Stefan Schaltegger

Friedenstiftende Geschenke und Lieferketten

Wie Lieferketten, Konsumentscheidungen und Unternehmensbeschaffung über Krieg oder Frieden mitentscheiden

Weihnachten gilt als Fest des Friedens – doch Geschenke und globalen Lieferketten erzählen oft eine andere Geschichte. Ob privat oder unternehmerisch: Einkaufsentscheidungen finanzieren Rohstoffströme, Machtverhältnisse und im Zweifel auch Kriege. Warum nachhaltiges Lieferkettenmanagement heute eine sicherheits- und friedenspolitische Aufgabe ist – und wie Unternehmen und Konsument:innen Verantwortung übernehmen können. Ein Kommentar von forum-Kurator Stefan Schaltegger
 
© pexels, pixabay.comWeihnachten, das Fest der Liebe und des Friedens steht vor der Tür – und mit dem anhaltenden Krieg in der Ukraine die unbequeme Frage: Finanzieren die Geschenke unter unserem Tannenbaum und die Lieferketten unserer Unternehmen Krieg oder stiften sie Frieden?

Wie stehen die Geschenke unter unserem Tannenbaum und die Lieferketten unserer Unternehmen in Verbindung mit Krieg und Frieden? Während viel über militärische Maßnahmen gesprochen wird, gerät ein Bereich oft aus dem Blickwinkel, der ebenso zu Sicherheit und Frieden in Europa und weltweit beitragen kann: Die Wirkungen unserer Beschaffung und Lieferketten – vom persönlichen Einkauf von Weihnachtsgeschenken bis hin zu Lieferketten von Unternehmen. 

Jeder Einkauf ist ein geopolitischer Akt
Jeder Einkauf – privat wie geschäftlich – ist ein geopolitischer Akt. Kriege sind nur möglich, wenn sie finanziert werden können. Während wir Geschenke kaufen, bombardiert beispielweise Russland ukrainische Städte – finanziert mit jedem Euro aus dem Verkauf von natürlichen Ressourcen wie Öl, Gas und Erzen. Mindestens ein Drittel des russischen Staatshaushalts speist sich aus Energieexporten. Solange Finanzierungsquellen wie diese sprudeln, geht auch der Krieg weiter. Das macht persönliche und unternehmerische Einkaufsentscheidungen zur Friedensfrage. Sind die Lieferketten Ihrer Weihnachtsgeschenke und die Lieferketten in Unternehmen also friedenstiftend oder kriegstreibend?

Lieferketten werden in letzter Zeit primär unter dem Blick von Regulierungen diskutiert. Bei Unternehmen mit globalen Lieferbeziehungen ist das Lieferkettenmanagement schon seit einiger Zeit ein Thema für das Qualitäts-, Kosten-, Innovations- und Reputationsmanagement. Hohe Produktqualität und attraktive Preise sind nicht nur das Resultat aus innerbetrieblichen Optimierungen, sondern auch von guter Arbeit der Lieferanten. Viele europäische Unternehmen geben einen Großteil ihres Umsatzes für beschaffte Leistungen aus.

Und weil die Produktqualität und die Zahlungsbereitschaft von Kunden auch von immateriellen Qualitätseigenschaften abhängen, erlangen Informationen über die Lieferkette eine zunehmende Bedeutung. Soziale und ökologische Fragen haben zur Entwicklung des nachhaltigen Lieferkettenmanagements, auf Neudeutsch Sustainable Supply Chain Management, geführt.

Die blinde Stelle: Krieg, Sicherheit und Frieden
Unternehmen sollte bekannt sein, welche Sozial- und Umweltwirkungen das hergestellte Produkt über den gesamten Lebenszyklus verursacht. Während Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit und Umweltwirkungen in Lieferketten schon seit Jahren beachtete Themen darstellen, ist die Frage, welche Rolle Lieferketten für Kriege, Sicherheit und Frieden spielen, erst kürzlich ins Bewusstsein geraten. Die EU plant bis Ende 2027 kein oder fast kein Öl und Gas mehr aus Russland zu beziehen – zu spät angesichts des menschlichen Leids des Ukraine-Krieges.

Zahlen verdeutlichen das Versagen des bisherigen Lieferkettenmanagements. In Untersuchungen zur Herkunft von Konfliktmineralien konnten nur 1% der befragten Unternehmen ihre Produkte sicher als konfliktfrei zertifizieren, 80% der Unternehmen gaben an, die Herkunft ihrer Konfliktmineralien nicht genau bestimmen zu können. Eine Untersuchung der European Central Bank weist darauf hin, dass die EU 2022 so viel mit autokratischen Staaten und Diktaturen gehandelt hat wie nie zuvor – denn gerade die Metalle aus Seltenen Erden, die Smartphones, LEDs, Elektromotoren und Windkraftanlagen leistungsfähig machen, kommen überwiegend in Ländern mit autokratischen Regimen vor. Und laut einer aktuellen KPMG-Studie steuert nur jedes vierte deutsche Unternehmen geopolitische Risiken strukturiert. Aber 58 Prozent der Unternehmen sehen sich sehr stark oder deutlich von geopolitischen Risiken betroffen.

Wie können Lieferketten von Unternehmen so umgestaltet werden, dass sie keine Ressourcen aus Russland oder anderen kriegstreibenden Nationen beinhalten? Solche Informationen sind nun leider nicht auf Produkt-Etiketten nachzulesen. Kein Spielzeug, kein Smartphone, kein Schokoladenweihnachtsmann trägt den Hinweis „Finanziert Krieg". 
 
Was Unternehmen und Konsument:innen konkret tun können
Hier können Grundsätze des nachhaltigen Lieferkettenmanagements und KI helfen: So können Produkte bevorzugt werden, die ausdrücklich Nachhaltigkeitsansätze für ihre Lieferketten umsetzen, wie Fair Trade oder die durch Aufbereitung („Refurbishing"), die über hohe Recyclinganteile verfügen oder man kann eine Mehrfahrnutzung („Second Hand") in Betracht ziehen. Auch kann zum Beispiel auf Produkte verzichtet werden, die in ihrer Zusammensetzung erdölbasierte Kunststoffe und unbekannte, globale Lieferketten aufweisen. Auch kann auf die Nutzung von fossilen Energieträgern wie Öl und Gas verzichtet und stattdessen regenerative Energien genutzt werden. Wenn auch vielfach fehlerbehaftet, so kann doch KI befragt werden, ob ein Produkt problematische Lieferketten aufweist (bitte dann weiter prüfen). Mit solchen Ansätzen lässt sich die Wahrscheinlichkeit reduzieren, unerwünschte Beschaffungsfolgen zu verursachen.
 
Für engagierte Unternehmen mag sich die Frage stellen, ob neben Nachhaltigkeitsbeauftragten auch ein „Chief Peace Officer" oder zumindest ein geopolitisches Training für Einkäuferinnen möglich ist. Nachhaltiges Lieferkettenmanagement identifiziert und behebt idealerweise geopolitische Blindpunkte des eigenen Geschäfts. In Krisenzeiten reicht es nicht, Kosten, Qualität, soziale oder ökologische Risiken zu prüfen. Wir sind auch herausgefordert systematisch zu erfassen, ob Rohstoffe aus Konfliktregionen stammen und wir mit Einkäufen Kriegskassen finanzieren.
 
Reputation, Verantwortung und die Macht der Sublieferanten
Das Supply Chain Management hat auch in Bezug auf die Unternehmensreputation einen Stellenwert. Wer sich die Frage stellt, was soziale und ökologische Verantwortung in Lieferketten beinhaltet, ist heute herausgefordert, auch die Wirkungen auf Krieg und Frieden mitzudenken. Nichtregierungsorganisationen decken immer wieder Missstände bei Zulieferern auf hinsichtlich Kinderarbeit, schlechten Arbeitsbedingungen oder Verstößen gegen ökologische Mindeststandards. Markenführende Unternehmen werden als fokale Unternehmen für die Organisation der Kette verantwortlich gemacht und damit auch, ob ihre Lieferketten kriegs- oder friedensfördernd sind. Auch bei diesem Themenkomplex sind es die Sublieferanten, die am Anfang der Wertschöpfungskette stehen, und mit denen das Unternehmen keine direkten geschäftlichen Beziehungen pflegt, die eine besondere Rolle haben. Es wäre erstaunlich, wenn die Frage, ob ein Unternehmen den russischen Krieg mitfinanziert, zukünftig bedeutungslos bliebe. 

Das Friedensfest Weihnachten ist ein guter Anlass, sich der Frage zu widmen. Unterstützen ihre Lieferketten Frieden – oder Krieg? Machen Sie einen "Friedens-Audit"! 
 
Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Schaltegger ist forum-Kurator und Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Nachhaltigkeitsmanagement. Er leitet das Centre for Sustainability Management (CSM) und hat 2003 den weltweit ersten MBA Sustainability Management eingeführt. 2006 bis 2010 war er Vizepräsident für Forschungskultur und Projektforschung der Leuphana Universität Lüneburg. Er ist im Editorial Board verschiedener hochrangiger wissenschaftlicher Fachzeitschriften, weist über 500 Veröffentlichungen auf und erhielt diverse Wissenschaftsauszeichnungen.

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