Klimawende rückwärts - Was Trumps Politik für Forschung, Umwelt, Europa und die Welt bedeutet
Wirtschaftsexpertin Sandra Navidi im Interview zu den Auswirkungen der ersten Amtshandlungen des neuen US-Präsidenten
Die Bestsellerautorin und Wirtschaftsexpertin Sandra Navidi warnt in einem exklusiven Interview mit Eckard Christiani vor dem rasanten autoritären Umbau der USA unter Trump – und den gefährlichen Folgen für Europa. Doch sie sieht auch einen möglichen Neuanfang nach dem Zusammenbruch.

Sandra Navidi hat es kommen sehen. Schon 2017, in ihrem Bestseller Super-hubs, analysierte sie die wachsende Macht globaler Netzwerke in Wirtschaft und Politik. Spätestens mit Die DNA der USA (2022) warnte sie eindringlich davor, dass die USA auf einen Abgrund zusteuern – angetrieben von wirtschaftlicher Ungleichheit, Polarisierung und dem schleichenden Zerfall demokratischer Institutionen. Nun, zwei Jahre nach unserem letzten Gespräch, ist aus dem „Putsch in Zeitlupe" ein „Putsch im Zeitraffer" geworden. Trump ist zurück – aber diesmal ohne Bremsen. Die Checks and Balances? De facto abgeschafft. Die Ukraine? Fallen gelassen. Und Europa? „Wenn Europa nicht aufpasst, ist es das nächste Ziel", warnt Navidi. In diesem großen Interview spricht die Juristin und Unternehmensberaterin, die seit Jahren in New York lebt und die globalen Machtstrukturen aus nächster Nähe kennt, über den autoritären Umbau der USA, Trumps stillen Deal mit Putin, die Rolle der Tech-Eliten und die Frage, ob sich Europa noch retten kann. Aber es gibt auch Hoffnung. Vielleicht muss, so Navidi, erst alles zusammenbrechen – bevor wir wieder aufbauen.
Frau Navidi, Sie haben in der Vergangenheit schon frühzeitig vor den Entwicklungen gewarnt, die die USA heute prägen. Unser letztes Gespräch vor zwei Jahren titelte: „Ein Putsch in Zeitlupe". Wie fühlt es sich für Sie an, zu sehen, dass viele Ihrer Vorhersagen – nachzulesen in Ihrem Bestseller Die DNA der USA – tatsächlich eingetreten sind? Sehen wir nicht – gerade seit dem 20. Januar dieses Jahres – eher einen Putsch im Zeitraffer?
Ja, absolut, Herr Christiani. Theoretisch haben wir New Yorker damit gerechnet – und dieses Mal ist Donald Trump besser vorbereitet. Es geht jetzt um den Abbau des Systems in Rekordgeschwindigkeit, und das macht mir Angst. Wir wissen ja, warum er so schnell vorgeht: Er will vollendete Tatsachen schaffen, bevor demokratische Institutionen intervenieren können. Die Menschen sind völlig baff, überfahren, sie fühlen sich hilflos und wissen nicht, was sie tun sollen. Und wir sehen es – es gab bislang kaum Proteste. Die Gerichte – also mein Berufsstand – sollen die Demokratie jetzt retten. Aber was nützt ein Urteil, wenn es nicht vollstreckt werden kann? Wenn Trump sich nicht an Urteile hält, können Sie so viele US-Marshals schicken, wie Sie wollen – die werden weder den Präsidenten noch Elon Musk in Handschellen legen.
Ich erinnere mich noch gut an einen Satz, den Trump im Wahlkampf gesagt hat. Er sagte in Florida vor einer Versammlung von Christen, sie sollten ihn im November wählen, dann würden sie „in vier Jahren nicht mehr zur Wahl gehen" müssen. Was bedeutet das und wie passt das zur heutigen Entwicklung?
Donald Trump verhält sich nicht wie jemand, der wiedergewählt werden muss – und die Republikaner ebenso wenig. Die Hoffnungen der Demokraten richten sich zwar auf die Midterms, aber ich glaube, dieser autoritäre Griff um die Bevölkerung zieht sich so schnell und so erbarmungslos zu, dass kaum noch Raum für Gegenwehr bleibt. Im Februar berichtete die New York Times, dass sich schon sechs Wochen nach der Wahl prominente gesellschaftliche Akteure, ob demokratisch oder republikanisch, aus Angst vor Repressalien nicht mehr kritisch äußern wollten, darunter Uni-Dekane, Vertreter der Medien, CEOs, Bürgermeister und Gouverneure.
Woran machen Sie das fest?
Vor einigen Wochen habe ich einen Social Media-Post von Donald Trump gelesen, in dem er forderte, Universitäten müssten Proteste unterbinden. Wer protestiere, solle entweder sofort deportiert oder aber exmatrikuliert und eingesperrt werden. Es gab zwar schon Proteste, aber die waren bisher überschaubar. Wenn sie zunehmen und auch nur ansatzweise außer Kontrolle geraten, dann wird Trump die Eskalation nutzen, um den Insurrection Act zu aktivieren. Dieses US-Bundesgesetz erlaubt es dem Präsidenten, das Militär und die föderalen Truppen der Nationalgarde innerhalb der Vereinigten Staaten einzusetzen. Ich persönlich glaube, dass er es in seiner Machttrunkenheit kaum erwarten kann, diesen Moment herbeizuführen.
In ihren Büchern spricht Anne Applebaum über die Verlockung von Autoritarismus und die Achse der Autokraten. Im Handelsblatt sagte sie, Trump habe immer mit Machthabern sympathisiert, die so regieren, wie er es gerne tun würde: ohne Kontrolle, ohne unabhängige Gerichte, ohne kritische Medien, ohne Transparenz. All das habe seine Bewunderung für Putin geweckt. Und sie vermute, dass er eine ähnliche Bewunderung für Xi Jinping hege. Aber wonach sehnen sich die Menschen, die in den USA Donald Trump gewählt haben – und in Deutschland die AfD?
Die Menschen sehnen sich nach einer starken, paternalistischen Hand. Sie wünschen sich die alte Weltordnung zurück. Und vor allem haben viele Donald Trump nicht gewählt, weil sie etwas für sich wollten, sondern damit er anderen etwas wegnimmt. Sie wollten, dass andere deportiert und dass anderen Leistungen wie Social Security oder Medicare gekürzt werden. Diese Genugtuung, diese Lust an der Grausamkeit, endlich mal „durchzugreifen", damit endlich wieder Gerechtigkeit herrscht und man andere nicht durchschleppen muss – das war ein zentraler Antrieb für viele Trump-Wähler. Und man hört hier immer wieder etwas, was ich auch für Deutschland relevant halte: Viele haben nicht geglaubt, dass Trump es ernst meint. Sie haben vor der Wahl gehört, was er ankündigt, aber dachten, das wäre ein Scherz, Wahlkampfgerede oder Verhandlungstaktik. Vor allem gingen sie davon aus, dass sie keine negativen Konsequenzen davontragen müssten: „Ich habe mich doch immer ordnungsgemäß verhalten. Ich habe ihn doch gewählt! Ich gehöre doch zu seinem Stamm!"
Jetzt wachen viele auf. Sie sagen: „Ja, ich wollte Veränderung. Aber ich wollte nicht, dass er das ganze System vor die Wand fährt." Sie dachten, er habe übertrieben, so wie er immer übertreibt. Aber genau wie Wladimir Putin hat Donald Trump jede Äußerung ernst gemeint.
Aber wenn man Trump während seiner ersten Präsidentschaft und im Wahlkampf beobachtet und zugehört hat, musste man doch mit dem Schlimmsten rechnen!?
Es gab in Deutschland Medienkritiker, die versuchten, seine Aussage – „Ihr müsst mich noch einmal wählen, und dann nie mehr wieder" – umzudeuten. Sie argumentierten, das sei in einem anderen Zusammenhang gefallen. Aber das ist der falsche Ansatz. Man kann Trump nicht logisch analysieren, indem man die Einzelteile seiner Aussagen seziert. Man muss einen Schritt zurücktreten und das Gesamtbild betrachten. Und dann ergibt sich ein klares Muster – auch in seiner Politik. Wer ist da überrascht? Er verhält sich genauso rücksichtslos wie Zeit seines Lebens in seinem Geschäfts- und Privatleben.
Die politische Landschaft in den USA ist und bleibt stark polarisiert, und die Menschen sind verunsichert wie nie. Sie waren dieses Jahr wieder beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Wie stehen die Kapitalfraktionen in den USA und anderswo zu Trump? Gibt es innerhalb des Finanzkapitals eine liberale, pluralistische Elite, die sich gegen seine Politik stellt?
Im Wahlkampf war auffällig, dass sich weniger Republikaner als sonst hinter Trump gestellt haben. Manche aus Angst vor öffentlichem Gegenwind, andere, weil sie ihn tatsächlich für zu gefährlich hielten. Das habe ich auch an der Wall Street wahrgenommen. Natürlich schätzt man dort Steuersenkungen und Deregulierung, aber man hat durchaus das Risiko, das Trump mit sich bringt, gesehen und jetzt erkennen viele, dass sich das Risiko manifestiert. Er könnte das gesamte System destabilisieren, und das will man dort nicht. Denn dieses System hat den großen Kapitalfraktionen bislang gut gedient. Gleichzeitig herrscht eine berechtigte Sorge: Trump mag kurzfristig wirtschaftliche Vorteile bringen, doch sobald er einen Konzern oder eine Person ins Visier nimmt, kann er sie ruinieren. Er könnte Unternehmen erpressen, sie öffentlich angreifen oder mit einem einzigen Tweet den Aktienkurs abstürzen lassen. Das haben wir in seiner ersten Amtszeit bereits erlebt. Das ist auch der Grund, warum die Leute fünf Millionen Dollar für ein Dinner zu zweit in Mar-a-Lago bezahlen, ein Gruppendinner kostet eine Million Dollar pro Person. Die Gelder wandern in Trumps Tasche.
Und in Davos? Was spricht man dort?
In Davos wurde diese Zerrissenheit auch deutlich. Einerseits gab es Optimismus darüber, was Trump wirtschaftlich leisten könnte – immerhin war das Treffen kurz nach seiner inauguration, als noch keine Zölle erlassen worden waren. Andererseits spürte man eine diffuse, kaum quantifizierbare Angst, dass etwas aus dem Ruder laufen könnte. Viele in der Wirtschaft sind dabei bemerkenswert pragmatisch. Sie sind nicht notwendigerweise unmoralisch, aber, sagen wir einmal "moralneutral". Wenn Trump das System zu ihren Gunsten gestaltet, machen sie mit. Da sind sie extrem anpassungsfähig. Wenn nicht, ziehen sie sich zurück. Besonders deutlich wurde das bei Tech-Titanen wie Jeff Bezos und Mark Zuckerberg – zunächst skeptisch, aber dann ganz schnell auf Trump-Kurs. Letztlich zeigt sich hier eine Entwicklung hin zu einer Oligarchenwirtschaft, in der die Politik gemeinsame Sache mit mächtigen Unternehmen macht und sich dabei über demokratische Prinzipien hinwegsetzt.
Eckard Christiani: Viele führende Köpfe der US-Techbranche hatten Donald Trump bei seinem Amtsantritt aktiv unterstützt – mit Spenden, Plattformzugeständnissen oder medialer Rücksichtnahme. Doch inzwischen trifft sie seine Politik empfindlich: Neue Importzölle gefährden ihre globalen Geschäftsmodelle. Analysten sprechen bereits von einem „wirtschaftlichen Armageddon", da Firmen wie Apple, Google und Meta stark vom Auslandsgeschäft abhängen. Apple müsste bei US-Produktion etwa 3.000 Dollar pro iPhone kalkulieren – die Verlagerung nach Indien läuft bereits. Zwar profitieren Tech-Konzerne punktuell von Deregulierungen, etwa bei Künstlicher Intelligenz, doch Trumps Politik ist unberechenbar. Kartellverfahren gegen Big Tech laufen weiter, TikTok bleibt am Markt, und Exklusivdeals wie früher mit Apple sind passé. „Trump macht, was er will", sagt Bloomberg-Analyst Mark Gurman. Das Vertrauen der Branche bröckelt. Logistikexperte Ryan Petersen beschreibt „allgemeine Verachtung" gegenüber Trumps Zollpolitik – öffentlich wagt aber kaum jemand Widerspruch. Beobachter warnen: Die Techbranche könnte nun zum geopolitischen Ziel europäischer Vergeltung werden – etwa durch eine Digitalsteuer. Das Bündnis zwischen Tech-Elite und Trump beginnt zu bröckeln – und damit auch eine tragende Säule seiner Macht.
Frau Navidi, Sie sagen, dass viele Unternehmen zunächst die positiven Seiten von Trumps Politik gesehen haben. Was genau wären diese Vorteile gewesen – im Gegensatz zu den offensichtlichen Risiken?
Die Vorausschau war, dass sich seine zweite Amtszeit wirtschaftspolitisch ähnlich entwickelt wie die erste. Trump hat damals umfassend dereguliert – vor allem im Finanzsektor –, und es war zu erwarten, dass er diesen Kurs jetzt noch aggressiver fortsetzt. Besonders an der Wall Street hatte man darauf gehofft, dass er weitere regulatorische Hürden abbaut. Auch in anderen Bereichen – Umweltvorschriften, Verbraucherschutz, Arbeitnehmerrechte – hätten Unternehmen von Trumps Politik profitiert. Selbst wenn nicht alle CEOs offen dazu stehen, wäre eine weitere Lockerung dieser Regularien für viele durchaus attraktiv gewesen. Aber dabei ging es um kalkulierte Vorteile innerhalb eines noch funktionierenden Systems. Jetzt sehen wir jedoch etwas völlig anderes: eine radikale Demontage institutioneller und gesellschaftlicher Strukturen.
Was passiert mit jemandem, der nicht auf Trumps Seite steht?
Der kann jederzeit politisch oder wirtschaftlich vernichtet werden. Ein Beispiel ist Jamie Dimon, CEO und Chairman von JPMorgan Chase & Co.– ursprünglich ein Unterstützer von Kamala Harris, der sich nun gezwungen sah, Trump und vor allem Elon Musk gegenüber wohlwollender aufzutreten. Das ist bezeichnend für das Klima, das geschaffen wird: Es geht nicht um wirtschaftliche Reformen oder Kürzungen, sondern um Machtkonzentration. Jeder, der sich an diesem Spiel beteiligt, trägt Verantwortung. Denn das ist kein wirtschaftspolitischer Kurs – es ist der Versuch, ein gesamtes gesellschaftliches System zu unterwerfen.
Noch einmal zurück zu den Deregulierungen: Ist es nicht völlig amoralisch, wenn man es gutheißt, Umwelt- und Arbeitnehmerrechte abzubauen? Wie kann man das befürworten? Wie kann man es richtig erachten, Klimaschutzmaßnahmen zu untergraben und Arbeitnehmerrechte zu schwächen?
Das Finanzwesen zieht nicht unbedingt Menschen an, die eine gemeinnützige Tätigkeit suchen – wie zum Beispiel jemand, der Medizin studiert, weil er Menschen helfen will. Viele, die in die Finanzbranche gehen, sind vor allem praktisch veranlagt. In den USA kommen sie mit enormen Studienschulden aus der Universität und müssen erst einmal Geld verdienen. Das System ist so aufgebaut, dass sie als kleines Rädchen anfangen, oft ohne zunächst das große Ganze zu überblicken. Und wenn sie es dann verstehen, sind sie meist schon so tief in den Mechanismen gefangen, dass es schwer fällt, sich davon zu lösen. Hinzu kommt ein psychologisches Phänomen: Willful Blindness – also das meist unbewusste Ausblenden von unbequemen Wahrheiten. Man sieht, was passiert, aber lässt es nicht an sich heran. In meinem ersten Buch Superhubs habe ich darüber geschrieben. Im Kern geht es darum, dass Menschen sich an Strukturen anpassen und irgendwann moralische Dilemmata ausblenden, weil sie sich sonst den Herausforderungen stellen müssten und nicht einfach so weiter funktionieren könnten. Das ist in der Finanzwelt gang und gäbe.
Wie tickt die Tech-Branche?
Die Tech-Branche war anfangs – ähnlich wie die Finanzwelt – eher moralisch agnostisch. Das waren in erster Linie Techies, keine Ideologen. Zu Beginn gab es sogar einen Trend zur Werteorientierung: Es war die Rede davon, Gutes für die Menschheit zu tun, Technologie und Finanzsysteme zu demokratisieren. Doch mittlerweile haben sich durch Netzwerkeffekte in der Technologiebranche extreme Machtkonzentrationen – sozusagen menschliche Machtmonopole – gebildet. Eine Handvoll Leute hat überproportional großen Einfluss.
Wer schafft es in solchen Systemen an die Spitze?
Intelligente Persönlichkeiten mit extremen Charaktereigenschaften, die fast schon besessen von ihrer Arbeit sind und die ihre Ideen überzeugend „verkaufen" können. Oft sind das Egomanen, die sich für den Mittelpunkt der Welt halten. Im Silicon Valley haben leider viele, die es bis ganz oben geschafft haben, eine radikale, kompromisslose Weltsicht. Ein von Tech-Milliardären wie Elon Musk, Peter Thiel und David Sacks verehrter Vordenker ist Curtis Yarvin, ein ehemaliger Blogger, der eine Ideologie des „Tech-Feudalismus" propagiert – die Vorstellung, dass eine Elite von Tech-Milliardären die Welt führen sollte. Ich habe in meinem Leben schon viele von sich sehr überzeugte Menschen getroffen, aber selten so ein ausgeprägtes Überlegenheitsgefühl verspürt wie das der Tech-Titanen: Wer nicht aus der Tech-Welt kommt, den nehmen sie gar nicht ernst.
Wie können Sie „Tech-Feudalismus" näher beschreiben?
Yarvins Ideologie enthält implizit Elemente des Sozialdarwinismus – ist also sozusagen „Sozial-Yarvinismus". Das zeigt sich auch in den politischen Konzepten, die in diesen Kreisen diskutiert werden: Rentenkürzungen, die Anhebung des Renteneintrittsalters, die Abschaffung von Medicaid und Medicare. Dahinter steht eine brutale Logik: Wenn Ältere, Kranke und Schwache, die ihrer Meinung nach nichts zur Gesellschaft beitragen, sterben, wird die Gesellschaft von „Ballast" befreit. Eine solche Welt betrachten sie als revolutionär fair, weil sich die angeblich Stärksten durchsetzen. Wenn man die Schwachen mit Sozialleistungen durchschleppt, verzerrt sich der Wettbewerb zu ihren Ungunsten, so jedenfalls ihre Ansicht. Das Tragische ist, dass viele Amerikaner genau diese Politik gewählt haben – zu ihrem eigenen Schaden.
Die Entwicklungen unter Trump – die Entlassung Abertausender von Staatsbediensteten, die Säuberung des FBI und der CIA, die Einstellung der US-Militärhilfen für die Ukraine, die Vereinfachung der Autorisierung von Luftschlägen und Spezialeinsätzen von US-Kommandeuren, die Kündigung von internationalen Verträgen, die Zerschlagung der Behörde für Entwicklungszusammenarbeit USAID, um nur einige zu nennen, sind für viele US-Amerikaner – nicht nur für Demokraten – ein Schock. Während seiner ersten Amtszeit waren die Checks and Balances der US-Demokratie noch intakt genug, um Trump in Schach zu halten. Wo stehen wir heute konkret?
Die Checks and Balances sind längst ausgehebelt. Trump hat bereits angekündigt, sich nicht an Gerichtsurteile halten zu wollen. In den Fällen, in denen Richter ihn oder seine Administration auffordern, Maßnahmen umzusetzen, ist bisher nicht viel passiert. Musk und Trump haben die Richter, die nicht „auf Linie sind", mit Impeachment und Entlassung gedroht. Das Problem: Die Gerichte haben kaum Möglichkeiten, ihre Urteile durchzusetzen. Natürlich könnten US-Marshals mit Handschellen losgeschickt werden, aber das wird nicht geschehen. In einzelnen Fällen hieß es, dass sie den gerichtlichen Anordnungen gerne folgen würden, aber dass die Leute, die für die Umsetzung zuständig wären, alle gefeuert seien. Sie seien aus den Systemen gelöscht und nicht mehr auffindbar.
Wird das Militär, insbesondere die Nationalgarde oder die Geheimdienste, all das widerspruchslos hinnehmen? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.
Im Zweifel, überwiegend ja. Die Nachrichtendienste werden systematisch dezimiert. Der CIA, das FBI, alle entscheidenden Sicherheitsbehörden wurden von Trump und seinen Leuten regelrecht ausgehöhlt. Trump hat bereits bei den Ministerposten nicht nur bedingungslose Loyalisten platziert, sondern auch vollkommen inkompetente Personen, die ihre Bereitschaft signalisiert haben, ihre Ministerien im Sinne Trumps zu unterminieren.
An wen denken Sie da?
Zum Beispiel an Pete Hegseth, seinen Verteidigungsminister. Hegseths ehemaligen Kollegen bei Fox News haben bestätigt, dass er regelmäßig betrunken zur Arbeit erschien – und auch während der Arbeitszeit getrunken hat. Bedenken Sie: Das ist der Mann, der direkt neben Trump zuständig für die Atomwaffen ist.
Dann wäre da Tulsi Gabbard – sie ist sozusagen die Chefin aller 18 US-Geheimdienste, darunter CIA und Homeland Security. Bei ihr laufen nun alle geheimdienstlichen Erkenntnisse zusammen. Aufgewachsen ist Gabbard in einer Sekte um Chris Butler namens Science of Identity Foundation, die durch extrem islamophobe, homophobe und frauenfeindliche Lehren sowie durch die Verehrung ihres "gottgleichen" Gurus auffiel. Gabbards Eltern bekleideten wichtige Positionen in der Sekte. Alles deutet darauf hin, dass sie dessen Guru auch heute noch huldigt. Seit Jahren verbreitet sie russische Propaganda, wiederholt Kreml-Talking Points eins zu eins, vermeidet Kritik an Wladimir Putin und wiegelt stattdessen gegen die Ukraine auf. Sie hat sogar den syrischen Diktator Bashar al-Assad zweimal inoffiziell besucht und stets verteidigt. Ich habe bereits letztes Jahr prognostiziert, dass allein ihre Bestätigung als Geheimdienstkoordinatorin die Nato aushöhlen könnte, weil die Alliierten keine vertraulichen Informationen mehr mit den USA teilen könnten. Das haben sie jetzt auch so signalisiert.
Und dann ist da Kash Patel – er wurde zum Chef des FBI ernannt. Seine Geschichte ist so abenteuerlich, dass man kaum weiß, wo man anfangen soll. Aber seine Position hatte er – zumindest zum Teil – in seiner Kinderbuchtrilogie Die Verschwörung gegen den König veröffentlicht. In dieser Geschichte wird Trump als King Donald dargestellt, der von einer Bösewichtin namens Hillary Queenton – natürlich eine Anspielung auf Hillary Clinton – bekämpft wird. Patel selbst tritt als Wizard Kash auf, der King Donald hilft, die Verschwörung gegen ihn aufzudecken und die Feinde zu besiegen. Die Bücher sind eine fiktionalisierte Version der Trump-Russia-Affäre und der Steele-Dossiers, die Trump als Versuch dargestellt hat, seine Legitimität zu untergraben. Trump selbst hat die Bücher befürwortet und möchte sie in allen US-Schulen verteilt wissen. Patel ist sehr umtriebig und warb auch unter anderem für Pillen, die Menschen von Schäden der Covid-19-Impfstoffe "entgiften" sollen. Eines ist aber sicher: Er nutzt seine Position, um das FBI von innen heraus zu zerstören.
Das Muster scheint überall dasselbe zu sein! Was passiert mit den hochrangigen Karriere-Beamten, die ihr gesamtes Leben in diesen Institutionen gedient haben?
Die werden en masse gefeuert. Diese Leute sind die wahren Experten, sie haben Fachwissen, sie haben Erfahrung – und sie werden nicht nur rausgeworfen, sondern teilweise sogar strafrechtlich verfolgt. Ein besonders krasses Beispiel: Tausende FBI-Beamte, die an der Strafverfolgung der Kapitolstürmung am 6. Januar 2021 beteiligt waren, werden nun selbst kriminalisiert. Das FBI hat gerade eine Liste von Mitarbeitern erstellt, die an den Ermittlungen zur Kapitolerstürmung beteiligt waren. Sie werden jetzt überprüft, entweder noch nicht entlassen, diszipliniert, gefeuert oder möglicherweise strafrechtlich verfolgt. Darüber hinaus erhalten FBI-Beamte und Staatsanwälte Drohungen gegen Leib und Leben durch von Trump begnadigte Kapitolstürmer. Die Regierungsbeamten haben schlicht ihren Job gemacht, auf Anweisung von oben gehandelt – und jetzt stehen sie im Fadenkreuz.
Gibt es noch weitere Beispiele dieses Versagens der Gewaltenteilung?
Ein Beispiel ist die Verschleppung des palästinensischen Aktivisten und Absolventen der Columbia University Mahmoud Khalil. Der Green Card-Halter wurde am 8. März 2025 von Beamten der U.S. Immigration and Customs Enforcement in seinem universitätseigenen Apartment in Manhattan festgenommen und verschleppt – ohne Durchsuchungsbefehl, richterliche Anordnung oder die Möglichkeit, einen Anwalt hinzuziehen zu dürfen. Erst nach zwei Tagen fanden seine Familie und sein Anwalt heraus, dass er im Central Louisiana ICE Processing Center festgehalten wird. Dies ist eine Verletzung seiner Habeas Corpus Rechte, die den Schutz vor willkürlicher Inhaftierung gewährleisten. Es steht also zu befürchten, dass zukünftig jeder ins Fadenkreuz geraten kann. Deswegen sage ich: Die Checks and Balances sind nicht nur geschwächt, sie sind faktisch deaktiviert.
Und noch eine Warnung an deutsche Touristen: Lucas Sielaff und Jessica Brösche, deutsche Touristen, sind von der ICE bei dem Versuch, in die USA einzureisen, festgenommen worden. Die Beamten beschuldigten Sielaff, seine Aufenthaltsbedingungen verletzt zu haben. Er wurde über zwei Wochen im Otay Mesa Detention Center festgehalten, bevor er nach Deutschland zurückkehren durfte. Brösche, die beschuldigt wird, die Bedingungen ihres Visa-Waiver-Programms verletzt zu haben, wurde am 25. Januar festgenommen und erst am 11. März wieder freigelassen. Teilweise war sie sogar mehrere Tage in Einzelhaft isoliert worden.
Eckard Christiani: Die Einreise in die USA wird zunehmend zum Risiko – selbst für deutsche Staatsbürger. Nachdem zuletzt mehrere Reisende aus Deutschland bei der Ankunft festgenommen und in Abschiebehaft genommen wurden, hat das Auswärtige Amt seine Reisehinweise aktualisiert. Selbst kleinste Verstöße – etwa falsche Angaben zum Reisezweck oder eine geringfügige Überziehung des Aufenthalts – können inzwischen zur Verhaftung führen. Die ESTA-Genehmigung oder ein Visum allein garantieren nicht mehr den Zugang zum Land: Die finale Entscheidung liegt bei den Grenzbehörden – und diese agieren unter Trump zunehmend willkürlich. Hintergrund ist ein Klima der Einschüchterung, das sich auch auf Geschäftsreisende und Touristen auswirkt. Vor allem Trump-kritische Personen, Akademiker oder Aktivisten scheinen verstärkt ins Visier zu geraten – wie im Fall eines französischen Wissenschaftlers, dem kürzlich am Flughafen Houston die Einreise verweigert wurde. In seinem Gepäck wurde nach regimekritischen Äußerungen gesucht, seine Geräte konfisziert. In den USA bahnt sich unterdessen ein umfassendes Einreiseverbot für rund 40 Staaten an – Europäer sind davon bislang nicht betroffen, doch die Unsicherheit wächst. Unternehmen und Institutionen in Deutschland beobachten die Lage mit Sorge, eine rechtliche Grundlage für kostenlose Stornierungen von USA-Reisen gibt es bislang nicht. Wer heute in die USA reist, muss mit allem rechnen – auch mit Abschiebehaft.
Frau Navidi, welche Rolle spielen Elon Musk und die sozialen Medien? Steuert Trump eigentlich die Tech-Eliten oder steuern die Tech-Eliten Donald Trump? Gerade Musks Einfluss auf die digitale Infrastruktur, Satellitennetzwerke und KI gibt ihm eine beispiellose Machtstruktur. Musk und Trump, sagten Sie noch im November 2024, seien eine combustable combination. Was befürchten Sie?
![]() FinanzBuch Verlag Oktober 2022 ISBN: 978-3-95972-631-3 304 Seiten 22,00 EUR |
Ich glaube, dass diese Zweckehe länger halten kann, als viele das für wahrscheinlich halten, weil sie eine noch nie dagewesene Machtkombination darstellt. Trump und Musk sind enorm aufeinander angewiesen – alleine könnten sie ihre jeweilige globale conquest – ihre Welteroberung – in dieser Form nicht durchführen. Ich würde sagen, das Kräfteverhältnis ist gegenwärtig etwa 50:50. Trump braucht Musk für den technologischen Überbau seiner Macht – für digitale Infrastrukturen, Kommunikationskanäle, Überwachungsmöglichkeiten und letztlich auch für Kontrolle. Musk wiederum braucht Trump als politischen Schutzschirm, um ungehindert seine Netzwerke, seine KI-Projekte und seine Weltrauminfrastruktur auszubauen.
Musk hat durch Starlink, SpaceX, Neuralink, Tesla und seine KI-Projekte einen beispiellosen Zugriff
auf die Schlüsseltechnologien. Er kontrolliert nicht nur die digitale Kommunikation, sondern auch sicherheitskritische Infrastruktur. Gleichzeitig hat er 38 Milliarden US-Dollar an Regierungsverträgen, Krediten, Subventionen und Steuergutschriften erhalten. Gerade hat er sich einenVertrag über 2,4 Milliarden US-Dollar mit der Federal Aviation Administration unter den Nagel gerissen, den Verizon schon sicher geglaubt hatte. Musk ist jetzt zuständig für die Restrukturierung der Luftaufsicht. Die Aussicht darauf, dass er demnächst nach Lust und Laune seine Satelliten an- und abschalten kann, wenn ihm etwas nicht passt, ist furchterregend. Trump hat die politische Macht, Musk freie Hand zu lassen und seine Konkurrenten auszuschalten. Zusammen bilden die beiden eine Allianz, die kaum noch aufzuhalten ist – denn sie können sowohl politische als auch wirtschaftliche Machthebel in einem nie dagewesenen Ausmaß nutzen. Und genau das macht sie so gefährlich.
Das „Zoll-Gebahren" von Trump nicht nur schlau – die Maßnahmen des US-Präsidenten nähren auch im US-Inland die Sorge vor einer höheren Inflation –, die Ausweisung von Tausenden von sog. illegalen Einwanderern könnte die Wirtschaft lahmlegen. Das kann Trump nicht wollen. Was steckt hinter den Ideen?
Bisher haben sich die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet – und es wird täglich dramatischer. Deshalb müssen wir inzwischen Szenarien in Betracht ziehen, die früher abwegig erschienen. Zum Beispiel: Ist es möglich, dass Trump, Musk und ihre Verbündeten das System gezielt gegen die Wand fahren? Dass sie einen wirtschaftlichen Zusammenbruch herbeiführen wollen, um danach alles zu privatisieren? Um Vermögenswerte zu Spottpreisen aufzukaufen und die Machtstrukturen vollständig neu zu ordnen? Um das Social Security-Vermögen in die nationale strategische Krypto-Reserve zu versenken?
Ein Staat in der Krise ist ein Staat, der „zur Disposition" steht?
Wer die Kontrolle über die Infrastruktur, die Unternehmen und die Wirtschaftssysteme übernimmt, kann die Gesellschaft komplett umgestalten. Vielleicht geht es sogar noch weiter: Eine territoriale Expansion – ein Ausgreifen der USA nach Norden und Süden, um die wirtschaftlichen Folgen dieser Politik abzufedern.
Trump und Putin: Ist das ein taktisches Bündnis?
Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob Trump und Putin aktiv gemeinsame Sache machen – aber Trump verhält sich durchweg so, als würde er russische Interessen vertreten. Und am Ende zählt nicht die Intention, sondern die Handlung. Alle Maßnahmen, die Trump bislang ergriffen hat, haben nicht der US-Bevölkerung genutzt – sondern waren direkt oder indirekt im Sinne Putins. Auch Elon Musk scheint aus Überzeugung prorussisch zu agieren. Als der ehemalige Astronaut, Nationalheld und heutige US-Senator Mark Kelly von einem Besuch an der ukrainischen Front zurückkehrte, bezeichnete Musk ihn auf X als „Verräter". Wie kann es sein, dass der CEO eines Unternehmens, das eng mit der US-Regierung zusammenarbeitet, offen gegen amerikanische Interessen agiert?
Hier sind nur einige der Maßnahmen, die Trump ergriffen hat – und die allesamt Putin in die Hände spielen: Er hat Artikel 5 des Nato-Vertrags infrage gestellt – also die Beistandsverpflichtung der USA. Das bedeutet im Klartext: keine automatische Verteidigungsbereitschaft für Nato-Partner, mögliche Truppenabzüge aus Europa. Er hat Kanadas Vorschlag abgelehnt, eine Task Force zur Bekämpfung von Russlands „Schattenflotte" von Öltankern zu bilden.
Bei einer UN-Resolution über einen „Tag der Hoffnung", die eine friedliche Koexistenz der Staaten fördern sollte, waren die USA das einzige Land, das dagegen stimmte – mit der Begründung, dies würde die eigene Souveränität einschränken. Selbst Russland und Nordkorea stimmten zu. Trump bereitet die Amerikaner auf wirtschaftlich harte Zeiten vor – ganz so, als wolle er die Krise selbst herbeiführen. Und Elon Musk hat mit einem NATO-Austritt der USA sympathisiert und bereits damit gedroht, die Starlink-Satelliten über der Ukraine abzuschalten.
Gibt es womöglich eine geheime Absprache über die Aufteilung der Welt?
Die geopolitische Landkarte verändert sich mit rasender Geschwindigkeit – und es scheint, als hätten Trump, Putin und Musk längst eine Vision für eine neue Weltordnung. Trumps und Putins Expansionsbestrebungen ergänzen sich geografisch auffällig gut. Es wäre naiv, die Möglichkeit auszuschließen, dass sie sich hinter verschlossenen Türen bereits abgestimmt haben: Putin „bekommt" Europa. Trump sichert sich Kanada, Mexiko, Grönland und den Panamakanal. Neulich erwähnte Trump während eines Treffens mit Nato-Generalsekretär Mark Rutte erneut, Grönland „übernehmen" zu wollen. Und Xi Jinping „erhält" Taiwan und Australien. Das mag nach einer wilden Theorie klingen – aber es wäre ein klassisches Beispiel für ein low probability, high impact event: ein Szenario mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber potenziell katastrophalen Folgen. Die Konsequenzen wären so weitreichend, dass sicherheits- und wirtschaftspolitische Strategien der westlichen Demokratien dieses Szenario mit einbeziehen müssen – bevor es zu spät ist.
Die USA sind einer der größten Produzenten fossiler Energieträger. „Drill, Baby, drill", rief Donald Trump dem Publikum in seiner Rede zum Amtseintritt zu. Wie, denken Sie, wird Trump mit dem wichtigen Thema Klimawandel und Geoengineering umgehen; denn neben Indien und China wird die USA unter den Folgen der Erderwärmung besonders leiden?
Die Trumpisten sind völlig allergisch gegen Wissenschaft im Allgemeinen und gegen Klimaforschung im Besonderen. An allen möglichen Stellen wird die Wissenschaft gekappt: Wissenschaftler werden in Scharen entlassen, Daten werden entweder gar nicht mehr erhoben oder intransparent gemacht. Behördliche Wissenschaftler, die für medizinische Forschung zuständig sind, haben Kommunikationsverbot, zum Teil auch zwischen einzelnen Behörden, und Forschungsgelder werden gestrichen – genauso wie bei der allgemeinen Bildungsförderung. Denn je weniger informiert die Menschen sind, desto leichter lassen sie sich beeinflussen. Trump sagt nicht umsonst: "I love the poorly educated.” Beim Klimawandel passiert genau das Gleiche. Es ist wie beim Neusprech, der sprachpolitisch umgestalteten Sprache in George Orwells Roman 1984. Begriffe wie „Klimaschutz" oder „Erderwärmung" werden aus Richtlinien und Gesetzen entfernt. Umweltgesetze werden entweder abgeschafft oder gegen null heruntergefahren.
Was steckt dahinter?
Dahinter steckt eine Mischung aus skrupelloser Profitgier, radikalem Sozialdarwinismus und extremer Religiosität. Ich erinnere mich noch gut an ein Treffen, zu dem mich sehr reiche libertäre Fondsmanager vor zwei Jahrzehnten eingeladen hatten. Ich wusste damals nicht genau, was Libertäre eigentlich sind. Das Meeting hatte mich regelrecht traumatisiert. Dort wurde ganz offen gesagt: „Die Erde ist dazu da, dass wir sie ausbeuten. Wir sind die Schlauesten, also haben wir das Recht, uns als Erste die Ressourcen zu nehmen. Und wenn andere Menschen darunter leiden und vielleicht sogar ihren Lebensraum oder gar ihr Leben verlieren – dann ist das entweder ihr Pech, weil sie ja umziehen oder etwas anders hätten machen können. Oder es ist Gottes Wille." Und letztendlich? Wenn der Markt crasht und die Wirtschaft abstürzt, dürfen wir davon ausgehen, dass Trump, Musk und ihr innerer Ministerkreis ihre Schäfchen längst im Trockenen haben. Sie sind abgesichert – egal, was passiert.
Eckard Christiani: Die jüngsten politischen Angriffe auf Wissenschaft und Forschung in den USA geben Sandra Navidis Einschätzung dramatische Aktualität. Seit seiner erneuten Amtsübernahme regiert Präsident Trump mit einer Flut präsidialer Dekrete, die zentrale Pfeiler der wissenschaftlichen Infrastruktur systematisch schleifen. Besonders betroffen ist die traditionsreiche Harvard University: Weil sie sich weigert, Trumps autoritäre Eingriffe in Forschung, Lehre und Personalpolitik umzusetzen, hat die Regierung milliardenschwere Fördermittel eingefroren. Harvard klagt nun gegen Washington – mit Unterstützung von über 100 Universitäten und Wissenschaftsorganisationen.
Auch international wächst die Sorge: Forscher wie Timothy Snyder, Jason Stanley oder Marci Shore verlassen die USA aus politischen Gründen. Wissenschaftsstandorte in Europa sprechen offen vom beginnenden Braindrain und bereiten Programme zur Aufnahme exilierter US-Forscher vor. Währenddessen zensiert die Trump-Administration Bildungsinhalte, entlässt Zehntausende Beschäftigte in Forschung und Verwaltung und droht mit weiteren Einschnitten. Fachzeitschriften berichten von Rücknahmen wissenschaftlicher Artikel, weil zentrale Begriffe wie Diversität oder Gender gestrichen werden müssen. Der Konflikt zwischen Regierung und Hochschulen spitzt sich weiter zu – und wird zunehmend zu einem internationalen Symbolkampf um Wissenschaftsfreiheit, Demokratie und gesellschaftliche Verantwortung. Inmitten dieser Entwicklung wirkt Musks Mars-Vision wie ein zynisches Ablenkungsmanöver von der realen, politisch motivierten Demontage des irdischen Fortschritts.
Frau Navidi, selbst wenn Trump und co. den menschengemachten Klimawandel leugnen – sie müssen doch trotzdem eine Strategie haben, wenn Klimakatastrophen das Land verwüsten. Sagen sie dann einfach: „Das ist Gottes Wille, seht zu, wie ihr klarkommt"? Ist das wirklich ihre Haltung?
Diese Leute haben keinerlei Empathie – weder für Menschen, noch für Tiere, noch für die Natur. Das interessiert sie schlicht nicht. Und dann ist da noch Musks absurde Vorstellung: „Die Erde wird bald unbewohnbar, deshalb müssen wir auf den Mars auswandern." Er spricht davon, eine Millionen Menschen dorthin umzusiedeln. Fakt ist: Jeder, der sich die Bilder vom Mars ansieht, weiß, dass das völliger Unsinn ist.
Eine Umsiedlung auf den Mars ist nur theoretisch denkbar. Man stünde vor enormen Herausforderungen bezüglich Lebensbedingungen, Transport, Ressourcen, Technologie und langfristiger Überlebensfähigkeit, die kaum zu überwinden sind. Das kann doch keine gute Idee sein!
Ich hatte beim WEF in Davos Gespräche mit mehreren prominenten Wissenschaftlern, die sich darüber einig waren, dass Menschen niemals auf dem Mars werden leben können. Und wie erstrebenswert ist das überhaupt, in dieser lebensfeindlichen Einöde, unter ständiger Gefahr zu leben? Wer will das, niemand. Bei dieser „Vision" handelt es sich um ein Eitelkeitsprojekt mit dem Ziel, der Regierung noch mehr an öffentlichen Geldern aus den Rippen zu leiern. Und das Absurde ist ja: Genau die Trumpisten, die sich nicht mal eine Maske während einer Pandemie aufsetzen wollten, sollen dann plötzlich in Space-Anzügen herumlaufen? Das ist grotesk. Aber genau diese absurden Ideen befeuern den Kult um Musk und Trump. Ihre Anhänger glauben ernsthaft, dass Trump und Musk auf göttlicher Mission sind.
Eckard Christiani: Seit seiner erneuten Amtseinführung hat Donald Trump eine rigorose Anti-Klimapolitik eingeleitet, deren Dimensionen selbst viele Kritiker überrascht haben. Bereits am ersten Tag verließ die US-Regierung erneut das Pariser Klimaabkommen – zum dritten Mal unter einem republikanischen Präsidenten. In den ersten 100 Tagen folgten über 60 rückgängig gemachte Umwelt- und Klimaschutzregelungen, darunter die Wiederzulassung von Ölbohrungen in Schutzgebieten, massive Erleichterungen für Fracking, die Entkernung der Umweltbehörde EPA und der fast vollständige Rückbau des Clean Power Plan zur Kohlevermeidung.
Besonders folgenreich ist die gezielte Zensur von Begriffen wie „Klimawandel", „Diversität" oder „Biodiversität" in Anträgen, Forschungsprogrammen und öffentlichen Datenbanken. Wissenschaftler und Institute werden unter Druck gesetzt, ihre Arbeit sprachlich anzupassen oder ganz einzustellen. Die Environmental Protection Agency wurde personell halbiert, zentrale Klimadatenbanken der NOAA offline genommen. Wer sich widersetzt, riskiert seine Karriere – oder gar juristische Verfolgung. Trumps Dekrete folgen dabei dem Masterplan des rechtskonservativen Project 2025, das vorsieht, die wissenschaftliche Grundlage für Klimaschutz systematisch zu zerstören und fossile Energien zur geopolitischen Waffe zu machen. Parallel baut sein Effizienzministerium unter Elon Musk die klimabezogene Regierungsinfrastruktur ab – darunter die Katastrophenbehörde FEMA. Kritiker sprechen von einem gezielten „Systemkollaps von oben", der insbesondere marginalisierte Gruppen treffen wird. Mit dem Mantra „Drill, Baby, Drill" wirbt Trump weltweit für US-Flüssiggas – und drängt europäische Regierungen, neue Lieferverträge abzuschließen. Dass dies mit den Methanregeln der EU kollidiert, stört ihn nicht. Die USA planen unter Trump bis 2030 die größte Ausweitung fossiler Brennstoffe weltweit – mehr als alle anderen Länder zusammen. Gleichzeitig entzieht er Umweltinitiativen Fördergelder und verunglimpft Klimaschutz öffentlich als „Klimawandel-Religion".
Die Folgen für die internationale Klimapolitik sind gravierend: Viele Staaten sehen im US-Kurs eine Einladung, selbst weniger zu tun. Währenddessen organisiert sich zivilgesellschaftlicher Widerstand – mit Millionen auf der Straße und neuen Netzwerken für Klimagerechtigkeit. Doch ob diese Kräfte stark genug sind, Trumps fossil-industriellen Rollback zu stoppen, ist derzeit ungewiss.
Der Klimawandel verändert nicht nur Ökosysteme, sondern auch geopolitische Strategien. Frau Navidi, könnte es sein, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine, aber auch das wachsende Interesse der USA an Grönland und Kanada nicht nur ressourcengetrieben ist, sondern auch mit der Suche nach neuem Siedlungs- und Lebenraum zusammenhängt? Könnte es eine Form der Klimaanpassungspolitik als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge geben?
Es geht ganz grundsätzlich um die Erweiterung des Lebensraums, ganz unabhängig vom Klimawandel. Fürsorgliche Erwägungen zugunsten der Gesellschaft sind ihnen allen fremd. Im Hinblick auf Grönland haben die Tech-Feudalherren schon länger auf Trump eingeredet, dass auf den durch die Eisschmelze freiwerdenen Flächen autonome Tech Network States errichtet werden könnten. Völlig abenteuerlich, aber das ist unsere neue Realität.
Welche geopolitische Expansionspläne Trumps rücken in den Bereich des Möglichen?
In sicherheitspolitischen Kreisen wird inzwischen offen über ein Szenario diskutiert, das lange als abwegig galt – aber angesichts der jüngsten Entwicklungen nicht mehr ausgeschlossen werden kann. Trump hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er sich eine territoriale Expansion der USA vorstellen kann. Schon in der Vergangenheit sprach er davon, ein 51. Bundesland zu „schaffen". Doch was bedeutet das konkret? Welche Einflusszonen will er tatsächlich verschieben?
Was, wenn Trump Truppen nach Kanada schickt?
Kanada war bisher völlig unvorbereitet auf eine solche Bedrohung. Doch Trump hat die Idee mehrfach angesprochen – zuletzt erst wieder. Seine Rhetorik ist bezeichnend: „Kanada kann sich nicht selbst verteidigen. Wir müssen sie beschützen." Dass er diese Schutzbehauptung ausgerechnet jetzt wiederholt, ist kein Zufall. Tatsächlich nehmen US-Politiker das Szenario eines möglichen US-Angriffs auf Kanada, Panama oder Grönland inzwischen so ernst, dass der demokratische Abgeordnete Seth Magaziner einen dringenden Gesetzesentwurf in den Kongress eingebracht hat. Dieser soll ausdrücklich verhindern, dass Trump Mittel des US-Militärs für einen solchen Zweck verwendet.
Eckard Christiani: Im Nachbarland Kanada zeigt sich, wie sehr die außenpolitischen Drohgebärden Donald Trumps bereits konkrete politische Auswirkungen haben. Die dortige Parlamentswahl brachte ein überraschendes Comeback für die Liberalen – ausgelöst durch Trumps unverhohlene Annexionsdrohungen und wirtschaftlichen Druck. Der neue und alte Premierminister Mark Carney, früher Zentralbankchef und international angesehener Krisenmanager, hatte den Wahlkampf mit einer klaren Ansage eröffnet: „Präsident Trump will uns brechen, damit die USA uns besitzen können. Das wird nie und nimmer passieren."
Noch im Januar lagen die Konservativen unter Pierre Poilievre mit mehr als 20 Prozentpunkten vorn. Doch die Aussicht, Kanada könne von einem wiedererstarkten Trump ins Visier genommen werden – verbunden mit möglichen Strafzöllen und der absurden Vorstellung, das Land als 51. Bundesstaat einzugliedern – führte zu einem nationalen Schulterschluss: „Team Canada" wurde zum Wahlmotto, Eishockey-Metaphern wie „Elbows up!" bestimmten die Debatten.
Die Liberalen profitierten von dieser Welle des Patriotismus und der Angst vor amerikanischer Einflussnahme. Carney, sachlich und kompetent, ersetzte den umstrittenen Justin Trudeau als Spitzenkandidaten und wurde in einem dramatischen Meinungsumschwung erneut ins Amt gewählt. Auch viele Wähler der Linkspartei und Grünen gaben ihre Stimme strategisch den Liberalen – in der Hoffnung, dem aggressiven Kurs Washingtons eine stabile, souveräne Regierung entgegenzusetzen. Ironie der Geschichte: Ohne Donald Trump wäre Carneys politische Karriere wohl schon wieder beendet. Nun wird er der Mann sein, der sich Trumps imperialem Griff entgegenstellen muss – nicht nur mit Worten, sondern mit Taten.
Musk befürwortet den Austritt aus der NATO – plus US-Truppenabzug aus ganz Europa. Lt. Einem Bericht des Wall Street Journal vom Oktober 2024 soll Musk in den letzten zwei Jahren regelmäßigen Kontakt zu Putin gehabt haben. Ist Musk damit nicht de facto Interessenvertreter Russlands?
Jedenfalls verhält er sich wie ein Interessenvertreter Russlands. Trumps und Musks Vorgehen ist für uns schwer zu fassen, weil wir mit einem Weltbild aufgewachsen sind, in dem es undenkbar war, dass ein amerikanischer Präsident mitten in einem Krieg mit Russland plötzlich die Seiten wechselt. Wer das nicht wahrhaben will, unterliegt kognitiver Dissonanz. Aber schauen wir uns doch an, was Donald Trump über die Jahre hinweg gesagt und getan hat. Jede einzelne Maßnahme, die er bisher getroffen hat, hat genau einem genutzt: Russland. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll: Die Abschaffung der Anti-Oligarchengesetze, die Aufhebung von Antikorruptionsgesetzen und die massive Deregulierung des Kryptomarktes, über den man Trump direkt kaufen kann– all das hat genau einen Effekt: Es hilft nicht den Farmern in Nebraska, dem Tante-Emma-Laden-Besitzer in Idaho oder dem Arbeiter in Detroit. Aber einem hilft es enorm: Wladimir Putin.
Kommen wir einmal auf Europa zu sprechen. Sitzt Europa zurzeit nicht zwischen allen Stühlen? Gegen Russland, gegen China und jetzt auch noch gegen die USA?
Ja, Europa hat die geopolitischen und auch wirtschaftlichen Umbrüche total verschlafen. Als ich zu Beginn des Ukraine-Kriegs öffentlich geäußert habe, dass Europa jetzt aufrüsten müsse, gab es in Deutschland einen Sturm der Entrüstung. Da hieß es sofort: „Mit unserer Geschichte? Waffen? Atomwaffen? Und dann noch gegen Russland? Das kann nur im Dritten Weltkrieg enden." Und mir wurde gesagt: „Du hast gut reden, du bist ja in Amerika und damit weit weg."
Was mich besorgt, sind die zunehmend rechten Tendenzen in Europa, die gemäß ähnlichen Dynamiken funktionieren, wie sie auch bei uns in den USA angewandt wurden. Wenn die europäischen Steuerzahler jetzt alleine – ohne Amerikas Hilfe – die Ukraine bei gleichzeitig nachlassender Wirtschaftsleistung unterstützen, fürchte ich, dass der Unmut und die Radikalisierung weiterhin stark zunehmen werden. Und deshalb bin ich dafür, dass die in Europa eingefrorenen russischen Vermögenswerte konfisziert werden sollten. Juristisch ist das machbar.
Sehen Sie irgendeinen Weg, wie diese Entwicklung hin zu einer Autokratie in den USA noch überwunden werden könnte? Könnte eine Flut von Klagen vor verschiedenen Gerichten noch etwas bewirken? Oder anders gefragt: Besteht eine reale Möglichkeit, dass sich revolutionäre Bewegungen oder gar Sezessionsbestrebungen formieren? Könnten liberale Bundesstaaten wie Kalifornien, Oregon oder Washington tatsächlich eine Abspaltung in Erwägung ziehen?
Ich fürchte, dass es für die Vereinigten Staaten erstmal zu spät ist. Die Wähler hatten alle Chancen, das Ruder bei der Wahl herumzureißen. Wenn nach allem, was passiert ist, nach der Kapitol-Erstürmung am 6. Januar 2021, nach Trumps Verurteilung für zahlreiche Verbrechen, nach der Abschaffung des Grundrechts auf körperliche Selbstbestimmung für Frauen, nach allen seinen Ausfällen und Beleidigungen gegen Ende des Wahlkampfs, die Menschen ihn immer noch gewählt haben, dann ist ihnen nicht mehr zu helfen. Dann muss das System vielleicht wirklich erst vor die Wand fahren.
Das bedeutet im Zweifel einen Systemumbruch?
Das Problem ist, dass viele Menschen eine simplizistische Vorstellung von einer Systemänderung haben. In meinem Buch SuperHubs zitiere ich den Sytemanalytiker Immanuel Wallerstein zu Systemumbrüchen. Er erläutert, dass ungeordnet verlaufende Übergänge in der Regel schmerzhaft für alle Segmente der Gesellschaft sind, da alle – zum Teil gewaltsam – um die „Stücke des Kuchens" kämpfen und ein Wiederaufbau sehr lange dauern kann, wie die Große Depression gezeigt hat. Abspaltungsbewegungen schwelen schon seit langer Zeit unter der Oberfläche. Der Begriff National Divorce ist ein Code für Bürgerkrieg, den viele radikale Rechte und radikale Christen herbeiwünschen. Viele QAnon-Abgeordenete gehen in diese Richtung, wie Marjorie Taylor Greene, die der Meinung ist, dass sich republikanische von demokratischen Staaten abspalten sollten.
Aber rechtlich und praktisch ist eine Sezession schwer vorstellbar. Auch wirtschaftlich ergäbe das für die meisten republikanischen Staaten keinen Sinn, weil sie mit die meisten Mittel aus dem Bundeshalt erhalten. Der demokratische Staat Kalifornien gehört demgegenüber zu den größten Netto-Einzahlern in den Bundeshaushalt. Wenn Trump, dem Kalifornien ein Dorn im Auge ist, entscheidet: „Ihr bekommt keine FEMA-Katastrophenschutzmittel mehr. Ihr bekommt weniger Unterstützung vom Bund mit Geldern, die vom Kongress bewilligt worden sind und Euch rechtlich zustehen. Ihr werdet jetzt systematisch benachteiligt", dann könnte es irgendwann zu Abspaltungsbewegungen kommen. Ob das dazu passiert? Schwer zu sagen, wahrscheinlich nicht in absehbarer Zeit. Aber die Konfliktlinien sind gezogen.
Nun entwickeln wir gerade nur dystopische Aussichten. Wenn Sie einen zuversichtlichen Blick in die Zukunft werfen und an das Jahr 2050 denken, wie stellen Sie sich die Welt dann vor?
Ich könnte mir vorstellen, dass das Leid in den kommenden Jahre irgendwann so groß wird und dass das Pendel zurückschwingt – ähnlich wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals folgte auf die Zerstörung eine Phase des Aufbaus, in dem alle Teile der Gesellschaft zusammenwirken mussten und ein größerer Zusammenhalt entstand. Vielleicht entsteht aus den Trümmern dieser Zeit auch ein neuer gesellschaftlicher Konsens. Wenn wir als Individuen vorankommen wollen, dann nur gemeinsam als Gesellschaft. Der entscheidende Spaltpilz der vergangenen Jahre war die wachsende Ungleichheit. Und natürlich auch die Auswüchse des Kulturkampfs, sowohl auf rechter als auch auf linker Seite. Bis 2050 könnte sich klarer herauskristallisiert haben, welche Technologien uns wirklich nützen – und welche nicht. Dass wir nutzertechnisch reifen, und nicht mehr jedem toxischen Gimmick anheimfallen, sondern im Gegenteil Technik gezielt einsetzen, um die großen Umweltherausforderungen unserer Zeit zu bewältigen: Klimawandel, Wasserknappheit, nachhaltige Energieversorgung.
Welche Weichenstellungen sollten Politiker also in Europa vornehmen, um eine positive Zukunft zu gestalten? Wie könnten Maßnahmen aussehen, wenn wir die dringendsten globalen Herausforderungen wie Klimawandel, geopolitische Instabilitäten und wirtschaftliche Ungleichgewichte berücksichtigen?
Nationale Regierungen müssen zuallererst eine stärkere Verantwortung gegenüber ihrer Bevölkerung übernehmen. Das bedeutet nicht, dass sich Länder abschotten sollten, aber die Menschen müssen spüren, dass ihre Anliegen und ihre Lebensrealität ernst genommen werden und die Politik in ihrem Sinne handelt. Viele Menschen haben das Gefühl, wirtschaftlich abgehängt zu sein oder dass ihre eigene Lebensleistung nicht ausreichend gewürdigt wird. Besonders die fehlende Differenzierung zwischen lebenslangen Beitragszahlern und Neuankömmlingen im Sozialsystem wird oft als ungerecht und demotivierend empfunden. Diese Wahrnehmung lässt sich nicht einfach ignorieren oder wegdiskutieren – sie muss ernst genommen werden. Natürlich brauchen wir Fachkräftezuwanderung. Aber es ist legitim, dass ein Staat fragt: Wie gestalten wir Migration so, dass sie für alle funktioniert. Alles andere ist auf Dauer nicht aufrecht zu erhalten. Wichtig ist, eine differenzierte pragmatische Debatte ohne Ideologisierung zu führen, die sowohl den humanitären Verpflichtungen als auch den sozialen Realitäten im eigenen Land gerecht wird. Wissen Sie, was ich meine?
Ich weiß genau, was Sie meinen. Eine persönliche Frage zum Abschluss: Wie bleiben Sie eigentlich zuversichtlich und motiviert – trotz all dieser Entwicklungen?
Persönlich geht es mir gut. Ich habe meine Community, meine heiß geliebte Arbeit und lebe in meiner Traumstadt New York. Aber die aktuellen politischen Entwicklungen in den USA nehmen mich sehr mit. Ich habe bereits 2016 in einem Artikel für Project Syndicate mit dem Titel How Trumpocracy Corrupts Democracy beschrieben, wie sich die USA in eine Autokratie verwandeln könnten. In meinem Buch Die DNA der USA habe ich die Entwicklungen weiter analysiert. Leider hat sich vieles bewahrheitet.
Der letzte Schutzwall gegen Trump ist nun mein Berufsstand: die Juristen. Doch ob sie dieser beispiellosen Welle an rechtswidrigen Maßnahmen standhalten können, ist fraglich. Viele Entscheidungen werden letztlich beim Supreme Court landen – doch der hat Trump bereits in einem wegweisenden Urteil nahezu unbegrenzte Immunität für Handlungen im Amt zugestanden. Jetzt hat Trump ein Dekret erlassen, das ihm und seiner Justizministerin die alleinige Hoheit über die Definition von Recht und Gesetz gibt – ganz nach seinem Social-Media-Post: "Wer sein Land rettet, kann kein Recht verletzen." 900 ehemalige Bundesstaatsanwälte haben in einem offenen Brief gewarnt, dass die Trump-Administration massiven Druck auf Staatsanwälte ausübt, politische Gegner zu verfolgen. Trump und Musk haben Richter und Staatsanwälte öffentlich bedroht, ihre Inhaftierung gefordert – und ihre Anhänger setzen diese Drohungen in die Tat um. Zahlreiche Juristen wurden entlassen oder sind zurückgetreten, weil sie um ihre Sicherheit fürchten. Dazu kommt, dass der Supreme Court mit einer ultrakonservativen Mehrheit besetzt ist. Die zentrale Frage wird sein, ob die Judikative dem Angriff auf die Demokratie standhalten kann.
Aber ich möchte nicht nur düstere Prognosen zeichnen. Geschichte zeigt, dass Regime, die auf Angst und Repression basieren, langfristig nicht stabil sind. Die amerikanische Demokratie hat in der Vergangenheit viele Krisen überstanden – und sie könnte es wieder tun. Es gibt immer Menschen, die sich wehren, die für Rechtsstaatlichkeit kämpfen, die sich nicht einschüchtern lassen. Die Midterms könnten ein Wendepunkt sein, wenn sich genügend Widerstand formiert. Und auch international wächst das Bewusstsein, dass Demokratien sich nicht länger auf die USA als Schutzmacht verlassen können – sie müssen selbst handlungsfähig werden.

Liebe Frau Navidi, vielen Dank für dieses Gespräch. Passen Sie auf sich auf!
Eckard Christiani ist Journalist, Corporate Publisher und Herausgeber der Buchreihe „morgen – wie wir leben wollen". Er schreibt regelmäßig über gesellschaftlichen Wandel, neue Perspektiven und das Morgen.
Gesellschaft | Politik, 30.04.2025

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