Wirtschaft | Ethisches Wirtschaften, 03.12.2025
Start-ups der Zukunft bauen keine Apps
Wie Deep Tech, Kreisläufe und Materialinnovationen die Wirtschaft wirklich transformieren
KI ist nett – aber sie ersetzt kein CO2-armes Zement, keine biobasierten Dämmstoffe und keine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Im Interview mit dem Transformations-Experten Philipp Buddemeier geht es um echte Gamechanger: Materialrevolutionen, neue Stoffkreisläufe, öffentliche-private Power-Allianzen und die Frage, warum Europa trotz aller Bürokratie Grund zur Hoffnung hat.
Herr Buddemeier, Sie haben bereits viele NGOs, Start-Ups und Unternehmen beraten – wie hat sich Ihr Blick auf unternehmerische Verantwortung über die Jahre verändert?Das Narrativ hat sich mehrfach verändert – die Grundhaltung im Business-Mainstream eher nicht. Für fast alle Unternehmen gilt weiterhin Milton Friedmans Mantra: Verantwortung heißt Gewinnmaximierung. Heute wird das nur anders verpackt. Gleichzeitig gibt es aber immer mehr echte Pioniere einer Zukunftswirtschaft, die unternehmerische Verantwortung ins Zentrum stellen und für einen echten Paradigmenwechsel stehen: Weg von „Profit First" hin zu einem Wirtschaften innerhalb der planetaren Grenzen.
Wer so denkt, fragt zuerst: Wie trägt mein Geschäftsmodell zu einer zukunftsfähigen Welt bei? Erst dann wird geschaut, wie das ökonomisch funktioniert. Ein gutes Beispiel ist die Suchmaschine Ecosia: Sie entstand aus dem Wunsch, Bäume zu pflanzen. Das Resultat: Bis heute wurden aus dem Unternehmensgewinn weit über 200 Millionen Bäume aufgeforstet.
Sie befassen sich auch viel mit dem Thema Kreislaufwirtschaft. Was sind aus Ihrer Sicht zentrale Erfolgsfaktoren, damit Circular Economy nicht nur ein Re-Design von Produkten, sondern ein Re-Design ganzer Wertschöpfungsketten wird?
Leider ist Zirkularität bis heute ein Randthema: Der globale Circularity Score ist in den letzten Jahren sogar gesunken. Das liegt vor allem daran, dass Naturverbrauch weiterhin im Wesentlichen kostenlos ist. Entscheidend ist dabei der Blick auf das Gesamtsystem. Echter Erfolg im Sinne der Circular Economy erfordert eine zirkuläre Wertschöpfungskette und das passende Geschäftsmodell. Dabei lassen sich klare Kostenvorteile realisieren, beispielsweise durch die systematische Wiederverwertung von Produktionsabfällen. Gleichzeitig können neue Angebote durch ein besseres Leistungsversprechen überzeugen, beispielsweise durch „As-a-Service-Modelle".
„Wer nicht an „Profit First" denkt, fragt zuerst: Wie trägt mein Geschäftsmodell zu einer zukunftsfähigen Welt bei?"
Welche Rolle spielt Technologie bei der Realisierung kreislauffähiger Ökosysteme?
Technologie ist entscheidend, um komplexe Kreisläufe überhaupt steuern zu können – zum Beispiel bei „As-a-Service"-Modellen, die durch vorausschauende Wartung eine hohe Verfügbarkeit garantieren. Digitale Zwillinge ermöglichen beispielsweise, verschiedene Szenarien durchzuspielen. So lässt sich simulieren, wie sich eine Materialänderung oder ein anderes Logistikkonzept auf den gesamten Kreislauf auswirkt. Blockchain-Technologie wiederum schafft Transparenz und Vertrauen entlang der Lieferkette, z.B. in Kombination mit digitalen Produktpässen, um in einem zirkulären System Daten fälschungssicher zu speichern oder zu teilen – etwa über Materialzusammensetzungen, Recyclingquoten oder Herkunftsnachweise.
Wo sehen Sie derzeit die größten „White Spots" für nachhaltige Start-up-Innovationen – also Probleme, für die es noch keine skalierbaren Lösungen gibt?
Die größten weißen Flecken liegen in der physischen Welt. KI und digitale Tools sind wichtig – aber sie allein retten kein Klima, binden kein CO2 und ersetzen keine zerstörerischen Materialien. Wir brauchen physische Deep-Tech-Innovationen, die die Grundbausteine unserer Wirtschaft neu denken.
Welche Felder sind hier besonders entscheidend?
Es gibt zwei besonders dringende Felder: Das eine sind Materialalternativen. Industrien wie Bau, Chemie und Stahl gehören zu den klimaschädlichsten Sektoren – doch grüne Alternativen existieren oft nur im Labor. Start-ups arbeiten an CO2-armem Zement oder biobasierten Dämmstoffen. Ein Beispiel ist ein Spin-off aus Cambridge, das pflanzliche Aerogele für die Bauindustrie entwickelt – und damit eine 300 Prozent bessere Isolierung im Vergleich zu herkömmlichen Materialien schafft, was ultradünne Wände und erhebliche Energieeinsparungen in Gebäuden ermöglicht. Solche Lösungen können Märkte umkrempeln – wenn wir sie skalieren.
„KI und digitale Tools sind wichtig – aber sie allein retten kein Klima, binden kein CO2 und ersetzen keine zerstörerischen Materialien."
Und das zweite Feld?
Das ist die Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie. Jährlich werden Milliarden Tonnen potenzieller Rohstoffe einfach verbrannt – Plastik, Klärschlamm, Lebensmittelreste. Dabei gibt es schon Ideen: Aus Abfällen Palmöl-Alternativen herstellen oder Nährstoffe aus Abwasser rückgewinnen. Für die Skalierung brauchen wir Kapital und mutige Pioniere in der Wirtschaft.
Deshalb bin ich auch überzeugt: Die spannendsten Start-ups der nächsten Jahre werden keine Apps bauen, sondern neue Stoffkreisläufe – physisch, greifbar und richtungsweisend für eine Wirtschaft innerhalb planetarer Grenzen.
Welche typischen Denkfehler machen Start-ups bei der Entwicklung nachhaltiger Innovationen – und wie vermeiden es die besten?
Gerade bei Deep-Tech-Start-ups gibt es einige typische Herausforderungen. Dazu gehört die Frage, wie ich tiefe Forschungsergebnisse und die entsprechende Wissenschaftsorientierung mit einer kommerziellen Marktorientierung verbinden kann. Dazu kommt der erhebliche Kapitalbedarf, wenn es in die Anlagenfinanzierung geht. Das ist regelmäßig aus Investorengeld nicht zu stemmen; eine Bankfinanzierung ist ohne Weiteres auch nicht möglich. Diese erwartbare Herausforderung sollten Hardware-Start-ups früher angehen, um nicht in eine Finanzierungslücke zu laufen.
Was braucht es also, damit Nachhaltigkeits-Start-ups nicht nur gute Ideen, sondern auch resilient skalierbare Geschäftsmodelle entwickeln?
Jedes Frühphasen-Start-up, das auf Hardware setzt, braucht eine klare Idee: Ab welchem Preis-Leistungsversprechen ist mein eigenes Angebot in welchem Segment überlegen? Wenn ich heute ein neues Material auf den Markt bringe, werde ich mit der Pilotproduktion zunächst über den Kosten der heute verfügbaren Alternativen liegen. Ich muss deshalb einen guten Plan entwickeln, um das Segment zu bestimmen, in dem ich mit meiner Innovation als erstes überzeugen kann. Und dann brauche ich einen realistischen Wachstumsplan, der zeigt, wie Skalierung zu sinkenden Kosten führt – und zwar konkret bezogen auf die relevanten Zielgruppen oder Anwendungsbereiche.
Wenn Sie einem angehenden Gründer oder einer Gründerin mit Nachhaltigkeitsmission nur einen einzigen Rat geben dürften – welcher wäre das?
Verlasse das Labor – und sprich so früh wie möglich mit deinen potenziellen Kundinnen und Kunden. In der digitalen Welt ist schnelles Marktfeedback längst Standard. Bei Deep Tech und Hardware fehlt dieser Reflex oft. Viele Gründer:innen fühlen sich im Technologiemodus wohl, tüfteln an der perfekten Lösung – aber vermeiden den direkten Austausch mit der Zielgruppe. Dabei liegt genau dort der Schlüssel: Nur wer die echten Pain Points versteht, erkennt, wofür Kunden wirklich bereit sind zu zahlen.
„Die spannendsten Start-ups der nächsten Jahre werden keine Apps bauen, sondern neue Stoffkreisläufe – physisch, greifbar und richtungsweisend für eine Wirtschaft innerhalb planetarer Grenzen."
Welche Rolle können Public-Private-Partnerschaften bei der Kommerzialisierung nachhaltiger Deep-Tech-Innovationen spielen?
Sie spielen eine zentrale Rolle, um nachhaltige Deep-Tech-Innovationen aus dem Labor in den Markt zu bringen – vor allem bei kapital- und forschungsintensiven Technologien. Ein besonders spannendes Beispiel ist das Thema Fusionstechnologie. Das Start-up Marvel Fusion hat 2024 knapp 400Mio.€ eingeworben – mit Mitteln aus öffentlicher Förderung und privatem Risikokapital. Parallel kooperiert es mit der Colorado State University im Aufbau einer High-End-Laseranlage. Weil die regulatorischen Rahmenbedingungen in den USA günstiger sind, verlagert Marvel Fusion zentrale Entwicklungsschritte dorthin – ein deutliches Signal für die Bedeutung staatlicher Planungssicherheit.
Welche Hebel fehlen Europa, um nachhaltige Innovationen wirklich skalieren zu können?
In Deutschland schauen wir oft zu pessimistisch auf die Welt. Dabei gibt es viele starke Ansätze, die Mut machen: In Berlin entstehen etwa impact-orientierte Innovationszentren wie auf dem ehemaligen Flughafen Tegel oder im neuen NLND Berlin. Aber: Wir können und sollten noch besser werden. Vor allem, wenn es darum geht, gute Ideen schnell und unbürokratisch in die Anwendung zu bringen. Konkret: In Singapur gibt es etwa im Bereich neuartiger Lebensmittel und alternativer Proteine deutlich schnellere Zulassungsverfahren.
Die USA wiederum schaffen es wesentlich besser, große Kapitalsummen für nachhaltige Innovationen zu mobilisieren. Nicht nur, weil der Markt für Risikokapital größer ist – sondern auch, weil staatliche und private Investoren strategisch zusammenarbeiten, um Missionsziele gemeinsam zu erreichen.
Bleiben Sie trotzdem optimistisch?
Absolut! Europa hat enormes Potenzial: exzellente Wissenschaft, engagierte Gründer:innen und ein wachsendes Bewusstsein für planetare Grenzen. Jetzt braucht es mehr Mut, mehr Umsetzungskultur und bessere Rahmenbedingungen. Dann können auch hier echte Missionsökosysteme entstehen – schnell, skalierbar und wirksam.
Vielen Dank für das Gespräch!
(Das Interview führte Johanna Schwarz.)
(Das Interview führte Johanna Schwarz.)
Philipp Buddemeier ist Speaker, Buchautor, Geschäftsführer der Nachhaltigkeitsberatung Better Earth sowie Mitgründer von Marvelous, einem VC, der ausschließlich in Deep Tech für nachhaltige Zukunftslösungen investiert. Mit über zwei Jahrzehnten Erfahrung – in NGOs, bei Strategieberatungen und als Unternehmer – zählt er zu den profilierten Stimmen rund um unternehmerische Nachhaltigkeit.
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