Gib Gummi!

Über den Anbau von Naturkautschuk

Was haben Latexhandschuhe, Flugzeugreifen und Kondome gemeinsam? Sie bestehen alle vorwiegend aus Naturkautschuk. Trotz synthetischer Nachahmungen ist dieser bis heute für die Industrie unverzichtbar. Doch der Anbau geht mit massiven Problemen einher. Einige Hersteller wollen dies ändern.
 
Zapferin in Sumatra, Indonesien: Die meisten Kautschukplantagen sind reine Monokulturen. © Dollaris SuhadiHandschuhe, Matratzen, Kondome, auch Schuhsohlen, Dichtungen, Förderbänder, Dämm- und Baumaterial: Für alles das und vieles mehr braucht man Kautschuk. Der wertvolle Rohstoff wird als Gummi zu mehr als 50.000 verschiedenen Produkten weiterverarbeitet. Der weltweite Verbrauch an Naturkautschuk betrug 2017 insgesamt 13,2 Millionen Tonnen. Wichtigster Abnehmer ist die Automobilindustrie.
 
Etwa 70 Prozent des in Deutschland verwendeten Naturkautschuks landet allein in Fahrzeugreifen. Hinzu kommen weitere Bestandteile für Autos wie Schläuche und Dichtungen. Kautschuk lässt sich zwar auch synthetisch herstellen, doch aufgrund seiner besonderen Eigenschaften vor allem in puncto Elastizität und Belastbarkeit ist Naturkautschuk bis heute unverzichtbar. Vereinfacht lässt sich sogar sagen: je höher die Belastung, der ein Material standhalten muss, desto höher der Anteil an Naturkautschuk. Flugzeugreifen bestehen beispielsweise fast ausschließlich aus Naturkautschuk, PKW-Reifen zu weniger als der Hälfte.
 
Brandrodung und Landraub
Rund 90 Prozent des weltweit gehandelten Naturkautschuks stammen aus Asien. Die bedeutendsten Anbauländer sind heute Thailand und Indonesien. Der intensive Anbau von Naturkautschuk ist dort eine der Ursachen für Umweltbelastungen und die großflächige Rodung von Tropenwäldern. So sind beispielsweise zwischen 2000 und 2012 in Indonesien, dem Land mit einer der höchsten Entwaldungsraten weltweit, insgesamt über sechs Millionen Hektar Primärwald abgeholzt worden. In dieser Zeit stiegen die Kautschukpreise langsam an und im Jahr 2011 erlebten sie eine regelrechte Hausse.
 
Eine der schlimmsten Triebfedern für die Entwaldung ist zwar die Gewinnung von Palmöl, aber auch Kautschuk hat in dieser Zeit einen bedeutenden Anteil gehabt. In Kambodscha, einem der neuen Anbaugebiete von Naturkautschuk, hat es ähnliche Entwicklungen gegeben. Neben der Abholzung sind dort, wie auch in anderen Ländern, schwerwiegende Fälle von Landvertreibungen bekannt geworden. Das grundlegende Problem: Der Anbau von Naturkautschuk spielt sich in vielen Weltregionen ab, in denen schwache staatliche Institutionen und mangelnde Rechtsstaatlichkeit ein hohes Risiko für gravierende Menschenrechtsverletzungen darstellen. So sind etliche Fälle von Landraub, aber auch Schuldknechtschaft und Kinderarbeit bekannt geworden. Dies sind zwar keine flächendeckenden Probleme, aber für Unternehmen ist es zunehmend wichtig, die Herkunft ihres Gummis genau zu kennen, um solche Missstände ausschließen zu können.
 
Kleinbauern in Bedrängnis
Der Latex fließt nach dem Anritzen des Baumes in einen Auffangbehälter. © Irene Knoke, SÜDWINDZu den drängendsten Problemen für die meisten Produzenten zählt derzeit jedoch der niedrige Preis, denn seit 2011 sind die Preise, nicht zuletzt durch den Anstieg der Anbauflächen, erheblich gesunken. Darunter leiden vor allem die vielen kleinbäuerlichen Betriebe, die meist weniger als drei Hektar bewirtschaften. Im Grunde eignet sich Kautschuk tatsächlich gut für den kleinbäuerlichen Anbau, denn die Ernte erfolgt fast das ganze Jahr hindurch, das Produkt ist gut lagerfähig und mit relativ einfachen Mitteln können erste Verarbeitungsschritte direkt von den Produzenten vorgenommen werden. Dies geschieht insbesondere in Thailand. Hier verarbeiten die Bauern den Latex durch mehrfaches Walzen direkt weiter zu sogenannten Sheets, also Fellen oder Matten.
 
Dadurch können sie einen höheren Ertrag erzielen. Bei den gegenwärtig sehr niedrigen Preisen geraten aber auch die thailändischen Produzenten unter Druck. Da es sich bei Kautschukbäumen um eine Dauerkultur handelt, haben sie kaum Möglichkeiten, auf ungünstige Preisentwicklungen zu reagieren. Sie sind auf Gedeih und Verderb abhängig von der einmal getroffenen Investitionsentscheidung, und das auch dann, wenn die Produktionskosten über dem Verkaufspreis liegen, wie in den vergangenen Jahren teilweise der Fall. Dann kann es passieren, dass kleinbäuerliche Betriebe bestimmte Maßnahmen zur Erhöhung der Produktion (zum Beispiel regelmäßiges Düngen) nicht mehr vornehmen können, oder sie „überzapfen" den Baum, wodurch der langfristige Ertrag gemindert wird. Gleichzeitig haben sie in der Wertschöpfungskette so gut wie keine Verhandlungsmacht und durch die langen Wege zu den Fabriken gehen für die einzelnen Bauern auch Anreize verloren, durch Qualitätssteigerungen bessere Preise erzielen zu können. Denn beim Zwischenhändler werden verschiedene Qualitäten oft wieder gemischt und die Fabriken zahlen nur niedrige Preise.
 
Transparenz in der Lieferkette herstellen
Das alles zeigt, wie wichtig es für die hiesigen Unternehmen ist, mehr Transparenz in die eigene Lieferkette zu bekommen. Bisher haben nur Wenige einen tieferen Einblick und können beurteilen, unter welchen Bedingungen der Kautschuk, den sie weiterverarbeiten, angebaut wurde. Aufgrund der starken Zersplitterung in der Lieferkette durch die kleinbäuerliche Struktur ist das auch gar nicht so einfach, aber nicht unmöglich. Zertifizierungen wie das FSC-Siegel für nachhaltige Forstwirtschaft können ein erster Schritt sein, um mehr Transparenz in die Lieferkette zu bringen. Einige kleinere Unternehmen haben auch bereits begonnen, direkte Lieferbeziehungen zu ihren Produzenten aufzubauen und hier die Lebensbedingungen zu verbessern. Diesen Weg geht zum Beispiel der Berliner Kondomhersteller einhorn.
 
Das Start-up kennt die Plantage in Malaysia sehr genau, von der es den Latex für seine Kondome bezieht, besucht sie regelmäßig und unterstützt sie bei der Einhaltung der eigenen Nachhaltigkeitsanforderungen („Fairstainability-Ziele"). Aufgrund der geringen Abnahmemenge bleibt es aber noch eine Herausforderung, den Kautschuk aus der unterstützten Plantage auch in der Aufbereitungsanlage von anderen strikt zu trennen. Am weitesten geht hier wohl der Fair Rubber Verein, der neben dem FSC-Siegel auch eine zusätzliche Prämie für die kleinbäuerlichen Betriebe garantiert. Sie wird für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Erzeuger von Kautschuk verwendet und beläuft sich auf 50 Cent je Kilogramm Gummi-Trockenmasse, die auf den jeweiligen Weltmarktpreis aufgeschlagen werden. Fair Rubber gesiegelte Produkte sind jedoch ein absoluter Nischenmarkt einiger weniger Hersteller von Kondomen, Handschuhen oder Gummistiefeln. Autoteile oder gar Reifen sucht man hier vergeblich.
 
Die Tränen des Baumes!
Die Quelle für den Rohstoff, aus dem Gummi gewonnen wird, ist der Kautschukbaum (Hevea brasiliensis). Von ihm kann der weiße Milchsaft gezapft werden, den die Indigenen in Südamerika, der ursprünglichen Heimat des Baumes, „Caucho" nannten – die „Träne des Baumes". Wir bezeichnen ihn als Latex, in dem zu etwa einem Drittel der begehrte Kautschuk enthalten ist. Um an den Latex zu kommen, muss der Kautschukbaum „gezapft" werden, indem er mit einem speziellen Messer angeritzt wird. Der so gesammelte Latex wird dann entweder durch Zusetzen von Säure zum Gerinnen gebracht, so dass Klumpen entstehen, oder er wird durch Zugabe von Ammoniak stabilisiert, da bestimmte Produkte aus dem flüssi­gen Latex hergestellt werden.
 
Die Reifenhersteller sind gefragt
In dieser Weiterverarbeitungsanlage wird flüssiger Latex angeliefert, der zu 'Fellen' oder Blöcken weiterverarbeitet wirdDoch auch für größere Unternehmen bietet die zunehmende Digitalisierung gute Möglichkeiten, mehr Rückverfolgbarkeit in der Lieferkette herzustellen. Im Zuge einer zunehmenden Diskussion über Sorgfaltspflichten von Unternehmen haben sich die größten Reifenhersteller nun zusammengetan, um über eine gemeinsame Plattform Standardansätze zu harmonisieren und so den Schutz von Menschenrechten zu verbessern, Entwaldung zu verhindern und biologische Vielfalt und Wasserqualität zu erhalten. Auch die Steigerung von Produktivität und eine bessere Rückverfolgbarkeit in der Lieferkette sind Bestandteile der Zielsetzungen.
 
Damit diese Global Platform for Sustainable Natural Rubber nicht zum Greenwashing Instrument wird, müssen ambitionierte Standards gesetzt, weiterentwickelt und auch konsequent überprüft werden. Um zumindest den wichtigsten ökologischen Risiken zu begegnen, kann sich ein Unternehmen auch zu Selbstverpflichtungen zu entwaldungsfreien Lieferketten bekennen. Einige Unternehmen der Reifen- und Gummiindustrie (zum Beisiel Michelin, Bridgestone, Pirelli) haben das bereits getan. Bis 2020 sollen mit der Herstellung ihrer Produkte keine Waldverluste mehr verbunden sein.
 
Für die Unternehmen bedeutet das, dass sie ihre Lieferketten möglichst bis zur einzelnen Plantage zurückverfolgen können müssen. Ein Ansatz, der auch in Teilen schon verfolgt wird, ist dabei der Aufbau von ganzen Regionen, in denen Waldschutz, Waldnutzung und landwirtschaftliche Produktion so miteinander kombiniert werden, dass wichtige Nachhaltigkeitsstandards eingehalten werden und entwaldungsfreie Lieferketten aus diesen Regionen gewährleistet und kontrolliert werden können. Es wird Zeit, dass nun auch die Reifenhersteller „Gummi geben".
 
 
Irene Knoke arbeitet seit 2000 als wissenschaftliche Mitarbeiterin beim SÜDWIND-Institut für Ökonomie und Ökumene und beschäftigt sich dort unter anderem mit nachhaltigen Lieferketten.

Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 01/2019 - Time to eat the dog erschienen.



     
        
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