Mit gutem Beispiel vorangehen
So manches Unternehmen zögert bei der Renaturierung von Firmenflächen.
Wirtschaften braucht Fläche – dies gilt umso mehr, wenn man in einer boomenden Branche tätig ist, wie der Naturkosthändler Bodan aus Überlingen. „Bodan – Großhandel für Naturkost", ist seit 1987 mit der Biobranche gewachsen und heute ein mittelständischer Betrieb mit 200 Mitarbeitern und über 50 Millionen Euro Jahresumsatz. Als nachhaltig agierendes Unternehmen ist sich Bodan dessen bewusst, dass jede Erweiterung des Geschäfts der Natur ein weiteres Stück Fläche raubt. Nach der letzten Betriebserweiterung, die 2013 abgeschlossen wurde, verfügt Bodan über mehr als 20.000 m2 Betriebsfläche. Bei aller Freude über die erreichten Erfolge bleibt ein Wehrmutstropfen: Wer ausschließlich mit Lebensmitteln handelt, die mindestens die Bio-Kriterien der EU-Öko-Verordnung erfüllen, ist sich des zunehmenden Verlusts biologischer Vielfalt bewusst! Bodan war deshalb schnell für die Idee einer „Naturnahen Gestaltung von Firmengeländen", durch die Bodensee-Stiftung zu gewinnen. Wenn sich der Flächenverbrauch schon nicht vermeiden lässt, so sollten wenigstens alle Potenziale für eine ökologische Gestaltung berücksichtigt werden!
Genetische Vielfalt: Ein oft vergessener Aspekt
biologischer Vielfalt
Im Zuge der Erweiterung des Bodan-Standorts Überlingen galt es, einen Hang mit über 3.000 m2 so zu gestalten, dass dieser sicher befestigt und mit vertretbarem Aufwand zu pflegen ist. Nach Diskussion mit der Naturgartenplanerin entschied sich Bodan für die Ansaat einer artenreichen Magerwiese. Die Bedingungen hierfür waren günstig: Durch die Baumaßnahmen lag der Rohboden offen, das heißt, die Fläche war von Natur aus sehr nährstoffarm und frei von Plagegeistern wie Quecke oder Ackerwinde, die oftmals eine artenreiche Gestaltung erschweren.
Bei der Auswahl des Saatguts ging Bodan einen ganz besonderen Weg: Eine „Wiesentransplantation" wurde durchgeführt und das von Joe Engelhardt entwickelte Heudruschverfahren angewendet. Hierbei werden Spenderflächen mit vergleichbaren Standortbedingungen in nächster Nähe gesucht und Samen von diesen Flächen geerntet. Dadurch wird die „Mikroflora" von Pilzen mittransplantiert und man erhält „echt einheimisches" Saatgut. Dadurch wird ein wichtiger Beitrag zum Erhalt der Vielfalt innerhalb der Arten geleistet. Denn: Margerite ist nicht gleich Margerite! Im Verlauf der Evolution haben sich Pflanzen auch an die spezifischen Bedingungen einer Region angepasst. So ist die Margerite in Norddeutschland ein wenig anders als die in Süddeutschland. Eine Vielfalt, die ebenso erhaltenswert ist wie die Vielfalt zwischen den Arten!
„Naturnah" als Gestaltungsaufgabe bei Kärcher
„Naturnah? Da lässt man doch einfach alles wachsen, wie es will, oder?", lautet eine landläufige Meinung. Weit gefehlt! Auch, wenn man auf naturnahen Firmengeländen mit statt gegen die Natur arbeitet – wozu ein Zulassen natürlicher Dynamik gehört – bedeutet dies nicht, dass auf eine hochwertige und aktive Gestaltung verzichtet werden muss. Dies beweist die Gestaltung des neuen Firmenareals von Kärcher in Winnenden, dem Weltmarktführer für Reinigungstechnik.
Auf deren Gelände wurden auf Anregung des bundesweiten Projekts „Naturnahe Gestaltung von Firmengeländen" eine Reihe sinnvoller Maßnahmen umgesetzt, die grundsätzlich für jedes Firmengelände in Frage kommen. Die naturnahe Bepflanzung der Auffangvorrichtungen zur Versickerung des Regenwassers (Rigolen) sieht beispielsweise gut aus, ist pflegeleicht, ökologisch ungleich wertvoller als langweiliger Rasen und auch nur unwesentlich teurer.
Am eindrucksvollsten ist aber die Gestaltung des Innenhofs. Der Permakultur-Designer Volker Kranz und die Naturgartenplanerin Maria Stark haben hier zunächst den Standort und die regionalen Besonderheiten analysiert. Auf Basis der Analyse wurde daraufhin ein Konzept entwickelt, das ökologisch sinnvoll ist und regionale Besonderheiten aufgreift. Die Anforderungen an die Gestaltung waren dabei besonders hoch: Mitarbeitern sollte der Innenhof ebenso gefallen wie Gästen – ein wenig repräsentativ darf es im Hause Kärcher schon sein!
Herausgekommen ist ein stimmiges Konzept, bei dem ökologisch und ästhetisch hochwertige „Verwerfungslinien" angelegt wurden, die an typische Gesteinsformationen und Steinbrüche erinnern und von ganzen Natursteinen überbrückt werden: Eine Gestaltung, die hervorragend mit den großen Ästen harmoniert, die an einigen Stellen als wertvolle Totholzstrukturen für Wildbiene & Co. platziert wurden. Die naturnahe Gestaltung geht dabei bis in kleine Details: Die großen Steine wurden vorsichtig von ihrem Abbauort geholt, es wurde also darauf geachtet, die darauf wachsenden Pflanzen beim Transport nicht zu entfernen.
Auch während des Baus wurde auf ökologisch hochwertige Umsetzung geachtet: So wurden die vielen unterschiedlichen Substrate, das heißt die „Böden", wo möglich aus Recyclingmaterial zusammengemischt, welches vor Ort verfügbar war. In den nächsten Jahren wird hier ein lebendiger Innenhof entstehen – einige Tiere konnten es gar nicht erwarten und sind schon eingezogen, bevor alles fertig war: Das erste Paar Bachstelzen hat sofort mit der Brut begonnen!
Naturnah: So vielfältig wie die Wirtschaft!
Die Beispiele verdeutlichen, dass naturnahe Gestaltung eine Vielzahl von Anforderungen erfüllen kann, die von „Naturschutz auf dem Firmengelände" bis hin zu wahren Kunstwerken reichen. Für jedes Budget und jede Unternehmensgröße lassen sich Lösungen finden. Bisher ist den Partnern im Projekt „Naturnahe Firmengelände" – der Heinz Sielmann Stiftung, dem Global Nature Fund und der Bodensee-Stiftung – noch kein Firmengelände begegnet, auf dem keine sinnvolle Maßnahme umsetzbar gewesen wäre. Biologische Vielfalt ist bedroht und Unternehmen können durch eine sinnvolle Gestaltung ihrer Außenflächen einen greifbaren und konkreten Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt leisten.
Webseitenlink zu unseren Praxisbeispielen:
Sven Schulz betreut bei der Bodensee-Stiftung die Projekte zum Thema „Naturnahe Gestaltung von Firmengeländen". In diesem Rahmen hat er bereits über 40 Firmengelände besichtigt und die Unternehmen hinsichtlich der Aufwertungsmöglichkeiten beraten. Dieser Einblick in die ganze Vielfalt der deutschen Wirtschaft ist für ihn ein wenig wie seine ganz persönliche „Sendung mit der Maus".
Umwelt | Biodiversität, 01.01.2015
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2015 - Grünes Reisen im Trend erschienen.
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