Christoph Quarch

Darf der Staat seine Bürgerinnen und Bürger zum Dienst am Gemeinwesen verpflichten?

Christoph Quarch wünscht sich einen EU-weiten Bürgerdienst für Jung und Alt

Der Aufreger der Woche heißt Pflichtdienst. Nicht nur diskutiert der Bundestag kontrovers darüber, ob junge Menschen wieder zum Wehrdienst verpflichtet werden sollten; auch als wenige Tage zuvor der Ökonom Marcel Fratzscher für die Einführung eines verpflichtenden sozialen Jahres für Rentner plädierte, löste das empörte Reaktionen bei Parteien und Sozialverbänden aus. Hier wie da lautet die Frage: Darf der Staat seine Bürgerinnen und Bürger zum Dienst am Gemeinwesen verpflichten? Oder ist es besser, auf Freiwilligkeit zu setzen? Der Philosoph Christoph Quarch setzt sich seit Jahren für die Einführung eines europäischen Bürgerdienstes innerhalb der EU ein.

© Aline Dassel, pixabay.comHerr Quarch, was spricht aus Ihrer Sicht dafür, Bürgerinnen und Bürger zu einer Dienstzeit - sei es als Wehrdienst oder Sozialdienst - in die Pflicht zu nehmen?
Ich selbst habe mal anderthalb Jahre meines Lebens damit zugebracht, Zivildienst zu leisten. In dieser Zeit ist mir klargeworden, dass ich - wie alle anderen auch - Teil eines Gemeinwesens bin, das nur funktioniert, wenn Menschen bereit sind, Lebenszeit und Energie in den Dienst des Ganzen zu stellen - egal ob beim Wehrdienst oder beim Zivildienst. Rückblickend kenne ich niemanden in meiner Generation, der dies als Zumutung erlebt hätte; wohl aber hat es - zumindest bei einigen - zur Entfaltung von so etwas wie Gemeinsinn und gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein geführt: Haltungen, die für den Bestand unserer Demokratie notwendig sind. Die Demokratie lebt davon, dass die Einzelnen nicht nur ihre Interessen im Blick haben, sondern auch das Gemeinwohl. 

Aber muss man die Bürgerinnen und Bürger deshalb verpflichten. Widerspricht das nicht unseren Prinzipien der Freiheit?
Schon Platon sah, dass Demokratien zerbrechen, wenn sie nicht dafür sorgen, dass der Gemeinsinn kultiviert wird. Grundsätzlich sind wir uns ja darüber einig, dass der Staat das Recht hat, Pflichten zu erlassen, wenn dies für seinen Bestand erforderlich erscheint. Sonst hätten wir keine Steuerpflicht, keine Schulpflicht und keine Wehrpflicht. Angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen spricht für mich nichts dagegen, dies durch eine Sozialpflicht - für Jung und Alt - zu ergänzen. Verpflichtend muss das Ganze sein aus Gründen der Gerechtigkeit. Es darf für niemanden ein Vorteil oder Nachteil daraus entstehen, solche Dienste zu verrichten. Nicht nur gleiche Rechte, sondern auch gleiche Pflichten für alle ist ein Grundprinzip der Demokratie. Dass Menschen, die aus psychischen oder physischen Gründen solche Dienste nicht verrichten können, davon befreit werden müssen, versteht sich von selbst.

Der DGB hat auf den Vorschlag zur Einführung eines Pflichtjahrs für Rentner empört reagiert: Wer jahrzehntelang gearbeitet hat, habe seinen Ruhestand unbedingt verdient. Ist es nicht ungerecht, ausgerechnet die Senioren zu einem Bürgerdienst zu verpflichten?
Ich finde es beunruhigend, dass Arbeit im Allgemeinen und soziale Dienste im Besonderen per se als Zumutung gesehen werden. Darin bekundet sich eine Haltung, die weder den Menschen, noch unserem Land guttut. Es könnte ja sein, dass es auch älteren Menschen - genauso wie uns jungen Zivis damals - Freude bereitet, sich sozial zu engagieren. Es könnte ja sein, dass das Miteinander im Sozialen Dienst oder bei der Bundeswehr der eigenen Entwicklung viel förderlicher ist als irgendwelche "Work and Travel"-Programme. Wenn es etwas gibt, das wir uns als Gemeinwesen heute nicht mehr leisten können, dann ist es diese kategorische Ablehnung von Tätigkeiten jenseits der subjektiven Interessen oder Bedürfnisse.

Menschen, die gegen ihren Willen zu etwas verpflichtet werden, sind oft lustlos und unmotiviert. Zuweilen schaden sie mehr als sie nutzen. Verteidigungsminister Pistorius plädiert deshalb dafür, bei der Wiedereinführung des Wehrdienstes zunächst auf Freiwilligkeit zu setzen. Hat er damit nicht Recht?
Aus Perspektive der Bundeswehr vermutlich schon. Dort braucht man schnell motivierte Leute. Außerdem fehlt es an der Infrastruktur, um Massen von Wehrpflichtigen aufzunehmen. Meine Perspektive ist aber eine andere. Mir geht es um den Zusammenhalt des Gemeinwesens - und dafür halte ich die Einführung von Pflichtdiensten für notwendig: Wehrdienst und Zivildienst für die Jungen, Sozialdienst für die Alten. Allerdings würde ich mir wünschen, dass wir das Ganze direkt auf der Europäischen Ebene diskutieren, denn die Aufgabe, vor der wir stehen, betrifft Europa im Ganzen. Wir brauchen eine Europäische Bürgerarmee, wir brauchen einen europäischen Gemeinsinn - und das bekommen wir am effizientesten durch einen EU-weiten Bürgerdienst für Jung und Alt. Das wäre die Diskussion, die ich gerne führen würde.

Der Philosoph Christoph Quarch schreibt regelmäßig für forum Nachhaltig Wirtschaften. © Christoph Quarch

Der Philosoph, Speaker und Bestseller-Autor Christoph Quarch begleitet Unternehmen, unterrichtet an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen. In seinen Vorträgen und Büchern greift er auf die großen Werke der abendländischen Philosophie zurück, um diese in eine zeitgemäße Lebenskunst und Weltdeutung zu übersetzen. Gemeinsam mit seiner Frau Christine Teufel gründete er die Neue Platonische Akademie für eine geistige Erneuerung der Gesellschaft.
 
 
Mehr zu ihm unter christophquarch.de und akademie-3.org

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