Heike Leitschuh

Bauscham statt Bauwahn

Daniel Fuhrhops Forderung: „Verbietet das Bauen!“

Eines der aktuell großen sozialen Probleme: Es gibt zu wenige Wohnungen. Oder nein, das ist schon der erste Irrtum: Es gibt zu wenige Wohnungen, die für Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen ­erschwinglich sind. Daniel Fuhrhop bürstet das Thema komplett gegen den Strich und verlangt „Verbietet das Bauen".
 
Auch in der Corona-Krise steigen die Mieten und Kosten für Eigentum – zumindest in den Ballungsgebieten – weiter. Nun können sich schon ordentlich Verdienende kaum noch eine Wohnung in der Stadt leisten. Besonders die SPD hat sich daher das Thema Wohnen ganz oben auf die To-Do-Liste geschrieben. Ihre, aber nicht nur deren Antwort auf das Problem: Bauen, bauen, bauen! Mit diesem Schlachtruf folgt sie dem keynesianischen Gedanken, dass mehr Angebot die Preise sinken lässt. Leider funktioniert das nicht. Es wird gebaut, was das Zeug hält, und trotzdem steigen die Preise. Und so wird weiter gebaut, auch auf wertvollen Ackerböden, auch auf Flächen, die wir dringend bräuchten, um der Erwärmung der Städte etwas entgegenzusetzen, auch auf Flächen, die den Menschen zur Erholung wichtig sind und die eine Stadt lebenswert machen. Doch es gibt immer mehr Proteste, überall, wo ein Baugebiet geplant ist, wehren sich Bürgerinnen und Bürger gegen den Verlust eines Teils ihrer Heimat.

Diese Menschen bekommen nun ein Buch, das ihnen wertvolle Fakten und Argumente liefert. Denn wer für den Schutz offener Flächen, für Ackerland, für Natur und Klima argumentiert, findet sich schnell in einer sozialbornierten Ecke wieder, da, wo niemand sein will, und so sind die Widersprüche mitunter zaghaft. Ganz so wie früher, als Arbeit, Arbeit, Arbeit zur obersten Priorität ausgegeben wurde, der sich Umweltschutz unterzuordnen hatte.
 
© Daniel Fuhrhop 
Brauchen wir überhaupt mehr Wohnungen?
In dieser Situation kommt einer und sagt: „Verbietet das Bauen!" Kann man denjenigen für voll nehmen? Man kann nicht, man muss! Denn der Mann hat verdammt gute Argumente in seinem gleichnamigen Buch zusammengetragen. Es sei genau andersrum, als behauptet, sagt er: „Wohnungen fehlen, gerade weil so viel gebaut und investiert wird." Verrückt? 2018 wurden 286.000 Wohnungen gebaut, doppelt so viele wie 2009. In einigen Städten würden sogar rein rechnerisch schon zu viele Wohnungen gebaut. Trotzdem explodieren die Mieten, trotzdem fehlt günstiger Wohnraum. Wie kann das sein? Das habe mehrere Gründe, so der Autor Daniel Fuhrhop.
 
Erstens: Wohnungen sind eine Geldanlage geworden. Wer Geld hat, investiert in Immobilien, und eben nicht nur, um selbst darin zu wohnen. Viel Kapital fließt derzeit in den Immobilienmarkt, auch aus dem Ausland. Gerade in Großstädten stehen daher viele Wohnungen leer, weil ihre Besitzer*innen damit spekulieren. Aber auch Millionen Quadratmeter Gewerbeflächen sind verwaist. Die könnten noch sehr viel mehr werden, da man davon ausgeht, dass das Projekt Home Office, das in der Corona-Krise gestartet wurde, auf Dauer attraktiv bleibt.
 
Zweitens: Es werden die falschen Wohnungen gebaut, zu viele für die wohlhabende Klientel. Doch wer meint: „Das kennen wir doch schon, sagen doch andere auch, wir brauchen mehr sozialen Wohnungsbau", der täuscht sich. Fuhrhop, Verleger von Publikationen zur Architektur, plädiert tatsächlich dafür, den Neubau einzustellen. Denn es gäbe eigentlich schon genug Wohnungen, aber eben nicht genug für die hohen Ansprüche an Platz, die es heute gibt.
 
Das ist sein dritter Punkt: 45 Quadratmeter pro Person beanspruchen die Deutschen heute, mit steigender Tendenz. Das sei zu viel. Zu viele Menschen lebten alleine in großen Wohnungen (vier Millionen auf über 80 Quadratmetern) und überhaupt zu viele allein. Und zu guter Letzt: Zu viele Immobilienflächen stehen leer, Gewerbe und Wohnraum. Bauen schade in diesem Kontext mehr, als es nutze, ökonomisch und ökologisch. Eine Neubauwohnung koste rund 80.000 Euro allein an Erschließungskosten, der Energieaufwand ist immens, auch bei den gepriesenen Passivhäusern, denn im Lebenszyklus erfordert das Bauen den größten Anteil an Energie und Ressourcen, und Bauen und Heizen machen sowieso 30 Prozent der Treibhausgase aus. Fassen wir zusammen: Es wird zu viel und das Falsche gebaut, und wir sind zu anspruchsvoll, was die Wohnfläche betrifft.
 
Upcycling und Umwidmung von Gebäuden
Doch was tun? Daniel Fuhrhop plädiert dafür, dort, wo tatsächlich Wohnraum fehlt, mehr Fläche im Bestand zu schaffen. Dafür listet er 100 Werkzeuge auf. Modernisieren statt abreißen ist seine erste Forderung, denn alte Häuser ließen sich in der Regel finanziell und ökologisch gut renovieren. Leerstand soll konsequent erfasst und genutzt werden. Das ist nicht immer einfach, da muss man sich mit Eigentümer*innen anlegen. Dafür braucht es mutige Kommunalpolitiker*innen. Fuhrhop möchte auch, dass Architekten und Planerinnen intelligenter projektieren, um atmende Wohnungen und Büros zu schaffen, die flexibel genutzt werden können. Die Kommunen sollten Menschen helfen, die in kleinere Wohnungen umziehen könnten, den Wohnungstausch zu organisieren. Nicht zuletzt hat er viele Ideen, was die Bürgerinnen und Bürger selbst tun können, um nachhaltiger zu wohnen: zum Beispiel sich von Dingen trennen, die viel Platz brauchen, Wohnraum optimieren, gemeinschaftlich leben.
 
Ein wichtiges, ein mutiges Buch, das gegen eine große Lüge anschreibt: Bauen sei sozial und daher nicht zu hinterfragen. Daniel Fuhrhop: Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß, München 2020.

Heike Leitschuh ist Autorin, Moderatorin und Beraterin für Nachhaltige Entwicklung und lebt in Frankfurt am Main.


Dieser Artikel ist in forum 01/2021 - SOS – Rettet unsere Böden! erschienen.

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