Wohnopoly - Wenn Wohnen der Rendite dient

Das Thema Miete ist die soziale Frage unserer Zeit.

74 Prozent der Menschen haben Angst, ihre Wohnung zu verlieren. Doch Mietenwahnsinn für die einen ist ein wahrer Goldrausch für die anderen. Wie sieht der Ausweg aus?

© 123rf/Sira AnamwongMillionen Menschen hierzulande haben ein immer größer werdendes Problem: Die Mieten steigen rasant an und das längst nicht mehr nur in den Ballungszentren. Zudem wird die Wohnungsnot immer größer: Menschen werden aus Wohnungen gekündigt, in denen sie teilweise jahrzehntelang gelebt haben. Familien finden keine bezahlbare Wohnung im Umkreis von Arbeit, Schule und Kita.

Auf der anderen Seite schütten die börsennotierten Wohnungskonzerne Jahr für Jahr Dividenden in Milliardenhöhe aus, und es wird landauf, landab mit Immobilien und Boden spekuliert. Das Wohnen ist zu einem Geschäft geworden, bei dem einige gewinnen und die meisten verlieren. Mit unseren Städten wird Monopoly gespielt. Die Folge: Der Immobilienboom spaltet unsere Gesellschaft.

Die Kardinalfehler der Vergangenheit
Die Gründe für diese Misere reichen teils viele Jahre zurück. Das Sündenregister der deutschen Wohnungspolitik umfasst hierbei verschiedene Kardinalfehler. Als erster Kardinalfehler ist die Abschaffung der Mietpreisbegrenzung zu nennen. Wussten Sie, dass es in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg bis in die 1980er Jahre eine gesetzliche Mietpreisobergrenze gab? Erst der sogenannte Lücke-Plan, den die Adenauerregierung auf Druck der Immobilienlobby 1963 verabschiedet hatte, regelte die Abschaffung der Mietpreisbegrenzung Stück für Stück für die kommenden Jahrzehnte. Heute wird man für die Idee einer wirksamen Begrenzung der Mietpreise nicht selten als Kommunist*in beschimpft.

Der zweite Kardinalfehler der deutschen Wohnungspolitik war die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit im Jahr 1990. Dieses Gesetz nahm mehr als 1800 zumeist kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen die Steuervorteile weg, also genau jenen Unternehmen, die ihre Wohnungen gemeinwohlorientiert und mit niedrigen Mieten vermieteten. In der Folge stiegen vielerorts die Mieten und einstmals kommunale Wohnungsbestände wurden verkauft.

Ein weiterer entscheidender Fehler in der deutschen Wohnungspolitik ist die rot-grüne Steuerreform aus dem Jahr 2000. Durch diese Reform wurde dem Finanzkapital der rote Teppich in Richtung Wohnungsmarkt ausgerollt. Gewinne aus der Veräußerung von Immobilienverkäufen mussten nicht mehr länger versteuert werden. Die Immobilienparty für Fonds und Konzerne begann.

Darüber hinaus wurden seit Mitte der 1990er Jahre mehr als eine Millionen Wohnungen privatisiert. Allein der Bund verkaufte zwischen 1994 und 2013 mindestens 353.000 Wohnungen – zumeist zu überaus günstigen Preisen. Die aus den Privatisierungen entstandenen Wohnungskonzerne machen mittlerweile horrende Gewinne, finanziert durch die Mieter*innen und den Staat.

Der letzte zentrale Kardinalfehler der deutschen Wohnungspolitik ist der Niedergang des sozialen Wohnungsbaus. Gab es in den 1980ern noch knapp vier Millionen Sozialwohnungen, so ist der Bestand im Jahr 2021 auf 1,1 Million gesunken.

Alles in allem muss also konstatiert werden, dass in den letzten Jahrzehnten die erfolgreichen Instrumente der Wohnungspolitik Stück für Stück über Bord geworfen wurden und stattdessen der finanzmarktgetriebene Kapitalismus auf dem Wohnungsmarkt Einzug hielt. Die Folge: Mieterinnen und Mieter kamen unter die Räder und wurden zu den Melkkühen der Nation.

Direkt in die Taschen der Aktionäre
Wie genau haben sich die genannten Kardinalfehler ausgewirkt? Zunächst einmal haben sie den Aufstieg der Wohnungskonzerne ermöglicht und ihre zweifelhaften Methoden salonfähig gemacht. Dazu zählen unter anderem fehlerhafte Nebenkostenabrechnungen oder teure Sanierungen, die die Mieten dauerhaft in die Höhe schnellen lassen. Zudem schöpfen die börsennotierten Wohnungskonzerne mit ihren mehr als eine Million Wohnungen auch weitere Möglichkeiten aus, um die Miete zu erhöhen. So erhöhte beispielsweise „Vonovia" die Mieten im Zeitraum von 2013 bis 2017 durchschnittlich um sage und schreibe 18,3 Prozent. All diese Mechanismen lassen die Gewinne des Konzerns sprudeln: Jedes Jahr werden so hunderte Millionen Euro an Dividende ausgeschüttet. Ich habe das einmal nachgerechnet, und die Zahlen sind erschütternd: Pro Wohnung, die Vonovia besitzt, wandern pro Monat durchschnittlich 190 Euro von den Mieter*innen direkt in die Taschen der Aktionäre.
 
Monopoly real: Häuser dienen Investoren als Anlageobjekt. Die Mieter kommen für die Gewinne auf.
 
Doch nicht nur in Deutschland ansässige Firmen profitieren von der Rallye am Immobilienmarkt. Auch für internationale Spekulanten ist Deutschland ein wahres Eldorado. Über die Hälfte der privatisierten Wohnungen kauften internationale Investoren und Fonds. Die Preise am deutschen Immobilienmarkt kennen seit der Finanzkrise 2008 nur eine Richtung: nach oben. Das hat sich auch längst international herum gesprochen. Staats- und Rentenfonds anderer Länder investieren hierzulande Milliarden in Wohnungen und treiben damit die Mieten immer weiter in die Höhe.

Ein Problem für die Demokratie ist außerdem die Intrans­parenz auf dem Immobilienmarkt. Denn dadurch, dass Grundbücher nicht öffentlich einsehbar und Behörden überfordert sind, wissen wir oftmals schlicht nicht, ob die Häuser in unserer Straße einem Konzern, einem Oligarchen oder einer Briefkastenfirma gehören. Entsprechend schwer ist es für Mieter*innen, ihre Rechte geltend zu machen.

Eine Lobby treibt ihr Unwesen
Nun stellt sich die Frage, wie das alles möglich ist und warum die Politik keine ausreichenden Maßnahmen gegen die zahlreichen Missstände auf den Weg bringt. Ein zentraler Grund dafür ist die große und mächtige Immobilienlobby, die in der Hauptstadt ihr Unwesen treibt. Aber auch populäre Mythen über einen Markt, der alles richtet, gute Investoren oder die „faulen" Menschen in Sozialwohnungen haben die wohnungspolitische Debatte in Deutschland über viele Jahre beeinflusst und den Blick auf das Wesentliche verstellt. Konservative Scheindebatten über das angeblich kommunistische Schreckgespenst der Vergesellschaftung schüren bei vielen Menschen Ressentiments und lenken von der eigentlich wichtigen Tatsache ab, dass in unseren Städten Großkonzerne Milliardenprofite auf dem Rücken der Mieter*innen machen, und dass die Gesellschaft gut daran täte, genau dies zu ändern.

Doch zurück zum Lobbyismus im Immobilienbereich: Wussten Sie, dass nur elf Lobbyisten der Mieterlobby ganzen 144 hauptamtlichen Lobbyisten der Vermieterseite gegenüberstehen? Doch nicht nur das: Während die Lobby der Mieter*innen pro Jahr rund 210.000 Euro zur Verfügung hat, besitzen die Lobbyisten der Vermieter ein Jahresbudget von rund 8,5 Millionen Euro. Damit steht der Vermieterlobby jährlich rund 40 Mal mehr Geld zur Verfügung, um ihre politischen Interessen zu artikulieren. Ein Missverhältnis, das sprachlos macht; das allerdings auch so manche politische Entscheidung zum Wohle der Vermieterseite erklärt.

Darüber hinaus zeigt sich die Immobilienwirtschaft auch großzügig mit regelmäßigen Spenden an Parteien. Nach konservativen Berechnungen sind seit dem Jahr 2000 knapp neun Millionen Euro aus der Immobilienbranche in die Politik gewandert. Hauptprofiteure sind die CDU und die FDP – die einzige Partei, die keine Spenden von Unternehmen und Konzernen annimmt, ist DIE LINKE. Wer wie die CDU in den vergangenen 20 Jahren rund sechs Millionen Euro von der Immobilienbranche bekommen hat, wird sicherlich zu der ein oder anderen Gefälligkeit bereit sein. Ganz nach dem Motto: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.

Die Auswege
Doch was kann getan werden, um den Mietenwahnsinn aufzuhalten und zu einer gemeinwohlorientierten Wohnungspolitik zurückzukehren? Dazu brauchen wir ein beherztes Eingreifen der Politik und vor allen Dingen viel Druck von Seiten der Mieter*innen. Als wichtige politische Maßnahme zur Bekämpfung steigender Mieten ist zunächst ein bundesweiter, atmender Mietendeckel zu nennen. Bis zu einer Million Haushalte könnten von einem solchen Deckel profitieren und ihre Miete absenken. Der für mich zentralste Punkt ist allerdings die Wiedereinführung der Wohnungsgemeinnützigkeit und die Förderung einer gemeinnützigen Wohnungswirtschaft. Unternehmen, die sich verpflichten, bestimmte Gewinnhöhen nicht zu überschreiten, erhalten im Gegenzug Steuervorteile und besondere Förderung. Für viele große Investoren würde der Wohnungsmarkt dann unattraktiv, der Renditedruck würde sinken und die Mieten würden fallen. Kombiniert werden könnte die neue Wohnungsgemeinnützigkeit auch mit Förderprogrammen für den klimagerechten Umbau des Gebäudebestands.
 
forum Medientipp:
 
Caren Lay

Wohnopoly

Wie die Immobilienspekulation
das Land spaltet und
was wir dagegen tun können. 
 
Westend, 2022

 

Grundlegend müssen aber auch weitere Missstände beseitigt werden, wie beispielsweise die völlige Intransparenz im Immobiliensektor. Hier braucht es ein bundesweit einsehbares, zentrales Immobilienregister. Zudem muss stärker als bisher gelten: Häuser und Wohnungen sind zum Leben da und nicht für Profite. Das Recht auf eine Wohnung ist ein Menschenrecht. Daher braucht es wirksame Maßnahmen gegen die Macht der Konzerne und Fonds. Dazu gibt es zahlreiche Vorschläge, die vor allen Dingen das Steuerrecht betreffen, wie beispielsweise die Abschaffung der Share Deals und die Abschaffung der Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen. Wir brauchen einen lokal organisierten Wohnungsmarkt, der den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Dafür müssen wir gemeinsam streiten. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass sich im Bereich der Wohnungspolitik grundlegend etwas ändern muss, wenn dieses Land nicht auseinanderfallen soll.

Caren Lay ist Politikerin der Partei DIE LINKE und seit 2009 Mitglied des deutschen Bundestags.

Lifestyle | Geld & Investment, 17.11.2023
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2023 mit dem Schwerpunkt Innovationen & Lösungen - Innovationen und Lösungen für Klima und Umwelt erschienen.
     
        
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