Jetzt oder nie

Die Eventbranche bricht auf zu neuen Ufern

Nur wenige Wirtschaftsbereiche wurden ähnlich hart vom Lockdown getroffen wie die Veranstaltungsbranche. forum berichtete darüber in der Ausgabe 4/2020. Alle sind sich darüber im Klaren, dass nichts mehr so sein wird wie früher, dass sich viel verändern wird. Doch anstatt zu resignieren, finden sich die kreativsten Köpfe zusammen, um neue Lösungen zu entwickeln. forum lud dazu Impulsgeber der Branche zum Zukunftsgespräch ein.
 
In einem ist man sich einig: Nachhaltigkeit wird zu einer Conditio sine qua non. Nicht zuletzt, weil zukünftig immer mehr Auftraggeber nach klima­neutraler Durchführung, Müllreduzierung, Energieeinsparung, Klimaneutralität und Bio-Catering fragen.
 
Frau Schramm, bei MEET GERMANY setzen Sie in diesem Jahr ganz besonders auf das Thema Nachhaltigkeit. Warum – braucht die Branche neue Impulse?
Tanja Schramm, MEET GERMANY: ´Ist digital die Zukunft der Eventbranche? Wie wichtig wird das Thema Nachhaltigkeit?`© Meet GermanyGenau jetzt ist der richtige Zeitpunkt, den Blick in die Zukunft zu wagen und mittel- und langfristig zu planen. Das Umfeld hat sich verändert, die Welt ist digitaler geworden. Aber nicht nur das: Unsere Branche ist sensibilisiert. Präsenz-Events fanden 2020 und finden 2021 nur eingeschränkt statt. Die Fragen lauten: Ist digital unsere Zukunft, wo entwickeln wir uns hin und was bedeutet die neue Ausrichtung für das Thema Nachhaltigkeit?
 
Viele Unternehmen und Verbände nutzen die veranstaltungsarme Zeit intensiv, um sich im Bereich Nachhaltigkeit neu aufzustellen. In Zukunft werden Ausschreibungen und Anfragen so gestaltet, dass nur die Dienstleister berücksichtigt werden, die sich dieser Entwicklung angepasst haben. Und genau hier setzen wir an: Als größtes Netzwerk der Eventbranche im deutschsprachigen Raum mit über 2.700 Netzwerkpartnern und 1.200 Firmen möchten wir die Branche für diese Entwicklung sensibilisieren, sie in den Austausch bringen und in der Entwicklung Richtung Nachhaltigkeit unterstützen.
 
Im Jahr 2021 steht deshalb bei uns Nachhaltigkeit im Fokus: Unter dem Motto „The (R)Evolution of Business, People, Technology & Planet" laden wir zu vier SUMMITS ein und informieren über Green Meeting, Green Marketing, Green Design und Green Entertainment. Außerdem fahren wir eine Jahreskampagne Nachhaltigkeit, die mit der „Ressource" Mensch und der 10x10 Challenge – „10 Monate für 10mal mehr Energie!" – anfängt. Jeder, der mit der Eventbranche zu tun hat beziehungsweise Veranstaltungen organisiert oder plant, kann kostenfrei an diesen Angeboten partizipieren.
 
Sie haben dabei sehr vielseitige Partner im Boot. Wie kommt es zu diesem Konglomerat?
Schon vor Corona planten wir gemeinsam mit unserem Hauptpartner 2bdifferent, die Eventbranche ein Jahr in Sachen Nachhaltigkeit zu unterstützen. Auch die IMEX Group begleitet uns schon seit zwei Jahren. 2019 begeisterte sie unsere Fachbesucher mit ihrer Initiative „She means business". Last but not least wurde uns dieses Jahr Stefan Lohmann, der Gründer von Sustainable Event Solutions, empfohlen. Er kommt aus der Entertainmentbranche und engagiert sich mit viel Herzblut und Engagement für das Thema Nachhaltigkeit.
 
Herr May, 2bdifferent setzt sich seit Jahren für mehr Nachhaltigkeit in der Branche ein. Welche Entwicklungen erwarten Sie in diesem Jahr?
Jürgen May, 2bdifferent: ´Ein Zurück zu alten Systemen, Handlungsweisen und Eventformaten wird es nicht mehr geben.` © 2bdifferentWir erinnern uns: „Ich will, dass ihr in Panik geratet" war die Botschaft von Greta Thunberg angesichts des Zustands der Erde. In Sachen Klimaschutz ist trotzdem nicht allzu viel passiert. Doch ein „kleines" Virus stürzt nun die Leute in Panik und ganze Branchen in die Krise. Das schafft endlich die Möglichkeit zur grundlegenden Veränderung – die große Chance, jetzt den Weg zu einer nachhaltigeren Gesellschaft und Wirtschaft einzuschlagen! Dies gilt auch und besonders für die Eventbranche. Ein Zurück zu alten Systemen, Handlungsweisen und Eventformaten wird es nicht mehr geben.
 
Die Eventformate ändern sich rasend schnell – hin zum Digitalen. Präsenzevents, die noch bleiben, fallen minimalistischer, fokussierter aus. Nachhaltigkeit in der Eventbranche entwickelt sich durch die Krise von einer „Nice to have"-Option zu einem harten „Must have"-Standard. Doch es gibt immer noch eine große Lücke zwischen Veranstaltungsplanenden und -anbietern. Im Gegensatz zu den Anbietern ist der Nachhaltigkeitsgedanke in den Eventabteilungen der Unternehmen bereits Teil der Unternehmensstrategie geworden. Dazu zählen die Beachtung von Lieferketten oder Ressourceneffizienz sowie eventspezifische Managementsysteme.
 
Wer treibt die Entwicklung an und was müsste von Seiten des Gesetzgebers passieren?
Die Dienstleisterseite muss sich darauf vorbereiten, dass sich noch in diesem Jahr bei der Auftragsvergabe die Anforderungen der Unternehmen in Sachen Nachhaltigkeit erhöhen werden. Wir entwickeln gerade für vier DAX- und MDAX-Unternehmen nachhaltige Ausschreibungsmodule für Messen, Kongresse und Events, die mit der unternehmerischen Nachhaltigkeitsstrategie und den Sustainable Development Goals der UN synchronisiert werden. Der Gesetzgeber sollte aus unserer Sicht seine Lenkungsfunktion sowohl bei gesetzlichen Vorgaben und Auflagen als auch bei der Vergabe von Subventionen und Bezuschussungen stärker ausüben. Nur so kann nachhaltiges Wirtschaften aktiv gefördert werden.
 
Wo steht dann die Eventbranche in fünf Jahren?
Das können wir aktuell nicht prognostizieren. Was allerdings klar ist: Die Eventbranche muss sich komplett neu erfinden. Denn was wir jetzt schon kundenseitig im Rahmen unserer Nachhaltigkeitsberatung vernehmen, ist, dass es nach Corona kein "normales” Eventbusiness mehr geben wird. Wer heute nicht die Gesellschaft und die Umwelt mit einbindet, wird zukünftig ökonomisch keinen Erfolg haben!
 
Herr Lohmann, haben Sie als Live Entertainment Experte sowie Talent Buyer & Booking Agent nicht gerade andere Probleme, als sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen?
Stefan Lohmann, Sustainable Event Solutions: ´Der Umgang der Politik mit der Eventbranche ist kurzsichtig und unverantwortlich.´ © Sustainable Event SolutionsWie das Bündnis „Alarmstufe Rot" immer wieder verdeutlicht, sind die wirtschaftlichen Probleme in der Eventbranche weiterhin enorm. Das hier auszuführen, sprengt wohl den Rahmen. Aber der Umgang der Politik mit der Eventbranche ist kurzsichtig und wirtschaftlich unverantwortlich. Trotz dieser aktuell verheerenden Situation möchte ich nicht die Augen vor dem noch viel größeren Problem verschließen: dem Klimawandel. Denn dagegen gibt es keinen Impfstoff. Wenn Europa bis 2050 klimaneutral sein soll und wir in Deutschland durch das Klimaschutzgesetz bis 2030 55 Prozent CO2 einsparen müssen, dann kommen Wirtschaft und Eventbranche nicht drumherum, schnellstmöglich klimaneutral zu werden.
 
Die Veranstaltungswirtschaft muss deshalb den aktuellen Stillstand nutzten, um sich zu digitalisieren und nachhaltige Eventkonzepte zu erstellen. Jetzt könnten wir die Grundlage für einen nachhaltigen Neustart legen. Doch dazu braucht es gezielte Förderungen und Konjunkturpakete, die verknüpft sind mit einer klimaneutralen und nachhaltigen Ausrichtung der Geschäftsmodelle.

Deshalb fordern wir in einer Art „Alarmstufe Grün" die Politik zum schnellen Handeln auf und haben dazu einen Aufruf gestartet, unter anderen mit Tanja von MEET GERMANY und über 150 weiteren Unterstützer*innen. Wir schmieden eine Allianz der Auftraggeber*innen und Auftragnehmer*innen, Verbände, Kreativen, Agenturen. Das Spektrum reicht vom Künstler Jan Delay bis hin zum Umweltsenator Jens Kerstans. Jeder kann unseren Aufruf unterzeichnen.
 
Die Förderung und Investition in eine klimaneutrale und nachhaltige Veranstaltungswirtschaft, die ja vor der Krise kerngesund und profitabel war, ist wichtig und risikolos, denn der kommende Boom der Branche ist durch die Impfungen vorhersehbar. Ein deutliches Zeichen ist, dass Live Nation – einer der größten Konzert- und Festival- Veranstalter der Welt – bereits deutlich über dem Börsenwert von vor der Krise liegt, nachdem der Börsenkurs von Live Nation zwischenzeitlich – durch die Pandemie – abgestürzt war.
 
Sie stecken mit Ihrem Projekt Sustainable Event Solutions sehr viel Herzblut in das Thema Nachhaltigkeit. Wie möchten Sie hier die Eventbranche unterstützen?
Wir bieten der Branche ein klimaneutrales und nachhaltiges Artist Relations Management. Ich habe mit Experten einen kostenlosen und komprimierten Sustainability Rider mit Checkliste entwickelt. 13 Leitlinien sorgen extrem niedrigschwellig dafür, dass wirklich JEDER nachhaltigere und klimaneutrale Veranstaltungen umsetzen kann. Zudem bieten wir Veranstaltern das nachhaltig agierende Berlin Show Orchestra, mit dem wir internationale Stars und Shows begleiten. Das Orchester stand unter anderem mit dem erfolgreichsten deutschen Elektrokünstler Schiller auf Platz 1 der Albumcharts.

Vor allem mit unserem neuen Projekt Sustainable-Event-Solutions machen wir nachhaltige Lieferanten sichtbar und auffindbar. In Planung ist zudem ein eigenes Sustainable Event Solutions Magazine in Kooperation mit forum Nachhaltig Wirtschaften.
 
Frau Knecht, auch die IMEX Group lässt sich nicht entmutigen und hat „nature" zu ihrem internationalen Jahresthema 2021 gemacht. Warum liegt Ihnen die Natur so am Herzen?
Tanja Knecht, IMEX Group: ´Die von außen verordnete Entschleunigung gab uns die einmalige Chance, bei uns selbst anzukommen.´© ImexDas hat mehrere Gründe. Unsere Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit begann schon mit der ersten IMEX in Frankfurt 2003. Bereits damals war uns bewusst, dass unsere Branche in der Verantwortung steht, nachhaltiger zu werden. Seinerzeit haben wir vor allem auf die Aufklärung und die Aus- und Weiterbildung im Rahmen unserer Messen abgezielt und uns dazu mit Pionieren und Beratern der Nachhaltigkeit verbunden, die uns inhaltlich unterstützt haben. Diesen Ansatz der Kollaboration, der Nutzung des Schwarmwissens, verfolgen wir noch immer. Seit vielen Jahren verleihen wir auch einen CSR- beziehungsweise Green Award, in dem wir nachhaltige Initiativen und Projekte vorstellen und auszeichnen. Als wir 2019 beschlossen, „nature" zu unserem Fokusthema für gleich zwei Jahre zu machen, war uns nicht bewusst, wie richtig wir mit dieser Themenwahl gerade jetzt liegen sollten. Denn nur Monate später, Anfang 2020 haben wir alle die enorme Kraft der Natur vor allem auf persönlicher und gesundheitlicher Ebene brutal erleben dürfen.

Die Pandemie hat uns aber auch Zeit geschenkt, die Welt anders zu sehen. Die von außen verordnete Entschleunigung gab uns die einmalige Chance, bei uns selbst anzukommen: in psychologischer Dimension, aber auch im räumlichen Sinne. Wir hatten Zeit, die Natur beim Frühlingserwachen zu beobachten, zu hören und zu riechen. Es gab kein Höher, Schneller, Weiter, deshalb haben wir uns auf die Natur vor unserer Haustüre einlassen können. Die Natur gab uns Kraft, Erdung und Orientierung während des letzten Jahres der Unsicherheit und der vielen offenen Fragen.
 
Und deshalb glauben wir bei der IMEX Group, dass gerade jetzt der perfekte Zeitpunkt ist, unser Verhältnis zur Natur grundlegend zu verändern und diese Krise auch als Impuls hierfür zu nutzen. Gerade jetzt dürfen unsere Bemühungen für unseren Planeten nicht ins Hintertreffen geraten! Es geht um einen Paradigmenwechsel, der uns alle betrifft, und wir glauben, dass unsere Branche eine wichtige Rolle darin spielt, diese Veränderungen vorwärts zu treiben. Aus diesem Verständnis heraus haben wir – gemeinsam mit Projektpartnern – ein White Paper verfasst namens „The Regenerative Revolution".
 
Was planen Sie konkret dieses Jahr mit MEET GERMANY und warum?
Auf den einzelnen MEET GERMANY Summits wollen wir die Grundidee der Regenerative Revolution in die Fläche bringen und zum Mit- und Nachmachen inspirieren. Dafür haben wir schon einige tolle Ideen im Gepäck wie einen Nature Walk, bei dem wir gemeinsam mit MEET GERMANY herausragende Ideen der Branche im Rahmen eines Awards auszeichnen wollen. Und „nature" wird auch auf unserer IMEX America eine tragende Säule sein. Auch dort stellen wir herausragende Konzepte, Ideen und Projekte vor und selbstverständlich wird es auch wieder interaktive Elemente wie den Green Walk geben. Ein weiterer wichtiger Teil sind unsere „giving back"-Initiativen, bei der wir NGOs und soziale Einrichtungen vor Ort unterstützen (forum berichtete).
 
Frau Knecht, was wünschen Sie sich für 2021 ganz besonders?
Bei allen Herausforderungen hat das letzte Jahr auch wundervolles Neues entstehen lassen – wir sind näher zusammengerückt und haben erkannt, dass wir alle gemeinsam so viel mehr erreichen können. Das macht Mut und vor allem jede Menge Spaß und entfacht Innovationskräfte. Ein perfektes Beispiel ist diese hier vorgestellte Kooperation. Wir haben gemeinsam so viele Ideen und aus jedem Brainstorming entsteht Neues und Inspirierendes. Für 2021 wünsche ich mir, dass sich dieser Spirit des Miteinanders, diese Geisteshaltung weiterentwickelt und verfestigt. Als wichtiger Eckpfeiler des Paradigmenwechsels. Daraus kann Großes entstehen. Ich bin sicher, dass wir noch Vieles für unser gemeinsames, großes Thema Nachhaltigkeit vorantreiben können.
 
Zum Abschluss eine Frage an Sie alle: Was wünschen Sie sich für 2021 ganz besonders?
Wir wünschen uns einen klimaneutralen und nachhaltigen Neustart der Eventbranche mit dem Konsens, dass Events mit einem positiven Impact auf Natur und Gesellschaft zum Standard werden. Um dieses Ziel zu erreichen, hoffen wir, möglichst viele Interessierte bei den MEET-GERMANY-Veranstaltungen zu treffen. Let’s Go Creative Together!

Dieser Artikel ist in forum 01/2021 - SOS – Rettet unsere Böden! erschienen.



     
        
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