Sabine Ferenschild

Vergeudete Talente 

Brain Waste entgegen wirken!

Ein Pool an Wissen, der brach liegt – einen solchen stellen Migrantinnen oft dar. Trotz guter Ausbildung finden sie häufig keine Erwerbsmöglichkeit, die ihren Qualifikationen und Talenten entspricht. „Brain Waste", Vergeudung von Talenten, heißt das Phänomen, von dem die gesamte Gesellschaft betroffen ist. Können wir uns das wirklich leisten?
 © Pixabay
Frau Z. gehörte im Senegal zur Bildungsoberschicht. Viele Jahre lang arbeitete sie als Deutschlehrerin an einem Gymnasium. Als sie jedoch nach ihrer Heirat mit einem Deutschen nach Deutschland migrierte, änderte sich das auf einmal schlagartig. „Ich hatte große Schwierigkeiten mit der Anerkennung meines Diploms, das war sehr hart am Anfang", erzählt sie in einem Gespräch mit SÜDWIND. „Ich habe verstanden, dass sie sagen, dass der Abschluss im Senegal anders ist, aber sie haben mir keine Perspektive, keine anderen Möglichkeiten zur Weiterbildung oder Anerkennung aufgezeigt. Ich komme hierher und sie sagen, mein Studium ist nichts wert. Im Senegal war ich gut und hier bin ich schlecht."
 
Die Erfahrungen von Frau Z. sind ein gutes Beispiel für brain waste. Damit ist gemeint, dass eine Person eine Tätigkeit ausübt, die geringere Qualifikationen voraussetzt oder schlechter bezahlt wird als bei ihrem Bildungsabschluss zu erwarten wäre.
 
Die Architektin als Taxifahrerin
Das klingt erst einmal undramatisch. Konkret kann es aber bedeuten, dass eine Bauingenieurin als Verkäuferin arbeitet, ein Lehrer als Museumswärter oder eine Architektin als Taxifahrerin. Alle diese Tätigkeiten sind nicht schlecht, aber sie sind in der Regel mit Lohneinbußen für die Betroffenen und oft mit prekären Beschäftigungsverhältnissen verbunden. Doch nicht nur das. Was dabei verkümmert, sind die Qualifikationen und Talente, welche die Betroffenen mitbringen – mit einem Nachteil für die ganze Gesellschaft. Migrantinnen sind weltweit häufiger von dieser Beschäftigung unterhalb ihrer Qualifikation betroffen als männliche Migranten oder die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Ein Blick nach Deutschland zeigt beispielhaft: Hier sind Frauen mit Migrationshintergrund seltener erwerbstätig als Frauen ohne Migrationshintergrund (siehe Abbildung 1). Sie sind außerdem häufiger geringfügig oder in Teilzeit beschäftigt und haben auch niedrigere Verdienste als Frauen ohne Zuwanderungsgeschichte.
 
Abb. 1: Erwerbstätigenquote der 25- bis 64-jährigen in Deutschland (2017) (Quelle: SVR 2019:112) Blickt man auf Migrantinnen mit beruflichen Qualifikationen beziehungsweise mit akademischem Abschluss, so erkennt man den Talent-Verlust noch deutlicher: Unter allen Migrantinnen mit berufsqualifizierendem Bildungsabschluss arbeiten mehr als 16 von 100 lediglich in Hilfstätigkeiten (zum Vergleich: Unter der männlichen Bevölkerung ohne Migrationshintergrund liegt die Relation bei weniger als 3 von 100). Akademikerinnen mit Migrationshintergrund haben im Vergleich mit AkademikerInnen ohne Migrationshintergrund und männlichen Akademikern mit Migrationshintergrund die geringsten Chancen, eine hochqualifizierte Tätigkeit ausüben zu können: Jede Dritte findet keinen ihrer Qualifikation angemessenen Arbeitsplatz (siehe Tabelle). Bei geflüchteten Frauen mit tertiärem Bildungsabschluss sind es noch mehr, die für ihre ausgeübte Tätigkeit überqualifiziert sind.

Tabelle: Ausbildung und berufliche Tätigkeit bei Frauen und Männern in Deutschland mit und ohne Migrationshintergrund (Anteil an jeweiliger Gruppe in Prozent, 2017) (Quelle: SVR 2019: 117) Die Hürde der Anerkennung
Was ist der Grund für dieses Phänomen? Migrantinnen mit im Ausland erworbenen Qualifikationen müssen einen Gleichwertigkeitsnachweis mit der entsprechenden deutschen Qualifikation beantragen, was eine zentrale Hürde darstellt. Die Anerkennungsverfahren sind sehr komplex, können zeitintensiv und teuer sein und mit einer Ablehnung enden. Hinzu kommt: Migrantinnen mit Kindern, insbesondere geflüchtete Frauen, stellen nach ihrer Ankunft in Deutschland zunächst das Einleben ihrer Kinder, den Wohnraum und weitere Versorgungsfragen in den Vordergrund und stellen eigene Interessen wie den Spracherwerb oder die Suche nach einer adäquaten Stelle zunächst zurück. Doch, was entscheidend für die Gesellschaft als Ganzes ist: Die Erwerbsbeteiligung von Migrantinnen hat erheblichen Einfluss auf die Erwerbstätigkeit der Töchter! Deshalb müsste es von Seiten der Aufnahmegesellschaft im Sinne der Chancengleichheit größere Anstrengungen geben, Migrantinnen durch Sprachkurse, Anerkennungsverfahren und weitere berufliche Qualifizierungs- und Integrationsmaßnahmen besonders zu fördern. Die skandinavischen Länder gehen hier mit gutem Beispiel voran: Sie erzielen zwar bei der Arbeitsmarktintegration von Männern keine besseren Ergebnisse als Deutschland, aber deutlich bessere in der Arbeitsmarktintegration von Frauen, was an den dortigen Einführungsprogrammen für Migrantinnen liegt.
 
Positive Beispiele
Einige Positivbeispiele seien jedoch genannt, an die für eine flächendeckende Verbesserung angeknüpft werden kann: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat niedrigschwellige Frauenkurse im Angebot, die den Spracherwerb fördern, das Selbstbewusstsein stärken, bei Erziehungsfragen unterstützen und auf Integrationskurse vorbereiten sollen. Für jüngere Frauen mit familiären Verpflichtungen aber auch für Migrantinnen, die schon lange in Deutschland leben und bisher keine Möglichkeit hatten, an Integrationsmaßnahmen teilzunehmen, sind sie als Einstiegsangebot sinnvoll und sollten flächendeckend ausgebaut werden. Es gibt vielfältige Informationen zur Anerkennung beruflicher Qualifikationen. Ein Beispiel ist die informative Seite der IHK Koblenz. Doch sollte die nahezu unüberschaubare Vielfalt der Anerkennungsbürokratie in Deutschland durch eine zentrale Koordinationsplattform einfacher gestaltet werden, damit die Zugangshürden zum Anerkennungsprozess minimiert werden.
 
Für viele bereits lange in Deutschland lebende Migrantinnen wie Frau Z. kommen die allmählichen Verbesserungen für MigrantInnen in Deutschland spät, für manche zu spät. Umso wichtiger ist es, in Zukunft umsichtiger mit den vielen Talenten umzugehen, die nach Deutschland kommen.

Dr. Sabine Ferenschild ist wissenschaftliche Mitarbeiterin beim SÜDWIND-Institut e.V., Institut für Ökonomie und Ökumene, das sich für gerechtere Wirtschaftsbeziehungen einsetzt.

Dieser Artikel ist in forum 04/2019 - Food for Future erschienen.



     
        
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