Reinhold Messner über das Einswerden mit der Vision

Der Traum des Grenzgängers

Exklusiv für die neue forum-Ausgabe 1/2010 berichtet Reinhold Messner, wie man seine Visionen verfolgt und schließlich wahr werden sieht. Lesen Sie in diesem Ausschnitt seines Beitrags zum Thema Führung und Verantwortung, wie Grenzgänger mit Begeisterung, Willenskraft und viel Ausdauer ihre Träume verwirklichen - und immer Ideen für neue finden.

Foto: © Nanga Parbat / Senator Film Verleih
Jeder Mensch hat Träume. Früher oder später sucht er die Erlebnisse zu diesen Träumen. Oder er resigniert und verdrängt sie. Besser, er identifiziert sich mit ihnen und lebt sie aus. Der Wunsch oder Ehrgeiz, so hoch wie möglich zu steigen, so weit wie möglich zu gehen, wird oft als Rekordhascherei verstanden. Ich behaupte, dass Rekorde nicht weit tragen. Auch nicht hoch genug. Mir wie jedem Grenzgänger geht es viel mehr um die Realisation von Tagträumen, nicht um den Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde.

Mit einem Traum, der ohne reale Umsetzung bleibt, kann ein Grenzgänger auf Dauer nicht leben. Ähnlich geht es vielen Künstlern, den Visionären unter den Managern, sogar Politikern. Sie versuchen, ihre Ideen zu verwirklichen.

Ich weiß, dass Realität und Tagtraum deckungsgleich werden können. Du denkst dir etwas aus, hast also eine Idee, entwickelst dann eine Vision dazu und bist in einer dritten Phase fähig, diese in der Realität umzusetzen. Das führt nicht nur zu einem Erfolgserlebnis. Oft stellt sich auch ein starkes Gefühl von Einheit ein. Einssein mit Geist, Körper und Kosmos, darum geht es beim Grenzgang.

Alle meine Taten haben als Idee im Kopf begonnen. Solange aber eine Idee nur als vage Vorstellung da ist, hat sie wenig Kraft. Erst wenn sie sich auswächst wie ein Kind im Mutterleib, wenn sie sich zur realisierbaren Vision verdichtet, kann sie geboren, muss sie verwirklicht werden.

Wenn ich von Tagträumen spreche, meine ich nicht Luftschlösser. Meine Tagträume sind real. Natürlich ist auch ein Tagtraum nur meiner Fantasie entsprungen. Meine Erfahrung und mein Wissen aber lassen den Schluss zu, dass er - theoretisch wenigstens - in die Tat umgesetzt werden kann.

Ich lasse es dahingestellt, wieweit eine Idee als Eingebung, als Willensakt oder Erfindung entsteht. Einmal als Energie existent, wird sie weitergedacht. Bis sie zur Realutopie wird und verwirklicht werden kann.

Das Auswachsen einer Idee zu einem inneren Momentum führt, wenn es stark genug ist, zu einem Konzept, das förmlich nach Vollzug drängt. Je stimmiger eine Realutopie, desto klarer das Konzept, desto größer die Erfolgschancen.

Identität durch Visionen

Foto: © Nanga Parbat / Senator Film Verleih
Uns fehlen heute Visionäre - in Politik und Wirtschaft - und auch Konzepte, für die es zu streiten lohnt. Der Wettbewerb der Ideen und ein starkes Leadership beim Umsetzen der besten davon sind wichtiger als ein ständiges Korrektiv. Politik ist auch Kompromiss, vor allem aber Überzeugungsarbeit, die Kunst für eine Vision zu sprechen.

Erfolg hängt auf Dauer ab von der Fähigkeit, starke Visionen zu entwickeln, und von der Treue sich selbst gegenüber. Von der Geradlinigkeit, mit der wir unsere Realutopien in Taten umsetzen. Aus der Identifikation mit meinen Zielen schöpfe ich schließlich Energie und neue Kraft. Zwischen Idee und Tat spannt sich die Identifikation wie eine Sehne zwischen die beiden Enden eines Bogens.

Ich bin kein Computer, keine Maschine, kein Beamter. Was haben Schule und Erziehung nicht alles aus mir machen sollen! Ich funktioniere aber nicht, wie es Kühlschränke und vorbildliche Staatsbürger tun. Ich tagträume zuerst, bin dann mit einer Idee schwanger und gebe einer starken Vision nach. Der Rest ist Alltag. Oft faszinierender Alltag.

Obwohl mit beiden Füßen auf dem Boden, bin ich ein Träumer geblieben. Ich habe nie aufgehört, aus Ideen realisierbare Utopien zu entwickeln, und werde meine "Verrücktheiten" erst aufgeben können, wenn mir nichts mehr einfällt. Was andere darüber denken, bleibt sekundär.

"Ich bin Realist"

Foto: © Nanga Parbat / Senator Film Verleih
Es liegt eine Herausforderung darin, etwas noch nie Dagewesenes zu tun; mehr noch, etwas zu tun, auch wenn es von allen anderen für unmöglich gehalten wird. Das hat nichts mit Überheblichkeit oder Radikalismus zu tun. Auch wenn ich dabei die Grenzen der Belastbarkeit erreiche; das ist es nicht, was ich bei meinen Grenzgängen suche. Es geht vielmehr um das Umsetzen einer Vision in die Tat. Dabei bin ich zuallererst Neuerer, nicht nur Ausführer, Abwickler, Grenzgänger.

Nicht Mühe und Entlohnung sind ausschlaggebend für mein Tun, es ist die Begeisterung, die Freude an einer Sache. Und was ist absolute Begeisterung anderes als Besessenheit!

Als Grenzgänger lebe ich für meine Unternehmungen, und nicht von ihnen. (Dass indirekt der Grenzgang den Grenzgänger ernährt - ich kann vom Verkauf der "Abfallprodukte" leben - ist kein Widerspruch, sondern eine Tatsache.) Trotzdem bin ich alles andere als ein Idealist. Ich bin Realist.

Diese meine Sachbesessenheit, die manchem Außenstehenden skurril, ja verrückt erscheinen mag, macht mich immun gegen Selbstzufriedenheit und Selbstgenügsamkeit. Sie lässt mich wach sein, originelle Lösungen finden, Dinge tun, die nur ich mir wichtig mache.

(...)



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Der Film NANGA PARBAT erzählt die tragische Geschichte der Brüder Günther und Reinhold Messner und deren spektakuläre Besteigung eines der höchsten Gipfel der Welt. Ein Drama um Bruderliebe und Verantwortung, Rivalität und Teamgeist - gleichzeitig die Erfüllung eines Traumes. NANGA PARBAT lässt den Zuschauer die Erfahrungen der Grenzgänger erleben.

Der Film von Joseph Vilsmaier ist seit dem 14. Januar 2010 in den Kinos.

Den Trailer zum Film finden Sie auf http://www.nangaparbat.senator.de

Quelle:
Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 19.01.2010

     
        
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