Tamara Dietl

Ein forum für die Zukunft

Die Transformation begleiten – den Wandel gestalten

Die Welt ist im Umbruch. Die Geschwindigkeit der Veränderungen wird immer schneller. Um diese Veränderung soll es in diesem Heft und in forum allgemein gehen: Um die große Transformation unserer Zeit – getrieben durch Digitalisierung, Globalisierung, durch Klimawandel, Artensterben und künstliche Intelligenz. Diese Transformation ist ein Stresstest und zugleich eine große Chance, neue Kompetenzen zu entwickeln. Eine Ermutigung zum handlungsorientierten Gestalten.

© 123rf.com, severija© 123rf.com, severija
Massive Umbrüche, die durch neue Technologien getrieben werden, sind in der Geschichte der Menschheit natürlich nichts Neues – im Gegenteil, sie sind Teil der Evolution. Das besondere Kennzeichen der heutigen Veränderung ist jedoch neu: es ist ihr schwindelerregendes Tempo! Frühere Transformationen, etwa der Übergang von der Agrar- in die Industriegesellschaft vollzogen sich vergleichsweise langsamer und über mehrere Generationen, was eine allmähliche Anpassung an die Veränderung leichter machte. Die jetzige Transformation jedoch vollzieht sich in nur einer Generation, und zwar in unserer.
 
Der Übergang in das digitale Zeitalter lässt sich beispielhaft an meiner journalistischen Karriere beschreiben, denn als ich diese Mitte der 1980er Jahre begann, hatte ich mein Handwerk noch auf einer mechanischen Schreibmaschine gelernt, meiner guten alten Gabriele. Und als ich dann irgendwann meine erste elektrische Schreibmaschine bekam, war dies eine technische Revolution. Ganz zu schweigen von der unfassbaren Sensation, die der Einzug der ersten Computer in die Redaktionen auslösten. Und zur Erinnerung: Der Siegeszug des I-Phones, also der mobile Zugang ins Internet als Massenware, begann erst vor 14 Jahren, im Jahr 2007. 14 Jahre – das ist evolutionshistorisch betrachtet weniger als eine Nanosekunde und rein rechnerisch eine Zeitspanne, die noch nicht einmal eine Generation umfasst. Meine Tochter, die 2003 geboren wurde, ein hundertprozentiger digital native also, hat auch bei noch so großer Anstrengung keinerlei Vorstellung davon, wie das Leben ihrer Mutter im analogen Zeitalter aussah.

Kurzum, die Transformation, die wir jetzt erleben, ist eine fundamentale, ganzheitliche und evolutionäre Umwälzung der bestehenden Verhältnisse im Turbogang und im XXXL-Format, die uns den bisher (und vermeintlich) so stabil geglaubten Boden unter den Füßen ganz schön ordentlich ins Wanken bringt. Es ist die Volatilität, die wir spüren, die Unsicherheit, die daraus erwächst, die Komplexität, die uns zu überfordern scheint und die Ambiguität, die unser Weltbild erschüttert. Es ist die sogenannte „VUKA"-Welt, in der wir leben, deren Komplexität in schwindelerregender Beschleunigung exponentiell zunimmt – und über allem die Erkenntnis, dass alles mit allem zusammenhängt.

Wandel im Turbomodus
Wer das bis jetzt nicht verstanden hat, den hat spätestens ein unsichtbares Virus mit dieser Realität konfrontiert. Bei der Corona-Krise handelt es sich um die erste globale, kollektive Krisenerfahrung. Sie beschleunigt die Umdrehungszahl der Umwälzungen noch einmal rasant und zeigt uns, wie verletzlich wir sind und dass eben nicht die Sicherheit der Normalzustand ist – sondern die Unsicherheit. Diese Erkenntnis war uns in den langen Wirtschaftswachstums-Wohlstandsjahren irgendwie abhanden gekommen. Denn psychologisch gesehen führt eine längere Zeit vergleichsweise stabiler Verhältnisse dazu, dass wir glauben, es könne immer so weitergehen wie bisher – ein Irrglaube, wie wir ihn gerade jetzt besonders schmerzlich spüren. Oder, um es mit den Worten eines bekannten CEO zu sagen: „Seit dem Ausbruch der Pandemie habe ich das Gefühl, aus einem Dornröschenschlaf aufzuwachen."

Ein weiteres böses Erwachen erlebten wir in diesem Jahr, als der Weltklimarat den ersten Teil seines erschütternden Berichts vorlegte. Der menschengemachte Klimawandel, vor dem uns Wissenschaftler seit den 1980er Jahren warnen, ist in voller Fahrt. Und wir müssen ihn JETZT aufhalten, wenn wir nicht in einer Katastrophe enden wollen. Die Vorboten dieser möglichen Katastrophe konnten wir in diesem Sommer in den Fluten-Bildern von Ahrweiler und der Hitze-Hölle in Griechenland und den USA erahnen.

Stress, lass nach
In der psychologischen Fachliteratur gibt es den Begriff der sogenannten „Dekompensationsgrenze", deren Überschreitung zu einer Krise führt. Dann nämlich, wenn wir die Summe der Stressoren, die auf uns einwirken, nicht mehr zu kompensieren in der Lage sind. Der Begriff der „Dekompensationsgrenze" gefällt mir im Zusammenhang mit den Krisen, die wir gerade erleben, gut, weil sie aus meiner Sicht durch das Überschreiten eben dieser Grenze gekennzeichnet sind. Oder, wie es die Weltgesundheitsorganisation beschrieben hat: „Die beschleunigten technologischen, sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen sind für die enorme Steigerung des psychosozialen Stressniveaus mitverantwortlich und können durch die Sozialpolitik nicht mehr ausreichend abgefedert werden. Psychosozialer Stress gilt zunehmend als Schlüsselfaktor für eine Reihe von Leiden: Depressionen, Angststörungen, Alkoholismus, Erkrankungen des Herzens, Bluthochdruck, Medikamenten-Missbrauch, Neurosen und viele andere mehr...!"

Stress, so die WHO, ist zum Gesundheitsrisiko Nummer 1 des 21. Jahrhunderts geworden. Stress, was in seinem Ursprung Druck, bzw. Kraft bedeutet, ist eine physische und psychische Reaktion auf eine Bedrohung – nicht die Bedrohung selbst. Unser Alltagsgebrauch des Stressbegriffs bezieht sich meistens auf den sogenannten „Disstress", der auch als „negativer Stress" bezeichnet wird und Angst, Unsicherheit, Aggression, aber auch Hilflosigkeit oder Panik hervorruft. Unter Stress verengt sich unsere Wahrnehmung und wir reduzieren sie auf den sogenannten „Tunnelblick". Das bedeutet, dass die Fähigkeit eine Situation angemessen und halbwegs realistisch zu beurteilen, abnimmt. Und damit auch die Möglichkeit angemessen auf die Situation reagieren zu können. Das erzeugt ein Gefühl des Ausgeliefertseins. Ohnmächtig ausgeliefert an eine Situation, die wir nicht mehr beeinflussen können.

Vom Erdulder zum Gestalter
Ich will hier nicht der Dystopie das Wort reden – ganz im Gegenteil – sondern plädiere vielmehr für neue Kompetenzen, mit denen wir den multiplen Krisen eben nicht ohnmächtig, sondern stark und wirkmächtig begegnen können. In der Motivationswissenschaft gibt es zwei kluge Begriffe, die deutlich machen, wohin die Reise gehen könnte. Die Antriebsforscher unterscheiden zwischen dem „lageorientierten Erdulder" und dem „handlungsorientierten Gestalter". Die psychologisch interessante Frage lautet nun: wie wird man zum handlungsorientierten Gestalter? Die Antwort auf diese Frage erhalten wir, wenn wir die sogenannte Resilienz-Kompetenz genauer betrachten. Also die Fähigkeit eines Menschen oder einer Organisation, sich trotz widriger Umstände, trotz Katastrophen und Krisen, Kümmernissen oder Krankheiten immer wieder zu fangen und neu aufzurichten. Resilienz wird auch das Geheimnis der inneren Stärke genannt. Doch so geheimnisvoll sind die Faktoren, die zu Resilienz führen, mittlerweile nicht mehr, denn sie sind umfassend erforscht worden.

Resiliente Menschen haben ein hohes Maß an sogenannter Selbstwirksamkeit, ihnen sind die Muster ihrer eigenen Stress-Reaktion bewusst und deshalb haben sie eine hohe Selbstberuhigungskompetenz. Sie verlassen die Opferrolle und konzentrieren sich auf ihre Möglichkeiten, nicht auf die Hindernisse. Sie pflegen stabile soziale Beziehungen, sind zu Mitgefühl und Empathie fähig und können sich Hilfe holen, wenn sie diese brauchen. Und last but not least – sie haben Humor! Ein Resilienzfaktor, der nicht zu unterschätzen ist. Denn auch Humor kann uns helfen, in die immer wieder so wichtige Distanz zu gehen – zu uns selbst, zu schwierigen Situationen und ja, auch zu der Welt, der VUKA-Welt da draußen. (s. Kasten mit Resilienzfaktoren)

Und noch etwas haben die Resilienzforscher herausgefunden: Resilienz ist nicht etwa eine angeborene Fähigkeit, sondern eine Kompetenz, die man erlernen kann.
 
Das Erlernen von Resilienz und die Bereitschaft Freundschaft mit der Unsicherheit zu schließen, also zu akzeptieren, dass nicht die Stabilität, sondern die Instabilität der Normalzustand ist – das nenne ich Krisenkompetenz. Es ist eine Fähigkeit, die für die Zukunft genauso wichtig werden wird, wie das Lesen- und Schreiben Können. Das gilt übrigens nicht nur für den Einzelnen, sondern auch ganz besonders für Firmen und Unternehmen.

In diesem Sinne – üben wir uns alle in Krisenkompetenz, denn starke Organisationen und kraftvolle Menschen werden dringend gebraucht. Gerade in Zeiten wie diesen.

Von Tamara Dietl
 
Resilienzfaktoren 

1. Resiliente Menschen haben eine ausgeprägte Bereitschaft zur Selbstreflexion
  • kennen die Muster der eigenen Stress-Reaktion
  • haben eine hohe Selbstberuhigungskompetenz 
2. Resiliente Menschen übernehmen Verantwortung 
  • erleben Misserfolg nicht als Ergebnis eigener Unzulänglichkeit, sondern erkennen die wertvolle Gelegenheit, etwas dazuzulernen
  • schreiben ihren Erfolg nicht dem Zufall, sondern ihrer eigenen Leistung zu 
 3. Resiliente Menschen verlassen die Opferrolle 
  •  akzeptieren die Realität und den damit verbundenen Schmerz, werden dann aber wieder handlungsfähig 
4. Resiliente Menschen sind handlungs- und lösungsorientiert 
  • konzentrieren sich auf ihre Möglichkeiten, nicht auf die Hindernisse 
  • treffen bewusste Entscheidungen 
5. Resiliente Menschen pflegen emotional stabile Beziehungen 
  • sind zu Empathie und Mitgefühl fähig
  • können sich Hilfe holen, wenn sie diese brauchen 
6. Resiliente Menschen bleiben zuversichtlich 
  • können erkennen, dass Veränderungen und Stresssituationen nicht nur bedrohlich sind, sondern bewältigbare Herausforderungen darstellen 
  • erleben Krisen und Unglück als temporär und nicht als anhaltend 

Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig 04/2021 stellt sich grundlegenden Fragen zur Veränderung - Systemwandel - wie wird die große Transformation zur Realität? erschienen.

Weitere Artikel von Tamara Dietl:

Trotzdem Ja zum Leben sagen
Der Weg zum Sinn des Lebens. Viktor Frankl hat vor 75 Jahren eines der großen Bücher der Menschheit geschrieben.
Viktor Frankl hat vor 75 Jahren eines der großen Bücher der Menschheit geschrieben. Es ist gerade heute, in unserer globalen Krisenwelt, aktueller denn je, denn es zeigt einen Weg zum Sinn des Lebens.


Der große Wandel
Über Christian Stöckers Buch „Das Experiment sind wir“
Um den großen Wandel der Welt sinnvoll gestalten zu können, meint forum Autorin Tamara Dietl, müssen wir ihn erst einmal richtig verstehen. Dabei hat ihr in diesem Herbst ein neues Buch geholfen: „Das Experiment sind wir“ von Christian Stöcker.


Emanzipationskiller Corona? 
Nicht jammern, ­machen!
Frauen sind angeblich Opfer der Corona-Krise. Aber liegt es wirklich am Virus oder an der eigenen, bequemen Bereitschaft, in alte Rollenbilder zurückzufallen? forum Autorin Tamara Dietl spricht Klartext und wünscht sich mehr Kampfeslust.


Innovation aus Leidenschaft
forum-Interview mit drei Vorständen einer außergewöhnlichen Firma
Ist es möglich, Innovation als Service zu verkaufen? Kann man Innovation als Auftrag vergeben? Welche Kultur ermöglicht Innovation? Fragen von Tamara Dietl an die drei Vorstände einer außergewöhnlichen Firma.


Krisen
Blaupausen für die VUCA-Welt - Sargnagel für den Neoliberalismus
Schon vor Corona kennzeichnete permanente Veränderung in immer schnellerem Tempo die Zeit, in der wir leben. Durch Digitalisierung, Globalisierung und Vernetzung hatte die Komplexität unseres Lebens eine neue Dimension erreicht – von unserem Wachstumswahnsinn und seinen lebensbedrohlichen Folgen für Klima und Umwelt ganz zu schweigen! Mit dem weltweiten Ausbruch der Pandemie beschleunigt sich die Umdrehungszahl dieser Herausforderungen noch einmal rasant. Jetzt kommt es mehr denn je darauf an, wie wir diesen multiplen Weltkrisen begegnen.




     
        
Cover des aktuellen Hefts

Zukunft gestalten

forum 04/2025

  • Mobilitätswende
  • Geschäftsreisen
  • Kreislaufwirtschaft
  • Awards auf dem Prüfstand
Weiterlesen...
Kaufen...
Abonnieren...
11
OKT
2025
Entrepreneurship Summit 2025
KI verteilt die ökonomischen Chancen neu
14195 Berlin
30
OKT
2025
Klimakrise: Demokratische Revolution gegen uns "Konsum-Monster"!
Reihe "Demokratie, Interessenvertretung und Macht - Wer entscheidet eigentlich?"
81675 München und online
01
DEZ
2025
GreenSign Future Lab 2025
Hospitality neu denken
10785 Berlin
Alle Veranstaltungen...

Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol

Mobilität & Transport

"It's all about Mobility."
Büßen wir nicht ein, worum es uns letztlich geht - Freiheit und Lebendigkeit?
B.A.U.M. Insights
Hier könnte Ihre Werbung stehen! Gerne unterbreiten wir Ihnen ein Angebot

Jetzt auf forum:

lixtec gewinnt den TRIGOS Steiermark 2025 mit „Smart Lighting Böheimkirchen“

Frischhalten auf Knopfdruck – nachhaltiges Haushalten leicht gemacht

Junge Perspektiven für globale Gerechtigkeit

Müllverbrennung als Maßnahme für den Klimaschutz?

Autogipfel im Kanzleramt

Gesund wohnen leicht gemacht – mit toom und dem Blauen Engel

Bundesweite GoWorld! Infomessen

Deutscher Nachhaltigkeitspreis "Unternehmen" - Verleihung am 5. Dezember 2025 in Düsseldorf

  • Engagement Global gGmbH
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
  • NOW Partners Foundation
  • Protect the Planet. Gesellschaft für ökologischen Aufbruch gGmbH
  • TÜV SÜD Akademie
  • Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (BNW)
  • circulee GmbH
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • toom Baumarkt GmbH
  • Global Nature Fund (GNF)
  • Engagement Global gGmbH
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen
  • NOW Partners Foundation
  • Protect the Planet. Gesellschaft für ökologischen Aufbruch gGmbH
  • TÜV SÜD Akademie
  • Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (BNW)
  • circulee GmbH
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • toom Baumarkt GmbH
  • Global Nature Fund (GNF)