Fritz Lietsch
Lifestyle | Mode & Kosmetik, 16.11.2024
Pioniergeist in der Garage
Der Kampf um ein wirklich 100 Prozent biobasiertes Next-Gen Material
Ein konsequentes Next-Gen-Material – entwickelt von einem der führenden Lederhersteller? Kaum vorstellbar. Aber einmal Pionier, immer Pionier. Das gilt für den "Leatherman" Tom Schneider, der als Gerber und Unternehmer schon maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die Lederherstellung umweltfreundlicher und eine internationale Leather Working Group eingerichtet wurde. Doch auch bei 100 Prozent biobasierten Materialien will der internationale Vorreiter jetzt Maßstäbe setzen und bittet dafür um Mithilfe und Zusammenarbeit.

Das Versuchslabor im Schwarzwald
Schneider und Hengstmann, beide Deutsche, gingen für die Zeit des Lock-Downs nach Deutschland. Anstatt die Zeit untätig zu verbringen, verwandelten Schneider und Hengstmann, Schneiders Garage in ein provisorisches Labor. Sie bestellten Maschinen und Chemikalien und begannen mit der Entwicklung eines innovativen Materials, das auf Austernpilzen basieren sollte. Als organisches Trägermaterial wählten sie FSC-zertifizierte Viskose, ein Non-Woven-Material mit transparenter Lieferkette.
Die frischen Pilze wurden mit einem handelsüblichen Entfeuchter getrocknet und mithilfe einer elektrischen Kaffeemühle verarbeitet. Durch zahlreiche Versuche sammelten sie wertvolle Erkenntnisse, während sie gleichzeitig die Marke HyphaLite und die zukünftige ISA-Geschäftseinheit „COSM – Creation of Sustainable Materials" ins Leben riefen.
Ein neues, 100 Prozent biobasiertes Material

Ende 2020 kehrte das Team an den ursprünglich geplanten Standort in Vietnam zurück, wo die Entwicklung mit neuem Personal und Maschinen weiter vorangetrieben wurde. 2021 wurde HyphaLite intensiv getestet und 2022 schließlich auf den Markt gebracht.
Von Anfang an konsequent ökologisch
Von Anfang an setzten Schneider und Hengstmann auf ökologische Grundsätze. Für HyphaLite werden ausschließlich zertifizierte Rohstoffe verwendet, darunter FSC-zertifizierte Viskose und Lyocell sowie zertifizierter Latex. Die eingesetzten Chemikalien sind ZDHC MRSL-zertifiziert und besitzen das Cradle-to-Cradle-Materialgesundheitszertifikat. Hengstmann ist stolz auf das Ergebnis: „Das Material ist Oeko-Tex 100 zertifiziert, besteht alle Schadstofftests und ist zu 100 Prozent biobasiert sowie zu 93 Prozent biologisch abbaubar."
ISA TanTec nutzt zudem keine Pilze aus der Lebensmittelindustrie, sondern greift auf Pilz-Abfälle zurück, die nicht den Standards der Lebensmittelindustrie entsprechen. Diese Abfälle, die oft entsorgt oder als Futtermittel verwendet werden, bieten eine nachhaltige und wirtschaftliche Lösung für alle Beteiligten, denn der Ankauf von Ausschuss-Pilzen generiert zusätzliches Einkommen für regionale Pilzzüchter.

Im Jahr 2023 wurde HyphaLite mit dem international anerkannten Green-Product-Award ausgezeichnet. Die Ergebnisse einer Lebenszyklusanalyse zeigen einen CO2-Fußabdruck von nur 4,17 kg CO2eq/kg (Leder ISA 10,4 / Leder konventionell 15 / Kunstleder 7,8 / Acry 15 / Polyester 9,6).
«Das Bewusstsein für Next-Gen Materialien muss geschärft werden, damit diese von den Konsumenten aktiv nachgefragt werden.»
Tom Schneider
Tom Schneider
Die Macht der Marken
Inzwischen verwenden 15 internationale Marken HyphaLite in ihren Schuhkollektionen. Über 40 weitere Marken prüfen das Material und geben Feedback für die Weiterentwicklung. Doch die Akzeptanz neuer Materialien ist bei den Schuherstellern begrenzt. Viele sind skeptisch und erwarten, dass neue Optionen nicht nur mit Leder, sondern auch mit synthetischen Materialien konkurrenzfähig sind – in Bezug auf Aussehen, Haptik und physikalische Belastbarkeit. Schneider warnt: „Das ist ein Verlangen, das jede Innovation abwürgt."
Trotz der vielversprechenden Eigenschaften von Next-Gen Materialien sind die Herausforderungen erheblich: Auch die Preise für diese neuen Materialien müssen mit bestehenden Optionen konkurrieren können. „Das ist eine „Quadratur des Kreises", wettert Schneider. Wir Hersteller sollen von Anfang an sicherstellen, dass unsere Produkte nicht nur ökologischer und billiger sind, sondern auch noch den hohen Erwartungen der Verbraucher und Marken gerecht werden.
Dabei bietet HyphaLite zahlreiche Vorteile gegenüber herkömmlichen synthetischen Materialien: einen geringeren CO2-Fußabdruck, die Verwendung nachwachsender Rohstoffe, keine Mikroplastikbelastung für Umwelt und Gewässer sowie eine angemessene biologische Abbaubarkeit.
Feuer und Flamme für Next-Gen
COSM hat sich als zweite Geschäftseinheit bei ISA TanTec etabliert und widmet sich der Entwicklung nachhaltiger Materialien. HyphaLite ist das erste erfolgreiche Produkt, das kontinuierlich weiter optimiert wird, um speziellen Kundenwünschen gerecht zu werden. Trotz dieser Fortschritte bleibt die Realität herausfordernd: Die Akzeptanz neuer Materialien ist bei Schuherstellern nach wie vor begrenzt.
Ein entscheidender Aspekt ist die Kommunikation. Material- und Schuhersteller sollten gemeinsam Kampagnen entwickeln, um Verbraucher besser zu informieren und ihr Interesse an nachhaltigen Produkten zu wecken. Das Bewusstsein für Next-Gen Materialien muss geschärft werden, damit diese von den Konsumenten aktiv nachgefragt werden.
HyphaLite ist nicht nur ein Schritt in die richtige Richtung, sondern ein Beispiel dafür, wie kreative Lösungen und Zusammenarbeit neue Standards in der Materialentwicklung setzen können. Die Herausforderung besteht nun darin, die Akzeptanz bei Herstellern und Verbrauchern zu erhöhen, um den Übergang zu einer nachhaltigeren Zukunft zu beschleunigen.
Von Fritz Lietsch
Der SDG#17 Appell zur Zusammenarbeit
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Weitere, spannende Information über die umweltfreundliche Herstellung von Leder, über die extreme Preispolitik der Marken, die scharfen Zertifizierungsvorgaben amerikanischer Hersteller und natürlich die Entwicklung wirklich nachhaltiger Next-Gen Materialien finden Sie auf forum im umfangreichen Interview mit Tom Schneider und Reiner Hengstmann.
Hinweis: forum berichtet 2025 über die Entwicklungen von Next-Gen Materialien – auch in anderen Branchen von der Auto- bis zur Stahlindustrie.
Dieser Artikel ist in forum 01/2025 ist erschienen - Pioniere der Hoffnung erschienen.
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