Das Unternehmertum entheroisieren
Den weiblichen Unternehmergeist fördern
Welche tiefere Bedeutung hat Unternehmertum? Was steckt dahinter, dass in Deutschland angeblich so wenige Frauen ihr eigenes Unternehmen gründen? Und was können wir tun, um den weiblichen unternehmerischen Geist zu fördern?
In Deutschland wird der Ruf laut, dass es mehr Gründerinnen geben sollte. Laut Female Founders Monitor 2020 werden nur knapp 16 Prozent der Start-ups von Frauen gegründet. Gemäß der Studie haben Start-ups dabei drei wesentliche Merkmale: Sie sind jünger als zehn Jahre. Sie sind mit ihrer Technologie und/oder ihrem Geschäftsmodell innovativ. Und sie haben beziehungsweise planen ein signifikantes Mitarbeiter- und/oder Umsatzwachstum.
Legen wir das Augenmerk auf den letzten Punkt. Um dieses „signifikante Wachstum" in relativ kurzer Zeit zu realisieren, wird der Gründer respektive die Gründerin in der Regel nicht drum herumkommen, externe Geldgeber*innen mit ins Boot zu holen. Natürlich lassen sich diese nur auf das Geschäft ein, wenn die Wachstumsprognosen entsprechend attraktiv sind. Ein Unternehmen, das schnell und mit viel externem Geld von außen wächst, kann zum „Monster" werden. Ein Monster, das dem Gründer oder der Gründerin in seiner Komplexität, mit seinem Druck und mit den vielen Wachstumsschmerzen den Schlaf raubt. Diese entstehen beispielsweise durch das schnelle Einstellen vieler neuer Mitarbeiter*innen oder das Skalieren von Systemen und Prozessen. Plötzlich ist der Gründer/die Gründerin kein Unternehmer/keine Unternehmerin mehr, sondern ein Manager/eine Managerin, an die ganz neue Anforderungen gestellt werden, nämlich den Laden zu schmeißen. Ist das die Selbstbestimmung, von der er oder sie vor der Gründung geträumt hat? Oder ist das am Ende sogar ein selbstgebautes Gefängnis?
Existenz statt Start-up
Möglicherweise Iiegt darin der Grund, weswegen ein Großteil der Start-ups nicht von Frauen gegründet werden. Sie lehnen dieses „Monster" ab. Meine These: Frauen stellen nicht sich oder ihr Unternehmen, ihr Produkt oder ihre Dienstleistung in den Vordergrund, sondern das Problem, dessen Lösung oder gar dessen Wertbeitrag. Es geht ihnen darum, selbst loszugehen, es anzupacken, im eigentlichen Sinne „etwas zu unternehmen". Aber nicht auf Kosten der eigenen Gesundheit oder auf Kosten der Familie. Der Aufbau des Geschäfts darf sich im Vergleich zur klassischen Start-up-Welt etwas langsamer entwickeln und dafür nachhaltiger sein.
Gestützt wird diese These durch eine Erhebung im Female Founders Monitor, die besagt, dass 40 Prozent der Existenzgründungen weiblich sind. Die 16 Prozent der von Frauen gegründeten Start-ups stehen also den 40 Prozent der Existenzgründerinnen gegenüber. "Das liegt daran, dass zu den 40 Prozent der Existenzgründerinnen (im Gegensatz zu den Start-ups) auch die strickende Mama zählt, die gelegentlich ein paar Wollsocken auf Etsy verkauft”, mag jetzt so mancher einwenden. Und wenn? Sind sie deshalb keine Unternehmerinnen, die gestalten, (sich) ausprobieren, sich dem Markt stellen, Chancen nutzen, innovieren?
Selbstwirksamkeit durch Unternehmertum
Es soll keine der beiden Seiten verteufelt oder gutgeheißen werden. Ich möchte auch nicht schwarz/weiß, Mann/Frau spielen, sondern lediglich den Blick von den "Helden und Einhörnern” der Start-up-Szene weglenken. Das Augenmerk muss vielmehr auf der tieferen Bedeutung von Unternehmertum liegen, auf besondere und meines Erachtens viel zu wenig beachtete Aspekte von Gründung und Unternehmertum: nämlich eigenverantwortliche und selbstwirksame Tätigkeit, mündiges Gestalten aus eigener Kraft zu unserem und zum Wohle aller.
Es geht mir um die Sensibilisierung für die Bandbreite zwischen „Risikokapital und Wollsocken". Zu prüfen, welche Ressourcen man zur Verfügung hat, welche wirklichen Probleme in der Welt man lösen möchte. Das nicht Vorhersehbare aushalten zu können und sich immer wieder darauf zu besinnen, wofür man angetreten ist und sich darauf zu konzentrieren, achtsam einen Schritt nach dem anderen zu gestalten. Offene Augen und Ohren für sich auftuende Chancen zu haben. Sich auf dem Weg Partner an Bord zu holen, die unter den aktuellen Umständen der Unsicherheit bereit sind, ihre Ressourcen zu investieren. Losgehen, sich ausprobieren, hinfallen, neu machen, wachsen. Das ist Unternehmertum!
Die zehn unternehmerischen Kernkompetenzen
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Gesundes Wachstum ohne Finanzierung
Natürlich gibt es sie, die klugen und herzlichen (Impact-) Investor*innen, die helfen, mit ihrem Geld eine wirklich gute Idee aus der Taufe zu heben. Das kann ein guter Weg sein, wenn das Unternehmen als lebendiger Organismus begriffen wird, der in einem gesunden Tempo wachsen darf.
Aber es gibt auch ausreichend Gründungen „jenseits von Wollsocken", die keine große Finanzierung benötigen, die aber dennoch echte Probleme lösen, Arbeitsplätze schaffen und beständig wachsen. Ein Beispiel hierfür ist Chemistree, ein junges Unternehmen aus München, das Menschen durch Algorithmen-basiertes Matching zusammenbringt, beispielsweise im Rahmen von Mentorships oder Begegnungen auf Konferenzen. Zuletzt hat das Unternehmen mehrere 1.000 Menschen auf der digitalen DLD-Konferenz zielgerichtet zusammengeführt und wirkungsvollen Austausch gefördert.
Gründerin Rosmarie Steininger hat mit Anfang 40 ihre Tätigkeit bei einer Stiftung gekündigt, um Chemistree zu gründen. Das ist mittlerweile vier Jahre her und Rosmarie Steininger hat aus eigenen Ressourcen ein profitables, solide wachsendes Unternehmen geschaffen. Sie macht sich jedes halbe Jahr Gedanken darüber, wo die richtige Balance aus „die sich bietenden Chancen optimal nutzen, sich also nicht künstlich verzwergen" und „für mich gut und machbar wachsen" liegt. Was heißt es nun, „Unternehmertum zu entheroisieren", und was können wir tun, um den unternehmerischen Geist zu fördern? Was ist denn überhaupt so außergewöhnlich am Unternehmerischen? Ist "etwas unternehmen” nicht eine Selbstverständlichkeit? Wo liegt der Unterschied, einen Kindergeburtstag zu organisieren, eine lange Reise vorzubereiten oder ein kleines Unternehmen zu gründen? Das Unternehmertum muss in einen anderen Kontext gesetzt werden!
Leben statt BWL-Studium
Für Unternehmertum muss man nicht Betriebswirtschaftslehre studiert haben. Ich habe Betriebswirtschaft studiert und dieses Wissen nützt mir bei meinen Gründungen oder bei der Unternehmensführung nichts. Was mir nützt, ist meine praktische Erfahrung, ein gutes Netzwerk und das viele Ausprobieren.
Eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern hat oft mehr Organisationstalent als so mancher Manager. Die alleinerziehende Mutter wird, muss und will wahrscheinlich kein Großunternehmen führen, dafür wurde BWL erfunden. Aber für eine einfachere, überschaubarere Gründung sind ganz andere Kompetenzen beziehungsweise Wesensarten notwendig. Die wichtigsten Kompetenzen, von Vertrauen über Ausdauer bis hin zum Fokushalten, lernen wir nicht im Studium. Nein!
Wir lernen sie im Laufe des Lebens, während wir unser Schulkind monatelang durch Homeschooling führen, während wir dafür sorgen, dass sich das Kindergartenkind nicht zu Tode langweilt und der Säugling verhungert. Wir lernen es, während wir unseren Haushalt organisieren und die Aktivitäten der ganzen Familie im Blick haben. Wir lernen es im Büro, wenn wir mit den unterschiedlichsten Kollegen zurechtkommen und uns immer wieder auf neue Chefs einstellen. Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Zeigen soll sie, dass wir die wichtigsten, unternehmerischen Tugenden im Laufe unseres Lebens erlernen. Hier geht es um Bewusstsein und Anerkennung dieser Kompetenzen als unternehmerische Grundvoraussetzung und dann um den bewussten Einsatz. Unternehmertum muss selbstverständlicher werden, dann werden wir unfassbar viel ungenutztes Potenzial in unserer Gesellschaft heben.
Maren Jopen war sieben Jahre im Gefängnis. Nach einer Karriere als Marketing-Managerin hat sie 2010 ein Sozialunternehmen mitgegründet und Strafgefangenen beigebracht, nach der Haft ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Das Projekt ist preisgekrönt und wurde in diversen TV-Beiträgen und vielen deutschen Zeitungen portraitiert. Jetzt ist sie Gründerin der Jopenau.de und hat die Mission, Frauen für das Thema Unternehmertum „wach zu küssen". Ihre Vision ist eine Welt, in der wir Frauen alles sein dürfen: Mutter, Partnerin, Unternehmerin, einfach Ich.
Nur 15,7 Prozent Startup-Gründerinnen
Der Female Founders Monitor (FFM) ist die zentrale Studie zur Bedeutung von Gründerinnen für das deutsche Startup-Ökosystem. Ziel des Female Founders Monitors ist es, Startup-Gründerinnen in Deutschland zu unterstützen und auf diese Weise die Offenheit, Diversität und Wettbewerbsfähigkeit des Startup-Ökosystems zu fördern. Auf Basis von Zahlen und Fakten schärft der FFM das Bewusstsein für die Bedingungen von Startup-Gründerinnen, benennt aktuelle Herausforderungen und leistet damit einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandlungsprozess.
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Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 01.09.2021
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 03/2021 mit Heft im Heft zur IAA Mobility - KRISE... die größte Chance aller Zeiten erschienen.
Pioniere der Hoffnung
forum 01/2025 ist erschienen
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