Entkleben für die Zukunft

Intelligente Klebelösungen: Neue Standards für Reparatur und Recycling

Feste Klebeverbindungen gelten oft als Hindernis, wenn es um Reparatur, Wiederverwendung oder Recycling geht. Doch was wäre, wenn sich diese Verbindungen gezielt wieder lösen ließen? Genau das ermöglichen intelligente Klebelösungen – sogenannte Debonding on Demand-Technologien. Ein Gespräch mit Dr. Ingrid Sebald über das Potenzial dieser Technologien für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft.

Die Zukunft des Klebens ist Entkleben: Intelligente, wiederablösbare Klebelösungen von tesa ermöglichen Reparatur, Recycling und Ressourcenschonung – im Smartphone wie auch in der Automobil- und Elektronikindustrie.© tesaFrau Sebald, was versteht man unter „Debonding on Demand" – und warum ist das für nachhaltige Produktgestaltung so relevant?
Debonding on Demand beschreibt Klebelösungen, die sich mit Hilfe bestimmter Mechanismen bzw. Trigger – wie etwa Wärme, UV-Licht oder elektrische Spannung – gezielt wieder lösen lassen. Mit diesen Technologien eröffnen sich für viele industrielle Anwendungen, bei denen es grundsätzlich darauf ankommt, dass die Komponenten fest und zuverlässig miteinander verbunden sind, ganz neue Möglichkeiten.
 
Denn dank der Wiederablösbarkeit können diese Produkte in ihre Bauteile zerlegt werden und damit leichter repariert, einzelne Komponenten wiederverwendet und Materialien dem Recycling zugeführt werden. So werden Debonding on Demand-Klebebänder zum Enabler für nachhaltige Wertschöpfung.
 
Begriffe & Definitionen
 
Debonding on Demand: Klebstofftechnologien, die sich gezielt und kontrolliert wieder lösen lassen – z.B. durch Wärme, UV-Licht oder elektrische Spannung. Sie ermöglichen die zerstörungsfreie Trennung geklebter Bauteile.

Design for Recycling:
Gestaltungsansatz, bei dem Produkte so entworfen werden, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus leicht recycelbar sind – etwa durch trennbare Materialverbindungen.
Welche Branchen profitieren besonders von reversiblen Klebelösungen?
Vor allem in der Elektronik-, der Haushaltsgeräte- und Automobilindustrie wächst der Druck, Produkte ressourcenschonender zu gestalten zum Beispiel durch längere Lebenszyklen, Reparierbarkeit und Rückführbarkeit in den Materialkreislauf. Hier ermöglichen Klebebänder, die sich gezielt wieder lösen lassen, beispielsweise die zerstörungsfreie Demontage von Displays, von Sensoren oder von Batterien genau das. Grundsätzlich profitieren zukünftig alle Industrien, in denen die Trennbarkeit von Bauteilen eine Rolle spielt. 
 
Es zeigt sich auch, dass das temporäre Zusammenhalten von Bauteilen während der Fertigung in vielen Bereichen der Produktion ein Thema ist. Viele Prozesse lassen sich weiter optimieren, wenn Bauteile während der Herstellung verbunden und dann auch wieder gelöst werden können.  
 
Doch bleibt bei all dem, das zuverlässige Verbinden unerlässlich. Verklebungen zum Beispiel bei Smartphones oder auch im Automobilbereich müssen stabil und dauerhaft sein, denn genau das ist ja auch entscheidend dafür, dass Produkte langlebig sind und verlässlich funktionieren. Mit Debonding on Demand erweitern wir unser Leistungsspektrum im Grunde um eine weitere Komponente, nämlich dem gezielten Entkleben und das ohne Einschränkungen für die Klebkraft. Damit das Ablösen „on Demand" gelingt, muss der Trigger in das Klebeband bereits eingebaut sein. 
 
Können Sie diesen Aspekt noch genauer erklären?
Ja gerne. Das Prinzip der Debonding on Demand-Technologien liegt in den vorab in die Klebebänder integrierten Trigger Mechanismen. Das heißt, in unsere Klebebänder wird die Option auf das Entkleben bereits vorab eingebaut, z.B. durch die Möglichkeit mit Hilfe von Strom, dem Einsatz von Laserstrahlen oder mit gezielter Wärme Klebeverbindungen, wieder lösbar zu machen. 

So ganz neu ist die Grundidee dafür nicht. Mit unseren Bond & Detach-Lösungen sind wir bereits seit mehr als 10 Jahren erfolgreich mit einer Variante des Debonding on Demand. Hier ist der Trigger die manuelle Dehnung. Der Benutzer zieht an einer im Klebeband integrierten Lasche, um eine strukturelle Veränderung der Polymere in der Klebmasse auszulösen.
 
Dieses ermöglicht in rund 1,8 Milliarden Smartphones überall auf der Welt, den Austausch von Akkus. Mit den neuen Technologien für Debonding on Demand wird das Spektrum der Trigger deutlich erweitert und wir schaffen ganz neue Möglichkeiten des Entklebens für unsere Kunden und ihre Anwendungen.

Wie können solche Technologien konkret zur Kreislaufwirtschaft beitragen?
Die Trennbarkeit von Materialien ist ein zentrales Hindernis bei der Umsetzung zirkulärer Geschäftsmodelle. Klebeverbindungen sind heute meistens irreversibel – ein Problem beim Recycling komplexer Produkte. Debonding-Technologien machen es möglich, einzelne Komponenten voneinander zu separieren und ggf. zu reparieren oder erneut zu nutzen.
 
Damit entsteht eine neue Ebene der Design-for-Recycling-Strategie: Produkte werden nicht nur auf Leistung und Ästhetik hin optimiert, sondern auch auf ihre Rückbaubarkeit. Dies ist ein Schlüssel, um Ressourcenschleifen zu schließen.
 
Und im Übrigen sind wir überzeugt, dass darin enorme Potenziale für Designfreiheit liegen, wenn Komponenten auch wieder gelöst werden können.
 
Welche Voraussetzungen braucht es, damit sich reversible Klebelösungen in der Breite durchsetzen? 
Technologie allein reicht nicht – entscheidend ist die Integration in bestehende Prozesse. Das bedeutet zum Beispiel, dass die Trigger-Mechanismen für das Debonding mit den Produktions- und Recyclingabläufen kompatibel sein müssen. Auch Normierung, Materialdatenbanken und ökodesign-orientierte Produktentwicklung spielen eine Rolle.
 
Zudem braucht es Dialog und Kooperation zwischen Materialherstellern, Verarbeitern und Recyclern – also entlang der gesamten Wertschöpfungskette. tesa arbeitet daher gezielt mit Partnern aus der Industrie zusammen, um anwendungsnahe Lösungen zu entwickeln, die sich in vorhandene Prozesse einfügen lassen.
 
Welche Rolle spielen gesetzliche Rahmenbedingungen wie das EU-"Right to Repair"?
Regulatorische Initiativen wie das „Recht auf Reparatur" oder die Ökodesign-Verordnung der EU geben der Industrie klare Leitplanken für mehr Nachhaltigkeit und beschleunigen die Weiterentwicklung hin zu Recycling und Reparaturfähigkeit. Damit wächst auch der Bedarf an Lösungen, die Reparatur und Demontage vereinfachen – sei es im Haushalt, in der Unterhaltungselektronik oder bei industriellen Geräten.
 
Intelligente Klebelösungen können hier einen entscheidenden Beitrag leisten, da sie gezielt die Wiederverfügbarkeit einzelner Komponenten ermöglichen. Sie sind also ein Werkzeug, um gesetzliche Anforderungen technisch umzusetzen.
 
Gibt es weitere Trends oder Herausforderungen, die das Thema beeinflussen?
Nicht zu unterschätzen ist die Globalisierung, denn Lösungen müssen weltweit einsetzbar sein, auch unter verschiedenen gesetzlichen und klimatischen Bedingungen. Im asiatisch-pazifischen Raum beispielsweise sehen Hersteller einen starken Bedarf an lokal angepassten,  gezielt ablösbaren Klebelösungen – was auch tesa veranlasst hat, in Singapur Innovationszentren mit dem Fokus auf Debonding on Demand-Technologien aufzubauen, um Anwendungen in Märkten wie Elektronik oder Automotive weiterzuentwickeln.
 
Denken Sie, dass reversibles Kleben der neue Standard wird?
Dr. Ingrid Sebald – Vorständin Technologie, tesa SE © tesaLangfristig werden ablösbare Klebeverbindungen dort zum Standard werden, wo sie klare ökologische und wirtschaftliche Vorteile bieten. Entscheidend ist, dass sie nicht als Kompromiss, sondern als integraler Bestandteil von Produktdesign, Funktionalität und Nachhaltigkeit verstanden werden. In dieser Verbindung liegt ihr größtes Potenzial.

Dr. Ingrid Sebald ist Vorständin bei Technologie, tesa SE und Expertin für Klebstofftechnologien mit Fokus auf nachhaltige Materialien und Innovationsstrategien.
 
Hinweis: Dieser Beitrag ist die Langversion des gleichnamigen Artikels aus der forum-Ausgabe 04/25 „Zukunft gestalten"

Akteure im Bereich „Debonding-Technologien"

  • Fraunhofer-Institute (z.B. IVV, LBF)
    Forschen an reversiblen Klebstoffsystemen und werkstoffgerechter Demontage insbesondere für Verpackung, Automotive und Elektronik. Z.B. im Projekt „ReMatBuilt": reversible Klebelösungen für wiederverwertbare Baustoffe und Verbindungsmechanismen.

  • tesa SE
    Entwickelt „Debonding on Demand"-Lösungen für industrielle Anwendungen, z.B. in der Elektronik- und Automobilbranche, und kooperiert mit Partnern weltweit.
  • Henkel Adhesive Technologies
    Arbeitet an lösbaren Klebstoffen für Konsumgüter, Unterhaltungselektronik und industrielle Montageprozesse.

  • BASF & Covestro
    Entwickeln Materialsysteme (z.B. Schäume, Composites) mit integrierten Debonding-Funktionen, oft in Kombination mit Klebstoffanwendungen.

  • TU Dresden, ETH Zürich, KIT
    u.a. interdisziplinäre Forschung zu reversiblen Verbindungen, Smart Materials und recyclinggerechtem Design.

Dieser Artikel ist in forum 04/2025 - Zukunft gestalten erschienen.



     
        
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Großzügigkeit und Wohlwollen

  • BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • NOW Partners Foundation
  • Protect the Planet. Gesellschaft für ökologischen Aufbruch gGmbH
  • Engagement Global gGmbH
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
  • Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (BNW)
  • toom Baumarkt GmbH
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • circulee GmbH
  • TÜV SÜD Akademie
  • Global Nature Fund (GNF)
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG