Kooperation 

Das neue Paradigma für Wirtschaft und Gesellschaft

Kooperation in der Wirtschaft wird schnell mit verbraucherfeindlichen Kartellen in Verbindung gebracht. Doch es gibt auch andere, positive Formen der Kooperation – mit dem Potential, die Marktwirtschaft zu reformieren.
 
© mohamed_hassan, pixabay.comImmer noch gilt in der Wirtschaftslehre das Dogma, der anonyme Markt, die „unsichtbare Hand", sei der objektiv beste Gestalter unseres produktiven Lebens. Dass jedoch gerade die Anonymität der Akteure, die mangelnde Planung und die Nichtabsprache in einer globalen Marktwirtschaft zu Ineffektivität führt, haben wir im ersten Teil dieses Beitrages in Heft 4/2021 beleuchtet. Wie aber könnte eine bewusst gestaltete, intelligente und kooperative Wirtschaft aussehen?

Vom Frühstückskartell zum Monopol
Keine Angst: Die von uns empfohlene Kooperation in der Wirtschaft ist nicht zu verwechseln mit einer Beschneidung des Marktmechanismus im Sinne eines Kartells. Hier beenden oder beschränken zwei oder mehrere Unternehmen ihre Konkurrenz untereinander, um damit die übrige Konkurrenz auszuschalten und auf dem Rücken der Abnehmer höhere Profite erlangen zu können. Bei Kartellen handelt es sich um eine „horizontale Kooperation", das heißt um Absprachen zwischen Anbietern der gleichen Produkte. Zwar finden ho- rizontale Kooperationen in der Wirtschaft manchmal auch zugunsten der Allgemeinheit statt. Etwa wenn Autohersteller Entwicklungen oder Bauteile gemeinsam nutzen. Nicht selten münden sie jedoch in Oligopolen, in denen sich Preis- und Mengenabsprachen leicht organisieren lassen oder gar in einem Monopol, das zu Lasten von Lieferanten, Mitbewer- bern, Handel und Verbrauchern geht. So hat etwa Amazon weltweit eine monopolartige Stellung erreicht.

Kooperation, von der alle profitieren
Anders ist es bei einer Kooperation zwischen Produzenten, Verarbeitern, Händlern und Verbrauchern: einer vertikalen Kooperation. Sie findet zum Vorteil aller Beteiligten statt, ohne gegen einen Konkurrenten gerichtet zu sein. Eigentlich ist dies kein spektakulärer Gedanke. Die Verständigung zwischen demjenigen, der einer Sache bedarf und demjenigen, der sie herstellt oder liefert, ist eigentlich selbstverständlich. Nehmen wir zum Beispiel an, ein Bäcker weiß, was seine Kunden wünschen und braucht für deren Lieblingsgebäck regelmäßig eine bestimmte Menge Butter. Da liegt es nahe, dass er zu einem Butterproduzenten in der Umgebung geht und mit ihm einen Liefer- und Abnahmevertrag schließt. Der Butterproduzent muss dann nicht mehr blind drauflos produzieren, ohne zu wissen, ob und wie viele Käufer er findet. Er hat einen regelmäßigen Abnehmer und dadurch Sicherheit in der zukünftigen Planung. Dafür kann er dem Bäcker einen günstigeren Preis gewähren, von dem auch die Kunden des Bäckers profitieren.

Kooperatives Wirtschaften ist also etwas, was in traditioneller, dörflicher Umgebung ganz selbstverständlich ist: Dass Produzenten, Händler und Verbraucher miteinander ins Gespräch kommen, sich über ihre Bedürfnisse und Leistungen austauschen und ihr wirtschaftliches Verhalten danach ausrichten. Nicht ohne Grund sind Preis- und Mengenabsprachen auf vertikaler Ebene auch im Big Business weit verbreitet.
 
Marktforschung in Echtzeit durch KI
Die Komplexität der heutigen Weltwirtschaft stellt freilich eine Herausforderung für den Dialog zwischen Produzenten, Händlern und Verbrauchern dar. Abhilfe verschafft hier immer mehr die künstliche Intelligenz (KI). Sobald die Algorithmen erkennen, dass und warum ein Produkt vermehrt oder weniger gekauft wird, wird ein Signal an den Handel und an die Produktion zur Nachlieferung oder zum Lieferstopp dieses Produkts gegeben. Eine Überproduktion kann dadurch reduziert werden. Grundsätzlich können durch KI und Blockchain sowohl die Transparenz wie auch die Optimierung der Material-, Produkt- und Informationsflüsse wesentlich besser gesteuert werden.
 
So nutzt etwa das Berliner Start-up SPRK diese Technologien, um Lebensmittelüberschüsse rechtzeitig zu erkennen und zu verwerten – ein wertvoller Beitrag zur Verminderung von „foodwaste". Das Unternehmen vernetzt alle Teilnehmer der Lieferkette, so dass nahezu in Echtzeit ermittelt wird, bei wem wann welche Art von Lebensmittel anfallen und welche Abnehmer welchen Bedarf haben. In nur zehn Monaten konnte das Unternehmen dadurch im Berliner Umfeld rund 69 Tonnen „überschüssiger" Lebensmittel verarbeiten oder umverteilen, 35 Tonnen davon alleine an gemeinnützige Organisationen. (forum berichtete in Ausgabe 4/2020). Auch für die bessere Vermarktung von Plastikabfäl- len und Recyclaten gibt es entsprechende Lösungen.

Den Arbeitsmarkt bewusst gestalten
Zur Abkehr von der Ideologie, dass der Markt nicht durch Eingriffe gestört werden darf, gehört auch ein Umdenken über Preisabsprachen. Diese sind im Rahmen von Liefer- und Abnahmeverträgen nicht nur sinnvoll; in manchen Bereichen sind sie unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit auch notwendig. Dazu gehört der Bereich des „Arbeitsmarktes". Dass die Preise, also die Löhne, hier nicht allein durch Angebot und Nachfrage festgelegt werden, ist für uns bereits selbstverständlich, da hier das Versagen des Marktes am offensichtlichsten ist. So fragt sich die Gesellschaft in demokratischen Debatten notwendigerweise: Was ist uns diese oder jene Arbeit wert? Finanzieren wir sie nur über den freien Arbeitsmarkt oder zumindest auf der Basis von Tarifverträgen? Finanzieren wir sie durch steuerliche Zuschüsse? Oder legen wir die Preise für bestimmte kulturelle Leistungen – ähnlich wie bei der Buchpreisbindung – gesetzlich fest?

Kooperation als neue Ideologie
Kooperatives wie auch demokratisch gestaltetes Wirtschaften bedeutet keine künstliche Unterdrückung des Egoismus, sie widerspricht nicht dem Eigennutz. Von Kooperation profitieren vielmehr alle. Der wesentliche Unterschied zur anonymen Konkurrenzwirtschaft ist, dass nur durch Kooperation beziehungsweise durch demokratische Prozesse auch gemeinschaftsorientiertes, zielorientiertes Handeln möglich ist. Ein kooperatives System realisiert in idealtypischer Weise die Gemeinwohlökonomie (GWÖ), wie sie Christian Felber ausgearbeitet hat. Zum einen werden hier alle Anspruchsgruppen, also Unternehmer, Mitarbeiter, Händler und Verbraucher gehört und berücksichtigt; zum anderen werden die Ziele der Unternehmen sukzessive auf Kooperation hin ausgerichtet, indem von politischer Seite gemeinwohlorientiertes Handeln belohnt wird. Die Unternehmen also, die, gemessen an einer Gemeinwohl-Matrix, für Mensch und Umwelt am förderlichsten sind, erhalten Vorteile gegenüber denjenigen, welche die Gemeinschaft belasten.
 
Die Gemeinwohl-Ökonomie etabliert ein ethisches Wirtschaftsmodell. Das Wohl von Mensch und Umwelt wird dabei zum obersten Ziel des Wirtschaftens.

Mehr als 2000 Unternehmen unterstützen bereits die GWÖ. Rund 500 davon sind Mitglied oder haben bereits eine Gemeinwohlbilanz erstellt. All dies zeigt uns, dass wir uns nicht an scheinbar objektiv richtige Marktgesetze anpassen müssen. Wir können die Wirtschaft bewusst und kooperativ gestalten – wir müssen es sogar, wenn wir die realen Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen wollen.
 
Möge der Ruf der wirtschaftlichen Kooperation rehabilitiert werden!
 

Alrun Vogt 
ist festes Mitglied der forum-Redaktion.

So finden Lebensmittel sichere Abnehmer 
Viele bäuerliche Kleinbetriebe tun sich schwer mit den Effizienzansprüchen moderner Massenproduktion. Was ihnen oft fehlt, ist zum einen Startkapital, zum anderen sind es sichere Abnehmer ihrer Produkte.

Doch es gibt findige Projekte, mit denen Bauern an beides gelangen können: Hierbei vergeben Menschen an Bauern private Minikredite und erhalten als „Rendite" Gutscheine auf Lebensmittel. Der Geldgeber sichert sich dadurch die Versorgung mit Lebensmitteln von einem bestimmten Hof, den er kennt und dem er vertraut; der Bauer indes sichert sich einen dauerhaften, festen Kundenkreis. In Südtirol liehen zum Beispiel 160 Leute dem Bio-Bauern Alexander Agethle Geld, mit dem er eine alte Dorfsennerei kaufen und modernisieren konnte. Dafür bekommen sie von ihm zehn Jahre lang Gutscheine für frische Milch und Bio-Käse. (forum berichtet laufend über Projekte einer Solidarischen Landwirtschaft – SoLaWi).

Auch in einzelne Tiere kann man „investieren". Bei einer „Hühnerpatenschaft" zum Beispiel bezahlt der Pate circa 15 Euro pro Monat für ein Huhn und erhält dafür, je nach Legebereitschaft, maximal 25 Eier im Monat, die er sich selbst abholen darf. Und dann gibt es ja ebenfalls noch das Modell der regionalen „Bio-Kisten", mit denen Verbraucher sich im Voraus zur Abnahme eines bestimmten Anteils der Jahresernte verpflichten. Ähnliches existiert auch über größere Distanzen mit der Direktabnahme von Orangen, Avocados, Olivenöl oder Lebensmittelpaketen. Die Fattoria LaVialla etwa liefert aus der Toscana hausgemachte, biodynamische Feinkost direkt vom Bauernhof.

Weitere Beispiele zeigen, dass Kooperation und Verständigung in der Lieferkette für beide Seiten von großem Nutzen sind. Der Münchner Verein „Genussgemeinschaft Städter und Bauern" hilft Bauern dabei, private Geldgeber und damit zugleich einen festen Kundenstamm zu finden.


Wirtschaft | Branchen & Verbände, 01.03.2022
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2022 ist erschienen. Schwerpunkt: Energiewende - Was wäre, wenn? erschienen.
     
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