Global denken. Lokal handeln. Regional wirtschaften!

Die Wirtschaft ist für den Menschen da


© sxc.hu
Warum er wirtschaftet, verliert der Mensch gern mal aus den Augen. Die Wachstumsgläubigkeit vernebelt leicht den Blick fürs Wesentliche. Wirtschaften wir, um die Aktienkurse hochzutreiben? Um ein Lebenswerk in Form eines Kontos voller Zahlen zu schaffen? Um das Bruttosozialprodukt zu steigern? Für Einzelne mag einer dieser Punkte der persönliche (Hinter-)Grund ihres Wirtschaftslebens sein, für die meisten Menschen ist Wirtschaft jedoch der gesellschaftliche Raum, welcher ihren Lebensunterhalt ermöglicht.

Der Zeitgeist suggeriert, alle Fragen der Grundversorgung der Bevölkerung seien längst geklärt. Der Prozess der Globalisierung setzte Prioritäten derart, dass dem Export mehr Bedeutung zugemessen wurde als der Binnenwirtschaft, dass gigantische globale Strukturen und Organisationen bedeutsamer schienen als der Mittelständler um die Ecke. Doch spätestens die Finanzkrise rückt die Konsequenzen von einseitig aufs Globale ausgerichteten Wirtschaftsstrukturen ins allgemeine Bewusstsein: Die riesigen Strukturen sind für den Einzelnen unüberschaubar und unbeeinflussbar. Und doch wirken selbst weit entfernte Ereignisse auf das lokale Geschehen zurück: Die sinkenden Immobilienpreise in den USA im Jahr 2007 waren der Auslöser der heute an vielen Orten des Planeten spürbaren Finanzkrise. Steigende Zinsen, eine restriktivere Kreditvergabe und die schlechte Stimmung von Unternehmern und Verbrauchern wirken sich bereits auf das hiesige Wirtschaftsgeschehen aus.

Eine konsequent betriebene globale Spezialisierung und Arbeitsteilung mag hocheffizient sein, sie schafft jedoch regionale Monokulturen und damit gefährliche Abhängigkeiten. Nachhaltig ist das nicht. Wer will in Regionen leben, die sich auf Tourismus spezialisieren, wenn die Touristen ausbleiben? Wer will in Automobilbauzentren leben, wenn Peak Oil die Ölpreise explodieren lässt? Regionen sollten die Grundversorgung ihrer Bewohner künftig in Form von Lebensmitteln, Wohnraum, menschennahen Dienstleistungen, Energie, Bildung, Kultur und Mobilität aus sich selbst heraus erbringen können. Sind sie dazu nicht in der Lage, sind sie im globalen Rahmen denkbar schlecht aufgestellt.

Für den Kunden nur das Beste

Für die Einzelhandelskette Edeka sind ähnliche Gedanken bereits in der Firmenphilosophie angekommen und werden in wirtschaftlichen Vorteil umgemünzt. Der Händler tut dabei nichts anderes, als auf das geänderte Verbraucherverhalten zu reagieren. Denn immer mehr Menschen wollen nicht nur wissen, wie viel ein Produkt kostet, sondern auch, woher es stammt. "Der Verbraucher will wieder wissen, was er isst", erklärt Jacqueline Beerhold aus der Abteilung Regionalität. Seit 2004 verfolgt Edeka das Regionalitäts-Konzept "Bestes aus unserer Region".

Es ist eine betont eng gefasste Definition des Regionalitäts-Gedankens: Denn nur Lieferanten im Umkreis von 30 Kilometern um den jeweiligen Markt werden als Regionalpartner gelistet und gekennzeichnet. Diese liefern in der Regel direkt in den Markt. Edeka verfolgt dabei den Ansatz einer Ausrichtung auf Personen statt auf Großstrukturen und profitiert davon, dass ortsansässige Produzenten in ihrer Heimatregion bekannt sind und Vertrauen genießen.

Kürzlich ist die Edeka-Regionalgesellschaft Nordbayern/Sachsen/Thüringen zudem eine Kooperation mit der Non-Profit-Organisation Slow Food eingegangen, die ebenfalls auf die 30-Kilometer-Grenze setzt. Ein Ziel von Slow Food ist die Bewahrung der regionalen Geschmacksvielfalt. Die Kooperation sieht vor, dass regionale Produkte, die nach den Slow-Food-Kriterien "gut, sauber, fair" hergestellt werden, den lokalen Edeka-Märkten angeboten werden können.

Slow-Food-Modell trägt Früchte

Georg Schenk betreibt eine Obstbrennerei und ist seit 1996 überzeugter Slow-Food-Aktivist. Sein Interesse am Erhalt alter Obstsorten führte ihn zu der Frage, wie man diese wirtschaftlich nutzen könnte. Das Resultat sind mehrfach ausgezeichnete Destillate, ein florierendes Unternehmen und eine Firmenphilosophie, die konsequent auf Qualität und Regionalität setzt. "Den überwiegenden Teil unserer Obstsorten beziehen wir aus dem Umkreis von 20 Kilometern", sagt Schenk, den Anteil regionaler Zulieferungen am Endprodukt schätzt er auf über 90 Prozent. Regionale Wirtschaftskreisläufe statt Monokulturen will er schaffen und befördert Nachhaltigkeit dadurch auf ganz besonderem Wege: Als die Stadt Moritzburg, 15 Kilometer nördlich von Dresden gelegen, aufgrund gesetzlicher Regelungen Wiesen bepflanzen sollte, überzeugte Georg Schenk den Bürgermeister davon, auf Obstbäume zu setzen. Die Angst des Stadtoberhauptes vor faulenden Früchten zerstreute ein Pachtvertrag, der Schenk das Obst seltener Arten sichert und Moritzburg Biodiversität im Stadtgebiet. Das Modell soll Schule machen und künftig in die Raumplanung einfließen.

Regiogeld schafft Bewusstsein

Sehr tief in die regionalen Wertschöpfungsketten eingreifen will Christian Gelleri. Er begründete 2003 den Chiemgauer, das Regiogeld im Chiemgau. Ein Netzwerk aus über 600 Unternehmen wurde mit Hilfe des regionalen Zahlungsmittels bereits geknüpft, die alle zusätzlich zum Euro auch Chiemgauer akzeptieren. Und sich damit auch der Regel unterwerfen, dass Erlöse in Regiogeld immer wieder in derselben Region ausgegeben werden müssen. Das führte unter anderem dazu, dass der Anderlbauer für seinen Schafskäse Abnehmer in der Region fand, die vorher nicht zu seinen Kunden zählten. Und auch er sich überlegen muss, woher er eigentlich seine Zulieferleistungen bezieht. "Isolierte Lösungen führen nicht zur Nachhaltigkeit", sagt Gelleri. "Das Geldthema eignet sich sehr gut zur Themenvernetzung", meint er und nennt zwei Beispiele, die sein Kernthema berührt: kurze Transportwege und den Bewusstseinsprozess der Regiogeld-Nutzer. Die Hälfte aller Produkte und Leistungen könnte nach Gelleri regional erbracht werden, die andere Hälfte durch überregionalen und globalen Warenaustausch.

Es existieren also Ansätze und Instrumente, die Globalisierung um Regionalisierung ergänzen können. Ein "zurück zum menschlichen Maß", wie Leopold Kohr es forderte, könnte eine Ökonomie der Nähe auslösen. Kurze Transportwege, eine erhöhte Stabilität durch Redundanz und für das Individuum beeinflussbare Strukturen wären das Ergebnis. Vielleicht würde dann auch wieder deutlicher werden, dass nicht der Mensch für die Wirtschaft, sondern die Wirtschaft für den Menschen da ist.




Im Profil

Norbert Rost beschäftigt sich als Wirtschaftsinformatiker mit Bausteinen zur Regionalentwicklung. Sein Schwerpunkt sind regionale Anreizsysteme jenseits der Fördermittelmentalität.

Telefon +49 (0)351 / 4 46 60 69
E-Mail norbert.rost@regionalentwicklung.de

www.regionalentwicklung.de


Quelle:
Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 12.12.2008

     
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