Die Brücke zur Natur

Biobasierte Werkstoffe für Architektur und Infrastruktur

Bioverbundwerkstoffe ermöglichen Architekten und Fachplanern strukturoptimierte und zugleich elegante Entwürfe. Dies gilt für viele Anwendungen, vom Interior Design bis zum Brückenbau. Immer mehr dieser Werkstoffe gelangen nun aus der Forschung in die Projekterprobung und damit in die Praxis. forum zeigt gelungene Beispiele – als Anregung für Entscheidungsträger.

BioMat Pavilion © Masih Imani
Die Bauwirtschaft hat einen sehr großen CO?-Fuß­ab­druck und einen enormen Ressourcenverbrauch. Nach­wachsende Rohstoffe bieten der Branche ein großes Reduktionspotenzial. Neben Holz als altbewährtem, nachwachsendem Rohstoff treten zunehmend biobasierte Verbundwerkstoffe, deren mechanische Eigenschaften wie Festigkeit und Steifigkeit in der Kombination von Naturfasern wie Flachs und Hanf mit biobasierten Harzen entstehen. Das Ergebnis sind leichte und tragfähige Komponenten, deren Verhältnis von Festigkeit strukturell optimierte und zugleich ressourceneffiziente Konstruktionen ermöglicht.

Die Natur machts möglich

Bioverbundwerkstoffe unterscheiden sich durch die eingesetzten Naturfasern, die in zwei Hauptgruppen eingeteilt werden. Relativ kurze Fasern aus landwirtschaftlichen Reststoffen – etwa Strohfasern, Grasfasern oder Schnittresten – werden zu so genannten Agrofasern verarbeitet. Im Unterschied dazu basieren industrielle Naturfasern beispielsweise auf Jute, Flachs oder Hanf. Diese Fasern können gut für architektonische oder tragende Bauteile verwendet werden.
Pflanzliche Öle bilden den Rohstoff für Bioharze, die sich durch geringe Umweltauswirkungen auszeichnen. In der praktischen Anwendung heute, das heißt unter Berücksichtigung von Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit, werden diese allerdings meist noch mit Harzen aus fossilen Quellen kombiniert. Im Sinne einer Circular Economy gilt es, künftig auf fossile Bestandteile zu verzichten.
 
...wir sind erst am Anfang die Fülle an Materialien, die die Natur bietet, geschickt und kreislauffähig einzusetzen.
 
Der Einsatz von Biokompositen im Bauwesen wird intensiv erforscht. Die Anwendungen reichen von Dämmpaneelen im Innenbereich über Fassadenverkleidungen bis zu Schalenkonstruktionen sowie Fußgänger- und Fahrradbrücken. Zu den Forschungseinrichtungen, die sich intensiv mit den Potenzialen befassen, zählen die Technische Universität Eindhoven in den Niederlanden und die Universität Stuttgart. In Eindhoven liegt ein Fokus auf dem Einsatz von Biokompositen in tragenden Strukturen. In Stuttgart wurden in vielen Entwicklungs- und Industrieprojekten sowohl Proof of Concepts wie auch marktorientierte Lösungen im Wettbewerb zu konventionellen Werkstoffen erarbeitet. Dabei entstanden Fassadenanwendungen, Innentrennwände, Fußbodensysteme, Akustikabsorber, Wärmedämmstoffe, Möbel und komplette Schalenbausysteme.
Vor allem aus Flachs- und Hanffasern können mit textilverwandten Fertigungssystemen neuartige Elemente hergestellt werden. Diese Herangehensweise macht es möglich, verschiedene Funktionen in die Fassadenplatten zu integrieren, etwa Schallabsorption und Wärmedämmung. Auch adaptive, kinematische Fassaden lassen sich mit Bioverbundwerkstoffen realisieren. In Stuttgart wurden außerdem die Möglichkeiten einer Montage per Roboter in den Entwurfsprozess einbezogen, um Automatisierungspotenziale für die Arbeit auf der Baustelle zu erschließen.
Das Potenzial von Bioverbundwerkstoffen zeigt nicht zuletzt der BioMat-Forschungspavillon 2021 mit einer Spannweite von zehn Meter bei einer maximalen Höhe von
4,8 Meter an der Außenwand. Die bambusähnlichen Profile aus Biokomposit werden im Pultrusionsverfahren hergestellt. Bei diesem Verfahren entstehen in einem kontinuierlichen Prozess faserverstärkte Polymere mit konstantem Querschnitt, hier mit Flachs- und Hanffasern.

Fertigungstechniken aus Textilindustrie und Flugzeugbau

Fasermatten aus Flachs umhüllen leichte Kerne aus PU-Schaum. © SCBDie Herstellung komplexer textiler Preforms mit kraftflussorientierter und präziser Platzierung von Naturfasern ermöglicht das so genannte Tailored Fibre Placement – ein digital gesteuertes Stickverfahren, das aus der Textil- und der Flugzeugbauindustrie in die Architekturwelt übernommen wurde. Mit dieser Technologie lassen sich beispielsweise Langfasern in der Hauptbelastungsrichtung der Verbundmatrix kontrolliert anordnen, um die Zugfestigkeitseigenschaften des Werkstoffs voll auszunutzen.
2016 wurde die weltweit erste biobasierte Fußgängerbrücke auf dem Campus der Technischen Universität Eindhoven, Niederlande, über den Fluss Dommel gespannt. Ein multidisziplinäres Team von Forschern der Universitäten aus Eindhoven und Delft sowie des Centre of Expertise Biobased Economy in Breda hat zusammen mit einem industriellen Partner ein geeignetes Design entwickelt, das in kurzer Zeit und mit einem begrenzten Budget hergestellt werden konnte. Auf dem Hintergrund dieses Forschungsprojekts entstand das EU-Interreg-Projekt Smart Circular Bridge. Hier werden drei Fußgänger- und Fahrradbrücken in Deutschland und den Niederlanden mit Bioverbundwerkstoffen geplant und gebaut. Die erste Brücke wurde im April 2022 im niederländischen Almere eingeweiht. Zwei weitere Brücken entstehen Ende 2022 in Ulm sowie 2023 in Bergen op Zoom, ebenfalls in den Niederlanden.

Material, Konstruktion und End-of-Life-Szenarien
Für die erste Brücke des Projekts in Almere werden rund 3,2 Tonnen Flachsfasern aus europäischer, überwiegend französischer Produktion mit einem Polyesterharz kombiniert, das zu 25 Prozent auf Biomasse basiert. Bei den kommenden Brücken ist es das Ziel, diesen Anteil auf deutlich über 50 Prozent zu erhöhen. Die Brückenkonstruktion besteht aus dem Brückenträger und einem Geländer aus Bioverbundwerkstoffen sowie Widerlagern mit Anrampung. Ein mehrzelliger, rechteckiger Kasten mit durchgehenden Längsstegen bildet den Brückenträger. Dessen Enden sind durch Querstege geschlossen. Die Breite des Hohlkastens beträgt drei Meter, die Höhe 90 Zentimeter und die Spannweite liegt bei 15 Meter. Die statische Berechnung hat gezeigt, dass sich mit diesen Abmessungen die erforderlichen Lasten zuverlässig aufnehmen lassen. Die Brücke wird als vollständiges Element per Vakuum-Infusionsverfahren in einem Arbeitsgang hergestellt.
Paneele aus Biokomposit, Schallabsorptions und Wärmedämmfunktion integriert. © BBioMat am ITKE-Universität StuttgartZu den übergeordneten Zielen des Projekts gehört, Impulse für die Kreislaufwirtschaft in der Bauwirtschaft zu geben. Die Frage, welche Perspektiven diese Brücken am Ende ihrer Lebensdauer bieten, gehört daher zum Forschungsprogramm. Grundsätzlich ließen sich Brücken aus solchen Bioverbundwerkstoffen nach ihrer Nutzungsphase verbrennen. Die Umweltwirkungen beim Verbrennen der verwendeten Polymere und Naturfasern sind unkritisch. Im Sinne einer Kreislaufwirtschaft sehen die Projektpartner diesen Weg jedoch nicht als eine langfristig gute Lösung. Alternativ stehen am Lebensende drei grundsätzlich unterschiedliche Verfahren offen: das mechanische, das chemische und das biologische Recycling.
Das Material kann fein geschreddert und anschließend als Füllstoff etwa anstelle von Calciumcarbonat in neuen Polyester-Kompositprodukten verwendet werden. Auf Basis der bisherigen Versuche lässt sich damit die Menge des eingesetzten Primärmaterials um bis zu 30 Prozent reduzieren. Bei diesem Verfahren werden Ressourcen eingespart und der CO?-Fußabdruck des neuen Produkts reduziert. Alternativ können die Grundbausteine des Polymers auf chemischem Wege über Solvolyse oder Pyrolyse wiedergewonnen werden. Im ersten Fall wird das Material in passenden Lösungsmitteln aufgelöst. Die dabei entstehenden Monomere lassen sich als Basismaterial zur Herstellung chemischer Produkte weiterverwenden. Bei der Pyrolyse wird das geschredderte Material auf 360 bis 500 Grad Celsius erhitzt. Mit diesem Verfahren lassen sich zum Beispiel Motoröle für die Schifffahrt gewinnen. Auch ein biologisches Recycling mithilfe von Pilzen wird untersucht. Der Grundgedanke ist wie bei der Solvolyse, Monomere aus dem geschredderten Bioverbundwerkstoff zu gewinnen. Im Gegensatz zu den anderen Verfahren liegt der Fokus hier allerdings stark auf der Grundlagenforschung. Die zentralen Fragen der Untersuchungen sind: Welche Weiternutzung des Materials ist technisch und wirtschaftlich machbar? Und sehen die Umweltwirkungen bei der Herstellung und Nutzung von Bioverbundwerkstoffen aus wie bei ausgewählten End-of-Life-Szenarien? Vor diesem Hintergrund werden Lebenszyklusanalysen durchgeführt. Dabei handelt es sich um eine Methodik zur Bewertung der potenziellen Umweltauswirkungen einer Dienstleistung beziehungsweise eines Produkts während seines gesamten Lebenszyklus. Die Bewertung umfasst alle Lebensphasen und Prozesse von der Rohstoff- respektive Materialgewinnung über Produktion und Herstellung, Transport, Wartung bis hin zu Recycling und/oder endgültiger Entsorgung am Ende der Lebensdauer.

Materialversuche, Simulationen und Tests
Paneele für Außenanwendungen aus kurzen Agrofasern und Epoxidharz auf Pflanzenbasis. Zum Einsatz kommen hellbraunes Getreidestroh, rotbraune Kokosfasern sowie schwarze Kohleasche. © BBioMat am ITKE-Universität StuttgartEin weiterer Schwerpunkt der laufenden Forschungsarbeiten zu den Smart Circular Bridges ist es auch, das Langzeitverhalten von naturfaserverstärkten Verbundwerkstoffen zu verstehen, um sie für größere Projekte einzusetzen, die eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten haben sollen. Bei den drei Brücken des Projekts kommt deshalb ein Structural-Health-Monitoring zum Einsatz, wie es auch bei Offshore-Windparks verwendet wird. Das heißt, die Brücken werden nicht periodisch überprüft, sondern kontinuierlich in Echtzeit überwacht. Das eingesetzte Monitoringsystem hat im Wesentlichen zwei Aufgaben. Zunächst gewährleistet es die Sicherheit der Brücke bezüglich der statischen Anforderungen – ein wichtiger Aspekt bei der Verwendung einer relativ neuen Werkstoffgruppe in Tragwerken. Die kontinuierlich bereitgestellten Daten zeichnen ein präzises Bild des Zustands der Brücke und ermöglichen dadurch auch eine Abschätzung der Standzeit. Vor allem aber liefern knapp 100 Sensoren kontinuierlich eine Fülle an Daten aus dem Materialverhalten im Alltag. Ebenso wie die in den Labors durchgeführten Versuchsergebnisse dienen die Echtzeitdaten einer Verifizierung der angewandten Finite-Elemente-Modelle und der prognostizierten Materialeigenschaften. Das Projekt trägt auf diese Weise dazu bei, den Werkstoff in vergleichsweise kurzer Zeit intensiv zu erforschen.
Die beschriebenen Projekte zeigen vielfältige Möglichkeiten auf, wie nachwachsende Rohstoffe einen wesentlichen Beitrag für das nachhaltige Bauen liefern können. Es geht einerseits um die mit dem Bauen verbundenen CO?-Emissionen, aber auch um Alternativen zu endlichen, fossilen Materialressourcen.

Von Hanaa Dahy, Patrick Teuffel, Rijk Blok und Martin Prösler

Hinweis: Der vorliegende Beitrag basiert auf der umfangreichen Veröffentlichung von Dahy, H.; Teuffel, P.; Blok, R.; Prösler, M. (2022) Biobasierte Werkstoffe für Architektur und Infrastruktur in der forum Partnerzeitschrift nbau. Nachhaltig Bauen 1, H. 1, S. 26–32. www.nbau.org

Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 03.12.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2022 mit dem Schwerpunkt: Globale Ziele und Klimaschutz - Zeit, die Stimme zu erheben und endlich zu handeln? erschienen.
     
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