Gesellschaft | Politik, 01.09.2024
Wes Brot ich ess …
Verkauft der Lobbyismus unsere Demokratie?
Die Politik hat es schwer. Mächtige Lobbys sitzen ihr im Nacken und wirken fortdauernd auf sie ein – versprechend, verlockend oder sogar drohend. Umwelt und Soziales haben oft das Nachsehen. Der Erfahrungsbericht eines ehemaligen Abgeordneten öffnet die Augen für diese Schwachstellen und zeigt Möglichkeiten zur Abhilfe.
Ich war 19 Jahre als Bundestagsabgeordneter im Umweltausschuss. Um jeden Euro mussten wir damals kämpfen. Und eine Chance auf Genehmigung des Geldes gab es nur, wenn wir gleichzeitig Ausgaben an anderer Stelle im Umwelthaushalt streichen konnten. Dabei ging es der Regierung immer darum, möglichst wenig für die Umwelt aufzuwenden, während für Rüstungsprojekte, Subventionen und Rettungsaktionen für Banken, Airlines und Autokonzerne immer genügend zusätzliche, riesige Geldsummen vorhanden waren.Beim Haushalt beweist sich, was die schönen Reden und die Versprechungen im Wahlkampf wirklich wert sind. Meine Erkenntnis: Dort, wo es um die Interessen der Profitlobby ging, wurde nie gespart …
Ungleiche Interessenvertretungen
Und damit zum Thema Lobbyismus. Natürlich ist es wichtig, dass es einen Austausch der Politik mit der Bevölkerung gibt und damit auch mit den unterschiedlichen Interessenvertretungen. Lobbyorganisationen sind von daher nichts per se Schlechtes. Diese sollten sogar gestärkt werden, weil gerade der Austausch mit der „einfachen" Bevölkerung kaum noch stattfindet. Doch mit der finanziellen und personellen Ausstattung der Lobbys entsteht ein massives Ungleichgewicht. Lobbys mit viel Geld sind ohnehin schon sehr einflussreich und privilegiert. Dagegen haben finanzschwache Lobbys oder gar einzelne Menschen sehr wenig Möglichkeiten und Mittel, ihre Interessen zu vertreten. Die meisten verzichten deshalb gänzlich darauf. Aber auch andere Beteiligungsmöglichkeiten des Volkes, wie Petitionen und Proteste erreichen die Politik immer weniger. In 16 Jahren in der SPD-Bundestagsfraktion haben wir nur sehr, sehr selten über eine Petition oder über Proteste und deren Anliegen diskutiert. Dagegen war bei fast jedem Gesetz der Einfluss einzelner Lobbys massiv spürbar. Auch die Gruppen, die hauptsächlich ideelle Ziele verfolgen, sich also zum Beispiel für soziale oder ökologische Belange einsetzen, haben meist keine großen finanziellen Möglichkeiten. Dagegen beschäftigen Konzerne viele gutbezahlte Lobbyisten, die nichts anderes tun, als die Profipolitik und teilweise auch die Medien und die Öffentlichkeit zu beeinflussen.
Ich möchte das Missverhältnis an einem Beispiel deutlich machen, das ich als energiepolitischer Sprecher der Fraktion selbst erlebt habe: Mein früherer Fraktionsvorsitzender Peter Struck hatte – wie die meisten seiner Kollegen der anderen Fraktionen auch – einen heißen Draht zu den Vorstandsetagen der großen Energieversorger. Er besprach oder traf sich regelmäßig mit diesem Personenkreis. Dagegen traf Struck nur einmal in vier Jahren alle Umweltverbände für 1,5 Stunden, wo jedem Verband nur wenige Minuten zur Verfügung standen.Die Allgegenwart der Profitlobbys
Von allen Lobbyisten, die sich hauptberuflich in Berlin tummeln, gehören mehr als 80 Prozent der Profitlobby an, das heißt Konzernen oder Auftraggebern, die den eigenen Profit im Auge haben müssen. „Müssen" deshalb, weil sie natürlich auch in Konkurrenz zueinander stehen und ohne ihre Lobbyarbeit einen Wettbewerbsnachteil erfahren würden. Einladungen zum Essen, zu aufwändigen Veranstaltungen und sonstigen Ereignissen können sich nur die wenigsten Vereine und NGOs leisten. Diese werden von den Abgeordneten aber gern angenommen – und genau dort findet der Austausch und die Beeinflussung der Politik am effektivsten statt. Dabei konzentrieren sich die Profitlobbys immer mehr auf die Regierung, weil die Bundestagsmehrheit ohnehin fast alles, was aus der Regierung kommt, abnickt. Für kleine Korrekturen und Halbsätze sind dann manchmal noch die Parlamentarier gut. Und natürlich für die Kontaktaufnahme und den Informationsfluss.
"Im derzeitigen Bundestag unterhalten
schon über 40 Prozent einen oder mehrere
Nebenjobs. Ein Rekordwert, und immer
mehr bezahlt durch die Profitlobby.”
Einflussnahme ist legal
Verboten ist Lobbyismus nur dann, wenn nachweisbar ist, dass die Stimme bei einer Abstimmung oder der Einsatz für ein Gesetz direkt bezahlt wurde. Wenn an einen Politiker während seines Mandats von einer Lobby neben Gefälligkeiten auch einiges an Geld fließt, ist das hingegen vollkommen legal. Abgeordnete können auch Wahlkampfhilfe und Spenden erhalten oder sogar regelmäßige Zahlungen, zum Beispiel für Vorträge oder einen Sitz im Aufsichtsrat. Das beeinflusst jeden Politiker. Ich habe das direkt erlebt. Aber gerade diejenigen Abgeordneten, die viele solcher Kontakte hegen und bezahlt werden, gelten als besonders wichtig, als vorbildlich. Egal ob sie dann ihre eigentliche Arbeit im Bundestag und Wahlkreis vernachlässigen. Im derzeitigen Bundestag unterhalten schon über 40 Prozent einen oder mehrere Nebenjobs. Ein Rekordwert, und immer mehr bezahlt durch die Profitlobby.
Marktkonforme Lobbykratie
AbgeordnetenwatchDie Politik beim Wort nehmenDie Plattform „Abgeordnetenwatch" ermöglicht einen direkten Draht von Bürgern zu ihren Abgeordneten und Kandidierenden. Der Kern des Projektes ist das Frageportal „Bürger fragen – Politiker antworten", über das Bürger mit ihren Volksvertretern in einen öffentlichen, transparenten Dialog treten können. Dabei will der dahinterstehende Verein für eine Verbindlichkeit in den Aussagen der Politiker sorgen, indem er deren Positionen auch Jahre später noch nachlesbar macht. Um eine Begegnung auf Augenhöhe zu ermöglichen, werden alle Fragen und Antworten von Moderatoren gegengelesen und auf einen ethischen Moderations-Kodex hin überprüft. Daneben veröffentlicht der Verein auf seiner Website das Abstimmungsverhalten und die Ausschussmitgliedschaften der Abgeordneten sowie ihre Nebentätigkeiten. In seinem Recherche-Bereich berichtet Abgeordnetenwatch außerdem über Themen wie Lobbyismus, Parteispenden und Transparenz in der Politik. |
Der Lobbyismus führt auf diese Weise zum Ausverkauf der Demokratie. Angela Merkel sprach nicht von ungefähr von der „marktkonformen Demokratie". Wer am meisten investiert, wer am meisten Geld im Rücken hat, beeinflusst am meisten. Alle anderen Interessen haben das Nachsehen oder kämpfen um die Reste. Nicht nur ich bin in der Fachpolitik mit Hilfe von Argumenten und selbst Parteitagsbeschlüssen schnell an Grenzen gestoßen. Es geht nicht um einen demokratischen Diskurs, um Fakten, sondern darum, was die stärkste Lobby behauptet. Mittlerweile tarnt sich der Lobbyismus oft. Er tritt dann unter dem Namen einer Initiative, einer Kanzlei, einer Agentur, sogar von Bürgerbewegungen auf, die ein Gemeinwohlinteresse vorgeben. Die Geldgeber dahinter bleiben geheim. Dieser Lobbyismus wählt zusätzliche Strategien, wie die Konkurrenz mit Schmutz zu überziehen oder die Integrität von Politikern zu zerstören, die nicht so willfährig zu Diensten sind.
Bei den Parteien fängt es an
Bei den Parteien beginnt der Lobbyismus. Diese sind durchsetzt mit Profitlobbyisten und beziehen hohe Spenden und Sponsorengelder von Konzernen. Die Union unterhält sogar einen eigenen Lobbyverband, den CDU „Wirtschaftsrat". Dies ist ein Berufsverband mit 12.000 Mitgliedern und 50 Vorstandsvorsitzenden allein in ihrem Vorstand. Der Wirtschaftsrat hat nicht nur uneingeschränkten Zugang zur CDU, sondern sitzt dort ohne Wahl in deren Vorstand. Hier zeigt sich ganz exemplarisch die Fusion von Politik und Lobby. Kein Wunder, dass immer mehr Menschen sich von den etablierten Parteien und der Profipolitik abwenden.
Doch zurück zum aktuellen Haushalt. Seit dem Frühjahr erlebt man die typischen Diskussionen. Für die Kindergrundsicherung gäbe es kein Geld mehr, mehr sozialen Ausgleich darf es beim Wärmegesetz nicht geben, und so weiter. Es muss gespart werden, die Zeiten der vielen Ausgaben sind vorbei. Über die 40 bis 60 Milliarden Euro, die jährlich in klimaschädliche Subventionen fließen, redet keiner. Allein 28 Milliarden Euro entfallen auf den Verkehrssektor, vor allem auf die Steuerbefreiung von Kerosin, einen verringerten Steuersatz für Diesel, auf die Befreiung internationaler Flüge von der Mehrwertsteuer und auf das Dienstwagenprivileg. Von wegen Klimaschutz kostet Geld – an einigen Stellen könnte mit der Entlastung des Klimas sofort sehr viel Geld eingespart werden.
Der Verkehrssektor – ein Skandal
Gerade im Verkehrssektor werden die festgelegten Emissionsgrenzen bei weitem übertroffen. Aber was passiert? Anstatt wirklich konsequent durchzugreifen, werden die gesetzten Sektorziele abgeschafft oder mit anderen Bereichen verrechnet. Gleichzeitig gibt es zusätzliches Geld für einen Tankbonus und den Autobahnbau. Die existierenden, klimaschädlichen Lobbygeschenke werden weiterhin nicht angetastet. So geht es in einigen Bereichen. Besonders schlimm: Viele Gesetze werden im Vorfeld komplett von Profitlobbyisten diktiert. Die Lobbyallmacht wird deutlich, wenn man sich einen Haushalt und seine Veränderungen wirklich einmal ganz genau anschaut. Aber die meisten Medien senden nur einige markige Sätze politischer Showreden und nehmen sich nicht die Zeit, hinter die Kulissen zu blicken.
Der Ausweg
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Marco Bülow, Lobbyland – Wie die Wirtschaft unsere Demokratie kauft.
Das Neue
Berlin / Eulenspiegel Verlagsgruppe |
Die Politik muss glaubhafter, unabhängiger, sauberer werden. Transparenz ist dabei eine Grundbedingung, doch sie reicht noch nicht aus. Wir brauchen klare Regeln, einen Politik-Kodex. Vor Jahren haben der damalige finanzpolitische Sprecher der Grünen und ich so einen Kodex auf den Weg gebracht, der uns klare Regeln geben sollte, um die Übermacht des Profitlobbyismus wenigstens zu begrenzen. Aber gut 40 Abgeordnete, die dem folgten, verändern wenig. Es müsste ein Gesetz geben, dem alle folgen müssen.
Marco Bülow ist seit 2002 Mitglied des Bundestages und Autor des Buches „Lobbyland". Vier Jahre war er stellvertretender energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. 2018 erklärte er seinen Austritt aus der SPD-Bundestagsfraktion und ist seitdem fraktionslos.
LobbyControl
Eine NGO im Kampf gegen den Lobbyismus
LobbyControl ist ein gemeinnütziger Verein, der über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU aufklärt. Er macht transparent, wer auf Politik und Öffentlichkeit Einfluss nimmt und wie das passiert. Zusätzlich setzt sich der Verein für Schranken dieser Einflussnahme ein. „Uns ist wichtig, dass in unserer Demokratie jede Stimme zählt. Deswegen muss bei politischen Entscheidungen das Gleichgewicht der Kräfte gewahrt sein. Das ist nicht immer der Fall", sagt LobbyControl. Der Verein hat schon einige Erfolge verzeichnet. Der größte: Im Januar 2022 trat das neue Lobbyregister-Gesetz in Kraft. Seit seiner Gründung 2005 hatte sich der Verein vehement für ein solches eingesetzt. Mit dem Lobbyregister gibt es deutlich mehr Transparenz darüber, wer in wessen Auftrag auf die Politik Einfluss nimmt. Im Oktober 2023 wurde es noch einmal ordentlich nachgebessert.
Wie viele Lobbyisten gibt es?
Laut Lobbyregister waren 2023 circa 5.000 juristische Personen als Lobbyisten eingetragen, das sind hauptsächlich Organisationen. Als professionelle Interessenvertreter waren über 12.000 Personen registriert. Dabei handelt es sich nur um Lobbyisten, die direkt auf den Bundestag oder die Bundesregierung Einfluss nehmen. Es fehlen also die Lobbyisten, die ausschließlich auf Landesebene oder auf EU-Ebene arbeiten. Da bisher jedoch nur wenige Bundesländer Lobbyregister haben und der Eintrag im Transparenzregister der EU freiwillig ist, lassen sich dazu keine eindeutigen Angaben machen. Auch besteht das Register erst seit Anfang 2022, sodass davon auszugehen ist, dass sich noch nicht alle eingetragen haben, vermutet LobbyControl. Die Dunkelziffer für Lobbyisten dürfte also noch um einiges höher sein. In Brüssel gibt es schätzungsweise 25.000 Lobbyisten mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro, die Einfluss auf die EU-Institutionen nehmen. Etwa 70 Prozent von ihnen arbeiten für Unternehmen und Wirtschaftsverbände. Um unabhängig arbeiten zu können, nimmt Lobbycontrol keine Spenden von Unternehmen oder staatliche Mittel an.
Dieser Artikel ist in forum 04/2024 ist erschienen - Der Zauber des Wandels erschienen.
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