Eine Frage des Ethos
Christoph Quarch schlägt vor, Patienten selbst entscheiden zu lassen, ob sie intensivmedizinische Behandlungen in Anspruch nehmen wollen
Einen Beitrag von Christoph Quarch zur Situation der Kulturschaffenden in der Corona-Krise lesen Sie in
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Im Dezember müssen Bundesrat, Länderregierungen und verschiedene andere Instanzen wie der Deutsche Ethikrat Stellungnahmen vor dem Bundesverfassungsgericht abgeben, nach welchen Kriterien künftig in überlasteten Kliniken Triage-Entscheidungen getroffen werden. Hintergrund ist eine, zunächst vom Verfassungsgericht abgelehnte, Sammelklage von neun Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen. Sie fürchten, bei Fortbestand der gegenwärtigen Rechtslage im Falle von Engpässen schlechtere Behandlungsmöglichkeiten zu haben oder von lebensrettenden medizinischen Behandlungen ausgeschlossen zu werden. Die im April dieses Jahres vorgelegten "Klinisch-ethische Empfehlungen" der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) seien unzureichend und müssten durch eine klare gesetzliche Regelung ersetzt werden, verlangen die Kläger. Der Gesetzgeber dürfe sich nicht länger wegducken, fordert etwa Nancy Poser, selbst Richterin und Mitklägerin. Unser Philosoph Christoph Quarch sieht diesen Vorgang mit Sorge.
Herr Quarch, was stimmt Sie so nachdenklich?
Ich glaube nicht, dass bei Triage-Entscheidungen eine gesetzliche Regelung weiterhilft. Erstens ist der Gesetzgeber an den Paragraphen 3 des Grundgesetzes gebunden, der ihn auf das Grundrecht auf Gleichheit verpflichtetet, mit dem jede Priorisierung bestimmter Patientengruppen unvereinbar ist. Zweitens helfen Gesetze nicht zwangsläufig in konkreten Handlungssituationen. Die Anwendung und Auslegung des Gesetzes obliegt dann immer noch den Ärzten.
Diese Regelung ist rein pragmatisch. Das Argument im Hintergrund lautet: Wir müssen die beschränkten Ressourcen so effizient nutzen wie möglich und setzen sie deshalb nur da ein, wo es Erfolgsaussichten gibt. Alles andere wäre Ressourcenverschwendung. Der instrumentellen Vernunft leuchtet das ein: Man sollte limitierte Mittel prioritär da einsetzen, wo sie ihren Zweck erfüllen. Nach diesem Effizienz-Prinzip funktioniert unsere gesamte Wirtschaft. Die Frage ist aber, ob man mit einem ökonomisch-instrumentellen Denken ethische Fragen auf Leben und Tod entscheiden kann.
Gesellschaft | Politik, 20.11.2020
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