Richtige Schulen oder das Richtige lehren

Warum bauen wir Schulen in Afrika und was sollten wir eigentlich lehren…?

Meine Reisen nach Afrika haben es gezeigt: Die jungen Menschen dort sind hungrig nach Bildung.  Ein Schüler in Äthiopien sagte zu mir: Es ist mein Traum, in einer ordentlichen Schule lernen zu dürfen und nicht in diesen staubigen, dunklen Lehmhütten sitzen zu müssen. Und in der Tat werden im globalen Süden mit Hilfe der Industriestaaten und zahlreicher NGOs viele Schulen gebaut, um den dortigen jungen Menschen eine Zukunft zu ermöglichen…

Doch eines kommt aus meiner Sicht zu kurz: Nicht die Frage, WO sollte man lehren, sondern WAS und vor allem WOFÜR sollten wir lehren.

Schule in Afrika - My School Tool-Box © DERVielleicht sollte man in einer wohlmeinenden Entwicklungszusammenarbeit nicht nur helfen, Schulen zu bauen, sondern auch dabei helfen, neue Schulsysteme zu entwickeln – Schulsysteme, die die Zukunftsfähigkeit ihrer Schüler und der sich entwickelnden Gesellschaften wirklich sicherstellen. Doch diese wichtige Aufgabenstellung gilt nicht nur für Entwicklungsländer im globalen Süden – auch Deutschland und Österreich sind hier Entwicklungsländer, denen massiv diejenigen Lehrinhalte fehlen, die zu einer Neuentwicklung unserer Gesellschaft nötig sind. Entsprechend stehen wir vor einem gesellschaftlichen und ökologischen Kollaps. Passend zu diesem Statement präsentiere ich Ihnen hier einen Kommentar von Josef Köhler, den ich am Rande des EDUaction Bildungsgipfels in Mannheim gesprochen habe.

Bildung in Freiheit und Unabhängigkeit
Wie es sich auf die Bildungssysteme auswirkt, wenn wir sie den Zielen der wirtschaftlichen Entwicklung unterordnen, beschreibt Martha Nussbaum in ihrem Buch „Nicht für den Profit". Eindrucksvoll verdeutlicht sie, wie abträglich das, was wir gegenwärtig weltweit als Bildungstrend erleben, den Zielen der Demokratie ist.

Jedoch nicht nur die Bildungssysteme orientieren sich an dem Wachstumsstreben der Wirtschaftssysteme. Jeder Lebensbereich und somit jeder Mensch ist davon erfasst und wird systematisch unter Druck gesetzt. Diese weltweite Entwicklung wirkt auf alle Lebensbereiche. Die Mechanismen sind Druck, Angst und Ausgrenzung. Wir brauchen als Menschen jedoch Anerkennung, Zuversicht und Vertrauen.

Dieser „Verzweckung" von Bildung für wirtschaftliche Zielsetzungen müssen wir entgegenwirken und eine grundsätzliche weltweite Veränderung der Bildungssystems einleiten.  Es geht darum, ein ganzes Sinnsystem zu verändern. Ein entscheidender Schlüssel dazu ist das Spiel.

Lasst die Kinder spielen
Kinder erobern sich die Welt im Spiel und wachsen spielerisch in diese Welt hinein. Ihnen geht es nicht um Profitmaximierung und Zeitmanagement. Solange die Habgier und nicht die Neugier der Menschen die Welt beherrscht und andere Menschen dadurch Leid und Tod erfahren, solange müssen wir an einer Gesellschaft arbeiten, die dies alles nicht mehr braucht und nötig hat. Ein Weg dorthin ist eine neue Bildung. Bildung in Freiheit und Unabhängigkeit, Bildung einer wirklich eigenen Idee von sich und einer menschenwürdigen Zukunft.

Um Bildung zu vermitteln, braucht es eine Haltung und Sichtweise, die es zulässt, sich den komplexen Vorgängen in dieser Gesellschaft auf ganz persönliche Weise nähern zu dürfen. Kinder, die in diese komplexen Vorgänge hineingeboren werden, sind mit allem ausgestattet, um diese komplexen Herausforderungen ohne große Anstrengung zu meistern.

Wo bleibt die Beteiligung der Kinder?
In der Erwachsenenwelt wird heutzutage darüber diskutiert, was mit unserem Bildungssystem alles falsch läuft und was zu tun wäre, um vieles, womöglich alles zu verändern. In diesen theoretischen Diskursen tauchen nur selten reale Kinder auf oder melden sich zu Wort. Vieles Gesprochene würde sich wahrscheinlich relativieren und sich den realen Situationen anpassen. Es ist höchste Zeit, unsere Kinder in die Diskurse um ihre Zukunft einzubeziehen. Verschaffen wir ihnen Zugang zu Möglichkeiten, sich real und konkret an der Gestaltung ihrer Zukunft zu beteiligen! So sollten auch die Schulen Kinder an allen relevanten Themen beteiligen.

Best Practice: Das PRRITTI-Modell
In Detmold gibt es eine Schule, die mit ihrem Bildungsmodell das Zeug hat, Vorbild für alle Bildungssysteme zu sein. Das prritti®-Bildungsmodell ist ein Betriebssystem für neues Lernen, nicht nur für Schule. Es ist auf alle Lebensbereiche übertragbar und kann ganz einfach in jeder Schule eingesetzt werden.

Dies ist einfach, wenn man wie im prritti®-Bildungsmodell die Vorzeichen alle konsequent umdreht und Kinder mit ihren Bedürfnissen ernst nimmt. Es ist wichtig, Kinder als Subjekte zu begreifen, nicht als Objekte eines Diskurses. Sie haben keine Defizite, sie wollen einfach nur lernen. Ihnen auf Augenhöhe zu begegnen, heißt, sich tatsächlich in ihre Lage zu versetzen. Ihnen dabei zu helfen, unbeschadet und selbstbewusst in die Erwachsenenwelt hineinzufinden, ist eine der wichtigsten Aufgaben in dieser Schule. Die Trennung von Lernen und Lernorten, die Aufgliederung des Lernens in Disziplinen erschwert den gesamten Prozess des Lernens. Lernen findet überall und zu jeder Zeit statt, es ist dem Menschen innewohnend und ist ein immerwährender Prozess im Wandel von Form und Gestalt.

Keine Zerstückelung des Lernens
Wir gehen in unserer Schule davon aus, dass Bildung die Komplexität des Lebens aufgreifen muss. Dazu ist zeitgemäße Bildung notwendig. Wir begreifen unser Bildungsmodell prritti® somit auch nicht als Ideologie, sondern als Chance, sich zeitgemäß zu bilden, um sich immer wieder neu auf die Themen der Zukunft einzustellen. Unsere Kinder sind diese Zukunft und wir wissen heute sehr genau, dass sie den Herausforderungen dieser Zukunft am besten gewachsen sind, wenn sie sich ihrer ganzen Kreativität bedienen können und auch wissen, was sie wollen. Die Zukunft erfordert situative und kreative Lösungsstrategien für jeden Einzelnen, damit er sich in der Welt von morgen gut zurecht findet. Einen Menschen darauf vorzubereiten heißt, seine Stärken zu stärken und seine Schwächen zu schwächen. Deshalb ist unser Bildungsprinzip leicht zu verstehen. Wir lassen die Kinder ganzheitlich lernen, denn wir zerstückeln unser Lernen nicht in „kleine Häppchen" und 45-Minuten-Einheiten und „zerfächern" es auch nicht.  So bleibt es tatsächlich ganzheitlich. Die Natur spielt eine große Rolle, wie auch die Kultur und die Kunst; denn wir als Menschen kommen aus der Natur. Die Kunst verhilft uns zu neuen Erkenntnissen, diese Kultur weiter zu entwickeln. Und das geht nur gemeinsam mit unseren Kindern. Deshalb lernen wir an unserer Schule mit ihnen, durch sie als Experten in eigener Sache und von ihnen, denn sie bringen das immer NEUE in diese Welt. Wir bestärken sie darin, was sie können und zeigen ihnen Wege auf, sich auszuprobieren. Wir verstehen uns als Lernbegleiter, die Möglichkeiten schaffen.

Wie müssen Lernbegleiter agieren können, um innerhalb dieses Modells in einer Schule der Zukunft wirken zu können? Wichtiger als ein ausgewiesen klassisches Fachwissen ist im  prritti®-Modell

  • die Kompetenz der Begleitung,
  • die Kenntnis von Vermittlungsprozessen als Beteiligungsprozesse zu initiieren,
  • die Kenntnis darüber, für anschlussfähige Lernprozesse Gelegenheiten zu schaffen,
  • das Klima für erlebnisorientiertes, offenes Gestalten zu erzeugen,
  • die Suchprozesse und Neukonstruktionen von Sinn anzustoßen.

Es geht eher darum, gute Fragen zu finden, (statt sie einfach zu beantworten), die keinen runden Abschluss, sondern Ecken und Kanten haben und dadurch Anstoß erregen, Lösungen zu finden.

Die Lernbegleiter haben die Aufgabe, im Rahmen des prritti®-Bildungsmodells  für Folgendes Sorge zu tragen

  • für die Potenzialentfaltung von Schülern und Lehrkräften systematisch Gelegenheitsstrukturen zu schaffen,
  • dass sich individuelle und kollektive Gestaltungsvermögen in größtmöglicher Eigenverantwortung entwickeln können,
  • Gelegenheiten zu schaffen, sich als Lernende in realen Zusammenhängen auszuprobieren und erleben zu können,
  • künstlerische Impulse gezielt zur Förderung kreativer Prozesse einzusetzen,
  • Vermittlungsprozesse zu gegenseitigen Gestaltungsprozessen umzuwandeln,
  • Lehrer und Schüler zu Bildungspartnern wachsen zu lassen,
  • dass Schüler einen innovativen Bildungsdiskurs mitgestalten und zu Botschaftern für die Themen ihrer Zukunft werden,
  • dass außerschulische Kooperationen und Partnerschaften zum Bestandteil der Schulkultur werden.

Das prritti®-Bildungsmodell eröffnet somit ein zeitgemäßes und grundsätzlich anderes Verständnis vom Kind. Denn das Kind im 21. Jahrhundert ist kein Objekt, sondern ein Bildungspartner.

Josef Köhler ist Bildungskünstler, Visionär, Autor und Manager. Er hat die klassischen Pfade der Kunst verlassen. Sein Werdegang ist sowohl komplex als auch einfach zu erklären: „Mich interessieren die Beweggründe, warum Menschen Systeme schaffen, unter denen sie leiden. Ich suche nach Möglichkeiten, wie Systeme wirklich für die Menschen da sein können." Mehr dazu erfahren Sie unter: www.prritti-bildungsmodell.com

von Fritz Lietsch 


Gesellschaft | Bildung, 03.06.2019

     
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