Geschwindigkeit und Flexibilität
Warum David gegen Goliath auch künftig Chancen hat.
Die Arbeitswelt verändert sich dramatisch: Die Grenzen der Unternehmen werden fließend und feste Jobstrukturen verschwinden. Dies bringt mehr Flexibilität für alle Beteiligten, birgt aber auch Gefahren in sich.

Herr Prof. Bartz, Sie veröffentlichen in wenigen Monaten Ihr neues Buch zum Thema „New World of Working". Was hat sich an unserer Arbeitswelt verändert und wie wird es weitergehen?
Im Moment sind die Arbeitswelten sehr stark in Bewegung. Die Unternehmen werden in ihrer Struktur immer weniger fassbar und verhalten sich wie diffuse Wolken. Ihre Grenzen verschieben sich, zum Beispiel durch Kooperationen und Outsourcing. Kunden und Lieferanten werden viel tiefer in Firmen integriert und oft ist gar nicht mehr so klar, wo ein Unternehmen aufhört und das andere beginnt.
Was ist die Folge davon?
Beschäftigung wird viel flexibler, Vollzeitbeschäftigung geht statistisch zurück. Dafür sind Teilzeit und Zeitarbeit auf dem Vormarsch. Daneben etablieren sich andere Formen der Beschäftigung wie Zero-Hour-Contracts, Perma-Jobbing, Freelance, Consulting und Praktika noch stärker. (Bei Zero-Hour-Contracts bleibt man quasi im Stand-by, bis man gebraucht wird, verpflichtet sich aber, nur für ein bestimmtes Unternehmen zu arbeiten, wie es schon in Italien praktiziert wird.) Insgesamt wird die Arbeitswelt wesentlich facettenreicher und bunter. Ein zweiter Trend betrifft die klassischen Hierarchien in einem Unternehmen: Sie werden wesentlich flacher, weniger starr und sind oft integriert in Projekte. In großen Konzernen kommt oft eine internationale Matrix- oder Netzwerkstruktur dazu. Ein dritter Trend ist das zeit- und ortsunabhängige Arbeiten. Letztendlich kann man sagen, dass Arbeit in Zukunft immer weniger mit dem zu tun haben wird, was noch unsere Eltern als ordentliche „Beschäftigung" betrachtet haben, sondern sich in ein flexibles Gebilde verwandelt, das ständig seine Form verändern kann.
Birgt das nicht die große Gefahr der Ausbeutung von Arbeitskraft in sich? Wenn die Entlohnung für selbstständige Tätigkeiten oder Teilzeit stetig sinkt, wird dann „Burn Out" nicht unweigerlich zur Volkskrankheit Nr. 1?
Die ganz große Frage ist, wohin Europa als Arbeits- und Wirtschaftsraum hinsteuern will. Der Asiatische Wirtschaftsraum ist dabei, uns rechts zu überholen. Dadurch werden die Anforderungen höher und man muss eine Lösung finden. Europa ist künftig tatsächlich dem Risiko ausgesetzt, wirtschaftlich in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, es muss also seine Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig sichern. Das funktioniert aber sicher nicht über Ausbeutung, sondern nur über „smartere" Arbeitsmodelle. In Deutschland gibt es schon interessante Ansätze mit lebenslangen „Arbeitszeitkonten".
Wie sieht so ein lebenslanges Arbeitszeitkonto aus?
Stellen Sie sich vor, Sie hätten ein Arbeitszeitkonto, das Sie Ihr Leben lang mitnehmen, von Firma zu Firma. Das betrifft auch die Überstunden, zum Beispiel wenn Sie einmal zusätzlich eine Karenzvertretung übernehmen. Sie können dann entscheiden, ob Sie sich diese Überstunden auszahlen lassen oder ansparen, um früher in Pension gehen zu können. Dafür müssen gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es in Deutschland beispielsweise schon gibt. Wenn man das mit dem Schweizer Modell kombiniert, bei dem man sein gesamtes Arbeitsleben lang auf ein persönliches Rentenkonto nach Maßgabe seiner Möglichkeiten einzahlt, dann wird ein integriertes Lebensarbeitszeitmodell daraus. Es verbindet ein Maximum an Flexibilität mit erheblichen Vorteilen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Und es ist im Endeffekt einfach fairer. Ein weiterer Schritt wäre, lebenslang ein bedingungsloses Grundeinkommen zu garantieren, über das gerade in der Schweiz im ersten Anlauf abgestimmt wurde. Eine solche Regelung würde den behördlichen Verwaltungsapparat dramatisch reduzieren, denn man müsste keine Arbeitslosengelder und andere Beihilfen mehr verwalten. Mit diesen Ansätzen würde es auch gelingen, Antworten auf die Rentenfrage zu finden. Denn das jetzige Rentensystem wird schätzungsweise 2025 ohnehin brechen, wenn die Babyboomer-Generation versucht, in Rente zu gehen. Das Positive ist: Die Lösungen liegen bereits fertig in der Schublade.
Stichwort Arbeitslose: Die Zahlen steigen europaweit kontinuierlich und in Österreich ist die Arbeitslosigkeit im ersten Quartal 2016 auf weit über zehn Prozent gestiegen. Wie lässt sich diese Tendenz umkehren oder zumindest stoppen?
Das ist ein bisschen wie die Frage nach der Weltformel. Glücklicherweise steigen die Durchschnittslöhne auch in Asien, womit das Auslagern von Produktionen dorthin immer weniger rentabel sein wird. Das reicht aber nicht, wir müssen wettbewerbsfähiger werden. Das ist nur durch Restrukturierung möglich und Vermeidung von Redundanzen, deren Wurzeln in Österreich vor allem im Proporz zu suchen sind. Die Folge ist: Im Verhältnis zu seinen knapp neun Millionen Einwohnern verwaltet es einfach zu viel. Wir könnten schnell und wendig wie ein Schnellboot sein, der Status quo ähnelt aber eher den Bewegungen eines Supertankers. Also muss ein Stufenplan für eine „Abmagerungskur" her. Wir müssen die Chance, dass wir neun Millionen und nicht 90 Millionen Einwohner zu verwalten haben, besser nutzen. Ein weiterer Punkt ist das Pensionssystem – die aktuelle Form ist beinahe am Ende und wir werden nicht darum herum kommen, es neu zu organisieren, sonst wird es in zehn Jahren heißen: „Es tut uns leid, aber ab sofort müssen wir 50 oder sogar 75 Prozent der Pensionszahlungen streichen." Da wären wir dann wieder bei den lebenslangen Arbeitszeitkonten. Solche und weitere Maßnahmen sollten umgehend eingeleitet werden, damit es nicht zu wirklich schmerzhaften Einschnitten kommt.
Eine „Verschlankung" des Staates schafft vielleicht mittelfristig Arbeitsplätze, aber nicht unmittelbar. Welche Maßnahmen sollte man setzen, um die Situation jetzt zu entschärfen?
Mehr und bessere Qualifikationsmaßnahmen. Es geht nicht nur darum, die Akademikerquote signifikant zu erhöhen. Es geht darum, lebenslang zu lernen und sich damit den wechselnden und wachsenden Anforderungen problemlos stellen zu können. Die Basis dafür sind berufsbegleitende Studiengänge, wie sie beispielsweise an der IMC Fachhochschule Krems angeboten werden, an der ich forsche und unterrichte. Sie sind noch intensiver als ein reguläres Vollzeit-Studium, haben aber den Vorteil, dass man gleichzeitig verdienen kann und wertvolle Berufserfahrung sammelt.
Diese Maßnahmen helfen in erster Linie jüngeren Arbeitnehmern. Was ist mit der zunehmend größer werdenden Gruppe von Arbeitslosen ab 50? Da geht es in vielen Fällen nicht um mangelnde Qualifikation, sondern um den Kostenfaktor, beginnenden Verlust der Belastbarkeit und fehlenden „Erfolgshunger".
Für diese Gruppe müssen neue gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Teilzeitmodelle, Mentorship zur Erhaltung von tradiertem Wissen, Erfahrungspotenzial und Arbeitsplatzanpassung an die Bedürfnisse älterer Arbeitnehmer fördern. (Siehe dazu den Beitrag „Silver worker" in forum 1/2015).
In manchen Bereichen muss auch mehr Druck ausgeübt werden, zum Beispiel durch verpflichtende Quoten zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer. Eine weitere Möglichkeit, für alle Altersgruppen Beschäftigung zu bieten, ist die Förderung neuer Industriezweige. Beispielsweise in der Automobilindustrie fallen derzeit die Würfel neu. Elektroautos zu bauen, erfordert ein ganz anderes Know-How als Verbrennungsmotoren und auch neue Lösungen. Was spricht beispielsweise dagegen, Wien zur Stadt der Elektroautos zu machen? Durch die so entstehende Nachfrage würde sich ein ganzes Netzwerk an Unternehmen und neuen Jobs entwickeln.
Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. (FH) Michael Bartz ist langjähriger Industriemanager und Professor an der IMC Fachhochschule Krems. Dort leitet er den New World of Work Forschungsbereich. Informationen und Ergebnisse aus den laufenden Forschungsprojekten und Praxisberichte werden im Blog www.newworldofwork.wordpress.com regelmäßig veröffentlicht.
Wirtschaft | Führung & Personal, 01.08.2016
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2016 - Zukunft der Arbeit erschienen.

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