Selina Tenzer
Umwelt | Wasser & Boden, 01.03.2021
Das lebendige, schwarze Gold
Emissionshandel mit CO2-Zertifikaten
Der Boden steht im Fokus: als Lebensmittelgrundlage, als Rohstoff, als Archiv, als bebaubare Fläche, als Spekulationsobjekt und neuerdings als Klimaretter. Eine wichtige Rolle spielen dabei Zertifikate. Sind sie einfach nur ein neues, schlaues Business-Konzept oder ein entscheidender Schritt zur Rettung von Klima und Nahrungssicherheit?
Schon kleine Veränderungen im globalen Humushaushalt der Böden können
die atmosphärische CO2-Konzentration beeinflussen. Je höher der Gehalt an
organischem Kohlenstoff im Boden wird, desto mehr trägt er zur Minderung von CO2in
der Atmosphäre bei. Berechnungen ergeben bei einem Anstieg des organischen
Kohlenstoffvorrats um drei Prozent in den ersten 30 Zentimetern aller
Ackerflächen in Deutschland eine Minderung von 77 Millionen Tonnen CO2. Dies
entspricht knapp der Hälfte aller CO2-Emissionen der globalen Landwirtschaft
von 2017. Kein Wunder also, dass Böden in aller Munde sind, wenn es um die aktuellen
Klimadebatten geht. Und nicht nur sind sie in aller Munde, sie werden auch zum
Geschäftsmodell. Der Emissionshandel mit CO2-Zertifikaten boomt. Weltweit haben
sich Unternehmen gegründet, die neuerdings Humuszertifikate anbieten und über
die eingenommenen Gelder den Aufbau von Humus befördern wollen.

Und das ist
durchaus sinnvoll, denn egal ob Firma oder Privatperson, wenn die Ackerböden
der Welt mehr Humus enthalten, nützt das allen und nicht allein den
Landwirt*innen, die mit ihnen Lebensmittel anbauen. Es gilt jedoch zu bedenken,
dass Humus aufzubauen und so den Kohlenstoff in den Boden zu bringen Grenzen
hat. Eine Erhöhung des Kohlenstoffgehalts um drei Prozent hört sich im ersten
Moment wenig an. Je nach Bewirtschaftung kann es jedoch Jahre dauern, bis sich
wenige Prozent an Humus aufgebaut haben. Nicht nur dauert es seine Zeit, bis Humus entsteht, ab
einem gewissen Zeitpunkt, der durch die gegebenen Standortbedingungen
beeinflusst wird, ist eine Sättigung erreicht: Der Kohlenstoffspeicher ist voll.
Wenn nun die Methoden, die zu einer Steigerung des Kohlenstoffgehalts geführt
haben, wieder ausgesetzt werden, ist der Prozess des Aufbaus ebenso reversibel.
Der Speicher kann also wieder geleert werden. Bei der Zertifikatentwicklung
muss daher vom Ende her gedacht werden. Wie wird sichergestellt, dass die
Umstellung, die zum Humusaufbau führt, notwendigerweise auf ewig gesichert
ist? Wie wird also verhindert, dass ein Zertifikatesystem erzeugt wird, das
darauf basiert, dass der Speicher gefüllt, geleert und wieder gefüllt wird? Und
wie wird der Ausgangszustand der Böden, vor Beginn der Maßnahmen zum
Humusaufbau, bewertet? Denn auch eine Steigerung von mehr als drei Prozent ist
bei vielen Böden möglich. Dass manche ackerbaulich genutzten Böden ein hohes Potenzial
haben, ihren Kohlenstoffgehalt rapide zu steigern, liegt auch darin begründet,
dass die Böden sehr lange sehr einseitig bewirtschaftet wurden und damit
Humus, also Kohlenstoff, über die Zeit verloren haben. Sprich, um bodenbürtigen
Kohlenstoff zu erhalten oder anzureichern, bedarf es einer umfassenden,
langfristigen Umstellung des landwirtschaftlichen Systems, also eines
wirklichen Kraftakts, der Zeit und Ressourcen benötigt und weltweit Millionen
von Landwirt*innen involviert.
Was ist zu tun?
Moore müssen wieder vernässt werden, Gehölze auf dem Acker müssen wieder
zum Landschaftsbild gehören, das Bodenleben muss geschützt werden vor
Pestiziden und Überdüngung und unsere Ernährungsgewohnheiten müssen genauso
vielfältig werden, wie es eine Vielfalt an essbaren Pflanzenarten gibt.
Es gibt jedoch auch Überlegungen, diesen Kraftakt teilweise zu umgehen
und beispielsweise große Mengen Biokohle im Boden zu vergraben. Sozusagen eine
auf den Kopf gestellte Goldgräberstimmung: Statt einen Bodenschatz auszugraben,
wird der Schatz jetzt unter die Erde gebracht. Biokohle wir aus ganz
unterschiedlichen Rohstoffen gewonnen, z.B. aus Reststoffen, wie Stroh aus der
Landwirtschaft oder Hackschnitzeln aus der Forstwirtschaft, aber auch aus
organischen Abfällen der Lebensmittelindustrie. Das scheint zunächst eine
Win-Win-Situation zu sein. Aus Abfällen wird Klimaschutz. Das ist jedoch zu
einseitig gedacht, denn Biokohle muss erst unter energetischem Aufwand erzeugt
werden, und ausschlaggebend ist: Sie ernährt das Bodenleben nicht.
Bestrebungen, Kohlenstoff in den Boden zu bringen, müssen ganzheitlich
und zukunftsfähig gedacht sein, um eine volle Entfaltung aller Potenziale zu
ermöglichen, und dazu ist es essenziell, die wichtigste Funktion des Bodens zu
fokussieren: die Funktion als Lebensraum. Denn wer sorgt dafür, dass der Planet
nicht in einem Berg von abgestorbener Biomasse untergeht? Es sind die Billionen
Lebewesen im Verborgenen, die fleißig abgestorbenes Material zerkleinern,
verdauen und umbauen: Bakterien, Pilze, Algen, Springschwänze, Regenwürmer und
unzählige mehr.
Fazit: Reine Humuszertifikate sind ein erster Schritt, ein nachfolgender Schritt könnten Lebensraumzertifikate sein und zum Schluss benötigen die zukünftigen Generationen keine Zertifikate mehr, weil mit Kopf, Hand, Fuß und Finanzierung dauerhaft der Lebensraum Boden in seiner Fülle ermöglicht und weiterhin gesichert werden wird.
Selina Tenzer ist Referentin für Bodenbildung des 2.000m² -Projekts der Zukunftsstiftung Landwirtschaft. Ihre Online-Seminare über den Klima-Boden sind wöchentlich buchbar.
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