Katja Hockun
Lifestyle | Essen & Trinken, 06.03.2020
Bald keinen Fisch mehr?
Durch anhaltende Überfischung geraten die globalen Bestände mehr und mehr unter Bedrängnis
Der Fischkonsum weltweit stieg in den letzten 50 Jahren von 70 auf 170 Millionen Tonnen im Jahr. Aufgrund der Intensivierung der Fischerei in den letzten Jahrzehnten sind 90 Prozent der Fischpopulationen in unseren Ozeanen maximal befischt oder gar überfischt. Hinzukommt, dass zu kleine und unverkäufliche Fische, die ungewollt im Netz landen, sterbend oder tot wieder über Bord geworfen werden. Diese sogenannten Rückwürfe machen weltweit noch einmal 30 Millionen Tonnen Fisch im Jahr aus, die sinnlos aus den Meeren verschwinden.
Der Fischfang allein kann den steigenden Bedarf an Fischprodukten weltweit schon lange nicht mehr decken – daher wird immer mehr Fisch in Aquakulturen gezüchtet. Aus Wildfang stammen ungefähr 90 Millionen Tonnen. Weitere 80 Millionen Tonnen Fisch kommen aus Aquakulturen, Tendenz steigend. Aquakulturen haben jedoch viele negative Auswirkungen auf Mensch und Umwelt. Dazu zählen der hohe Medikamenteneinsatz, die Zerstörung von Küstenlebensräumen sowie die Verschmutzung der Meeresökosysteme durch Fischfäkalien. Auch Futterreste und Müll aus den Fischfarmen sind ökologisch sehr bedenklich. Verschärft wird das Problem dadurch, dass Futterfische für die Aquakulturen gefangen werden, wodurch die Überfischung noch weiter zunimmt.
Unser Appetit wächst
Jeder Europäer isst im Schnitt fast 23 kg Fisch im pro Jahr und die Nachfrage nach frischem Fisch steigt kontinuierlich. Die Hälfte unserer Fischprodukte importieren wir Europäer aus der ganzen Welt. Die Hälfte dieser Importe stammt aus Entwicklungsländern. Dies führt dazu, dass nicht nur aus unseren Meeren mehr Fisch entnommen wird als nachwachsen kann. Die Überfischung ist zu einem globalen Problem geworden. Die Menschheit fischt die Weltmeere leer…
Die Situation in Europa
Um die negativen Auswirkungen der Fischerei auf die Meeresumwelt in der EU zu minimieren und eine nachhaltige Fischerei zu schaffen, wurde 2013 die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) der EU reformiert. Die GFP verpflichtet die europäischen Mitgliedstaaten, alle kommerziell genutzten Fischpopulationen nachhaltig zu bewirtschaften, das heißt die Überfischung bis spätestens 2020 zu beenden.
Ein weiterer wichtiger Teil war es, die verschwenderischen und vermeidbaren Rückwürfe zu stoppen, denn in den Jahren zuvor wurden pro Jahr in Europa 1,7 Millionen Tonnen Fisch nach dem Fang direkt zu Abfall, das machte im Durchschnitt 23 Prozent der Fänge aus. Deshalb trat ab 2015 schrittweise ein Rückwurfverbot in Kraft. Alle Fische, für die eine Fangquote gilt, müssen seitdem mit an Land gebracht werden, um sie zu dokumentieren. Die Regelung sollte einen Anreiz schaffen, nur die Fische zu fangen, die auch gewollt sind und den Einsatz selektiver Fanggeräte fördern. Doch eine Umstellung auf umweltschonendere und selektivere Fanggeräte erfolgte bis heute fast gar nicht, da das Rückwurfverbot nicht ausreichend kontrolliert und sanktioniert wird. Darüber hinaus wurden auch keine positiven Anreize für Fischer geschaffen, es zu befolgen.
Die Zeit läuft ab – auch in Deutschland
Die Umsetzung der GFP geht in allen Bereichen nur sehr schleppend voran und die Bilanz aus fünf Jahren GFP ist ernüchternd: Seit Einführung werden gerade mal vier Fischbestände mehr nachhaltig bewirtschaftet als zuvor. 41 Prozent der europäischen Fischbestände sind noch immer überfischt. Trotz der gesetzlich bindenden Regelungen der GFP auf dem Papier werden auch heute noch Fangquoten regelmäßig höher angesetzt, als es von der Wissenschaft empfohlen wird. Auch in unseren deutschen Meeren sieht es nicht besser aus. Laut den jüngsten Berichten des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) sind die Dorsch- und Heringspopulationen in der Ostsee, Kabeljau in der Nordsee und weitere Arten noch immer in keinem guten Zustand. Für den westlichen Herings- und den östlichen Dorschbestand in der Ostsee wurden von der Wissenschaft Fangstopps für 2020 empfohlen. Der sehr kritische Zustand der Dorschpopulation in der östlichen Ostsee führte Ende Juli 2019 sogar zur Schließung der Fischerei. Das sind die Konsequenzen schlechter politscher Entscheidungen und eines schlechten Fischereimanagements.
Die Politik verpasst Chancen
Um die Überfischung fristgerecht zu beenden, hätte der Ministerrat bei den Fangquotenverhandlungen im Oktober und im Dezember nur den wissenschaftlichen Empfehlungen folgen müssen. Doch leider haben sie diese erneut ignoriert und entschieden, die Fangmengen für 5 von 10 Fischpopulationen in der Ostsee zu hoch anzusetzen. Auch in der Nordsee sieht es nicht besser aus. Im Dezember wurden für mehr als 100 Fischbestände in Nordsee und den Atlantik Fangbegrenzungen festgelegt und viele davon folgen nicht der Wissenschaft.
Die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten, so auch Deutschland, haben ihr Versprechen nicht eingelöst und sozio-ökonomische Gründe vorgeschoben, statt gesunde Fischpopulationen zu schaffen und die Überfischung zu beenden. Das ist nicht im Sinne der deutschen Bürger, denn der Mehrheit ist eine nachhaltige und transparente Fischerei wichtig, das zeigt die Naturbewusstseinsstudie aus dem Jahr 2017.
Das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung ist dafür verantwortlich, diese Belange im Auftrag der deutschen Verbraucher umzusetzen. Julia Klöckner hätte deshalb unbedingt handeln müssen, um in Europa den Weg für eine nachhaltige Fischerei zu ebnen. Doch die jetzt getroffenen unverantwortlichen Entscheidungen führen zum Gegenteil.
Der Handel handelt
Bereits 2018 forderten viele Einzelhändler mehr Transparenz, Kontrollen und eine nachhaltigere Bewirtschaftung unserer Meere. Sie reagieren somit auf die Forderungen der Gesellschaft nach guten, gesunden und umweltverträglichen Speisen. Genau das kann der Einzelhandel mit einem Sortiment von nachhaltigen Fischprodukten, dessen Herkunft geprüft und für den Verbraucher sichtbar ist, gewährleisten. Dafür müssen die Händler, im eigenen Interesse, den Weg, den der Fisch genommen hat, nachvollziehen können, damit keine Fische aus illegaler Fischerei in ihren Regalen landen. Außerdem sollten sie darauf achten, dass nur nachhaltige Fischprodukte neu ins Sortiment aufgenommen werden und nicht nachhaltige aus dem Sortiment verschwinden. Somit werden auch die Fischlieferanten gezwungen, mehr auf Nachhaltigkeit zu achten.
Weniger ist mehr
Jeder kann etwas zum Schutz der Meere und ihrer Bewohner beitragen. Unsere Kaufentscheidung im Supermarkt, an der Fischtheke oder auch auf dem Markt macht den Unterschied. Fisch ist ein saisonales und regionales Produkt, das sollte man im Hinterkopf haben. Muss es jede Woche Fisch geben? Unser Proteinbedarf kann auch aus anderen Quellen gedeckt werden. Es gibt aber auch sehr viele kleine Fischereien, die nachhaltig wirtschaften und Ihren Fisch direkt vom Kutter oder an lokale Restaurants verkaufen. So wird der Urlaub am Meer zusätzlich zu etwas Besonderem.
Au au Kabeljau
Der Nordseekabeljau wurde fast ein halbes Jahrhundert lang nicht nachhaltig befischt und jetzt befindet er sich in einem kritischen Zustand. Um für eine Erholung der Population zu sorgen, wurden Maßnahmen ergriffen. Dadurch hat sich der Kabeljau seit dem historischen Tiefstand im Jahr 2006 zwar leicht erholt, doch dieses Wachstum setzt sich nicht fort, da der Nachwuchs in der Nordsee zu gering ist. Das zeigten auch die Prognosen des ICES im Jahr 2018. Der ICES schlug eine radikale Reduzierung der Fangmengen für 2019 um fast 50 Prozent gegenüber 2018 vor. Trotz der gesetzlich bindenden Verpflichtung, die Überfischung zu beenden, legte der EU-Fischereirat die Fangmengen für den Nordseekabeljau für 2019 jedoch 25 Prozent über den wissenschaftlich empfohlenen Mengen fest.
Der Slow Food Verbrauchertipp
Verbraucherinnen und Verbrauchern rät Slow Food zu einem reduzierten und diversifizierten Fischgenuss mit Fischarten aus regionaler und nachhaltiger Bewirtschaftung aus Seen, Flüssen und Teichwirtschaft. Verzichten sollten sie auf Fisch aus intensiver Aquakultur und aus bedrohten Beständen.
Auf die Quote kommt es an
Die Fangquoten für die Fischerei in der EU werden jedes Jahr neu festgelegt. Den Auftakt bilden die wissenschaftlichen Empfehlungen des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES) für die erfassten, kommerziell genutzten Bestände in Nordsee, Ostsee und dem Nordatlantik. Auf deren Grundlage verhandeln dann die EU-Mitgliedstaaten über die Festlegung der Fangmengen. Die Verhandlungen des EU-Ministerrates, in denen das geschieht, sind intransparent und passieren hinter verschlossenen Türen. In der Vergangenheit hat Deutschland mit dafür gesorgt, dass sogar die maximal empfohlenen Fanggrenzen weiterhin überschritten wurden. Jedes Jahr im Oktober werden die Fanggrenzen für das kommende Jahr für die Ostsee festgelegt, im Dezember für die Nordsee. Es wird Zeit, endlich entschieden zu handeln.
Die Initiative Our Fish will sicherstellen, dass die EU-Mitgliedstaaten die GFP umsetzen und für nachhaltige Fischbestände in den europäischen Gewässern sorgen. Die DUH koordiniert diese Arbeit in Deutschland.
Katja Hockun ist ist Projektmanagerin im Meeresnaturschutz bei der Deutschen Umwelthilfe.
Dieser Artikel ist in forum 01/2020 - Dabeisein ist alles! erschienen.
forum future economy
forum Nachhaltig Wirtschaften heißt jetzt forum future economy.
- Mit diesem Schritt markiert der Verlag bewusst eine Zeitenwende – hin zu einer Wirtschaft, die Zukunft schafft, statt nur Probleme zu verwalten.
Kaufen...
Abonnieren...
09
DEZ
2025
DEZ
2025
Club of Rome Salon: Building the City of the Future (in English)
Cities, World Expos, and Stakeholders Driving Sustainability
10178 Berlin
Cities, World Expos, and Stakeholders Driving Sustainability
10178 Berlin
Anzeige
Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht
Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol
Digitalisierung
Smartphones und PhilosophieWerden Handy-Verbote in Schulen und Altersgrenze bei Social Media Nutzung die Probleme lösen?
Jetzt auf forum:
Schulen stärken Bildung für nachhaltige Entwicklung
Seit 15 Jahren: faire und umweltbewusste Beschaffung mit dem Kompass Nachhaltigkeit
The GREEN MONARCH Awards 2025 Verleihung in Berlin
forum Nachhaltig Wirtschaften heißt jetzt forum future economy
Wie Unternehmen mit regionaler Aufforstung ihre ESG-Ziele stärken















