Was hat Urban Gardening mit Biodiversität zu tun?

Das Gärtnern in der Stadt führt zu mehr Verständnis für Artenvielfalt

Urban Gardening und Biodiversität - das klingt wie ein Widerspruch. Das hippe Gärtnern in der Stadt scheint nichts gemein zu haben mit der lebendigen Artenvielfalt, wie sie sich in naturnahen Biotopen und in alten intakten Kulturlandschaften zeigt. Oder doch? Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass das urbane Gärtnern durchaus geeignet ist, Verständnis für die Belange der Artenvielfalt zu wecken.

Die selbstangebaute Tomate regt zum Nachdenken an
Foto: © Martin Rasper
"Hier sind die Bienen Königin!", verkündet ein Schild im Berliner Prinzessinnengarten. Das schräge Deutsch ist Absicht, die Botschaft klar: Hier wird herumgesummt, hier werden Pflanzen bestäubt, hier wird Honig produziert. Wie in anderen urbanen Gartenprojekten auch, gehören beim Prinzessinnengarten Bienenvölker selbstverständlich dazu. Überhaupt haben sich Honigbienen in den letzten Jahren verstärkt in unseren Städten verbreitet. Initiativen wie "Berlin summt" oder "stadtimker.de" propagieren die Bienenhaltung, vernetzen Imker und Interessierte, organisieren Kurse für den Nachwuchs und helfen bei der Suche nach geeigneten Standorten. Auf dem Land dagegen haben viele Imkervereine Nachwuchssorgen. Gab es Mitte der neunziger Jahre in Deutschland insgesamt noch rund eine Million Bienenvölker, so sank die Zahl in den letzten Jahren auf 700.000. Walter Haefeker, Präsident der Vereinigung der Europäischen Berufsimker, zieht das Fazit: "Bienen geht es in der Stadt inzwischen deutlich besser als auf dem Land".

Wie kommt das? Auf dem Land haben Bienen in der Regel nur kurzzeitig ein reiches Angebot an Nektar, etwa wenn der Raps oder die Obstbäume blühen, danach ist Schluss. In der Stadt dagegen blüht von Frühling bis Herbst immer irgendetwas. Auch die Vergiftung der Landschaft mit den immer wirksameren Pestiziden - in der Stadt ebenfalls kein Thema - macht den Insekten zu schaffen. Dazu kommt die höhere Temperatur in der Stadt, die die Saison verlängert und den Winter erträglicher macht.

Städte artenreicher als Land

Die Allgegenwart der Bienen in den Städten ist Teil eines größeren Trends: Die Artenvielfalt in den Städten ist höher als auf dem Land. "Das Bild von der 'schlechten Stadt' und dem 'guten Land' muss dringend revidiert werden", fordert Professor Josef Reichholf, langjähriger Hauptkurator an der Zoologischen Staatssammlung München, der sich seit Jahrzehnten wissenschaftlich mit der Stadtnatur beschäftigt. Allein auf dem Gelände der Zoologischen Staatssammlung, einem großen Grundstück im locker bebauten Münchner Westen, wurden 450 verschiedene Schmetterlingsarten nachgewiesen. Eine andere Studie verglich die Zahl der Vogel- und Schmetterlingsarten in Stadt und Land und kam zu dem Ergebnis, dass die "offene Feldflur", also die typische Agrarlandschaft, den geringsten Artenreichtum aufwies - noch vor der großstädtischen City! Und der Lebensraum Stadtrand/Park wies, zumindest bei den Vögeln, sogar eine höhere Artenzahl auf als das vermeintliche Naturparadies Auwald. "Die Stadt ist ein 'Mischwald', wie es ihn in dieser Mischung und Vielfalt nirgends gibt. Doch dass die Städte vielfach weit artenreicher geworden sind als das Land, gibt zu denken", meint Reichholf. Ebenso deutlich ist der Unterschied zwischen Stadt und Land bei den Pflanzen. In Berlin existieren Schätzungen zufolge mehr Pflanzenarten als in der freien Natur in ganz Deutschland.

Dass die Biodiversität in den Städten so hoch ist, dazu tragen die Bienen, als wichtigste Bestäuber, einen wesentlichen Teil bei. Besonders die Wildbienen - einzelgängerisch lebende Insekten wie Mauer- oder Sandbiene, Hummeln oder Schwebfliegen - spielen eine wichtige Rolle im Ökosystem. Sie nutzen nicht nur kleinere und verstreutere Nektarquellen als die Honigbienen, sondern sind auch früher im Jahr unterwegs - und bestäuben die Frühblüher wie Schlehe und Berberitze, Krokus und Scharbockskraut. Durch die Ansiedlung solcher Pflanzen sowie durch geeignete Nisthilfen unterstützen die Stadtgartenprojekte die Wildbienen gezielt.

Der Allmende-Garten auf dem Tempelhofer Feld: Eine kreative Zwischennutzung auf dem ehemaligen Berliner Flughafen. 2017 kommt dorthin die Internationale Gartenausstellung (IGA).
Foto: © Martin Rasper
Bewusstseinsbildung beim Buddeln

Auch anderen Tieren versuchen die urbanen Gärtner eine Heimat zu geben. Nistkästen für Vögel und Fledermäuse, Trockensteinmauern für Eidechsen und Insekten, Teiche für Kröten und Molche, Totholzhaufen - soweit es der Platz zulässt, deklinieren die Projekte in der Regel das ganze Instrumentarium durch, das die Artenvielfalt in Gärten erhöhen hilft.

Aber die Stadtgartenprojekte tragen nicht nur direkt zur Biodiversität bei. Mindestens ebenso wichtig ist, dass Urban Gardening darauf abzielt, das Verständnis für die Funktionsweise von Ökosystemen zu erhöhen. Praktisch alle urbanen Garteninitiativen betreiben Bewusstseinsbildung und Umweltpädagogik und arbeiten an einem grundsätzlichen Verständnis für die Vielfalt der Natur und die natürlichen Kreisläufe. Nicht zuletzt ist auch die Sortenvielfalt der Kulturpflanzen, die gleichfalls beim urbanen Gärtnern thematisiert wird, ein Teil der Biodiversität.

Auch die Kommunen begreifen zunehmend, dass Biodiversität sich nicht nur in der Wildnis abspielt, sondern dass auch sie bei dem Thema gefordert sind. So gründeten am 1. Februar 2012 in Frankfurt 57 Städte, Gemeinden und Landkreise den Verein "Kommunen für biologische Vielfalt". Ursula Heinen-Esser, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesumweltministerium, ordnet die Initiative so ein: "Den Städten und Gemeinden kommt bei der Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt eine besondere Rolle zu. Sie sind es, die konkrete Entscheidungen über den Umgang mit der biologischen Vielfalt vor Ort treffen und nah bei den Bürgern sind."

Von Martin Rasper
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Martin Rasper: Vom Gärtnern in der Stadt. Oekom Verlag. 208 Seiten
EUR 19,95.

Quelle:
Umwelt | Biodiversität, 15.05.2012
     
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