisen leben nicht nur in vielfältigen Symbiosen mit Pflanzen und Blattläusen. Sie stiften darüber hinaus Nutzen, indem sie den Recyclingprozess des Totholzes durch die Anlage von Gangsystemen und durch die Zerkleinerung des Holzes beschleunigen. Zudem reduzieren sie die Anzahl von Forstschädlingen durch den Fraß ihrer Larven. Darüber hinaus nimmt die Versauerung der Böden im Umkreis von Ameisenstaaten ab und die Krümelstruktur des Bodens verbessert sich deutlich.
 
Unternehmen, die diese Erfolgsprinzipien der Ökologie auf ihr Unternehmen übertragen, werden die Gewinner der Märkte von morgen sein. Doch dies erfordert eine Systemänderung: Das ertragsfixierte Denken in Wertschöpfungsketten ist zu ersetzen durch ein ganzheitliches Handeln, das die Erfolgsprinzipien ressourcenschöpfender Mehrwertkreisläufe auf das Unternehmen überträgt. Hierbei werden die leistungsmotivierenden Erfolgsprinzipien eines menschlich ethischen Miteinanders und die Erfolgsprinzipien der Ökologie zur Grundlage von „ethikologischen" Geschäftsmodellen. Diese schaffen nachhaltigen Nutzen und Wohlstand für Menschen, Unternehmen, Gesellschaft und Natur.
 
Rainer Kant ist Senior Projektmanager bei B.A.U.M. e.V. und studierte zuvor Forstwissenschaften an der Universität Göttingen. Sein Schwerpunkt liegt auf Waldökosystemen, Biodiversität und nachhaltiger Ressourcennutzung.
 
Dr. Friedrich Glauner ist Berater für nachhaltige Unternehmensfu?hrung. Als Autor, Dozent und Philosoph mit langjähriger eigener Unternehmererfahrung begleitet er Unternehmen bei der Entwicklung werteorientierter Unternehmenskulturen und zukunftsfähiger Geschäftsmodelle.

Wirtschaft | CSR & Strategie, 10.04.2018
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