IPCC Klimarat: Die Zeit läuft und schneller als gedacht

Dr. Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank, analysiert den Bericht des UN-Klimarates.

3.949 Seiten. So ausführlich ist der erste Teil des neuen Berichts vom UN-Klimarat IPCC. Gut, dass kaum jemand sich Dokumente heute noch ausdruckt, damit wäre dem Klima sicherlich nicht gedient. Aber abgesehen davon: Bedarf es heute tatsächlich eines derartigen Berichts, hat dieser Sommer mit seinen Flutkatastrophen, Waldbränden und Hitzewellen nicht auch dem Letzten klar gemacht, worum es geht? Die Antwort ist ein klares Ja, es bedarf dieses Berichts, denn der Report stellt einen internationalen Konsens her, was als wissenschaftlicher Stand der Dinge gilt. Gerade in Sachen Klima ist ein multilateraler Konsens unerlässlich. Politiker*innen wird es durch den Bericht erschwert, den menschengemachten Klimawandel zu leugnen – so etwas soll ja durchaus vorkommen.

Dr. Cyrus de la Rubia ist Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank AG und Leiter Economics. © HCBEs ist mittlerweile der sechste Sachstandsbericht des UN-Klimarats und er führt ein weiteres Mal unmissverständlich vor Augen, was wir wissen und warum gehandelt werden muss. Der Temperaturanstieg gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter beträgt 1,1 Grad Celsius und die auf der Basis von noch leistungsfähigeren Computern durchgeführten Simulationen zeigen, dass der nicht mehr zu vermeidende Anstieg auf 1,5 Grad Celsius früher erreicht werden dürfte als bislang erwartet. Nicht später als 2040 dürfte es im Durchschnitt derart warm geworden sein, bislang war man hier noch wesentlich ungenauer gewesen und hatte ein Zeitspanne von 2030 bis 2052 angegeben.

Regionale Unterschiede
Eines muss man sich klar machen: Hier wird von einem durchschnittlichen Temperaturanstieg gesprochen. Dabei gibt es signifikante regionale Unterschiede. In Südeuropa und Nordafrika etwa wird der Temperaturanstieg wahrscheinlich 20 % höher ausfallen als im globalen Durchschnitt. Übersetzt heißt dies unter anderem mehr Hitzewellen, größere Trockenheit, mehr Wald- und Buschbrände, häufigere Ernteausfälle, höhere Gesundheitsrisiken und neue Krankheitserreger. Die Angaben stammen vom zweiten Berichtsteil des IPCC, der noch nicht veröffentlicht wurde, aber der Nachrichtenagentur AFP vorliegt.

Man kann die erhöhten Risiken auch anders ausdrücken. Beispielsweise wird laut IPCC ein üblicherweise ein Mal in einem Jahrzehnt stattfindendes Extremhitze-Ereignis bei einem Temperaturanstieg von 1 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter etwa drei Mal stattfinden, bei einem Anstieg um 1,5 Grad Celsius gleich vier Mal. Kommt es dagegen zu einem Anstieg der durchschnittlichen Temperatur um 4 Grad Celsius, hätte man praktisch in jedem Jahr ein Extremhitze-Ereignis. Die Häufigkeit von Starkregen-Ereignissen steigt etwas weniger deutlich an (bei 1,5 Grad Celsius 1,5 Mal in einem Jahrzehnt). Dafür ist die Niederschlagsmenge aber 10,5 % höher. Für Häuslebauer heißt dies ganz konkret: Achten Sie wesentlich stärker als das bisher üblich war darauf, wie exponiert das Grundstück gegebenenfalls einem Starkregen ausgesetzt sein würde.

Klimaanpassung und Klimaschutz
Das ist es, was uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten beschäftigen wird, die Klimaanpassung. Wie muss die Infrastruktur angepasst werden, damit diese sich bei häufiger werdenden Extremwetter-Ereignissen als resilient erweist? Wo darf in Zukunft noch gebaut werden? Wie müssen Schulen, Universitäten und anderen öffentliche Einrichtungen konzipiert und ausgestattet werden, um ggf. auch bei Hitzewellen noch arbeiten zu können? In diesem Zusammenhang bedarf es auch neuer Datenerfassungen und Kartierungen, auf deren Grundlage Entscheidungen getroffen werden können.

Klimaanpassung allein aber reicht nicht. Wenn man sich nur darauf konzentriert und den Klimaschutz vernachlässigt, wird man dieses Rennen verlieren. Denn vieles spricht dafür, dass der Klimawandel sich nicht linear verhält. Es gibt Kipppunkte, ab denen das Chaos ausbricht. Je höher der Temperaturanstieg ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass dieser nur schwer zu bestimmende Kipppunkt erreicht wird und lineare Veränderungen plötzlich zu einem exponentiellen Anstieg werden. Bei Corona ist es uns immer wieder gelungen, exponentielle Veränderungen in den Griff zu bekommen. Der Konsens unter den Experten ist, dass dies beim Klima ab einem bestimmten Punkt nicht möglich ist, es sei wir sprechen über einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren.

Klimaschutz bedeutet, dass man anerkennt, dass es ein eng begrenztes Budget an Treibhausgasemissionen gibt, vor allem CO2, und danach zu handeln. Überschreitet man das begrenzte Budget, erreicht man den Kipppunkt. Man kann hier in der Sprache der Ökonomen von einer Budgetrestriktion sprechen. Im Unterschied zu einem Unternehmen, dass die Budgetrestriktion dadurch spürt, dass es bei einem zu verschwenderischen Umgang mit seine Mitteln irgendwann Insolvenz anmelden muss, macht sich die CO2-Budgetrestriktion beim Klima mit Verzögerung von vielen Jahren bemerkbar. Insofern kann man den Ereignissen dieses Sommers doch noch etwas Positives abgewinnen. Es ist ein lauter Weckruf, ein schrill läutender Wecker, und der IPCC-Report soll dafür sorgen, dass wir und die Politik nicht einfach auf Snooze drücken.

Dr. Cyrus de la Rubia ist Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank und deckt dort von der Konjunkturanalyse über Zins- und Währungsmärkte bis zur Tokenökonomie ein breites Spektrum an Themen ab. Modernes Geld und Zentralbanken gehören zu seinen Schwerpunkten, außerdem ist er in der wirtschaftspolitischen Beratung für Schwellenländer tätig und war viele Jahre Dozent an der Frankfurt School of Finance and Management.
 
Kontakt: Hamburg Commercial Bank AG, Dr. Cyrus de la Rubia | cyrus.delarubia@hcob-bank.com | www.hcob-bank.de

Umwelt | Klima, 18.08.2021

     
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