Wulf-Peter Schmidt
Technik | Mobilität & Transport, 01.03.2025
Ökobilanzen und Life Cycle-Costing
Grundlagen zur umfassenden Nachhaltigkeitsbewertung am Beispiel der Auto-Produktion
Nachhaltigkeit beginnt bei der Analyse – und endet bei klaren Entscheidungen: Am Beispiel der Autoindustrie zeigt forum, warum eine ganzheitliche Sicht auf die Umweltauswirkungen über den gesamten Lebenszyklus von Produkten entscheidend ist. Dabei wird deutlich: Elektromobilität hat nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch die Nase vorn. Doch für echte Transformation müssen auch soziale Aspekte und externe Kosten konsequent berücksichtigt werden.

Der Finanzsektor spielt eine entscheidende Rolle bei der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Einerseits durch die bevorzugte Finanzierung und Versicherung nachhaltiger Projekte, und auf der anderen Seite durch den Entzug oder die Verteuerung von Finanzierung und Versicherung nicht nachhaltiger Unternehmen und Projekte. Dabei ist es nicht immer offensichtlich, welche Investments wirklich nachhaltig sind und wo Risiken lauern. Rating-Agenturen geben keine konsistente Information, unter anderem wegen der Unterschiede in Ansatz und Umfang der Bewertung.
Abhilfe soll hier die doppelte Wesentlichkeit schaffen. Die dafür verabschiedeten Gesetze im Bereich nachhaltiger Finanzen und Berichterstattung verlangen unter anderem, die materiellen Auswirkungen eines Unternehmens zu berücksichtigen. Das sind zum Beispiel ökologische Auswirkungen durch Emissionen oder soziale Auswirkungen durch den Umgang und die Art der Verträge mit Lieferanten und Mitarbeitenden. Gleichzeitig sollen die Umweltauswirkungen auf das Unternehmen im Blick behalten werden, also zum Beispiel die Auswirkungen des Klimawandels auf die Produktionsstätten, die sogenannte Klimaresilienz. Diese beiden Aspekte bedienen die sogenannte doppelte Wesentlichkeit, die transparent machen soll, inwieweit das eigene Geschäftsmodell mit dem Ziel kompatibel ist, die Erderwärmung auf 1.5°C zu begrenzen – eine Aufgabe, der sich damit alle CEOs und CFOs stellen müssen.
Reporting im Wandel: neue Hot Spots der Berichterstattung
Für jeden Sektor sind unterschiedliche „Hot Spots" relevant. Diese können durch Methoden zur Nachhaltigkeitsbewertung wie Ökobilanzen (englisch Life Cycle Assessment, kurz LCA), Social-LCAs und Life Cycle Costing identifiziert werden – um die drei „Dimensionen" der Nachhaltigkeit abzudecken. Diese Analysen erweitern die Systemgrenze des traditionellen Accounting erheblich (siehe Bild 1).
Ökobilanzen sind in der ISO 14040:2006 definiert als die „Zusammenstellung und Beurteilung der Input- und Output-Flüsse und der potenziellen Umweltwirkungen eines Produktsystems im Verlauf seines Lebensweges". In diesem Kontext umfasst der Produktlebensweg alle Prozesse von der Gewinnung von Rohstoffen (z.B. Bergbau zur Förderung von Eisenerz oder die Erdölgewinnung) über die Materialerzeugung (z.B. Stahl) sowie die Fertigungsprozesse bis hin zur Herstellung des Endproduktes (z.B. ein Pkw) und dessen Nutzung bis zur „Entsorgung" unter Einbezug aller Energiewandlungs- und Transportprozesse. Input-Flüsse sind z.B. Rohstoffe, Output-Flüsse sind z.B. CO2 und andere Emissionen, die global über den gesamten Lebensweg nach ihren Umweltwirkungen (z.B. Treibhauspotenzial) aggregiert werden. Die Ökobilanz-Methode kann neben Produkten und Services auch auf Unternehmen und Projekte übertragen werden, deren Finanzierung geprüft wird. Das kann z.B. bedeuten, dass ein Projekt nur finanziert wird, wenn die erreichte Einsparung von Umweltbelastungen über den Lebensweg (gemessen pro investierten Euro) oberhalb des vorgegebenen Benchmarks liegt.
Produktlebenszyklus – ISO 14040 | Systemgrenzen einer Ökobilanz

E-Auto oder Verbrenner: Auf die Perspektive kommt es an
Bei Automobilen wird manchmal die Systemgrenze verkleinert und nur die Nutzungsphase betrachtet, indem nur die direkten Emissionen (Tank-to-Wheel) berücksichtigt werden. Dies ist z.B. beim Kraftfahrtschein oder der EU CO2 Flottengesetzgebung der Fall. Wenn noch die Umweltauswirkungen der Kraftstoff- oder der Fahrstromherstellung hinzugenommen wird, wird dies Well-to-Wheel genannt. Aber auch diese Betrachtung ist unvollständig, weil die Herstellung (cradle-to-gate) und die Entsorgung des Fahrzeugs inklusive der Batterien nur bei einer vollständigen Ökobilanz erfasst sind.
„Eine ganzheitliche Sichtweise ist für nachhaltiges Wirtschaften maßgeblich, um fundierte Investitionsentscheidungen zu treffen."
Für das Beispiel eines Vergleichs von Benzin- und Elektrofahrzeug zeigt die Abbildung 2 das Ergebnis einer vollständigen Ökobilanz hinsichtlich der Treibhausgasemissionen eines Mittelklasse-Pkws. Durch die Batterie verdoppeln sich zwar die Emissionen für die Herstellung eines Pkws, aber durch die viel geringeren Emissionen in der Nutzung (in der Abbildung 2 die weißen Balkenanteile) ergibt sich insgesamt eine ca. 55 Prozent geringere Treibhausbelastung durch das Elektrofahrzeug. Diese Aussage gilt für den Mittelwert des EU-Strommixes. Der jeweils nationale Strommix weicht davon natürlich ab – siehe Beispiele von Schweden mit einem sehr hohen „erneuerbaren" Stromanteil, und als worst-case Estland, wo Strom zu einem großen Teil aus Ölschiefer erzeugt wird. Deutschland liegt dazwischen mit einem ca. 40-prozentigen Gesamtvorteil der Elektrofahrzeuge. Durch den Ausbau der erneuerbaren Stromquellen wird sich der EU-Schnitt immer mehr verbessern und der Vorteil der Elektrofahrzeuge immer größer ausfallen.
Nun ist es amtlich: Das E-Auto hat die Nase vorn
Durch die relativ große Ineffizienz eines Verbrennungsmotors sowie die Umwandlungsverluste bei der eFuel-Erzeugung ist das Elektrofahrzeug dem Verbrenner auch dann weit überlegen, wenn statt Benzin eFuels verwendet werden. Denn nur ca. 20 Prozent der eingesetzten erneuerbaren Energie wird in Bewegungsenergie umgesetzt, d.h. eine eFuel-Fahrzeugflotte benötigt fast viermal so viel erneuerbaren Strom wie eine Elektrofahrzeugflotte. Besser als ein Elektrofahrzeug ist aus Klimaschutzgesichtspunkten im Vergleich nur ein kleineres Elektrofahrzeug oder eben gar kein Pkw.
Ganzheitliche Bewertungsmethodik – von Nutzungs- zu Produktionssensitivität
Ganzheitlicher Vergleich der Treibhausgasemissionen eines durchschnittlichen Mittelklasse-Pkw (eigene Darstellung auf Basis einer öffentlichen Ökobilanz im Auftrag der EU).

Die Sozial-Bilanz: Externe Kosten trägt die Gesellschaft
Analog dazu untersuchen Social LCAs die positiven und negativen sozialen Auswirkungen auf Gruppen wie Arbeitnehmende, Kinder, Nachbarschaft, die Wertschöpfungskette inklusive Kunden und die Gesellschaft allgemein. Bei Pkws sind insbesondere die positiven Arbeitsplatzaspekte sowie die typischen negativen sozialen Auswirkungen bei der Öl-, Rohstoff- und Materialgewinnung zu vermerken – so kommt z.B. 9 Prozent des globalen Aluminiums laut Human Rights Watch aus einer Region mit Zwangsarbeit, Verdrängung indigener Bevölkerung sowie weiterer gesellschaftlicher Verwerfungen.
Life Cycle Costing erweitert für den gleichen Lebensweg (siehe Bild 1) die traditionelle Kostenrechnung um Kunden- (Cost of Ownership) und Entsorgungskosten. Es werden also auch Haftungsrisiken der Herstellerverantwortung für Entsorgungskosten mitkalkuliert. Externe Kosten können dabei eingerechnet werden, welche bis dato nicht durch den Verursacher, sondern durch die Gesellschaft oder die Betroffenen getragen werden. Diese können sich z.B. als Einbußen in Touristik und Fischerei bei Öltankerunfällen, als Ernteeinbußen bei Obstbauern durch Bienensterben oder als gesundheitliche Beeinträchtigung durch Emissionen äußern. Diese externen Kosten lassen sich durch verschiedene Methoden quantifizieren und in die Gesamtkostenrechnung einbeziehen – z.B. als Kostenvorteil, wenn durch ein Projekt eben diese Kosten nicht mehr anfallen.
Elektromobilität: Schlüssel zur nachhaltigen Mobilitäts-Transformation
Bei der Gesamtschau dieser Nachhaltigkeitsbewertungen kommen die meisten Automobilhersteller zum Schluss, dass die Elektromobilität der ganzheitlich effektivste und kosteneffizienteste Weg ist, die Klimaziele zu erreichen. Entsprechend sind Investitionsentscheidungen in Richtung der E-Mobilität und der Transformation der Geschäftsmodelle getroffen worden. Die Hersteller geben begleitend zum Wechsel zur E-Mobilität auch Nachhaltigkeitsziele für ihre Zulieferer (und die eigene Produktion) vor, bis wann und um wieviel die CO2-Emissionen gesenkt bzw. auf null gebracht werden müssen, um auch den schwarzen Teil der Abbildung 2 zu adressieren. So haben etwa VW, Ford und Volvo Ziele für Zulieferer einschließlich Zwischenziele für 2030 oder 2035 definiert. Gleichzeitig werden durch Automobilhersteller-spezifische und branchenweite Initiativen (z.B. Drive Sustainability) die Lieferketten nach sozialen und ökologischen Kriterien über den Klimaaspekt hinaus verbessert.
Eine ganzheitliche Sichtweise ist für nachhaltiges Wirtschaften entscheidend, um fundierte Investitionsentscheidungen zu treffen. Nur so können mögliche trade-offs (z.B. zwischen Kosten, sozialen oder ökologischen Auswirkungen) im eigenen Unternehmen, aber auch entlang der Wertschöpfungskette identifiziert und adressiert werden.
Dr.-Ing. Wulf-Peter Schmidt ist Stiftungsprofessor für Technisches Nachhaltigkeitsmanagement an der CBS International Business School. Er unterstützt die Kooperation zwischen forum Nachhaltig Wirtschaften und der EBS Executive School, die zahlreiche Sustainable Finance-Zertifikatsprogramme anbietet. Bis April 2024 hat Schmidt 26 Jahre im Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich von Ford gearbeitet, die letzten 10 Jahre als europäischer Direktor und sich damit eine tiefgreifende Expertise in dieser Branche und Aufgabenstellung erarbeitet.
Dieser Artikel ist in forum 02/2025 - Save the Ocean erschienen.
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