Wirtschaft | Lieferkette & Produktion, 01.03.2021
Das Lieferkettengesetz
Historischer Durchbruch oder Minimalkonsens?
Das sogenannte Lieferkettengesetz schlägt in Deutschland hohe Wellen. Nach langen Auseinandersetzungen sind sich die beteiligten Ministerien Mitte Februar endlich einig geworden. Ein neues Gesetz ist damit geboren. Mit welchen Folgen?
Es wurde Zeit: Das
neue Lieferkettengesetz ist verabschiedet! Ein „historischer Durchbruch" sei
es, da sind sich Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Wirtschaftsminister
Peter Altmaier (CDU) einig, und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ist
überzeugt: „Made in Germany steht ab jetzt weltweit nicht nur für gute
Qualität, sondern auch für faire Produktion und globale Verantwortung." Was die
Politik als Meilenstein in der Nachhaltigkeit bezeichnet, löst bei Umweltverbänden
allerdings noch keine Luftsprünge aus. Denn diese reden eher von einem
Minimalkonsens. Der Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (VENRO) begrüßt zwar, dass sich
die Bundesregierung nach monatelangem Verhandeln auf einen Kompromiss geeinigt
hat. Er stellt in den Augen VENROs einen Anfang dar, um die Globalisierung in
Zukunft gerecht zu gestalten. „Dennoch hätten wir uns an einigen Stellen deutlich
umfangreichere Regelungen gewünscht – insbesondere dort, wo es auf Druck der
Wirtschaftsverbände zu starken Verwässerungen gekommen ist", erklärt Dr. Bernd
Bornhorst, Vorstandsvorsitzender von VENRO, und kündigt an: „Bei der Frage
zivilrechtlicher Haftung etwa sehen wir definitiv Möglichkeiten zur Nachbesserung.
Wir werden uns dafür einsetzen, dass auf der jetzt vorliegenden Basis in der
nächsten Legislaturperiode und in den laufenden Abstimmungen auf europäischer
Ebene die aus unserer Sicht notwendigen Nachbesserungen vorgenommen werden."Rechtssicherheit für alle
Nach Ansicht von
VENRO müssen deutsche Unternehmen endlich ihre Verantwortung wahrnehmen und auf
die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards entlang ihrer
Lieferketten achten. Kinderarbeit, unmenschliche Arbeitsbedingungen und die
Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen dürften nicht länger Grundlage
ihres Wirtschaftens sein. „Ein Lieferkettengesetz schafft Rechtssicherheit
für alle betroffenen Unternehmen und sorgt dafür, dass nicht jene Unternehmen
benachteiligt werden, die freiwillig auf hohe Standards achten", erklärt
Bornhorst und ergänzt: „Verbindliche Regelungen schaffen ebenso Sicherheit für
die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland. Sie müssen sich darauf
verlassen können, dass sie mit ihrem Einkauf weder Ausbeutung noch
Umweltzerstörung unterstützen."Ein Lieferkettengesetz ist unmoralisch und ungeeignet ...
… hält Dr. Irina
Kummert dagegen und forderte im Namen des Ethikverbands der deutschen
Wirtschaft, die Pläne für ein Lieferkettengesetz aufzugeben.
„Mit diesem Gesetz
tragen wir am anderen Ende der Welt zu Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Armut
bei", so die Präsidentin des Verbands. Bereits im Sommer letzten Jahres
erklärte dieser in einer Pressemeldung wortwörtlich:
„Mit
einem deutschen Lieferkettengesetz sollen deutsche Unternehmen verpflichtet
werden, Standards unserer wohlhabenden westlichen Gesellschaft nicht nur in
Deutschland und in Europa, sondern unterschiedslos in allen mehr oder weniger
entwickelten Ländern der Welt einheitlich in ihren Lieferketten bis zum letzten
Glied zu beachten. Die Befürworter des Lieferkettengesetzes befassen sich zu
wenig damit, welche Konsequenzen die Durchsetzung ihrer Moralvorstellungen
beispielsweise für eine Frau hat, die in prekären Verhältnissen etwa in einem
Land wie Äthiopien ihre Kinder ernähren muss. Das Lieferkettengesetz ist
zusätzlich ungeeignet, bessere Lebensverhältnisse am Ende der Lieferkette zu
erreichen. Der deutsche Staat soll deutsche Unternehmen sanktionieren, die es
versäumen, in ihrer Lieferkette in einem fremden Land die Einhaltung der
Menschenrechts- und Umweltschutzvorgaben zu kontrollieren. Damit wird
ignoriert, dass andere Kulturkreise andere Auffassungen über Menschenrechte und
wir nicht das Recht haben, unsere Vorstellung davon, was das Gute sei, anderen
Kulturkreisen vorzugeben.
Es macht wenig Sinn, dass deutsche Unternehmen dazu
verpflichtet werden, in China oder Brasilien die Gewährleistung von
Umweltschutzvorgaben zu kontrollieren, wenn sie sie nicht durchsetzen können. Aus der geforderten
Kontrolle würde nur eine Berichtspflicht zur Beschreibung unwürdiger Zustände
werden. Die deutschen Unternehmen sind gefordert und verpflichtet, mit Augenmaß
für die konkreten Umstände des Betriebes und des Landes das ihnen Mögliche zu
tun, um menschenwürdige Arbeit zu gewährleisten. Erste Erfahrungen aus Ländern,
die schon unter einem Lieferkettengesetz leben, zeugen von dessen
Wirkungslosigkeit. Deutlich nachhaltiger ist der Druck der Öffentlichkeit.
Deshalb sollte die Bundesregierung statt durch ein Lieferkettengesetz durch
noch bessere Öffentlichkeitsarbeit überzeugen."
Nach Lektüre
dieser Meldung stellt sich uns die Frage, wie die Öffentlichkeit ohne
verbindliche Unterstützung der Unternehmen die Komplexität von Lieferketten
durchdringen soll…
Lieferkettengesetz muss endlich für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen
„Wir sprechen uns
als Wirtschaftsverband klar für die gesetzliche Regelung der unternehmerischen
Verantwortung entlang der Lieferkette aus", erklärt dagegen Dr. Katharina
Reuter, die Geschäftsführerin von UnternehmensGrün.
„Im Gegensatz zu BDA, BDI
und Minister Altmaier steht für uns außer Frage, dass die unternehmerische
Verantwortung in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft bis zum Schutz der Menschen
und der Umwelt in der eigenen Lieferkette reicht." In einem aktuellen Schreiben, das sie uns auf Anfrage kurz vor
Drucklegung zukommen lässt, erklärt sie im Namen ihrer Mitglieder:
„Zukunftsfähiges Wirtschaften – das hat die Corona-Krise eindrücklich
gezeigt – erfordert resiliente und transparente Beziehungen in den
Lieferketten. Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für den Schutz von
Arbeitnehmenden sowie Selbstständigen, die Teil der Wertschöpfungskette sind,
soziale Mindeststandards, aber auch Arbeitsschutz und der Schutz der Umwelt
müssen endlich einen gesetzlichen Rahmen bekommen. Viele Unternehmen wie
Tchibo, VAUDE oder Hapag Lloyd zeigen heute schon, dass die Vorgaben umsetzbar
sind, und fordern eine verbindliche Regelung. Hier braucht es endlich ein Level-Playing-Field (d.h. gleiche Wettbewerbsbedingungen)
für alle Wirtschaftsakteure. Unternehmen sind für ihre Lieferketten
verantwortlich und müssen auch hierfür haftbar gemacht werden können.
Als Unternehmensverband
plädieren wir für die schnelle Einführung des Lieferkettengesetzes noch in
dieser Legislaturperiode, so wie es im Koalitionsvertrag festgelegt wurde.
Dieses sollte für alle Unternehmen gelten, die Menschenrechtsrisiken in ihrer
Wertschöpfungskette haben – nicht erst ab einer Größe von 500 Mitarbeitenden.
Dies ist ein globales Gebot, da es viele Missstände nicht nur in weit
entfernten Lieferketten wie in der Textilindustrie in Bangladesch oder beim
Rohstoffabbau in der DR Kongo, sondern auch im Obst- und Gemüseanbau Südeuropas
oder etwa in deutschen Schlachthöfen gibt. Die Regelungen können sich an den
risikobasierten Ansätzen der größeren Unternehmen orientieren, die diese
teilweise bereits jetzt umsetzen. Kleinere Unternehmen sollten mehr Zeit für
die Umsetzung bekommen und – wenn möglich – eine beratende und/oder finanzielle
Unterstützung für die Phase der Implementierung. Ein ambitioniertes
Lieferkettengesetz in Deutschland ist auch ein wichtiger Standortfaktor für das
Gütesiegel Made in Germany, das derzeit enorm Schaden durch unethisches
Wirtschaften von deutschen Unternehmen wie Tönnies oder Wirecard nimmt.
Es ist leider
immer noch ökonomisch attraktiver, nicht nachhaltig zu produzieren. Und es ist
bequemer, wenn man sich nicht um giftige Chemikalien in Produktionsprozessen
oder um Verantwortung für die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in der
eigenen Lieferkette schert. Aber das darf nicht die Zukunft des Wirtschaftens
sein. Die Politik ist hier in der Pflicht. Unsere Unternehmen warten
händeringend auf gesetzliche Vorgaben für ein Level-Playing-Field, damit faire
Marktbedingungen für verantwortungsvolles Wirtschaften geschaffen werden, die
für alle gelten."
Hinweis: Weitere Infos zum Lieferkettengesetz finden Sie im Heft im Heft "Das Lieferkettengesetz" von forum 01/2021 - SOS - Rettet unsere Böden!, das auf einer Studie des Handelsblatt Research Institute basiert.
Dieser Artikel ist in forum 01/2021 - SOS – Rettet unsere Böden! erschienen.
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