Erstmal aufgeräumt Schlamm und Schutt sind beseitigt …

… der Wiederaufbau jedoch dauert noch viele Jahre und die Elementarversicherungspflicht für Wohngebäude wurde wieder verschoben

Als sich das Sturmtief Bernd im Juli 2021 im Westen Deutschlands und in benachbarten Ländern zu einer verheerenden Katastrophe entwickelte, war das Ahrtal hauptbetroffen. Ein Besuch dort zeigt, dass noch viel zu tun bleibt, um zur Normalität zurückzukehren und um zukünftig in Deutschland besser vorbereitet zu sein. Mit Spannung wurden deshalb Maßnahmen des Gesetzgebers erwartet. Doch nach der gestrigen Beschlusslage sind jetzt die Versicherungen wieder gefragt.

Die Brücke über die Ahr wird wieder aufgebaut – doch Gesetzgeber und Versicherungen stehen noch vor großen Herausforderungen. © Mathias WarlichDie Länder sind sich unverändert einig, eine Pflichtversicherung für Elementarschäden an Wohngebäuden einführen zu wollen. Ein konkreter Regelungsvorschlag war für die gestrige Ministerpräsidentenkonferenz angekündigt. Auch angesichts vieler anderer drängender, aktueller Themen wurde dann überraschenderweise in der Pressekonferenz nur kurz verkündet, dass der Bundesjustizminister der Pflichtversicherung eine Absage erteilt hat. Hintergrund ist, dass nach Abstimmung in der Bundesregierung privaten Haushalten in der aktuellen Lage nicht weitere Kosten aufgebürdet werden sollen. Sollten die Bundesländer eine Pflichtversicherung wünschen und für richtig halten, wäre ihnen die Einführung rechtlich möglich. Die Gesetzgebungskompetenz dafür haben sie nach dem Grundgesetz, soweit der Bund selbst keine Regelung getroffen hat. Insoweit geht nun das Warten auf die von der Branche oft mit Recht kritisierte, starke Regulierung weiter und es besteht die Möglichkeit eines Flickenteppichs von Länderregeln. Die Zeit muss genutzt werden, denn an Gefährdungssensibilisierung, Risikoberatung und Prävention kann und muss unverändert gearbeitet werden. Und, die Elementarversicherungsdichte kann auch ohne Versicherungspflicht durch kundenorientierte Bestandsumstellungsangebote konsequent gefördert werden. So können Versicherer ihr potenziell besseres Leistungsangebot unter Beweis zu stellen und damit der ungeliebten Elementar-Pflichtversicherung entgehen.

Naturereignisse werden immer dramatischer!
Über die Notwendigkeit einer Verbesserung der Katastrophenprävention besteht weitgehende Einigkeit in der Politik und bei allen Interessenvertretern. Vielfach ist es nachgewiesen, dass dies wesentlich kostengünstiger ist als ein langwieriger Wiederaufbau – ganz abgesehen von der Vermeidung menschlichen Leids. Und so gibt es auf Länder- und Gemeindeebene viele Initiativen, die sich zur Stärkung der Klimaresilienz mit der Erstellung von Gefahrenkarten, Förderung von Präventionsmaßnahmen, Überprüfung von Überschwemmungs- und Baugebieten sowie baurechtlichen Vorgaben und Verboten beschäftigen. Ebenso wird die Frühwarnung vor sowie die Verantwortlichkeiten während und nach einem schweren Ereignis überarbeitet. Wie sich die Versicherungswirtschaft hier einbringen kann, zeigt beispielsweise die Zurich Flood Resilience Alliance, eine sektorübergreifende Partnerschaft, die seit 2013 weltweit Überschwemmungskatastrophen analysiert. Die bisher umfangreichste und komplexeste Studie wurde über den Sturm Bernd verfasst und enthält eine Fülle von Handlungsempfehlungen für die Zukunft. Die Notwendigkeit der Überarbeitung des Katastrophen- und Risikomanagements überrascht nicht. Überraschender ist es, welche zentrale Rolle die Feuerwehr für den Katastrophenschutz spielt, in kleinen Gemeinden häufig sogar im Ehrenamt arbeitend. Deshalb ist es ist absolut unverständlich, wenn das Bundesministerium des Inneren angesichts überlasteter Rettungsdienste und zu verbesserndem Zivil- und Katastrophenschutz plant, die Ausgaben hierfür insgesamt zu kürzen.

Resilienzverbesserung lohnt sich
Dagegen will die EU mit der Taxonomie-Verordnung den Finanzfluss in Richtung Nachhaltigkeit und damit auch Prävention steuern. Das ist gut, denn viele technische Schutzmaßnahmen sind ausbaubedürftig. Durch die großen Schadenereignisse der letzten Jahre stehen die Risiken Hochwasser und Starkregen in Deutschland im Fokus. Allerdings werden klimawandelbedingt auch Schäden durch Wind, Erdrutsch, Sturmflut sowie Dürre und Waldbrand wahrscheinlicher. Einen Lösungsvolltreffer landet deshalb das Berliner Start-up ewind mit einem Präventionsangebot, das erneuerbare Energieerzeugung, Starkregenprävention und Wasserspeicherung miteinander kombiniert. An erosionsgefährdeten Hanglagen werden Photovoltaikanlagen errichtet, deren Fundamente als Flutmauern oder Wasserspeicher ausgebaut sind. Eine gleichzeitige Agrarnutzung ist dabei ebenfalls möglich. Innovationen dieser Art sind dringend notwendig und erfordern die fachübergreifende Zusammenarbeit verschiedenster Branchen und Organisationen.

Die Unterstützung der Versicherungsbranche im Katastrophenfall

Auch nach einem Jahr leben manche Betroffene noch immer in einem Provisorium. Die vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) verkündete Schadenschließungsquote von 75 Prozent für alle, also auch die einfacher zu bearbeitenden Kfz-Schäden, lässt vermuten, dass gerade bei großen Gebäudeschäden noch vieles zu regulieren ist. Die Gründe dafür sind vielfältig, von fehlender Wiederaufbauentscheidung über Handwerkermangel bis zu fehlenden Baumaterialien. Und auch, dass trotz vorhandener Notfallpläne die eigentlich krisenerprobte Versicherungsbranche mit über 200.000 Schadenfällen teilweise selbst „überflutet" wurde. Traumatisierte Kunden und nicht mehr vorhandene Infrastruktur boten zusätzliche Herausforderungen, um Betroffenen wie gewohnt zu helfen.
 
Positiv zu vermerken ist, dass neben der großen Solidarität der Bevölkerung, den unzähligen ehrenamtlichen und freiwilligen Helfern auch Versicherer, Makler und Versicherungsagenten bewiesen haben, dass privatwirtschaftliche Hilfe dem staatlichen Schadenmanagement oft überlegen ist. Dennoch stellt sich auch für die Versicherer die Frage, was hat sich bewährt? Wie kann Versicherung noch mehr Wirkung für Katastrophenbetroffene erzeugen? Was muss besser werden?

Extremwetterereignisse werden zunehmen, sie dürfen sich aber nicht zu menschlichen Katastrophen entwickeln!

Entscheidend für ein gutes Schadenmanagement im Katastrophenfall ist es, kurzfristig maximale Bearbeitungskapazitäten zu mobilisieren. Wie beispielsweise die Bayerische, Barmenia oder auch die Alte Leipziger haben deshalb viele Versicherer Sofortmaßnahmen festgelegt, Arbeitsabläufe pragmatisch verkürzt und unkompliziert Vorschüsse ausgezahlt. Die LVM arbeitete mit mobilen Schadenregulierungsteams, Zürich oder R&V unterstützen sogar mit psychologischem Beistand. Besonders positiv zu bewerten ist, wenn Versicherer lösungsorientiert, von Bedingungen abweichend, durch Wiederaufbau an anderer Stelle oder Gebäudehöherlegung die Schadenregulierung gleich zur Prävention nutzten. Wird das alles reichen, wenn mit einer Pflichtversicherung zukünftig nicht circa 50 Prozent, sondern nahezu 100 Prozent der Wohnungseigentümer elementarversichert sind? Es ist jedenfalls absolut notwendig, dass Versicherer die Spitzenlastfähigkeit in der Schadenbearbeitung weiter erhöhen. Einsatz von dynamischen Fragebögen, künstlicher Intelligenz, online-Schadenbewertung, Spracherkennung oder die nahtlose Integration von weiteren Dienstleistern wie Handwerkern, Sachverständigen oder Hotels bieten dafür große Potenziale – und Herausforderungen, denn Kunden wünschen sich eine unkomplizierte, kompetente, lösungsorientierte und in einer besonderen Katastrophensituation auch einfühlsame Kommunikation. Insgesamt liegt auf der Hand: Erfolgreiches Schadenmanagement beginnt schon vor dem Schadenereignis, nämlich bei einer Erhöhung des Risikobewusstseins und hoher Beratungsqualität bezüglich der individuellen Risikolage. Hier hat beispielsweise die Württembergische Versicherung durch einen gepflegten Versicherungsbestand und Kundennähe durch regional verwurzelte Vermittler gepunktet. Das Feedback zufriedener Kunden, im Ernstfall das Leistungsversprechen schnell und lösungsorientiert umgesetzt zu haben, ist noch immer die beste Werbung!

Was kann der Einzelne tun, um sich vorzubereiten?

Die klimawandelbedingt erhöhte Wahrscheinlichkeit für Extremwetter wird in der Bevölkerung als abstraktes Risiko wahrgenommen. Sich in Bezug auf die eigene Gefährdung konkret zu informieren, wird leider oft unterlassen. Hier aktiv zu werden, ist entscheidend. Sich bei der individuellen Risikoanalyse und möglicher Prävention auf fachkundige Beratung zu stützen, ist auch deshalb sinnvoll, weil stark abweichende Preise und umfangreiche Bedingungen die Kaufentscheidung erschweren. Es bietet sich deshalb an, diejenigen zu Rate zu ziehen, die mit guter Beratung überzeugt und bewiesen haben, dass sie im Ernstfall ihr Versicherungsversprechen vertragsgemäß schnell erbringen, bestenfalls purpose-orientiert auch darüber hinaus.
 
 

Elementarversicherung neu aufgestellt

Versicherungsschutz für Naturgefahren wie beispielsweise Hochwasser, Starkregen oder Erdrutsch ist nicht automatisch in der Wohngebäude-Feuerversicherung eingeschlossen. Dies zu ändern, ist aktuell in der politischen Diskussion. Das Bundesministerium der Justiz hatte die Arbeitsgruppe „Pflichtversicherung für Elementarschäden" eingesetzt und darin Know-how und Einschätzungen der Interessenverbände und Experten wie dem Bund der Versicherten, dem Sachverständigenrat für Verbraucherfragen, der Verbraucherzentrale Bundesverband, dem Gesamtverband der Versicherungswirtschaft und dem Zentralverband der Deutschen Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer berücksichtigt. Wichtige Eckpunkte der neuen Ausgestaltung sind Einfachheit, Verständlichkeit und – insbesondere für Hochrisikoobjekte – Bezahlbarkeit. Ebenso eine risikoadäquate Preisfindung, um den Anreiz für Schadenprävention hoch und die Umverteilung gering zu halten. Auf dieser Basis ist ein auf die Existenzsicherung abzielendes Konzept der Allgefahrendeckung grundsätzlich wünschenswert. Mit großer Spannung darf daher der konkrete Regelungsvorschlag erwartet werden, den die Bundesregierung bei der Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 2022 verkünden will. Der GDV hatte dazu bereits im Dezember 2021 den Vorschlag unterbreitet, dass Kunden die Elementarversicherung zukünftig abwählen müssen. Manche Versicherer wie die Barmenia wenden diesen Vorschlag bereits an und bewerben die Elementarversicherung bei ihren Bestandskunden.

Mathias Warlich ist Diplom-Kaufmann und hatte mehr als 30 Jahre Führungsaufgaben in der Versicherungs- und Rückversicherungswirtschaft. Seit 2019 ist er selbstständig im Nachhaltigkeitsmanagement tätig und Versicherungsexperte in der forum-Redaktion. Sein Ziel ist ein Wirtschaften, das Erfolg an mehr als nur dem finanziellen Ertrag bemisst.

Wirtschaft | Recht & Normen, 07.12.2022

     
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