Countdown für Planet B. Leila Dreggers Plädoyer für einen Aufbruch ins utopische Denken

8 - Wenn ihr wollt, bleibt es kein Märchen

Es gibt keinen Planet B, sagt die Klima-Streik-Bewegung. Nein? Dann wird es höchste Zeit, ihn uns auszudenken. Was ist anders in einer Welt, die den Systemwechsel schafft? Die Corona-Krise hat uns gezeigt, wie viel Veränderung in kurzer Zeit möglich ist. Wir laden ein zu einem Countdown des utopischen Denkens! Alle zwei Wochen stellen wir - ganz unsystematisch - einen Kernfaktor des Systemwechsels vor. Einige der genannten Erneuerungen gibt es ansatzweise bereits; dafür haben wir diesmal hilfreiche Verlinkungen eingefügt.
 
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8 - Systemwechsel für die Städte: Blüten ihrer Region, Organismen des Zusammenlebens

Die meisten Menschen sagen, sie möchten in Naturnähe leben - aber jeder zweite Mensch lebt heute in der Stadt. Meistens nicht freiwillig. Millionen Kleinbauern weltweit werden Armutsflüchtlinge, die ihr Land verlassen und in die Metropolen ziehen, um zu überleben. Sie landen in den wuchernden Slums, die die Großstädte umgeben. Planet A - unsere Gegenwart - hat die Menschenmassen auf engstem Raum zentralisiert und erzeugt auf den Flächen dazwischen in industrieller Agrarproduktion deren Lebensbedarf. Wo tatsächlich noch Natur ist, wird sie in Nationalparks gesperrt und vor Menschen und ihren Aktivitäten geschützt. Aber Großstädte mit ihrem Lärm, ihrer Luftverschmutzung und Verkehrsdichte sind heute alles andere als lebensfreundlich und nachhaltig.
 
Wird es überhaupt noch Städte geben auf Planet B?
Die Lebensgemeinschaft im 'Ecovillage' (2012). © CC BY-SA 4.0Ja, wird es. Denn trotz allem: Wir Menschen suchen einander, wir genießen und nutzen einander, auch in der Dichte. Geschichtlich war die Dichte der Städte immer das Zentrum für Entwicklung, angefangen von Çatal Hüyük in der heutigen Türkei. Aber Städte auf Planet B werden nicht die wichtigste Lebensform sein. B-weit, in allen Ländern, wird es Gemeinschaften und Ökodörfer geben. In weltweiter Vernetzung werden sie Impulsgeber für die ökosoziale Entwicklung und Selbstverwaltung ihrer Region sein. Sie bilden regionale Lebensmittel- und Energieautonomien in Kontakt mit der Natur, denn die Menschen haben gelernt, mit ihr zu leben, ohne sie zu zerstören. (Industrielle Landwirtschaft und zentralistische Energieerzeugung durch Erdöl haben komplett ausgedient.) Hier, dezentral, geschehen Forschung und Lehre ganz nah an der Praxis. Es sind Orte für Kulturbildung, Wissenschaft und Verwaltung durch jeweils wenige hundert Menschen, die sich kennen, untereinander Vertrauen erzeugen und Verantwortung für das Umland übernehmen. Die Anonymisierung und Vereinsamung, die so viele Seelen zermürbt hat, ist überwunden.

Teilweise geschah das ja schon auf Planet A: Kinder, die in Gemeinschaften und Ökodörfern aufwachsen, haben nicht nur umfassendes Wissen über Natur und Handwerk, sondern entwickeln eine soziale Kompetenz, die sie später in vielen Bereichen zu Verantwortungsträgern macht.

Und irgendwann zieht es sie in die Fremde. Sie wollen sich erproben, Neues lernen, an globalen Trends teilhaben, mit Gleichaltrigen zusammenkommen, verrückte Dinge tun, sich verlieben... kurz, sie wollen in eine Stadt. Wie aber sehen Städte aus? Wie hat Planet B all die sozialen und ökologischen Probleme von Städten gelöst? Und welche Funktion haben sie, wenn sie nicht mehr als Versorgungs- und Verwaltungszentren gebraucht werden?
 
Wie ein Organismus
Ich stelle mir das so vor: Eine Stadt auf Planet B - mit niemals mehr als 100.000 Einwohnern - ist der Stolz ihrer Region. Hier wird zur Blüte gebracht, was überall im Land entwickelt wurde. Ihre Einrichtungen und Gebäude, ihre Funktionen sind nicht nebeneinander gesetzt - sondern durch und durch wie ein Organismus aufgebaut. So wie Herz, Lunge und Blutkreislauf kennt jedes Organ der Stadt seine Funktion für das Ganze. Schönheit ist ein wichtiges Kriterium für die Funktion einer Stadt.

Das 'La Montanita Co-op Veteran Farm Project' (VFP), das über das Specialty Crop Grant-Programm des Agricultural Marketing Service (AMS) des US-Landwirtschaftsministeriums (USDA) finanziert wird, bietet Veteranen Workshops zu nachhaltigen landwirtschaftlichen Praktiken, praktischem Gartenbau und landwirtschaftlicher Erfahrung an. © Bob Nichols, US-Department of Agriculture, Public DomainEs gibt die Stadtteile der Handwerke, der Künste, der Wissenschaft, der Heilung. Gilden verschiedener Berufsgruppen tauschen sich aus, verfeinern ihr Können, intensivieren ihre Arbeit, verbessern ihre Bedingungen, lernen voneinander. Man lebt zusammen in Wohngemeinschaften, Klein- und Großfamilien oder auch allein, aber immer in Cohousing: Man teilt Ressourcen, Innenhöfe, Küchen, die Pflege von älteren Menschen und Kindern. Auch in Städten gilt: Die Produktion des Nötigsten geschieht lokal. So durchzieht ein System von Symbiosen die Stadt: Gemeinschaftsgärten, Kompostanlagen und Hühnerhaltung zwischen den Häusern, Obsthaine in Parks, vertikaler Anbau an Häusern und auf Dachterrassen, Aquaponiksysteme in Kellern sowie urbane Bienenstämme erzeugen die Grundnahrungsmittel. Wohnhäuser sind ausgefeilte Solar- und Biogas-Generatoren und - ganz wichtig - Regenwassersammler. Pflanzenkläranlagen umgeben Wohnsiedlungen und bilden Parks. Jede Gemeinschaft stellt Arbeitskräfte dafür ab - eine willkommene Abwechslung zum Beruf. Wenn eine Stadt vom Land abgeschnitten wäre, könnte sie sich noch mit dem Nötigsten versorgen.

Transport und Sport gehen eine enge Kooperation ein.
Benzin-Autos gehören einer fernen Welt an - heute bewegt man sich selbstverständlich zu Fuß, mit Fahrrad, Skater oder Roller. Für ältere oder faule Menschen gibt es Rikschas, Elektrobusse und -taxis - aber je nach Geographie auch Seilbahn, Boot oder Drachenflieger.

Der Innenstadtbereich erinnert an einen Uni-Campus: Ganz dafür da, einander wahrzunehmen, zu treffen, auszutauschen - in Parks und auf Plazas, in Gassen und auf großen Freitreppen. Auf Märkten und in Gassen werden die Produkte angeboten, die in der Stadt nicht selbst erzeugt werden.

Eine solche Stadt funktioniert nur, wenn sie ein Herz hat: ein heiliges Zentrum. Das, was früher die Kirche im Dorf war oder die Kathedrale (Moschee oder Tempel) in einer Stadt. Es sind Oasen der Stille und Kontemplation - aber auch der ausgelassenen Freude, von Musik und Tanz. Was hier zelebriert wird, ist das Leben selbst. Egal welcher Religion die Menschen angehören, sogar Atheisten: Hier verehren sie das Leben. Das Leben der Natur und aller Wesen und das Leben in uns selbst. In immer neuen Formen preisen Künstler, Theaterleute, Musiker, Architekten und Schriftsteller sein Wunder. Und folgen der Ethik, die sich daraus ergibt. Forscher, Wissenschaftlerinnen, Verwaltungsangestellte, Technikerinnen, Hausfrauen, Ärzte, Künstlerinnen, Bauern, Sportler - alle verankern ihre Tätigkeit hier: in der Ehrfurcht vor dem Leben.

Ein junger Mensch, der in einer solchen Stadt ein paar Jahre lebt und lernt und dann in seine Gemeinschaft zurückkehrt, bringt neues Wissen und neue Impulse mit. Er oder sie ist in vielerlei Hinsicht erwachsen geworden und eine echte Bereicherung. Mit ganz neuem Selbst- und Weltbewusstsein wird er oder sie sich jetzt niederlassen und ein eigenes Zuhause aufbauen.

Leila Dregger ist Diplom-Agraringenieurin und langjährige Journalistin. Mit den Schwerpunktthemen Frieden, Ökologie, Gemeinschaft, Frauen arbeitet sie seit 25 Jahren für Presse und Rundfunk sowie als Drehbuchautorin und Regisseurin für Theater und Film. Sie war Herausgeberin der Zeitschrift „Die weibliche Stimme – für eine Politik des Herzens", Pressesprecherin des Hauses der Demokratie in Berlin und lebt heute überwiegend in Tamera in Portugal. www.tamera.org

Gesellschaft | Pioniere & Visionen, 06.07.2020

     
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