Lifestyle | Essen & Trinken, 27.03.2012
Sind wir Verschwender?
Die Hälfte unserer Lebensmittel landet auf dem Müll
Wie viele Menschen könnte man mit dem, was wir täglich wegwerfen, ernähren! Mit seinem Film "Taste the Waste" hat Valentin Thurn bereits 80.000 Zuschauer erreicht - für einen Dokumentarfilm enorm. Und er hat damit eine ganze Bewegung gegen die Verschwendung in der gesamten Produktkette ins Rollen gebracht.
forum-Herausgeber Fritz Lietsch traf den Regisseur beim Deutschen Nachhaltigkeitstag und sprach mit ihm über Ursachen und Lösungsmöglichkeiten des Wegwerfwahnsinns.
Herr Thurn, Sie sind Filmemacher. Wie sind Sie zum Thema Lebensmittelverschwendung gekommen?
Vor vier Jahren habe ich eine kleine Reportage über Mülltaucher gemacht - ein eher exotisches Thema. Mülltaucher oder Containerer, wie sie sich nennen, gehen in die Supermarkttonnen, um Essbares raus zu holen. Weniger, weil sie arm sind, mehr als Protest gegenüber der Gesellschaft. Ich war wirklich geschockt, wie viel noch originalverpackt, vor Warenablauf, kurz: eigentlich gut Essbares dort drin war und ich habe mich dann gefragt "warum machen Unternehmen das?". Das muss sich doch lohnen, sonst würden sie es nicht machen. Und damit begann die ganze Recherche.
Mein Film hat sicherlich wahnsinnig viel bewegt in Deutschland. Es freut mich als Filmemacher, wenn plötzlich Minister anrufen und sagen "wir möchten eine Studie in Auftrag geben" oder "wir sind jetzt im Bundestag und wir wollen über das Mindesthaltbarkeitsdatum reden". Es bleibt trotzdem die Frage: Warum haben wir das über Jahrzehnte nicht erkannt? Das ist ja ein Problem von gigantischer Größenordnung! Wir werfen zu viel Essen weg, ich inklusive. Jeder wusste es in seinem Bereich. Der Landwirt wusste, er muss aussortieren, der Handel wusste, er hat Überfluss. Der Verbraucher hat auch immer ein schlechtes Gewissen, weil er eben auch etwas wegwirft. Aber das große Ganze macht 50 Prozent der Lebensmittel aus! Wie konnte es so weit kommen? Wir haben es verdrängt. Wir haben nicht draufgeschaut.
Wie kam es dazu?
Es hat natürlich damit zu tun, dass die industriell erzeugten Lebensmittel billig sind. Was billig ist, dem bringt man wenig Wertschätzung gegenüber. Aber vielleicht noch eine größere Rolle als der Preis spielt die Entfernung von uns Verbrauchern zum Landwirt, zum Erzeuger. Wir sind schon seit mehreren Generationen in den Städten und wissen oft gar nicht mehr gut von schlecht zu unterscheiden. Wir kaufen ja nicht, weil wir wissen: Es ist gut, es schmeckt besser. Wir kaufen, weil etwas optisch perfekt aussieht oder weil wir nicht mehr wissen, wie lange etwas haltbar ist. Das Datum hilft uns, weil wir nicht mehr unseren eigenen Sinnen vertrauen. Wann ein Joghurt abgelaufen ist, könnte man auch schmecken. Dafür brauchen wir kein Datum.
Wann haben wir uns vom Ursprung unseres Essens entfernt?
Dies haben wir in unserem Buch "Die Essensvernichter" versucht zu analysieren, zumindest für Deutschland. 1959 wurde der erste Supermarkt in Deutschland eröffnet und damit begann die Amerikanisierung. Ich will nicht sagen, dass die Supermärkte der Grund allen Übels sind, aber sie sind schon der Ort, in dem alles zu jeder Tageszeit in der kompletten Bandbreite angeboten wird. Es gibt nichts, was so gut untersucht ist, wie das Einkaufsverhalten, aber auch wir sind verführbar und wir reagieren auch auf das Angebot. Wenn ein Supermarkt sagen würde, ich will weniger wegwerfen, dann haben wir gegen Abend weniger Brot oder es gibt am Samstagnachmittag keine Milch mehr. Dann würden wir zur Konkurrenz gehen, weil wir es nicht mehr gewohnt sind - das macht es schwierig für den Handel, die Wegwerfquote runterzufahren. Da müssen alle mitmachen. Es gibt nicht einen Bösewicht, sondern da stecken wir alle mit drin.
Es geht nicht nur darum, dass wir die Basis unseres Lebens nicht wertschätzen - das ist schlimm genug, rein psychologisch. Aber auch die harten Fakten sind schockierend: Die Landwirtschaft ist für ein Drittel aller Klimagase verantwortlich. Was wir von ihren Erzeugnissen wegwerfen, trägt also wesentlich zur Klimaerwärmung bei. Wir haben versucht das umzurechnen: Allein der Lebensmittelmüll, der auf der Welt weggeworfen wird, verursacht ungefähr so viele Emissionen wie der gesamte Transportsektor - Autos, Schiffe und Flugzeuge zusammen genommen.
Wenn wir die Kreisläufe irgendwie sinnvoll schließen könnten, auch wirtschaftlich, könnten wir diese extreme Quote dann zurückfahren?
Es wäre sicherlich sinnvoll, wenn das Übrige als Tierfutter verwendet würde. Aber es wurde ja unter hohem Aufwand und mit Dünger von Menschen hergestellt. Was da weggeschmissen oder den Kühen gegeben wird, ist eigentlich zu gut für die Tiere, weil es richtige Speisekartoffeln sind. Sie schmecken gut. Sie haben nur eine kleine Delle, Mickymausöhrchen, irgendwelche komischen Formen, wegen denen es der Handel den Bauern nicht abnimmt. Es gibt keinen vernünftigen, nachvollziehbaren Grund. Ich warte auf den Tag, wo ein Supermarkt mal wieder ein Regal aufmacht "natürlich gewachsenes Gemüse". Ich glaube, inzwischen würde er Kundschaft dafür finden. Eine Karotte mit drei Beinen ist ja ein bisschen kompliziert zu schälen, dann muss er vielleicht sagen "wir machen es 10% billiger". Aber er würde Kundschaft kriegen und damit hätte man das, was für den Menschen angebaut war auch wieder bei den Menschen.
Wäre Bioanbau für Sie ein gangbarer Weg?
Bio ist sicherlich oft auch qualitativ besser. Aber man muss klar sagen: Die Biosupermärkte haben den gleichen optischen Perfektionswahn wie die normalen Supermärkte. Deswegen müssen die Biobauern leider genauso viel wegwerfen. Auf den kleinen Bioladen oder den Wochenmarkt trifft das vielleicht nicht zu. Vermarktungsstrukturen, die auf ein regionales Level runtergefahren werden, könnten die Verschwendung reduzieren.
Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die nächsten Projekte.
Film: Taste the waste www.tastethewaste.de
Buch: Die Essensvernichter www.essensvernichter.de
forum-Herausgeber Fritz Lietsch traf den Regisseur beim Deutschen Nachhaltigkeitstag und sprach mit ihm über Ursachen und Lösungsmöglichkeiten des Wegwerfwahnsinns.
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Hier werden täglich 100 Tonnen Altbrot angeliefert - die Hälfte des österreichischen Brotmülls. |
Vor vier Jahren habe ich eine kleine Reportage über Mülltaucher gemacht - ein eher exotisches Thema. Mülltaucher oder Containerer, wie sie sich nennen, gehen in die Supermarkttonnen, um Essbares raus zu holen. Weniger, weil sie arm sind, mehr als Protest gegenüber der Gesellschaft. Ich war wirklich geschockt, wie viel noch originalverpackt, vor Warenablauf, kurz: eigentlich gut Essbares dort drin war und ich habe mich dann gefragt "warum machen Unternehmen das?". Das muss sich doch lohnen, sonst würden sie es nicht machen. Und damit begann die ganze Recherche.
Mein Film hat sicherlich wahnsinnig viel bewegt in Deutschland. Es freut mich als Filmemacher, wenn plötzlich Minister anrufen und sagen "wir möchten eine Studie in Auftrag geben" oder "wir sind jetzt im Bundestag und wir wollen über das Mindesthaltbarkeitsdatum reden". Es bleibt trotzdem die Frage: Warum haben wir das über Jahrzehnte nicht erkannt? Das ist ja ein Problem von gigantischer Größenordnung! Wir werfen zu viel Essen weg, ich inklusive. Jeder wusste es in seinem Bereich. Der Landwirt wusste, er muss aussortieren, der Handel wusste, er hat Überfluss. Der Verbraucher hat auch immer ein schlechtes Gewissen, weil er eben auch etwas wegwirft. Aber das große Ganze macht 50 Prozent der Lebensmittel aus! Wie konnte es so weit kommen? Wir haben es verdrängt. Wir haben nicht draufgeschaut.
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Valentin Thurn im Gespräch mit forum-Herausgeber Fritz Lietsch |
Es hat natürlich damit zu tun, dass die industriell erzeugten Lebensmittel billig sind. Was billig ist, dem bringt man wenig Wertschätzung gegenüber. Aber vielleicht noch eine größere Rolle als der Preis spielt die Entfernung von uns Verbrauchern zum Landwirt, zum Erzeuger. Wir sind schon seit mehreren Generationen in den Städten und wissen oft gar nicht mehr gut von schlecht zu unterscheiden. Wir kaufen ja nicht, weil wir wissen: Es ist gut, es schmeckt besser. Wir kaufen, weil etwas optisch perfekt aussieht oder weil wir nicht mehr wissen, wie lange etwas haltbar ist. Das Datum hilft uns, weil wir nicht mehr unseren eigenen Sinnen vertrauen. Wann ein Joghurt abgelaufen ist, könnte man auch schmecken. Dafür brauchen wir kein Datum.
Wann haben wir uns vom Ursprung unseres Essens entfernt?
Dies haben wir in unserem Buch "Die Essensvernichter" versucht zu analysieren, zumindest für Deutschland. 1959 wurde der erste Supermarkt in Deutschland eröffnet und damit begann die Amerikanisierung. Ich will nicht sagen, dass die Supermärkte der Grund allen Übels sind, aber sie sind schon der Ort, in dem alles zu jeder Tageszeit in der kompletten Bandbreite angeboten wird. Es gibt nichts, was so gut untersucht ist, wie das Einkaufsverhalten, aber auch wir sind verführbar und wir reagieren auch auf das Angebot. Wenn ein Supermarkt sagen würde, ich will weniger wegwerfen, dann haben wir gegen Abend weniger Brot oder es gibt am Samstagnachmittag keine Milch mehr. Dann würden wir zur Konkurrenz gehen, weil wir es nicht mehr gewohnt sind - das macht es schwierig für den Handel, die Wegwerfquote runterzufahren. Da müssen alle mitmachen. Es gibt nicht einen Bösewicht, sondern da stecken wir alle mit drin.
Es geht nicht nur darum, dass wir die Basis unseres Lebens nicht wertschätzen - das ist schlimm genug, rein psychologisch. Aber auch die harten Fakten sind schockierend: Die Landwirtschaft ist für ein Drittel aller Klimagase verantwortlich. Was wir von ihren Erzeugnissen wegwerfen, trägt also wesentlich zur Klimaerwärmung bei. Wir haben versucht das umzurechnen: Allein der Lebensmittelmüll, der auf der Welt weggeworfen wird, verursacht ungefähr so viele Emissionen wie der gesamte Transportsektor - Autos, Schiffe und Flugzeuge zusammen genommen.
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Die Müllforscherin Felicitas Schneider vom Wiener Institut für Abfallwirtschaft sortiert Lebensmittelmüll |
Es wäre sicherlich sinnvoll, wenn das Übrige als Tierfutter verwendet würde. Aber es wurde ja unter hohem Aufwand und mit Dünger von Menschen hergestellt. Was da weggeschmissen oder den Kühen gegeben wird, ist eigentlich zu gut für die Tiere, weil es richtige Speisekartoffeln sind. Sie schmecken gut. Sie haben nur eine kleine Delle, Mickymausöhrchen, irgendwelche komischen Formen, wegen denen es der Handel den Bauern nicht abnimmt. Es gibt keinen vernünftigen, nachvollziehbaren Grund. Ich warte auf den Tag, wo ein Supermarkt mal wieder ein Regal aufmacht "natürlich gewachsenes Gemüse". Ich glaube, inzwischen würde er Kundschaft dafür finden. Eine Karotte mit drei Beinen ist ja ein bisschen kompliziert zu schälen, dann muss er vielleicht sagen "wir machen es 10% billiger". Aber er würde Kundschaft kriegen und damit hätte man das, was für den Menschen angebaut war auch wieder bei den Menschen.
Wäre Bioanbau für Sie ein gangbarer Weg? Bio ist sicherlich oft auch qualitativ besser. Aber man muss klar sagen: Die Biosupermärkte haben den gleichen optischen Perfektionswahn wie die normalen Supermärkte. Deswegen müssen die Biobauern leider genauso viel wegwerfen. Auf den kleinen Bioladen oder den Wochenmarkt trifft das vielleicht nicht zu. Vermarktungsstrukturen, die auf ein regionales Level runtergefahren werden, könnten die Verschwendung reduzieren.
Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die nächsten Projekte.
Film: Taste the waste www.tastethewaste.de
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