Kun Ya Andrea Schmidt
Technik | Green Building, 13.11.2025
Revitalisierung statt Neubau: Nachhaltigkeit beginnt im Bestand
Wie ein Landhotel zur Zukunftswerkstatt wird
Leerstand auf dem Land, Neubauten in der Stadt- und dazwischen liegt ein ungenutztes Potenzial. Dieser Artikel zeigt, wie nachhaltiger Hotelumbau durch Verbindung von Ökologie und Wirtschaft gelingt und zum Impuls für eine sozial getragene Baukultur wird.
Der Umgang mit Bestandsgebäuden zählt zu den größten Hebeln einer zukunftsfähigen Baukultur, wird aber in der Praxis systematisch unterschätzt. Die Umweltforscherin Annette Hillebrand forderte bereits 2021 in einem Statement zur Bauwende, die Bodenversiegelung für Neubauten zu stoppen. Ein Neubau verursacht bis zu fünfmal so viel CO2 wie eine umfassende Altbausanierung.Allein im Hotel- und Gastgewerbe stehen laut DEHOGA bundesweit mehrere tausend Immobilien leer. Dies vorwiegend im ländlichen Raum. Gleichzeitig entstehen rund 570 neue Hotelprojekte, vorwiegend in Großstädten. Der Trend zum Neubau spiegelt die anhaltende Landflucht und verkennt dabei die Entwicklungen im Tourismus selbst: Klassische Geschäfts- und Eventhotellerie ist rückläufig.
Stattdessen wachsen Segmente wie Workation, Wellbeing, Spirituelle Reisen, Retreats oder transformative Orte mit gesellschaftlichem Anspruch. Hier könnten naturnahe Regionen wieder mehr in den Fokus rücken.
Diese Nachfrage fällt zusammen mit alarmierenden Entwicklungen in der Gesundheitsstatistik. Laut BKK-Gesundheitsreport 2024 liegt der Anteil psychischer Erkrankungen an den Arbeitsunfähigkeitstagen bei über 20%, bei Frauen sogar über 30%. Daraus entsteht eine neue Erwartung an Orte: Entschleunigung, Verbindung mit Natur, Gemeinschaft und Sinn und Selbstverwirklichung.
Transformierte Hotelimmobilien können dabei gleich doppelt relevant werden: ökologisch, im Sinne des Klimaschutzes, sozial im Sinne einer gesundheitsfördernden Infrastruktur.
Ein Praxisbeispiel aus Bad Steben zeigt, wie das aussehen kann: Dort wird ein ehemaliges Landhotel zu einem Ort, der Nachhaltigkeit baulich, konzeptionell und kulturell neu interpretiert. Das Gebäudeensemble stammt aus drei Bauphasen (60er–80er Jahre) und bringt die typischen Herausforderungen dieser Bauperioden mit sich. Der Umbau umfasst klassische Maßnahmen wie Rückbau, Dach- und Fenstersanierung sowie technische Nachrüstung. Der entscheidende Unterschied liegt in der konsequent wertebasierten Entscheidungsstrategie.
Statt standardisierter Ausstattung kamen fast ausschließlich gebrauchte Möbel und Materialien zum Einsatz, aus Ausstellungen, Onlinebörsen oder privaten Netzwerken. Viele Stücke wurden im DIY-Verfahren aufgewertet, ergänzt oder neu kombiniert. Wo möglich, blieben vorhandene Bauteile erhalten und wurden überarbeitet oder überbaut. Für Neumaterialien galten Auswahlkriterien: Umweltzertifikate wie der Blaue Engel, regionale Herkunft, kurze Lieferketten.

Für die Architektin Kun Ya Andrea Schmidt war früh klar: Ein Neubau kam nicht infrage. Als Planerin mit ökologischem Anspruch und Bewusstseinsarbeit im Hintergrund sieht sie im Weiterbauen im Bestand den einzig zukunftsfähigen Weg. Nachhaltigkeit ist für sie Ausdruck eines Denkens, das Ökologie, Menschlichkeit und Verantwortung miteinander verbindet.
Der Fehler liegt ihrer Meinung nach in der Fehlinterpretation des Begriffes selbst, denn Nachhaltigkeit gilt nicht nur für die nächsten zwei bis drei Generationen, sondern endet im besten Falle nie. Warum nachhaltige Sanierung oft nicht stattfindet
- Trotz guten Willen ist eine Einschätzung von Sanierungsmaßnahmen nicht einfach. Vor allem bei familiengeführten Hotels, die laut Hotelverband 85–90% aller Betriebe ausmachen. Wer Bestand sanieren will, braucht Informationen: zu Materialökologie, Rückbaupotenzial, CO2-Bilanz, Förderkombinationen. Hier fehlt es an struktureller Unterstützung:
- Transparente, nutzerfreundliche Tools sind Mangelware.
- Förderwege sind unübersichtlich und oft nicht kombinierbar.
- Viele Entscheidungen werden aus Unsicherheit heraus vertagt oder gegen eine nachhaltige Lösung getroffen.
- Es fehlt ein durchgängiges Bewusstsein für die Notwenigkeit bei Bauherren, Planern, Händlern und Handwerkern.
Im Ergebnis werden zahlreiche Projekte gar nicht erst begonnen.
Impulse für eine echte Wende in einer gelebten Baukultur
Damit nachhaltige Transformation im Gebäudebestand gelingt, braucht es ein Umdenken auf mehreren Ebenen: Die Forderungen an Förderpolitik und flexiblen Programmen, CO2-Boni für Bestandsnutzung und einfacheren Verfahren sind schon alt. Auch sind die bedrohlichen Fakten bekannt. Die Herausforderungen liegen offen. Und dennoch bleibt der Wandel oft aus.
Warum? Weil Verstand nicht die einzige Ebene der Lösung ist. Zahlen überzeugen, aber sie verändern nicht automatisch das Verhalten. Was fehlt, ist eine tiefere Dimension: Nachhaltigkeit als innere Haltung, als Bewusstseinsprozess, der Verbundenheit schafft mit Raum, Mitwelt und Menschsein.
Die Planungs- und Baupraxis benötigt bessere Tools, neue Weiterbildungsschwerpunkte und eine Kultur des Re-Use als Standard. Und die Gesellschaft braucht eine neue Wertschätzung für Bestehendes, was nach einer Sanierung oft sehr viel mehr Atmosphäre bietet und der Homogenität im Bausegment entgegenwirkt.
Der Ansatz des Hotels „Unsereins" zeigt: Transformation beginnt im Inneren. Hier entwickelt die Hotellerie eine Innocation, die Bewusstsein schafft und eine veränderte innere Haltung fördert. Wenn wir nur funktionale, aber keine sinnstiftenden Räume schaffen, fehlt das Fundament für Verständnis, Beteiligung, Verbundenheit und damit eine langfristige Wirkung. Nachhaltigkeit sollte zu einer gelebten Ethik werden, die weil bewusst, verbindend und zukunftsorientiert zutiefst menschlich ist.
Kun Ya Andrea Schmidt ist Architektin und Visionscoach für eine neue Bewusstseinskultur. Sie wirkt seit Jahrzehnten für mehr Menschlichkeit in Architektur und Gesellschaft. Mit dem Hotel Unsereins entwickelt sie eine Innocation, die Nachhaltigkeit als gelebte gesellschaftliche Praxis versteht.
Revitalisierung im Hotelbestand – Zahlen & Fakten
Hotelbestand & Leerstand
- Deutschland zählt ca. 46.000 Beherbergungsbetriebe (Destatis, 2023)
- Laut Branchenanalysen stehen mehrere Tausend Hotelimmobilien leer, vor allem in ländlichen Regionen
- Etwa 85–90% aller Hotels sind familiengeführt (Hotelverband Deutschland, IHA)
Sanierungsbedarf & CO2-Einsparung
- 30–40% familiengeführter Hotels haben einen erheblichen Sanierungsstau
- Eine Sanierung spart bis zu 80% der CO2-Emissionen im Vergleich zum Neubau
(Quelle: Öko-Institut / DGNB, 2023)
Wandel im Tourismus
- Geschäftsreisen rückläufig: –30% im Vergleich zu 2019
(Quelle: German Convention Bureau, 2024)
Wachstum bei:
- Workation
- Wellbeing- & Retreat-Angeboten
- Spirituellem & sinnstiftendem Tourismus
(Quellen: ITB Report, Euromonitor 2024)
Gesundheit & gesellschaftlicher Bedarf
Psychische Erkrankungen:
- >20% Anteil an AU-Tagen (gesamt)
- >30% bei Frauen unter 40
- Stationäre Behandlungen fast verdoppelt seit 2006
(Quelle: BKK Gesundheitsreport 2024)
Hinweis: Weitere Best Practices zum Thema Bauen im Bestand, Revitalisierung und Umnutzung von Gebäuden finden Sie in der forum-Ausgabe 01/2026 "Bauen umdenken statt Bauturbo".
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