Gerhard Schick
Lifestyle | Geld & Investment, 31.08.2020
Die Finanzwende für eine nachhaltigere Welt
Der Finanzsektor hat einen immensen Einfluss auf die Realwirtschaft.
Der Finanzsektor hat einen immensen Einfluss auf die Realwirtschaft. Er lenkt Zahlungsströme, ist für die Finanzierung von Unternehmen unersetzlich und kann die Realwirtschaft gewaltig in Schieflage bringen. Wenn wir eine nachhaltigere und stabilere Welt wollen, ist es also höchste Zeit für eine Finanzwende.
Wir befinden uns im zwölften Jahr nach dem Höhepunkt der Finanzkrise, dem Zusammenbruch von Lehman Brothers. Damals spielten die Märkte verrückt, die Euro- und Wirtschaftskrise war die Folge. Unternehmen mussten – besonders in Südeuropa aber auch hierzulande – um ihren Fortbestand bangen.Status Quo
Heute spiegelt sich die Finanzkrise in der immensen Immobilienspekulation, den niedrigen Zinsen und Problemen in der Altersvorsorge wider. Und noch immer müssen Banken mit Milliarden gerettet werden, wie aktuell die Nord/LB. Die ganzen Bankenrettungen haben uns Steuerzahler dabei bereits jetzt über 68 Milliarden Euro gekostet. Das sind nur die direkten Kosten. Weitere Ausgaben für Kurzarbeitergeld und persönliche Pleiten sind darin noch nicht einmal enthalten. Hinzu kommen weitere Skandale, in welche die Finanzwelt massiv verstrickt ist. Beispielsweise schlagen Cum/Ex und Co. mit rund 30 Milliarden Euro Schaden zu Buche und stellen damit den größten Steuerraub der deutschen Geschichte dar.
Allein für diese beiden Skandale hat jeder deutsche Bürger in den letzten Jahren durchschnittlich über 1.000 Euro bezahlt. Ein zentrales Problem, das daran mitgewirkt hat, ist die Dominanz der Finanzwirtschaft über die Realwirtschaft. Man kann sich den Finanzmarkt als riesiges Spiel vorstellen, in dem Profis permanent gegen Amateure antreten. Der Schiedsrichter, die Politik, ist auf mindestens einem Auge blind und versteht auch die Regeln nicht wirklich. Das führt dazu, dass sich der Finanzmarkt von seiner eigentlich dienenden Funktion verabschiedet und verselbstständigt hat. Er produziert systematisch Verlierer, beispielsweise bei individueller Überschuldung oder der privaten Altersvorsorge. Die meisten, die nicht zu den eingeweihten Profis gehören, verlieren, während einige wenige auf Kosten der restlichen Gesellschaft die Gewinne einstreichen. So dienen die Finanzmärkte als Umverteilungsmaschine von unten nach oben.
Für Bankenrettung und CumEx Betrug hat jeder deutsche Bürger über 1.000 Euro bezahlt...
Zettelwirtschaft und Lobbyhundertschaften
Nach Ausbruch der Finanzkrise gab es eine Regulierungsflut im Finanzbereich. Diese sorgte an vielen Stellen für mehr Bürokratie, für die Branche sowie für die Kundschaft. So wurde zwar eine große Zettelwirtschaft erreicht, aber wenn es an den Kern des Systems ging, hat es die Finanzlobby praktisch immer geschafft, wirkliche Veränderungen auszubremsen. Allein in Brüssel arbeiten 1700 Finanzlobbyisten, um wirkliche Reformen zu verhindern. Auch in Deutschland verfügt die Finanzlobby über Hundertschaften. Weil Politik und Aufsichtsbehörden auf diesen Lobbyismus zu sehr eingingen, stimmten zwar oft die Überschriften, aber die entsprechenden Gesetze waren ihres Kerns beraubt.
Große Teile der Finanzwirtschaft arbeiten dadurch nach wie vor für sich, statt faire Lösungen für ihre Kundschaft anzubieten. Einzelne Institute produzieren Skandal auf Skandal. Sei es Geldwäsche oder Marktmanipulation. In den Filialen oder wo auch immer der Vertrieb stattfindet, werden Unternehmer wie Verbraucher oftmals mit schlechten oder unpassenden Produkten über den Tisch gezogen. Produkte werden empfohlen, nicht weil sie das Beste für die Kundschaft sind, sondern weil sie den Geldbeutel des Verkäufers füllen.
Bei einzelnen Produkten, welche die Banken anbieten, fließen mitunter mehr als die Hälfte des Kundengeldes direkt in den Vertrieb der Bank. Das senkt die Leistung für den Kunden erheblich. Die kann dann nur entweder stark überteuert oder bescheiden sein. Die Finanzwirtschaft ist damit häufig ein Problemverursacher, der uns viel Geld kostet. Auf individueller Ebene, wenn es beispielsweise um das Thema Überschuldung geht, aber auch auf gesellschaftlicher Ebene, wenn sich wieder einmal eine Bank mit öffentlichen Geldern retten lässt.
Skizze einer Lösung
Es ist wichtig, die Finanzwelt neu aufzustellen. Damit sie sich vom Problemverursacher zum Problemlöser entwickelt, gerade bei immensen Herausforderungen wie dem Klima- und Umweltschutz. Investitionen, aber auch Finanzentscheidungen im Allgemeinen wirken oft Jahrzehnte nach und sind dadurch eine entscheidende Stellschraube für saubere Mobilität, umweltfreundlicheren Strom oder etwa eine nachhaltigere Landwirtschaft. Gelingt es nicht, Gelder in die richtigen Kanäle zu bringen, besteht zum Beispiel die Gefahr, dass die carbon bubbles weiter wachsen und Unsummen bei ihrem Platzen verschlingen. Gleichzeitig werden wir damit den Kampf gegen die Klimakrise verlieren.
Banken sollten also schon aus Eigeninteresse zum Finanzier nachhaltiger Unternehmen werden, statt weiterhin den Bereich der fossilen Energien zu fördern. Sie sollten die wirklich sinnvollen Innovationen unterstützen und gleichzeitig der Gesellschaft Angebote machen, am Erfolg dieser Ideen zu partizipieren. Dafür braucht es verbindliche Vorgaben der Politik, damit Investoren anhand standardisierter und damit vergleichbarer und aussagekräftiger Indikatoren entscheiden können. Auch ein nachhaltigeres Anlegen von Beamtenpensionen oder eine wirklich gemeinwohlorientierte Aufstellung der Sparkassen sind dringende Maßnahmen. Würde der öffentliche Finanzsektor ab sofort eine konsequente Nachhaltigkeitsstrategie fahren, könnte er die Transformation hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaftsweise massiv beschleunigen.
Risiken und Schäden endlich einpreisen
Der Wermutstropfen: Eine reine Begrünung der Märkte überwindet nicht die grundsätzliche Dysfunktionalität des Finanzsektors. Die Einbeziehung von ökologischen Risiken in die Risikosteuerung ergibt nur dann einen Sinn, wenn letztere auch funktioniert. Weil aber zu viel Anlagekapital auf der Suche nach Rendite unterwegs ist, sind derzeit die Risikoprämien insgesamt viel zu niedrig, um eine wirkliche Lenkungswirkung zu erzeugen.Wir brauchen auch eine andere Verantwortungshaltung und müssen strengere Haftungsprinzipien durchsetzen. Dazu gilt es, die Macht einiger Akteure wie etwa der Deutschen Bank zu reduzieren. Sie zählt noch immer zu den systemrelevantesten Banken der Welt und müsste im Notfall unweigerlich vom Steuerzahler gerettet werden. Das zentrale Prinzip der Marktwirtschaft – die Haftung für verursachte Schäden als Gegenstück zur privaten Gewinnerzielung – muss hier schleunigst wiederhergestellt werden. Denn es darf nicht sein, dass die Gewinne der Banken privatisiert, die Verluste jedoch sozialisiert werden. Banken brauchen also mehr haftendes Kapital, um im Falle von Problemen nicht gleich wieder von den Steuerzahlern gerettet werden zu müssen.
Darüber hinaus fordere ich, die im Finanzwesen immanenten Interessenskonflikte zu verhindern! Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen die Anbieter zu fairen Leistungen für ihre Kunden zwingen. Kundenwünsche sollen das zentrale Steuerungsprinzip in der Marktwirtschaft sein, nicht Anbieterinteressen, wie es derzeit noch immer gängige Praxis ist. Dazu braucht es nicht noch mehr verwässerte Detailregulierungen, sondern harte, klare und einfache Vorgaben, die wirklich wirken. Beispielsweise ein Verbot des Finanzvertriebs auf Grundlage von Provisionen und anderen monetären Anreizen. Um für mehr Stabilität zu sorgen, soll es eine Trennung vom Investment Banking und dem Dienstleistungsgeschäft für die normale Kundschaft geben.
Eine Lobby für die Gemeinschaft
Diese Veränderungen können aber nur gelingen, wenn die sehr guten Zugänge und umfassenden Mittel der Lobbyisten etwas entgegen gesetzt wird. Die politische Einflussnahme von Branchenlobbyisten zu Lasten des Gemeinwohls muss massiv zurückgedrängt werden. „Finanzwende" macht sich mit dem Schwerpunkt Finanzmarkt für eine nachhaltige und ökologische Transformation des Wirtschaftssystems stark. Wir wollen eine starke Stimme sein, die das Kräfteverhältnis zwischen Staat und Finanzindustrie wiederherstellt. Die Politik soll handlungsfähiger werden, um im Finanzbereich wieder mehr im Sinne der Gesellschaft zu agieren. Heute bestimmt viel zu oft die Finanzlobby, was in den Gesetzen steht, oft zum Vorteil weniger und zum Nachteil vieler. Das muss sich im Sinn einer nachhaltigeren Welt dringend ändern und dafür treten wir als unabhängige Stimme zusammen mit immer mehr Menschen an.
Dr. Gerhard Schick ist promovierter Volkswirt und ehemaliges Mitglied des Bundestages, wo er sich u. a. durch die Aufarbeitung der Finanzkrise und des Cum-Ex-Steuerbetruges einen Namen gemacht hat. Er ist Mitinitiator des Vereins Bürgerbewegung Finanzwende und dessen Vorstand.
Dieser Artikel ist in forum 03/2020 - Digitalisierung und Marketing 4 Future erschienen.
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