Ludwig Karg
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 01.04.2015
Big Data in der Supply Chain
Zuverlässige Prozesse in der Lieferkette sind unerlässlich. Doch die Komplexität nimmt immer weiter zu und in den Netzwerken stecken neue und bisher nicht absehbare Gefahren.
Diese gilt es frühzeitig zu erkennen und darauf zu reagieren. Mit den Methoden von Big Data tun sich hier neue Möglichkeiten auf.
In der heutigen globalisierten Wirtschaft agieren Betriebe als Teil eines horizontal und vertikal erweiterten Supply-Chain-Netzwerks. Die Unternehmen der Fortune 1.000 besitzen zusammen fast 5 Millionen Lieferanten. Die Zulieferer tragen in vielen Fällen mehr zur Wertschöpfung bei als das produzierende Unternehmen selbst. Auch mittelständische Unternehmen besitzen Beschaffungsnetzwerke, die sich über mehrere Zwischenstufen über den Globus verteilen. Allerdings kennen Unternehmen in der Regel nur die direkten Lieferanten der ersten und vielleicht zweiten Stufe. Erhöhte Transparenz über Lieferquellen, Bestände und Bedarfe in der gesamten Lieferkette ist unverzichtbar, um reaktive und proaktive Strategien für das Risikomanagement zu entwickeln. Dies erfordert neue Modelle der Datengewinnung und -verarbeitung. Zumal die zu analysierenden Daten gerade im Fall von Wetter- und Klimarisiken oder für die Bewertung von politischen und medialen Prozessen bisher nicht dagewesene Volumina annehmen können.Ein GAU mit Folgen
Die Katastrophe von Fukushima ist uns allen noch präsent. Wenig bekannt, aber durchaus als warnendes Beispiel zu sehen ist der Fall des Pigment-Werks des Chemieunternehmens Merck, in dem in der Nähe des Atomreaktors von Fukushima spezielle Glanzpartikel für Autolacke hergestellt wurden. Weil die Arbeiter evakuiert werden mussten, kam es bei der Lieferung von bestimmten metallicfarbenen Fahrzeugen über Monate zu Lieferengpässen.
Klimabedingte Risiken entschärfen
Extremwettersituationen nehmen in beängstigendem Tempo zu. Ob dies eine Folge des Klimawandels ist und ob dieser anthropogen ist oder nicht, soll hier nicht diskutiert werden. Vielmehr muss sich jedes Unternehmen fragen, welche Auswirkungen solche Katastrophen auf sein Liefernetzwerk haben können. Es muss Vorkehrungen treffen, um den Eintritt des Ernstfalls frühzeitig zu erkennen, und im Voraus planen, wie es beim Eintreten der Situation reagieren will. Mit Mitteln aus dem Förderprogramm „Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel" des Bundesumweltministeriums und mit Hilfe von Klima- und Supply Chain-Experten können kleine und mittlere Unternehmen hier praxisnahe Konzepte und Notfallpläne erstellen.Der Klimawandel induziert heute noch schwer abschätzbare Risiken. Das im 7. Forschungsrahmenprogramm der EU geförderte Projekt Weather & MOVE-IT zeigte auf, dass neben dem Verkehrs- und Logistikbereich vor allem im Gesundheitsbereich große klimabedingte Risiken liegen, die nur durch frühzeitige Vorsorge zu bewältigen sind. Im Auftrag des Umweltbundesamtes erschien 2012 eine Studie, in der Kosten und Nutzen von 28 Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel in Deutschland bewertet wurden. Dabei wurde unter anderem untersucht, inwiefern durch intelligente Anpassungsmaßnahmen „Kosten vermieden, die Wirtschaftsstruktur gestärkt, Transaktions- und Informationskosten gesenkt und indirekte Sekundärnutzen wie Innovation und synergetische Effekte in anderen Politikbereichen erzielt werden können". Die Autoren der Studie weisen allerdings darauf hin, dass eine bessere Einschätzung der Kosten und eine gezielte Auswahl von Maßnahmen nur bei stark verbesserter Datenlage möglich sind.
Software zur Analyse von Risiken
Bei der intelligenten Aufbereitung von weltweit im Internet verfügbaren Daten setzen die Big Data Lösungen an, die zunehmend Einzug im Bereich der Risikoforschung und beim Risk Management halten. So plant B.A.U.M. beispielweise in Zusammenarbeit mit der TU Berlin und potenziell betroffenen Industrieunternehmen ein Projekt, bei dem kontinuierlich alle im Internet verfügbaren Klima- und Wetterdatenbanken analysiert und daraus mögliche Gefährdungen für bestimmte Regionen abgeleitet werden. Ist das Liefernetzwerk eines Unternehmens bekannt, kann damit frühzeitig auf wahrscheinliche Engpässe bei Produktion oder Transport hingewiesen werden.
Gefahr aus sozialen Netzwerken
Unternehmen haben ein vitales Interesse an auf Dauer leistungsfähigen Zulieferern. Deshalb drängen sie mehr und mehr darauf, dass jene standardisierte Umwelt-, Nachhaltigkeits- oder Risikomanagementsysteme einführen. Während Managementsysteme die internen Operationen regeln, können Betriebe heute leicht von außen unter Druck geraten. Nicht nachhaltiges Verhalten wie beispielsweise starke Umweltverschmutzung oder menschenunwürdige Arbeitsbedingungen werden heute von etablierten oder sich ad hoc bildenden Organisationen aufgenommen und schnell im Internet verbreitet. Erinnert sei hier nur an die Vorfälle rund um die Textilfabrik von Sabhar in Bangladesch. Auch Mitarbeiter nutzen zunehmend ihre sozialen Netzwerke im Internet, um auf Missstände in ihren Betrieben aufmerksam zu machen. Vielfach zu Recht, aber oft auch zu Unrecht leidet dadurch das Image solcher Unternehmen. Oftmals werden dann auch die Gesetzeshüter auf den Plan gerufen, was bis zur Einstellung des Betriebs und damit gegebenenfalls zum Ausfall eines wichtigen Glieds im Liefernetzwerk führen kann.
Die Entwicklung von Kampagnen in den sozialen Netzwerken des Internets folgt in Expertenkreisen gut bekannten Mustern. Das bietet entsprechenden Software-Anwendungen die Möglichkeit, die wichtigsten sozialen Netzwerke kontinuierlich daraufhin zu scannen und früh zu erkennen, wenn ein Unternehmen ins Fadenkreuz der Kritik gerät. Während bei den oben genannten Klima- und Wettergefahren aktives Handeln kaum möglich ist, kann in sozialen Netzwerken gegebenenfalls durch schnelles Beseitigen der Missstände und aktives Informieren Schlimmeres verhindert werden. Auch zu diesen Mechanismen soll das oben genannte von B.A.U.M. mit seinen Partnern geplante Projekt weitere Erkenntnisse liefern.
Unstrukturierte Massendaten erfordern Big Data Lösungen
Die skizzierten kontinuierlichen Analysen im Internet sowie das aktive Auslösen von Maßnahmen zur Risikominderung stellen die Informatik vor große Herausforderungen. Das liegt vor allem daran, dass ca. 90 Prozent der weltweit anfallenden Daten unstrukturiert und nicht automatisiert auswertbar sind. Wie eine Studie des Berliner Kompetenzzentrums für Big Data aufzeigt, kann schon innerhalb von Unternehmen ein großer Teil der verfügbaren Daten bisher nicht nutzbringend eingesetzt werden. Umso schwieriger wird es, wenn die Daten von Betrieben im Zuliefernetzwerk mit in die Analysen einbezogen werden sollen. Wenn schließlich Softwaremodule vorliegen, die solche Analyseaufgaben übernehmen, sind diese immer noch in die bestehenden IT-Systeme der Betriebe zu integrieren. Schließlich ist nicht zu unterschätzen, dass die geeigneten Antworten auf Gefahren aus dem Klimawandel und auf die unkontrollierbaren Effekte aus sozialen Netzwerken nur durch gut ausgebildete Risikomanager entwickelt und umgesetzt werden können.
Hier tut sich ein großes Forschungs- und Entwicklungsfeld auf, dem sich B.A.U.M. und seine Mitglieder mit aller Kraft widmen sollten. Nicht zuletzt, um den Produktionsstandort und die Exportnation Deutschland noch unabhängiger von Gefahren zu machen, die ihre Ursache in anderen Regionen dieser Welt haben.
Ludwig Karg
ist Gesellschafter und Geschäftsführer der B.A.U.M. Consult GmbH München/Berlin. Nach seinem Informatikstudium war er in leitender Funktion für Multimedia- und Netzwerklösungen bei Intel tätig. Mit seinem Team berät er Unternehmen und entwickelt in großen Projekten Lösungen für eine nachhaltige Versorgung mit Material und Energie.
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2015 - Nachhaltige Mode erschienen.
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