„Bio“ rettet ein Unternehmen

Textilhersteller Elmer & Zweifel setzt komplett auf Nachhaltigkeit und sanierte so das Unternehmen

Mit der Globalisierung verschwand ein Großteil der deutschen Textilindustrie vom Markt. Ein kleines Unternehmen in Baden-Württemberg aber fand einen Weg aus der Krise: mit Produkten aus Bio-Baumwolle. Nicht irgendwelche, höchste Qualität sollte es sein. Und das funktioniert.

© Cotonea, Klaus Mellenthin„Ohne Bio-Baumwolle gäbe es uns nicht mehr", da ist Roland Stelzer, Geschäftsführer der Firma Gebr. Elmer & Zweifel, sicher. Das kleine Familienunternehmen im baden-württembergischen Bempflingen produziert seit 1855 Stoffe und Textilien aus Baumwolle, zunächst für Bekleidung und Bettwäsche, später dann vor allem für die Industrie – bis Ende der 1990er Jahre mit großem Erfolg. Dann aber veränderte sich der Markt rasant: China trat der Welthandelsorganisation WTO bei, damit wurden dort gefertigte Textilien konkurrenzlos günstig. Indem sich Elmer & Zweifel auf Industrietextilien spezialisiert hatte, war das Unternehmen von wenigen großen Kunden abhängig geworden. Die aber ergriffen nun die Chance, kostengünstiger in Asien produzieren zu lassen.
 
„Wir mussten uns etwas einfallen lassen, wenn wir nicht vom Markt geschwemmt werden wollten, denn nun ging es nur noch ums Geld", erzählt Stelzer. So entstand in der Not die Idee, sich von den Industrietextilien weitgehend zu verabschieden und auf einem neuen Markt Fuß zu fassen: mit Bio-Baumwolle für Endkunden, Bettwäsche und Handtücher vor allem. 1995 produzierte das Unternehmen die ersten Bio-Produkte, 2003 ging es dann mit seiner Marke Cotonea und einem guten Slogan offensiv an den Start – inzwischen heißt er „wertschätzend, bewahrend, echt". Heute steht Elmer & Zweifel mit seinen insgesamt 75 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wieder gut da und blickt zuversichtlich in die Zukunft. Früher machte das Unternehmen über 90 Prozent seines Umsatzes mit Industrietextilien, aktuell erwirtschaftet es 85 Prozent mit Produkten aus Bio-Baumwolle.

Konsequent höchste Qualität
Doch wie gelang der Schwenk, der sich einfach anhört, aber keineswegs einfach war, tatsächlich? Anfang der 2000er Jahre gab es einerseits schon Firmen wie Hess Natur, Waschbär oder Memo, die Produkte aus Bio-Baumwolle anboten. Andererseits war der Gesamtmarkt noch relativ klein, große Player wie die Otto Group mit ihrer Initiative Cotton Made in Africa spielten noch keine Rolle und auch Tchibo und andere Unternehmen mit großer Nachfrage waren noch nicht im Boot. Der Preisdruck auf dem Textilmarkt war – und ist bis heute – groß. In dieser Situation setzte Elmer & Zweifel auf konsequent höchste Qualität.
 
„Ich habe mir Produzenten in Asien angeschaut", so Roland Stelzer, „da stehen hochmoderne Maschinen, mit denen kann man gute Qualität oder schlechte Qualität herstellen. Mit geringer Qualität lassen sich traumhafte Margen erzielen. Das aber war nicht unser Weg. In Asien wollten wir nicht produzieren." Kompromisslos sehr gut sollten die Produkte sein, sowohl was die Textilqualität wie den Herstellungsprozess und die verwendeten Rohstoffe anbelangt. Nur so glaubt man bei Elmer & Zweifel auf längere Sicht, erfolgreich sein zu können.

Wie man gute Produkte herstellt, wusste das Unternehmen schon lange. Wie aber bekommt man Bio-Baumwolle, die allen ökologischen und sozialen Ansprüchen standhält? Wo lässt man produzieren, wenn Asien nicht in Frage kommt? Und wie bewegt man sich auf einem nun neuen Markt? Jetzt musste das Unternehmen den Fachhandel adressieren, womit es bislang keine Erfahrung hatte. Also brauchte es einen qualifizierten und engagierten Spezialisten für Marketing, der sich auch für das Thema Bio begeistern konnte. So kam Johannes Brenner ins Spiel, der Ende 2000 die Leitung von Vertrieb und Marketing übernahm. Der gelernte Betriebswirt hatte zuvor bei anderen Unternehmen eher schlechte Erfahrungen gesammelt. „Ich habe viel Übles erlebt. Da wurde gemobbt, Moral und Werte waren eher Fremdworte. Ich wollte endlich mal in einem Unternehmen arbeiten, in dem auf anständige und sinnvolle Art Geld verdient wird. Spätestens als wir die Marke Cotonea aus der Taufe hoben, wusste ich: Hier bin ich richtig. Hier geht es auch um eine andere Art des Wirtschaftens." Inzwischen ist Brenner in Rente gegangen, nicht ohne vorher noch seinen Nachfolger einzuarbeiten.

„Wer Regeln bricht, schafft neue Märkte"
Elmer & Zweifel erwirtschaftet 85 Prozent des Umsatzes mit Produkten aus Bio-Baumwolle. © Cotonea, Klaus MellenthinCotonea betrachtet Johannes Brenner auch als sein „Baby". Den Weg hin zu Bio hatte bereits der Chef geebnet, für den dies nicht nur eine Chance war, die Krise zu überwinden, sondern auch ein persönliches Anliegen. „Meine Familie und ich sind naturverbunden. Verschwendung und Raubbau waren mir immer ein Gräuel", sagt Roland Stelzer. Brenner musste nun ein Konzept ausarbeiten, das auch die Gesellschafter zu überzeugen vermochte. „Es ging ja um eine ganz neue Produktpalette, also brauchten wir auch gute Argumente für die Händler. Zudem mussten wir uns, da wir nun die Verbraucherinnen und Verbraucher ansprachen, nach außen hin öffnen", so Johannes Brenner.
 
Mit anderen Worten: Sehr Vieles musste neu und anders angepackt werden. Nicht zuletzt hieß es, gute und zuverlässige Partner in der Lieferkette zu finden. Ein großes Wagnis, die eine oder andere schlaflose Nacht. Sowohl die Geschäftsführung als auch die Gesellschafter waren bereit für das Neue. „Wer Regeln bricht, schafft neue Märkte", weiß Brenner. „Bei Elmer & Zweifel sind Regelbrecher willkommen." Die Geldgeber brauchten aber Geduld, denn die erste Zeit war schwer: Die alten Kunden waren größtenteils weg und das neue Geschäft noch nicht aufgebaut. Sie glaubten an die Idee, hielten durch.

Kontrolle über die Lieferkette
Mit dem, was bis dato auf dem Markt für Produkte aus Bio-Baumwolle zu finden war, wollte man sich bei Elmer & Zweifel für Cotonea nicht zufriedengeben. Die neue Marke sollte die höchsten sozialen und ökologischen Standards erfüllen. „Wir wollten uns unangreifbar machen", so Roland Stelzer. Man entschied sich für die Zertifizierung durch den Internationalen Verband der Textilwirtschaft (IVN), dessen Standard IVN Best als sehr anspruchsvoll gilt. „IVN Best gewährleistet zum Beispiel eine doppelte Sicherheit mit einer Positivliste, nach der Chemikalien freigegeben werden müssen, und zusätzlich Rückstandskontrollen und Grenzwerte festgelegt sind", sagt Stelzer.
 
„Dennoch: Wer seine Produktionskette nicht genau kennt, ist vor Betrug nie hundertprozentig sicher." Betrugsfälle gibt es bei Bio-Baumwolle leider immer wieder und nicht zu knapp. Daher baute das Unternehmen für Cotonea in Kirgistan und in Uganda eigene Anbauprojekte auf, die direkten Einblick ermöglichen. „Wir fanden ideale Partner, die höchstes Bio-Niveau gewährleisten konnten", sagt Johannes Brenner. 12.500 Bäuerinnen und Bauern sind bereits ökologisch zertifiziert und bauen die Baumwolle in Wechselfrucht an, zum Beispiel mit Sesam, Bohnen oder Sonnenblumen. Sie erhalten feste Preise, einen Bio-Aufschlag und Fair-Trade-Prämien. Damit können sie bis zu zehnmal mehr verdienen als die konventionellen Bauern und gelten als Gutverdiener. Weitere 50.000 Bäuerinnen und Bauern wurden bereits im ökologischen Landbau geschult. Sie können ihre Produkte bislang aber noch nicht als ökologische Produkte exportieren, profitieren jedoch immerhin schon von höheren Erträgen. Vor allem in Uganda gibt es noch tausende Farmer, die für Elmer & Zweifel anbauen möchten. „Das Land war bis 2006 im Bürgerkrieg, die Älteren mit Know-how fehlen, daher sind unsere Schulungen so besonders wichtig", so Stelzer. Sowohl in Kirgistan als auch in Uganda arbeitet das Unternehmen eng mit Hilfsorganisationen zusammen, die sich vor Ort gut auskennen und vor allem die soziale Situation der Menschen im Blick haben. Die Firma hat jedoch auch Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette: Gesponnen wird in Deutschland und in der Türkei. Gewebt, konfektioniert und genäht vor allem in Tschechien, sauerstoffgebleicht, gefärbt und gedruckt wird in Deutschland und der Schweiz.

Transparenz schaffen, Betrug vorbeugen
Wer Nachhaltigkeit in der gesamten Lieferkette gewährleisten will, braucht exakte Informationen. Das ist gerade in den globalen und ausdifferenzierten Ketten der Textilindustrie nicht so einfach. Um hier auch anderen Unternehmen zu helfen, beteiligt sich Elmer & Zweifel mit seinen Erfahrungen an einem Projekt seines Kunden Kaja & Kato, einem Hersteller von Arbeitskleidung, der ebenfalls so nachhaltig wie möglich produzieren möchte. Mit einem Computerprogramm soll eine „Blockchain", eine Informationskette entstehen, bei der alle relevanten Daten und Fakten protokollartig erfasst und kontinuierlich fortgeschrieben werden. So soll ohne großen Aufwand Sicherheit, Transparenz und Fälschungssicherheit erreicht werden. Elmer & Zweifel ist mit Cotonea der Partner mit langjähriger Expertise. Der Computerspezialist IBM ist ebenfalls mit von der Partie, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt das Vorhaben. Bis 2022 soll das Instrument marktreif sein.
 

Kontrolliert wachsen
Das Geschäft läuft gut, der Umsatz wächst zweistellig, auch durch die Coronakrise ist das Unternehmen bisher gut durchgekommen. Allerdings achtet man darauf, dass das Wachstum kontrollierbar bleibt, sprich: Die auf höchste Qualität getrimmte Lieferkette soll keinesfalls überfordert werden. Geschäftsführer Roland Stelzer sehnt sich keinesfalls nach alten Zeiten zurück, die Preisverhandlungen mit den großen Unternehmen waren nie erfreulich. Nun haben wir unsere Marktnische gefunden, in der wir uns noch weiterentwickeln können." Was nimmt man sich bei Elmer & Zweifel für die nächste Zeit vor? „Wir wollen noch mehr Farmern zu höherem Einkommen verhelfen, also sie schulen und zertifizieren."

 
Von Heike Leitschuh

Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 01.12.2021
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig 04/2021 stellt sich grundlegenden Fragen zur Veränderung - Systemwandel - wie wird die große Transformation zur Realität? erschienen.
     
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