Heike Leitschuh
Lifestyle | Einrichten & Wohnen, 01.03.2021
Bauscham statt Bauwahn
Daniel Fuhrhops Forderung: „Verbietet das Bauen!“
Eines der aktuell großen sozialen
Probleme: Es gibt zu wenige Wohnungen. Oder nein, das ist schon der
erste Irrtum: Es gibt zu wenige Wohnungen, die für Menschen mit kleinem
und mittlerem Einkommen erschwinglich sind. Daniel Fuhrhop bürstet das
Thema komplett gegen den Strich und verlangt „Verbietet das Bauen".
Auch in der Corona-Krise steigen die Mieten
und Kosten für Eigentum – zumindest in den Ballungsgebieten – weiter.
Nun können sich schon ordentlich Verdienende kaum noch eine Wohnung in
der Stadt leisten. Besonders die SPD hat sich daher das Thema Wohnen
ganz oben auf die To-Do-Liste geschrieben. Ihre, aber nicht nur deren
Antwort auf das Problem: Bauen, bauen, bauen! Mit diesem Schlachtruf
folgt sie dem keynesianischen Gedanken, dass mehr Angebot die Preise
sinken lässt. Leider funktioniert das nicht. Es wird gebaut, was das
Zeug hält, und trotzdem steigen die Preise. Und so wird weiter gebaut,
auch auf wertvollen Ackerböden, auch auf Flächen, die wir dringend
bräuchten, um der Erwärmung der Städte etwas entgegenzusetzen, auch auf
Flächen, die den Menschen zur Erholung wichtig sind und die eine Stadt
lebenswert machen. Doch es gibt immer mehr Proteste, überall, wo ein
Baugebiet geplant ist, wehren sich Bürgerinnen und Bürger gegen den
Verlust eines Teils ihrer Heimat.
Diese Menschen bekommen nun ein Buch, das
ihnen wertvolle Fakten und Argumente liefert. Denn wer für den Schutz
offener Flächen, für Ackerland, für Natur und Klima argumentiert, findet
sich schnell in einer sozialbornierten Ecke wieder, da, wo niemand sein
will, und so sind die Widersprüche mitunter zaghaft. Ganz so wie
früher, als Arbeit, Arbeit, Arbeit zur obersten Priorität ausgegeben
wurde, der sich Umweltschutz unterzuordnen hatte.
Brauchen wir überhaupt mehr Wohnungen?
In dieser Situation kommt einer und sagt:
„Verbietet das Bauen!" Kann man denjenigen für voll nehmen? Man kann
nicht, man muss! Denn der Mann hat verdammt gute Argumente in seinem
gleichnamigen Buch zusammengetragen. Es sei genau andersrum, als
behauptet, sagt er: „Wohnungen fehlen, gerade weil so viel gebaut und
investiert wird." Verrückt? 2018 wurden 286.000 Wohnungen gebaut,
doppelt so viele wie 2009. In einigen Städten würden sogar rein
rechnerisch schon zu viele Wohnungen gebaut. Trotzdem explodieren die
Mieten, trotzdem fehlt günstiger Wohnraum. Wie kann das sein? Das habe
mehrere Gründe, so der Autor Daniel Fuhrhop.
Erstens: Wohnungen sind
eine Geldanlage geworden. Wer Geld hat, investiert in Immobilien, und
eben nicht nur, um selbst darin zu wohnen. Viel Kapital fließt derzeit
in den Immobilienmarkt, auch aus dem Ausland. Gerade in Großstädten
stehen daher viele Wohnungen leer, weil ihre Besitzer*innen damit
spekulieren. Aber auch Millionen Quadratmeter Gewerbeflächen sind
verwaist. Die könnten noch sehr viel mehr werden, da man davon ausgeht,
dass das Projekt Home Office, das in der Corona-Krise gestartet wurde,
auf Dauer attraktiv bleibt.
Zweitens: Es werden die falschen Wohnungen
gebaut, zu viele für die wohlhabende Klientel. Doch wer meint: „Das
kennen wir doch schon, sagen doch andere auch, wir brauchen mehr
sozialen Wohnungsbau", der täuscht sich. Fuhrhop, Verleger von
Publikationen zur Architektur, plädiert tatsächlich dafür, den Neubau
einzustellen. Denn es gäbe eigentlich schon genug Wohnungen, aber eben
nicht genug für die hohen Ansprüche an Platz, die es heute gibt.
Das ist
sein dritter Punkt: 45 Quadratmeter pro Person beanspruchen die
Deutschen heute, mit steigender Tendenz. Das sei zu viel. Zu viele
Menschen lebten alleine in großen Wohnungen (vier Millionen auf über 80
Quadratmetern) und überhaupt zu viele allein. Und zu guter Letzt: Zu
viele Immobilienflächen stehen leer, Gewerbe und Wohnraum. Bauen schade
in diesem Kontext mehr, als es nutze, ökonomisch und ökologisch. Eine
Neubauwohnung koste rund 80.000 Euro allein an Erschließungskosten, der
Energieaufwand ist immens, auch bei den gepriesenen Passivhäusern, denn
im Lebenszyklus erfordert das Bauen den größten Anteil an Energie und
Ressourcen, und Bauen und Heizen machen sowieso 30 Prozent der
Treibhausgase aus. Fassen wir zusammen: Es wird zu viel und das Falsche
gebaut, und wir sind zu anspruchsvoll, was die Wohnfläche betrifft.
Upcycling und Umwidmung von Gebäuden
Doch was tun? Daniel Fuhrhop plädiert dafür,
dort, wo tatsächlich Wohnraum fehlt, mehr Fläche im Bestand zu schaffen.
Dafür listet er 100 Werkzeuge auf. Modernisieren statt abreißen ist
seine erste Forderung, denn alte Häuser ließen sich in der Regel
finanziell und ökologisch gut renovieren. Leerstand soll konsequent
erfasst und genutzt werden. Das ist nicht immer einfach, da muss man
sich mit Eigentümer*innen anlegen. Dafür braucht es mutige
Kommunalpolitiker*innen. Fuhrhop möchte auch, dass Architekten und
Planerinnen intelligenter projektieren, um atmende Wohnungen und Büros
zu schaffen, die flexibel genutzt werden können. Die Kommunen sollten
Menschen helfen, die in kleinere Wohnungen umziehen könnten, den
Wohnungstausch zu organisieren. Nicht zuletzt hat er viele Ideen, was
die Bürgerinnen und Bürger selbst tun können, um nachhaltiger zu wohnen:
zum Beispiel sich von Dingen trennen, die viel Platz brauchen, Wohnraum
optimieren, gemeinschaftlich leben.
Ein wichtiges, ein mutiges Buch, das gegen eine große Lüge anschreibt: Bauen sei sozial und daher nicht zu hinterfragen. Daniel Fuhrhop: Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß, München 2020.
Heike Leitschuh ist Autorin, Moderatorin und Beraterin für Nachhaltige Entwicklung und lebt in Frankfurt am Main.
Dieser Artikel ist in forum 01/2021 - SOS – Rettet unsere Böden! erschienen.
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