Ist der Kapitalismus am Ende?

Eine aktuelle Buchrezension von Bernd Schleich

Um es gleich voranzustellen: "Das Ende des Kapitalismus", von Ulrike Herrmann ist keine Kampfschrift für die Abschaffung des Kapitalismus. Es ist eher ein Klagelied, ein Ausdruck des Bedauerns, dass es der Kapitalismus nicht schaffen kann, die Klimakrise und verwandte andere Transformationskrisen zu bewältigen.
 
Brauchen wir eine Planwirtschaft, um aus der Krise herauszufinden, wie es Ulrike Herrmann fodert? © Julia M. Cameron, pexels.comUnd, wie es Klagelieder so an sich haben, gibt es am Ende keinen Hoffnungsschimmer, kein "Pack-an", wie es vielleicht innerhalb des erfolgreichsten Wirtschafts- und Gesellschaftssystems der gesamten Menschheitsgeschichte (U. Herrmann) dennoch gelingen könnte, den Klimawandel mit all seinen katastrophalen Folgen zu beherrschen.
 
Die Kernaussage der Autorin
Klimaschutz ist nur möglich, wenn wir den Kapitalismus abschaffen. Ohne ständige Expansion bricht der Kapitalismus zusammen. Aber wenn die grüne Energie reichen soll, bleibt nur "grünes Schrumpfen". Flugreisen und private Autos sind nicht mehr möglich. Banken werden weitgehend überflüssig. Der Wohnungsbau wird eingestellt. Aber der Rückbau des Kapitalismus muss geordnet vonstattengehen, sonst führt er zu Chaos, Massenarbeitslosigkeit und einem sozialen Aufstand. Zum Glück gibt es aber einen Weg aus dieser Sackgasse: die Briten haben ein Modell entwickelt, von dem sich lernen lässt: die britische Kriegswirtschaft ab 1939. Die nächste Etappe wird eine "Überlebenswirtschaft" sein, geprägt von einem "grünen Schrumpfen". 
 
Die Segnungen des Kapitalismus
Auf den ersten 50 Seiten blitzt die Wirtschaftshistorikerin durch. In ihrer gewohnt nüchternen Geradeheraus-Sprache nimmt uns Ulrike Herrmann in den ersten Kapiteln mit auf eine Zeitreise zu den Anfängen des Kapitalismus. Überzeugend zeichnet sie nach, wie der Kapitalismus nach und nach alle Fesseln seiner Entfaltung von sich geworfen hat und seine irrsinnige Dynamik entwickeln konnte.
 
Und sie legt damit das Fundament für ihre zentrale Botschaft. Der Kapitalismus war überaus segensreich in vielerlei Hinsicht: er hat zu großem Wohlstand geführt (zumindest für die happy few in den reichen Industrieländern); er hat für offene Bildungs- und Gesundheitssysteme gesorgt (ibid.); er hat die Grundlage für die westlichen Demokratien gelegt. Aber all das hat er nur geschafft, weil er auf einer einzigen, nicht ersetzbaren und auch nicht veränderbaren Kraftquelle aufbaut: dem ständigen wirtschaftlichen Wachstum. Dieses Wachstum ist aber wiederum die Wurzel allen ökologischen Übels, mit dem wir uns beschäftigen, insbesondere der Klimakrise. Klimaschutz lässt sich mithin nicht innerhalb des kapitalistischen Systems realisieren, auch nicht innerhalb eines reformierten, gebändigten, ökologisch ausgerichteten oder "what ever" Kapitalismus. Klar, radikal und "alternativlos", ist nach Ansicht der Autorin der Weg zu einer Lösung innerhalb des Systems verbaut. Man wird ihn vergeblich in dem Buch suchen. Nahezu genüsslich führt Ulrike Herrmann die Ansätze und ihre Protagonisten vor, die von einer ökosozialen Marktwirtschaft, einem "green growth" oder Ähnlichem träumen. Ralf Fücks und Anton Hofreiter an erster Stelle. Denn auch der noch so richtige Ausbau der Wind- und Solarenergie, das Umsteuern auf Elektromobilität, ein ökologisch ausgerichteter Wohnungsbau, eine alternative Landwirtschaft, sie alle werden notwendig scheitern, wenn sie zu Wachstum führen.  Zumindest, wenn sie zu einem solch rasanten Wachstum führen, wie es eigentlich nötig wäre, um die umweltschädlichen Technologien in allen Bereichen durch umweltverträgliche zu ersetzen.
 
Die kapitalistische Wachstumslogik hat ausgedient
Die Lösung der großen, globalen Probleme werden laut Herrmann scheitern müssen, wenn wir sie Wege innerhalb der kapitalistischen Wachstumslogik suchen. Das Kapitel, das sich dem globalen Süden widmet, ist mit einer atemberaubenden Nonchalance geschrieben, denn für den globalen Süden würde es zunehmend schwer, die Industriestaaten einzuholen. Europa und die USA könnten nichts dafür, dass sie sich zuerst industrialisiert haben und es den Nachzüglern im globalen Süden so schwerfällt, aufzuholen.
 
Hier melde ich  Widerspruch an: Sind denn 50 Jahre entwicklungspolitischer Diskurs an Ulrike Herrmann vorbeigegangen? Müssen wir uns jetzt wieder mit den Mythen einer „nachholenden Entwicklung" auseinandersetzen, wie sie die Modernisierungstheoretiker der siebziger und achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts propagiert haben?
 
Fast zynisch klingt der Satz, es sei ein weitverbreiteter Denkfehler zu glauben, dass der globale Süden nur in Bildung investieren müsse, damit es anschließend zu einer breiten Industrialisierung kommt.
 
Stimmt. Deswegen muss man nicht in Bildung investieren. Aber man muss in Bildung investieren – und zwar massiv – damit die Menschen überhaupt eine Chance zu gesellschaftlicher Teilhabe haben und ihr Selbstbestimmungsrecht darüber ausüben können, wie Entwicklung in ihrem Land oder Kontinent aussehen soll. Das ist nicht zwingend Industrialisierung, das ist nicht zwingend Überwindung des technologischen Gaps zwischen globalem Süden und globalem Norden. Und das ist nicht zwingend eine nachholende kapitalistische Entwicklung. Sondern das ist die Wahrnehmung eines Selbstbestimmungsrechts auf den eigenen Weg gesellschaftlicher Entwicklung.
 
Auf dem Weg zur Planwirtschaft?
Was aber ist nun die Lösung? Wie kommt man zu einem "grünen Schrumpfen"? Wie erreicht man geordnet eine Überlebenswirtschaft, die Klima und Demokratie gleichzeitig rettet? Indem man den Kapitalismus fesselt, ihn seiner Energiequelle beraubt und Wachstum in "Schrumpftum" umkehrt.
Eine private Planwirtschaft nach dem Vorbild der britischen Kriegswirtschaft ab 1939. Der Staat gab vor, was, wieviel und sogar wie produziert wurde, aber die Unternehmen blieben im Eigentum ihrer Besitzer. Lebensmittel wurden rationiert, aber nicht alle. Kartoffeln, Mehl und Brot gab es weiterhin frei zu kaufen. Pro Kopf und Tag wurden 2800 Kalorien festgesetzt. Alles, um die ökonomischen Kapazitäten für den Auf- und Ausbau der Rüstungsindustrie freizusetzen.
"Der Konsum fiel damals um ein Drittel – und zwar in kürzester Zeit. Dieser enorme Rück- und Umbau macht die britische Kriegswirtschaft zu einem faszinierenden Modell für heute: Der deutsche Verbrauch muss ähnlich drastisch sinken, wenn das Klima gerettet werden soll", schreibt Herrmann auf Seite 241) Das heißt für sie: die deutsche Wirtschaft muss um 30 Prozent schrumpfen. Und zwar in kürzester Zeit, damit die verbindlich festgelegten Klimaziele Deutschlands erreichbar bleiben: bis 2030 Treibhausgasreduktion um 55 Prozent, bis 2040 um 70 Prozent, bis 2050 weitgehend klimaneutral.
 
Hier melde ich  Widerspruch an: Es ist richtig, dass in Deutschland sehr viel konsequenter, von mir aus radikaler, über den politischen Prozess hin zur Klimaneutralität 2050 gestritten und gerungen werden muss. Es ist richtig, dass viele Ideen eines „grünen Wachstums" notwendig verpuffen müssen, weil das "immer mehr und immer weiter, nur klimaneutral" in die falsche Richtung führt. Aber wie wäre es, wenn man sich stärker mit den klugen Analysen zum Beispiel eines Wolfgang Sachs und seiner Forderung nach einem "frugalen Wohlstand" auseinandersetzen würde, als eine autoritäre Planwirtschaft zu propagieren, die einer aufgeklärten Gesellschaft unwürdig ist. "Klimaschutz auf Lebensmittelkarten" – nein danke. Ulrike Herrmann hat ein mutiges und faszinierendes Buch geschrieben, was man unbedingt lesen sollte: auch, um zu wissen, was auf keinen Fall gemacht werden sollte.
 
Bernd Schleich ist Mitglied im Gesamtvorstand des B.A.U.M. e.V. und Co-Herausgeber des Buches "Vom betrieblichen Umweltschutz zur großen Transformation" (oekom Verlag, 2022).

Gesellschaft | Politik, 02.11.2022
     
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