Susanne Blazejewski

Eine „Neue Organisation“ bietet Gestaltungsfelder für mehr Nachhaltigkeit

New Work, Future Work, New Organisation

Diesen Beitrag von Prof. Dr. Susanne Blazejewski, Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, finden Sie im B.A.U.M.-Jahrbuch 2019 - New Work.
 
New Work, Future Work, New Organisation – mit diesen und anderen Schlagworten sind neue Organisations- und Arbeitsformen für Unternehmen seit einigen Jahren intensiv in der Diskussion. Unternehmen versuchen, mithilfe neuer Konzepte flacher, innovativer und flexibler zu werden und damit besser für die Komplexität ihres Umfelds gerüstet zu sein. Zu diesen Konzepten gehört die Einführung von kollegial geführter oder agiler Organisation, Holokratie und Selbstorganisation. Diese Bewegung in den Arbeitsformen ist eine große Chance zur Sicherung der Überlebensfähigkeit von Unternehmen, gleichzeitig aber auch zur Weiterentwicklung sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit. Ich zeige dazu im Folgenden auf Basis aktueller Forschungsergebnisse einige Ansatzpunkte auf, wie das Thema Neue Organisation mit dem Thema Nachhaltigkeit im Unternehmen zusammengedacht und zusammengeführt werden kann. Dabei gehe ich ebenfalls auf die Frage ein, ob und wann neue Arbeits- und Strukturformen ökologische und soziale Qualitäten gefährden.
 
Nachhaltigkeit entsteht durch Diversität und multiple Stakeholder- Perspektiven in selbstorganisierten Teams. © 123RF.com rawpixel
Auch wenn die Konzepte von Neuer Organisation vielfältig sind, lassen sich gemeinsame Grundelemente identifizieren: Individualität und Selbstbestimmung (zum Beispiel bei Arbeitszeit, Leistungsund Entwicklungszielen), veränderte Führungsrollen (als Coach) und partizipative Führungskulturen, agile Prozesse (unter anderem dezentrale Entscheidungen), flexible Strukturen (zum Beispiel durch dynamisierte Rollen) und neue Bürokonzepte wie Creative Workspaces. Ich fokussiere mich im Weiteren auf vier zentrale Gestaltungsfelder der Neuen Organisation: Selbstbestimmung und Partizipation, neue Führungskonzepte, agile Prozessgestaltung und neue Arbeitsräume. Für jedes Gestaltungsfeld werden mögliche Interaktionen vor allem mit der Dimension der sozial-ökologischen Nachhaltigkeit diskutiert.
 
Selbstbestimmung und Partizipation
Die Ermöglichung von Selbstorganisation, Kooperation und Partizipation steht häufig im Mittelpunkt neuer Arbeitsformen. Aus arbeitssoziologischer Sicht sind Partizipation im Team und auf betrieblicher Ebene ebenso wie wahrgenommene Autonomie, zum Beispiel durch selbstorganisierte Arbeitsstrukturen, wichtige Elemente „Guter Arbeit". Eine derartige „Gute Arbeit" ermöglicht bei den Mitarbeitenden Zufriedenheit, Gesundheit und Entwicklungsperspektiven. Dies kann man dann als soziale Nachhaltigkeit bezeichnen. Selbstorganisation hat jedoch auch eine negative Seite. So zeigen aktuelle Studien, dass Selbstorganisation von Arbeitsprozessen, vor allem in Kombination mit räumlicher und zeitlicher Flexibilisierung, dazu führt, dass die Balance zwischen Arbeit und Freizeit gestört wird, mit entsprechend negativen Effekten auf das Wohlbefinden.
 
Partizipation und Kooperation können außerdem zu einer positiven ökologischen Entwicklung von Team und Gesamtunternehmen beitragen. Diese ökologische Wirkung von partizipativen Arbeitsformen ist unter anderem auf drei Aspekte zurückzuführen: Partizipative Arbeitsformen fördern Diversität und Meinungsvielfalt, vor allem wenn in Innovationsprozesse auch Stakeholder außerhalb der eigenen Organisation (Lieferkette, Kunden) eingebunden werden. Partizipative Strukturen können Mitarbeitende weiterhin ermuntern, sich mit ihren individuellen Kenntnissen sichtbarer zu machen und so auch Themen ins Arbeitsumfeld einzubringen, die zunächst außerhalb des engsten Arbeitsspektrums liegen (life-work-spillover, zum Beispiel auch von „grünem" oder sozial-ökologischem Engagement im Privatleben). Aktuelle Studien zeigen außerdem, dass eine verbesserte Informationsverteilung im Unternehmen umweltbewusstes Handeln unmittelbar fördert – unabhängig von der Branche.
 
Neue Führungskonzepte
Arbeiten in Neuen Raumkonzepten braucht auch angemessene Rückzugsmöglichkeiten. © Haworth SEEin Führungskonzept, das von Neuen Arbeits- und Organisationskonzepten besonders häufig aufgegriffen wird, ist das Modell des Shared Leadership. Shared Leadership umfasst die Verteilung von Führungsaufgaben auf unterschiedliche Aufgabenträger, auch außerhalb der klassischen vertikalen Hierarchie (zum Beispiel nach dem Expertenprinzip), ebenso wie die Dynamisierung von Führungsrollen (zum Beispiel durch Rotation). Hinsichtlich der Nachhaltigkeitswirkungen von Shared Leadership wird argumentiert, dass die Verteilung und Dynamisierung von Führung eine höhere Transparenz im Unternehmen und damit eine Verantwortungskultur erzeugen, die dann der CSR-Performance des Unternehmens zugute kommt. Außerdem kann verteilte Führung zu einer verbesserten Ausbalancierung von Stakeholder-Interessen beitragen und dadurch mögliche sozial-ökologische Interessen von Anspruchsgruppen stärker berücksichtigen.
 
Agile Prozessgestaltung
Agile Ansätze wie Scrum (agile Projektmanagement-Methode), Lean oder Design Thinking ermöglichen es, einerseits die Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen in ihrer Komplexität überhaupt zu erfassen, andererseits aber auch, diese Komplexität durch Einfachheit, Visualisierung und Wiederholung im Prozess handhabbar zu machen. Gerade durch die Berücksichtigung des Themas Nachhaltigkeit steigt die Komplexität von Entwicklungsvorhaben; agile Methoden sind hier also besonders hilfreich. Agile Methoden bewirken jedoch noch mehr. Sie verstärken die Elemente Neuer Arbeit, denn sie führen nicht nur zu einer höheren Leistung bei komplexen Anforderungen, sondern ermöglichen (und erfordern) gleichzeitig einen höheren Grad an Partizipation, Kooperation und verteilter Führung (temporäre Führung, diversifizierte Führungsrollen). In vielen Unternehmen entsteht daher der Impuls zur Umsetzung neuer Organisationsformen durch die Einführung agiler Prozesse in einzelnen Teams oder Abteilungen.
 
Für die Methode des Design Thinkings konnten wir außerdem in einem Forschungsprojekt zeigen, dass zentrale Design-Thinking-Prinzipien per se nachhaltigkeitsorientiertes Arbeiten unterstützen. Durch die Weiterentwicklung der Methode zum Design Thinking für Nachhaltigkeit (DTN) werden Nachhaltigkeitsfragen noch expliziter berücksichtigt und systematisch in der Methode verankert. Der Einsatz von agilen Methoden wie DTN ermöglicht in einem klar begrenzten Rahmen die Erprobung und Einübung von Kooperation und flexiblen Arbeitsformen und fördert zugleich die wahrgenommene Selbstwirksamkeit sowie die Zufriedenheit von Mitarbeitenden. Selbstwirksamkeit ist wiederum eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich die Mitarbeitenden für soziale und ökologische Veränderungen im Unternehmen engagieren.
 
Agile Prozesse können also eine positive Transformation von Unternehmen fördern – sie bergen jedoch auch Gefahren. Die aktuelle Forschung zeigt, dass agile Methoden dazu führen können, dass die Bedürfnisse von Minderheiten und Genderfragen unberücksichtigt bleiben. Ein Grund dafür ist die hohe Taktung der Methode sowie ihre Fokussierung auf konkret vorhandene Bedarfe. Hier gilt es, agile Methoden so weiterzuentwickeln, dass Nachhaltigkeitsperspektiven im Prozessablauf immer wieder systematisch aktualisiert werden – bei DTN geschieht dies, indem in jedem Prozessschritt explizit Nachhaltigkeitschecks gefordert werden.
 
Neue Arbeitsräume
Digitales Arbeiten ermöglicht problemlos eine globale Vernetzung. Videokonferenzen reduzieren aufwändige Geschäftsreisen und Meetings. Sofa und Schreibtisch werden abwechselnd genutzt. © Haworth SEDie Einführung von Konzepten Neuer Organisation geht in vielen Unternehmen mit einer Umgestaltung der Büro- und Arbeitsräumlichkeiten einher, um die Transformation durch Material, Anordnung und Ästhetik zu unterstützen. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit solcher Bürokonzepte sind zwei Fragen von Bedeutung: Wie können bei der Einrichtung neuer Arbeitsräume Nachhaltigkeitsgesichtspunkte berücksichtigt werden? Und welche Nachhaltigkeitseffekte entstehen für die Mitarbeitenden bei der Arbeit in neuen Räumen? Zur ersten Frage ist hier lediglich auf die vielfältigen Möglichkeiten nachhaltigen Bauens und Einrichtens hinzuweisen, die gerade bei Neubauten berücksichtigt werden können.
 
Hinsichtlich der Wirkungen neuer Bürokonzepte auf die Mitarbeitenden sind die Ergebnisse der Forschung gemischt: Um hier soziale Nachhaltigkeit und „Gute Arbeit" zu gewährleisten, sind vor allem die Gestaltung der Umstellungsphase, die Berücksichtigung von möglicher Lärmbelastung, Rückzugsmöglichkeiten sowie natürliche Lichtverhältnisse ausschlaggebend. Zusätzlich zeigen Erfahrungen mit dem Konzept des „shared office", dass hierbei nicht-intendierte Effekte entstehen: Mitarbeiter, die vermehrt von zu Hause aus und flexibler arbeiten, nutzen dort oft ergonomisch ungeeignete Plätze, verschieben und erhöhen individuelle Arbeitszeiten mit negativen Auswirkungen auf die Balance zwischen Arbeit und Freizeit und verursachen bisweilen sogar eine Erhöhung des Mobilitätsaufkommens.
 
Fazit
Die Betrachtung möglicher Interaktionen von Konzepten Neuer Arbeit/Organisation mit der Dimension der Nachhaltigkeit ist hier notwendigerweise nur grob und ausschnitthaft. Es wurde jedoch deutlich, dass einerseits wichtige positive Wechselwirkungen zwischen Nachhaltigkeit und Neuen Arbeitsformen entstehen können, andererseits Nachhaltigkeitsdimensionen gezielt in Neue Arbeitskonzepte integriert werden müssen. Neue Arbeitsformen sind also sicher eine Chance für die weitere nachhaltige Entwicklung von Unternehmen – aber nur, wenn die Begeisterung für die neuen Konzepte nicht die notwendige Sorgfalt und Achtsamkeit für die Nachhaltigkeitsdimension überlagert.
 
Prof. Dr. Susanne Blazejewski ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Nachhaltige Organisations- und Arbeitsplatzgestaltung an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem Identitätsarbeit „grüner" Mitarbeiter, Ermöglichungsstrukturen für nachhaltiges Verhalten am Arbeitsplatz sowie nachhaltige Organisationsentwicklung.

Quelle: BAUM e.V. - Netzwerk für nachhaltiges Wirtschaften



     
        
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