Carolin Sperk

Die nachhaltige Kantine ist möglich

... man muss es nur machen

Als Klaus Helbig 2017 den Betrieb der Mensa eines Gymnasiums in Berlin Tiergarten übernahm, wurden an manchen Tagen bis zu 50 Prozent des ausgegebenen Essens weggeworfen: „Wir haben uns das ein paar Tage angeschaut und gesehen, dass die Mülleimer an der Essensausgabe oft voll waren mit gekochtem Essen." Heute liegt der Anteil, der weggeworfen wird, unter 10 Prozent. forum präsentiert Anregungen für Kantinen und Großküchen.
 
Lebensmittelretter Klaus Helbig setzt auf Bio. © Annemie MartinIn Berlin alleine fallen rund 100.000 Tonnen Speiseabfälle pro Jahr in Gastronomie und Kantinen an – das entspricht ungefähr 153 vollbesetzten ICE-Zügen. Doch das soll sich ändern: Der Berliner Senat hat im Dezember 2019 eine Ernährungsstrategie beschlossen, die auf Regionalität, Nachhaltigkeit, Fairness und Gesundheit setzt.
 
Ein wichtiger Ansatzpunkt ist das Essen in Kantinen und Mensen: Der Anteil von Biolebensmitteln soll dort auf 50 Prozent beziehungsweise 60 Prozent steigen und die Lebensmittelverschwendung durch das „Zero Waste"- Abfallvermeidungskonzept Lebensmittel deutlich reduziert werden. Dieses setzt stark auf die Zusammenarbeit mit Initiativen wie die Tafeln oder Kiezküchen. Aber auch Kantinen und Catering-Unternehmen sollen bei der Verringerung von Lebensmittelabfällen unterstützt werden. So steht es zumindest in der 2019 im Berliner Senat verabschiedeten Ernährungsstrategie „Berlin isst so".

Einfache Maßnahme – große Wirkung
Zurück zum Gymnasium am Tiergarten. Der Mensabetreiber Helbig hat dort zum Beispiel ein neues Ausgabesystem eingeführt: Anstelle der ansonsten vorgegebenen Portionsgrößen (in Berlin sind das 350g bei Hauptspeisen), gibt es bei Helbig eher kleinere Portionen zu Beginn, dann aber die Möglichkeit, sich einen Nachschlag zu holen. Dafür muss er zwar eine Person mehr zur Ausgabe bereitstellen, gleichzeitig ist aber auch der Verlust viel geringer.
 
Der Erfolg gibt Helbig recht: „Heute hab ich dann vielleicht mal noch einen kleinen Gastronormbehälter an Tellerresten, aber mehr auch nicht." So ein Behälter fasst knapp 12 Liter. Das ist bei 260 Essensportionen am Tag im Mensabetrieb keine schlechte Bilanz. Solche Maßnahmen sind dringend nötig, denn die Deutschen werfen pro Kopf mindestens 55 kg Lebensmittel im Jahr weg, in der Summe sind das laut einer aktuellen Studie des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) 12 Millionen Tonnen.
 
Zum Vergleich: Das entspricht in etwa 18.500 ICE-Zügen. Die Berliner sind mit 71 kg pro Kopf dabei. Diese enorme Ressourcenverschwendung ist, wie die Ernährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schon vor Jahren festgestellt hat, auch ein gravierender Beitrag zum Klimawandel. Wäre der Lebensmittelverlust ein Land, er wäre im internationalen Vergleich drittgrößter Verursacher von Treibhausgasemissionen.

Strategien sind gefragt
Deshalb lohnt sich ein näherer Blick auf die oben erwähnte Berliner Ernährungsstrategie. Sie ist ein politisches Instrument, die Lebensmittelverschwendung einzudämmen und die zahlreichen Initiativen, die auf lokaler Ebene schon länger existieren, zu unterstützen beziehungsweise zusammenzuführen. Baden-Württemberg hat bereits seit 2017 eine Ernährungsstrategie und Hessen arbeitet aktuell an einer Initiative. Der WWF weist in einer Studie von 2018 allerdings weiter darauf hin, dass die Maßnahmen und Ziele noch zu unkonkret sind.
 
Dennoch können Ernährungsstrategien ein wirkungsvolles Instrument sein, um international vereinbarte Nachhaltigkeitsziele (SDGs) in konkrete Maßnahmen umzusetzen. Besonders geht es um die Ziele für nachhaltigen Konsum, Gesundheit und das Ziel zum Schutz von Landökosystemen. Anlässlich einer Veranstaltung zur Berliner Ernährungsstrategie fasste die Grünen-Politikerin Renate Künast es kürzlich so zusammen: „Eine wirkliche Agrarwende kann es nur mit einer Ernährungswende geben."

Klimaschutz und Ernährung sind zwei Seiten einer Medaille
In Berliner Grundschulen sollen die Mahlzeiten ab 2021 zu 50 Prozent aus ökologisch, saisonal und regional produzierten Lebensmitteln bestehen – ohne dass die Kosten dabei steigen. Ein wichtiger Baustein zur Erreichung dieser Ziele ist das Projekt „Kantine Zukunft", das Küchenteams dabei unterstützt, Speisepläne auf „bio" umzustellen. Längerfristig sollen auch andere öffentliche Kantinen in Schulen und Kitas, Krankenhäusern und Verwaltungseinrichtungen einen höheren Anteil an biologischen Lebensmitteln einsetzen.
 
Klaus Helbig zeigt, dass das und noch viel mehr gehen kann, auch ohne die Preise zu sehr zu erhöhen. Er verwendet die höherwertigen Lebensmittel und kocht bereits seit 2008 auch klimazertifiziert. Damit leistete er damals Pionierarbeit und war deutschlandweit der erste bio- und klimazertifizierte Kantinen- und Cateringbetreiber. Bei der Klimazertifizierung wurden neben Energieverbrauch und CO2-Bilanz der Küchengeräte auch die Transportwege der Waren eingerechnet. Sogenannte Flugware wie Ananas, Kiwis und Treibhausware gibt es also nicht in Helbigs Mensa und Bistro oder im ebenfalls klimazertifizierten BioCatering. Die Verwendung von Produkten aus ökologischer Landwirtschaft verbessert seine Klimabilanz zusätzlich.

Bio = klimaverträglich und gesund
Klimaverträgliches Essen, das mehr auf regionale und saisonale, unverarbeitete Ware setzt und weniger Fleisch- und Milchprodukte einsetzt, ist auch besser für die Gesundheit. Schließlich ist unsere Ernährung mitverantwortlich für die zunehmende Fehl- und Überernährung, die als wichtige Ursachen für viele „Zivilisationskrankheiten" gelten. So ist eine vollwertigere Ernährung Teil des Berliner Gesundheitszieles „Gesundheitschancen für Kinder und Jugendliche erhöhen – Benachteiligungen abbauen".
 
Und bereits 2016 hatte die TU Berlin festgestellt, dass „eine Überarbeitung des Speisenangebotes seitens der Cateringunternehmen besonders im Hinblick auf häufig fehlende Menükomponenten (Gemüse, Milch- und Sojaprodukte) durchgeführt werden sollte". Kritiker befürchten, dass es gar nicht möglich sei, Berlin weitgehend regional und mit Lebensmitteln in Bio-Qualität zu versorgen, doch eine Offensive für den ökologischen Landbau in Brandenburg schließt eventuelle Lücken: Der neue Umweltminister will den Anteil der Anbaufläche für Bio schon bald von derzeit 12,9 auf 20 Prozent steigern.

Widerstände überwinden und mit Ideen und Tatkraft ­vorangehen
Mittlerweile sind eigentlich alle von Klaus Helbigs Konzept überzeugt, vor allem die Schüler, die immer öfter von sich aus nur noch vegetarisches Essen möchten. Daher ist Helbig schon einen Schritt weiter: Er arbeitet auf eine „Küche ohne Plastik" hin – Gefäße und sonstige Arbeitsmittel bestehen schon weitgehend aus Edelstahl, Keramik oder Holz, und sogar die Anlieferung soll bald „plastikfrei" sein.
 
Mit dem Berliner Naturkostgroßhändler Terra hat er vereinbart, dass die Ware bald nicht mehr wie üblich in halboffenen Rollwagen erfolgt, die dann mit vielen Metern Folie umwickelt werden, sondern in schließbaren „Rollis". Und nachdem er bereits die Ausgabe von Joghurt auf das Re-Cup-System umgestellt hat, steht als nächstes das Projekt „weg vom Tetrapak" an: Den Dauerbrenner Kakaomilch soll es zukünftig ebenfalls nur noch aus Mehrwegbechern geben!
 
Carolin Sperk ist als Geographin seit Langem in Sachen Umwelt und Nachhaltigkeit aktiv. Im Rahmen eines Forschungsprojektes zu nachhaltiger Landnutzung in West- und Ostafrika sowie Indien lernte sie zuletzt die Auswirkungen von Klimaveränderungen auf Kleinbauern direkt kennen. Als gelernte Hotelfachfrau liegt ihr die Verknüpfung von Ernährung und Nachhaltigkeit nahe. 

Dieser Artikel ist in forum 01/2020 - Dabeisein ist alles! erschienen.



     
        
Cover des aktuellen Hefts

forum future economy

forum Nachhaltig Wirtschaften heißt jetzt forum future economy.

  • Mit diesem Schritt markiert der Verlag bewusst eine Zeitenwende – hin zu einer Wirtschaft, die Zukunft schafft, statt nur Probleme zu verwalten.
Weiterlesen...
Kaufen...
Abonnieren...
09
DEZ
2025
Club of Rome Salon: Building the City of the Future (in English)
Cities, World Expos, and Stakeholders Driving Sustainability
10178 Berlin
Alle Veranstaltungen...
Anzeige

Professionelle Klimabilanz, einfach selbst gemacht

Einfache Klimabilanzierung und glaubhafte Nachhaltigkeitskommunikation gemäß GHG-Protocol

Digitalisierung

Smartphones und Philosophie
Werden Handy-Verbote in Schulen und Altersgrenze bei Social Media Nutzung die Probleme lösen?
B.A.U.M. Insights
Hier könnte Ihre Werbung stehen! Gerne unterbreiten wir Ihnen ein Angebot

Jetzt auf forum:

EMAS-Validierung für ein transparentes, europäisches Umweltmanagement der LaSelva Bio-Feinkost Unternehmensgruppe

Schulen stärken Bildung für nachhaltige Entwicklung

Seit 15 Jahren: faire und umweltbewusste Beschaffung mit dem Kompass Nachhaltigkeit

Blue Green FUTUREventura

Nachhaltigkeit in der Cloud

The GREEN MONARCH Awards 2025 Verleihung in Berlin

forum Nachhaltig Wirtschaften heißt jetzt forum future economy

Wie Unternehmen mit regionaler Aufforstung ihre ESG-Ziele stärken

  • circulee GmbH
  • TÜV SÜD Akademie
  • Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG
  • Protect the Planet. Gesellschaft für ökologischen Aufbruch gGmbH
  • Global Nature Fund (GNF)
  • Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft e.V. (BNW)
  • NOW Partners Foundation
  • toom Baumarkt GmbH
  • BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften
  • Engagement Global gGmbH
  • World Future Council. Stimme zukünftiger Generationen
  • Futouris - Tourismus. Gemeinsam. Zukunftsfähig
  • DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen