Hendrik Haßel

Schau mal, da wächst Fleisch

Ein Blick in die Zukunft

Im Jahr 2013 feierte ein besonderer Burger unter den Augen der Weltpresse in London Premiere: der erste, für dessen Fleisch kein Tier sein Leben lassen musste. Wird dieses Fleisch, das als zellbasierte Züchtung in einer Nährlösung entsteht, bald in unseren Küchen Einzug halten? Die Zeit wäre reif dafür, denn Massentierhaltung, steigende CO2-Emissionen und durch Schlachtung verursachtes Leiden stoßen bei immer mehr Menschen auf Kritik.
 
© Gütersloher Verlagshaus, Viktor 1, nurruddean, Shutterstock„Es ging so einfach nicht mehr weiter", sagt er und schaut auf den Boden. Der niedersächsische Unternehmer Stephan Hansen war früher Tierhalter von 60.000 Hühnern, heute ist er „Fleischbrauer". Die Mastanlage hatte er von seinem Vater übernommen, sich damit arrangiert, dann darüber geärgert und umgelenkt. Er war einer der Ersten, die hier in der Region auf das Brauen von Fleisch umstellten. Er galt lange als Spinner, bis es ihm immer mehr Berufskollegen nachmachten. Heute gibt er eine Führung durch seine Brauerei. Anfangs war das Interesse groß, doch der Ansturm hat sich gelegt. Eine Schulklasse aus der benachbarten Ortschaft ist gekommen, um zu sehen, wie ihr Fleisch wächst.

Hansen betritt die erste Halle, geht vorbei an den Kontrollbildschirmen. Früher wurden in der Halle die Tage für die 20.000 Tiere mit Kunstlicht verlängert. Je länger das Licht schien, desto schneller wuchsen die Hühner. Tageslicht kam nicht in den Stall. Für die Fleischbrauerei wollte er das ändern. Die Wände links und rechts sind mit großen Fenstern versehen, wo sich am Wochenende die Kinder aus der Nachbarschaft die Nasen plattdrücken. In der Halle stehen zwölf runde Kessel, jeweils zwei nebeneinander. Hansen nennt sie Fleischkultivatoren. Kleinere Rohre in verschiedenen Farben kommen vom Vorraum aus der Wand und verlaufen an der Decke quer durch die Halle. In den rosa Rohren sind Aminosäuren, in den grünen Vitamine und in den orangenen Glukose.
 
„Schlachten ist jetzt nicht mehr nötig, das Fleisch wächst nun außerhalb der Tiere." 
 
Er läuft zwischen den ersten beiden Brauereitanks vorbei. „Hier wächst es", sagt er mit ruhiger Stimme. Fast so, als wolle er es nicht aufwecken. Das, was früher in den Tieren passierte, geschieht jetzt in den Edelstahlcontainern. Dort bekommen die Hühnerzellen die Nährstoffe, die sie benötigen, um zu wachsen und sich zu teilen. Muskelstrang für Muskelstrang entsteht hier die Basis für Wurst, Hühnerbrust und Chicken Nuggets. Durch Luken schauen die Kinder in den Kultivator. Nicht wirklich spannend. In den Tanks liegen die Muskelfasern in rosa Flüssigkeit. Stephan Hansen zeigt auf seinem Telefon ein kurzes Video. Eine Zeitraffer-Aufnahme, vier Wochen in zehn Sekunden. Da sieht man tatsächlich die Muskelmasse wachsen. "In 30 Tagen waren damals meine Hühner so groß, dass ich sie abholen ließ, um die Tiere schlachten zu lassen", sagt Hansen. Das ist jetzt nicht mehr nötig, das Fleisch wächst nun außerhalb der Tiere.

Nach der Führung verlässt Stephan Hansen die Halle, läuft über den Hof und geht in sein Arbeitszimmer. Er schaut auf die Uhr. Es ist 14.25 Uhr. Was ist heute noch zu tun? Er schaut in seinen Kalender, öffnet die Seite des heutigen Tages, Mittwoch, der 3. Mai 2045. Noch einmal den Kontrollreport des Computers für die Temperaturen in den Kesseln überprüfen, die Abholung für das Fleischwerk fertig machen, dann Feierabend.

Werden wir Fleisch brauen wie Bier? Oder Wurst wachsen lassen wie Salat?

Das ist doch nur Science-Fiction und hat wenig mit unserer Welt zu tun. Alles frei erfunden. Fleisch ohne Schlachthäuser, das ist eine Utopie. Ausgeschlossen, dass wir so in Zukunft Fleisch herstellen werden. Oder etwa nicht? Zugegeben, es ist eine absurde Vorstellung: Fleisch zu essen, ohne Tiere dafür zu töten. Doch als das Forschungsteam um den niederländischen Professor Mark Post im Jahr 2013 den weltweit ersten künstlich hergestellten Burger servierte, zeigte es der Welt: Eine andere Art der Fleischproduktion ist möglich. Was bisher nur Science-Fiction war, wurde eine echte Möglichkeit. Doch wie realistisch ist dieses Szenario?

Die Unternehmensberatung AT Kearney veröffentlichte eine Studie, in der sie davon ausgeht, dass bereits in zwanzig Jahren kultiviertes Fleisch 35 Prozent des Fleischmarktes ausmachen wird. Pflanzliche Fleischalternativen würden dann 25 Prozent des Verkaufes ausmachen und konventionelles Tierfleisch nur noch 40 Prozent. So die Prognose.
 
Neben der Frage, ob kultiviertes Fleisch günstig genug in großen Mengen hergestellt werden kann, stellt sich jedoch auch die Frage, ob wir es überhaupt kaufen würden, wenn es im Supermarkt läge. Aktuelle Zahlen aus Deutschland zeigen erstes Interesse an dem neuen Fleisch. Verschiedene Studien kommen zu dem Ergebnis, dass um die 20 Prozent der Menschen hierzulande das Fleisch probieren oder regelmäßig essen würden. Es ist davon auszugehen, dass es die Happen Kulturfleisch erstmal nur in einzelnen Restaurants geben wird. Der Massenmarkt wird zu Beginn viel zu groß für die noch kleinen Firmen sein. Mit einer Zielgruppe von 20 Prozent der Bevölkerung wird die Nachfrage wahrscheinlich größer als das Angebot sein.

Doch jüngere Menschen sind wesentlich offener als ältere, was für einen Zukunftsmarkt zu berücksichtigen ist. Laut den Studien sind junge, urbane Männer, die sich eher links als konservativ einordnen am interessiertesten an dem neuen Fleisch. Und besonders wichtig: Menschen, die viel Fleisch essen, sind besonders offen. Also diejenigen, die die Nachfrage an Fleisch besonders in die Höhe treiben. Die Märkte könnten sich also sehr schnell entwickeln.

Eine vorsichtige Skepsis ist gegenüber der neuen Art Fleisch festzustellen. Doch viele Lebensmittel, die wir als natürlich ansehen, sind keine Naturprodukte und wurden von uns Menschen erschaffen. Käse, Brot, Wein und Bier wachsen nicht an Bäumen, Lebensmittelinnovationen haben sie möglich gemacht. Viele Menschen, die an kultiviertem Fleisch arbeiten, sehen es in dieser Tradition, Lebensmittel herzustellen. Mark Post kann mit seinem Ansatz aus einer kleinen Fleischprobe von einem Rind 10.000 Kilo Fleisch herstellen. Seinen Berechnungen zufolge könnte so die aktuelle globale Nachfrage nach Rindfleisch von 200 Tieren gedeckt werden. Potenziell kann so enormes Tierleid vermieden werden. Die große Frage ist: Wann wird es das Fleisch zu kaufen geben? Ein Witz unter den Start-ups lautet: In drei bis vier Jahren wird es soweit sein. Das ist die gleiche Antwort – seit fünf Jahren.
 
Seriös lässt dich die Frage momentan noch nicht beantworten. Noch sind die Hürden für eine Massenproduktion sehr hoch. Doch wenn den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Fortschritte gelingen, können wir dabei zuschauen, wie Geschichte geschrieben wird. Wir könnten erleben, wie Schlachthäuser überflüssig werden und die Zeit der neuen Fleischherstellung beginnt. Das Fleisch würde überleben, das Leiden der Tiere hoffentlich nicht.

Hendrik Haßel gründete gemeinsam mit Freunden die Tierschutzorganisation Animal Equality Germany e.V., die er auch leitete. Als Journalist schreibt er regelmäßig über Tiere als Lebensmittel. Seine Texte wurden bei Vice, der Freitag und anderen Medien veröffentlicht. Er ist Autor des soeben erschienen Buches „Neues Fleisch, Essen ohne Tierleid – Berichte aus der Zukunft unserer Ernährung". ISBN: 978-3-579-01484-5

Dieser Artikel ist in forum 04/2019 - Food for Future erschienen.



     
        
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