"Führung braucht Innovation"

Ein Interview mit Jörg Menno Harms

Eine wählerische Generation verschärft den Wettbewerb um Talente. Der Aufsichtsratsvorsitzende von Hewlett Packard, Menno Harms, spricht über grobe Führungsfehler und wie Unternehmen ihre Mitarbeiter an sich binden.

Herr Harms, nach über 30 Jahren Führungserfahrung auf Top-Management-Ebene kennen Sie die Zeichen der Wirtschaftsentwicklung. Welche anstehenden Megatrends sollten Unternehmen jetzt prioritär mitgestalten?
Prof. Jörg Menno Harms ist Aufsichtsratsvorsitzender bei der
Hewlett Packard GmbH (HP) und bereits seit 1968 in wechselnden Positionen für das IT-Unternehmen tätig. Harms hält Mandate in den Aufsichtsräten
verschiedener Industrieunternehmen und ist u.a. Träger des Bundesverdienstkreuzes.
Foto: © Menno Harms
Ich sehe persönlich drei Themen, an denen sich Führung u.a. orientieren sollte.
Erstens: Führung braucht Innovation! Führung kann nicht einfach so weitermachen wie bisher und die Vergangenheit in die Zukunft extrapolieren. Sie muss nicht unbedingt Neues erfinden, aber sie sollte das heutige Führungswissen auch wirklich einsetzen. Das ist das "Innovative" und das Mindeste, um mit den Megatrends der Welt mitzuhalten, z.B. der digitalen Vernetzung, der Internationalisierung und den notwendigen Innovationen in Produkten, Prozessen und Führungskultur.

Die Digitalisierung und weltweite Vernetzung sind Megatrends, die bisher schleichend daherkamen, sich noch weiter verstärken und über Nacht völlig neue Geschäftsmodelle in vielen Branchen ermöglichen. Die Transformation der informationsverarbeitenden Wirtschaft und der Zivilgesellschaft muss noch aktiver angegangen werden, wollen wir weltweit mithalten. Beispiel: Standardisierbare Arbeitsverfahren der Wirtschaft wie Lohn-, Gehalts,- und Reisekostenabrechnungen, bestimmte Fertigungsverfahren, Simulations- und Berechnungsleistungen, Übersetzungen usw. sind zunehmend digitalisierbar und weltweit über das Netz verkauf- bzw. einkaufbar. Das erzeugt zukünftig einen virtuellen Markt skalierbarer Dienstleistungskapazität zu weltweit attraktiven Kosten.

Nicht nur muss Führung Aufklärung über diese Entwicklung in der Gesellschaft leisten - "Was passiert da eigentlich durch die Digitalisierung?" - sondern auch die Umsetzung in den unterschiedlichen Anwendungen, beispielsweise in der Energiewirtschaft, im Gesundheitswesen oder in der Verkehrssteuerung vorantreiben. Führung muss zudem die Rahmenbedingungen ändern, die die Entwicklung und Chancenwahrnehmung behindern. Natürlich gibt es - wie immer - auch Risiken. Auch diese müssen dargestellt und abgewogen werden. Hierzu können vor allem auch die Medien beitragen.

Zweitens: Seit den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts wird immer deutlicher, dass nationale Staaten durch die globale Dimension gefordert werden. Die Konsequenzen greifen immer stärker in unsere gewohnten "Komfortzonen" ein. Die globale Gemeinschaft wird sich in den nächsten Jahrzehnten noch stärker vernetzen. Dann wird - salopp gesagt - Tokio der Vorort von Ludwigsburg und umgekehrt. Diese Entwicklung wird die Führung in Wirtschaft und Zivilgesellschaft vor neue und interessante Aufgaben stellen. Führungskräfte aller weltweit operierenden Unternehmen - und das sind heute auch fast alle KMU - müssen sich den Anforderungen der globalen Märkte stellen. Das ist anspruchsvoll und wird vor allem noch komplexer. Unterschiedliche Kulturen, politische Strukturen, Sprachen und Sitten verlangen kein "one size fits all", sondern intelligente Anpassung und neue Fähigkeiten. Wie schafft man das? Einerseits gibt es Führungskräfte, die bereits ihre eigenen Erfahrungen - zumeist durch Fehler - machen konnten und andere, die sich durch erfahrene Kräfte beraten lassen, die zumeist aus internationalen Unternehmen kommen und wissen, wie es gehen könnte.

Eine dritte wichtige Frage ist meines Erachtens: Wie gehen wir zukünftig mit der wachsenden Zahl von Arbeitnehmern um, die keine Arbeit vor allem in der verarbeitenden Industrie finden, insbesondere dann, wenn sie sich mit ihrem Wissen nicht schnell genug an die sich verändernde Marktsituation anpassen. Das gilt zunehmend auch für akademisch Ausgebildete, wenn diese versäumen, sich rechtzeitig auf neues Wissen zu fokussieren.

Diese bisher schon bekannte Entwicklung wird weiter an Geschwindigkeit und Größe zunehmen und sich im Dienstleistungsbereich wiederholen. Viele der heutigen unternehmensnahen und zukünftig zusätzlich ausgelagerten Services werden durch den Digitalisierungstrend unter enormen globalen Kostendruck kommen. Dann werden vergleichsweise teure Mitarbeiter ohne besonderes Wissen Schwierigkeiten haben, sich gegen den weltweiten Kostendruck zu differenzieren und ihre Arbeit einbüßen. Wenn es nicht gelingt, hier Lösungen zu finden, wird dies für einen Hightech-Standort Konsequenzen haben! Das Thema erfordert Innovation durch Führung und Abschiednehmen von alten Lösungen und Vorurteilen. Retardierende Lösungen wie beispielsweise das soziale Netz - wie in Deutschland mit Hartz IV - werden angesichts der neuen Größenordnungen nicht mehr helfen.

"Der größte Führungsfehler?
Nicht das tun, was man sagt."

Bitte vervollständigen Sie diesen Satz: Die jetzt in den Arbeitsmarkt drängende Generation ist aus meiner Sicht ...
... anspruchsvoller und am Leben orientierter. Sie ist internationaler, auch beweglicher und vernetzter als die Generation zuvor. Aber ich frage mich auch: Ist diese Generation früher mit dem von ihr Erreichtem zufrieden? Darauf habe ich noch keine Antwort.

Da sprechen wir von den 25-30-Jährigen. Warum sind die so anders?
Ich kann nur spekulieren. Die Entwicklung unserer Gesellschaft in den letzten 50 Jahren hat da wohl ihren Anteil. Diese Generation ist - Gott sei Dank - im Frieden aufgewachsen, erlebte Wohlstand und zeigt keine großen Fragezeichen und Zukunftsängste. Dass sie anspruchsvoller und lebensbewusster ist, liegt vermutlich daran, dass sie in gut behüteter Umgebung aufgewachsen ist und den Leistungsstress in unserer Gesellschaft abwägend kritisch sieht. Diese Generation kennt ein Leben ohne Smartphone und Internet nicht und wird die Arbeitswelt entsprechend verändern. Diejenigen, die diese Generation dort einführen, sollten aufpassen, dass sie entsprechend intelligent reagieren.

Der Wettbewerb um Talente nimmt in Deutschland zu. Welche Empfehlungen geben Sie Unternehmen, die hier mithalten wollen?
Zunächst einmal sollten wir verstehen: Wo liegen die Bedürfnisse? Die Talente in der nächsten Generation verstärken einen Trend: Leistungsbereite Menschen werden sich nicht mehr mit entmündigenden Arbeitsbedingungen abfinden, mit überzogenen Hierarchien oder feudalem Verhalten des Managements. Hier ist ein aktiver Anpassungsprozess wichtig. Verweigerungshaltung bringt uns da nicht weiter.

Und wir brauchen Arbeitsbedingungen und Führungskulturen - übrigens auch im öffentlichen Dienst -, die den Ansprüchen der nächsten Generation entgegenkommen. Auch hier gibt es viel zu tun. Dass die folgende Generation anders "tickt", das war in den letzten Generationen eigentlich schon immer so. Nicht alles muss man dem Zeitgeist opfern. Erfahrungen und beständige Werte haben ihre Berechtigung.

Allerdings gibt es immer noch zu viele Dogmen aus industrieller Vorzeit, die geändert gehören. Neben feudalen Managementprivilegien, die den Teamgeist stören, gehören auch beispielsweise unsere Arbeitsgesetze auf den Prüfstand, die teilweise aus den 1930er- und 1960er-Jahren stammen.

Die angenehme Art, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern: "Die neue Generation ist internationaler, beweglicher und vernetzter. Führen mit der Stechuhr war gestern", ist der HP-Aufsichtsratsvorsitzende Prof. Jörg Menno Harms überzeugt.
Foto: © alexandre zveiger, Fotolia
Investitionen in die Mitarbeiterentwicklung können sich dennoch als sinnlos herausstellen, da sich Beschäftigte zunehmend zu bindungslosen Jobhoppern entwickeln. Lässt sich das verhindern? Wie schafft man echte Loyalität?
Ich glaube nicht an bindungslose Jobhopper. Es gibt zwar diejenigen, die das Konzept job rotation erfolgreich umsetzen, u.a. in jungen Jahren. Das ist für die eigene Entwicklung sicher hilfreich. Auch längerfristige Arbeitsverhältnisse sind heute seltener als vor 50 Jahren. Die steigende Nachfrage nach qualifizierten und engagierten Mitarbeitenden, die größere Offenheit, Flexibilität und Internationalität der Arbeitsmärkte ergeben heute deutlich mehr Chancen für den Einzelnen als früher. Es wird schwieriger, gesuchte Mitarbeiter für ein Unternehmen einzubinden.

Eine längerfristige Mitarbeiterbindung erreiche ich durch eine bewusst umgesetzte Führungskultur und durch ein entsprechendes vorbildliches Verhalten der Führung. Mitarbeiter sind loyal zum Unternehmen, wenn die Chefs loyal zu ihnen sind. Top-down-Loyalität wird durch Bottom-up-Loyalität beantwortet. Eine richtig umgesetzte Vertrauenskultur schafft Mitarbeiterbindung und langfristige Identifizierung mit dem Unternehmen. Mitarbeitende, die von ihrer Aufgabe und von ihrer Führung überzeugt sowie am Gewinn und Kapital des Unternehmens beteiligt sind, werden ihr Unternehmen nicht so schnell verlassen.

Woran zeigen sich Führungsfehler am deutlichsten?
Es zerstört die Glaubwürdigkeit der Führung und das Vertrauen der Geführten, wenn es deutliche Unterschiede gibt zwischen dem, was eine Führungskraft sagt und dem, was sie tut: Vertrauen ist wie Glas - einmal zersprungen kommt es nicht mehr zusammen.

Sie plädieren für Mitarbeiterbeteiligung: Warum sollten Konzernchefs zu Gunsten der Mitarbeiter auf höhere Margen verzichten?
Es ist ja nicht gesagt, dass die Margen durch eine Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter zurückgehen. Ich behaupte das Gegenteil: Wenn die Belegschaft am Gewinn beteiligt ist, wird das Unternehmen produktiver und die Margen sind besser und nachhaltig.

Mitarbeiter, denen die Führung vertraut und die selbstständig arbeiten können, laufen Ihrer Ansicht nach zu Hochform auf. Was tun, wenn die gewünschten Leistungen und Ziele nicht erreicht werden?
Wenn die jeweiligen Ziele nicht realisierbar sind, dann müssen diese korrigiert werden. Wenn die individuelle Leistung nicht stimmt, dann muss sich die Führung fragen, warum das so ist und ggf. für eine neue Aufgabe sorgen. Wo kann eine neue Aufgabe oder Position gefunden werden, in welcher der Mitarbeiter in die richtige "Arbeitsresonanz" gerät? Diese Mühe muss sich die Führung schon machen. Manchmal braucht es auch nur kleine Veränderungen. Jährliche Leistungsbeurteilungen sind daher für die nachhaltige persönliche Entwicklung sehr hilfreich. Allerdings werden diese in vermutlich nur der Hälfte der Unternehmen richtig durchgeführt. Sollte alles nicht helfen, muss man sich eben voneinander trennen.

Sie sind Aufsichtsratsvorsitzender der Hewlett Packard GmbH, deren Mitarbeiter auch international handeln. Gibt es bezüglich der Vorstellung von guter Führung und selbstständigen Mitarbeitern nicht auch starke kulturelle Unterschiede?
Bestimmte Wertvorstellungen werden nach meiner Erfahrung von allen Mitarbeitenden akzeptiert, ob Schwaben, Japaner, Spanier oder Amerikaner: Vertrauen, Toleranz, Glaubwürdigkeit, Kompetenz, Respekt, Solidarität, Kundenorientierung. Das führt zu einem vertrauensvollen Miteinander und ist A und O des Erfolgs, eben auch international.

Natürlich muss man auf lokale kulturelle Gewohnheiten und Sitten Rücksicht nehmen, um keine Führungsfehler zu begehen, z.B. wie man zu Entscheidungen kommt oder Visitenkarten überreicht oder bei lokalen Geschäftspraktiken usw. Wenn es hier gelegentlich zu Differenzen kommt, muss die Führung Lösungen finden.
 
 
Von Tina Teucher
 

Quelle:
Wirtschaft | Führung & Personal, 05.07.2013
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2013 - Die Food-Industrie erschienen.
     
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