Martina Glomb
Lifestyle | Mode & Kosmetik, 01.12.2018
Use-Less
Neue Designstrategien zum Thema Slow Fashion
Kleidung nähen ohne Stoffreste, Taschen aus Polizeiuniformen: Die Modedesigner der Hochschule Hannover befassen sich seit Jahren mit nachhaltiger Mode und mit Strategien zu mehr Nachhaltigkeit bei Produktion und Konsum von Bekleidung – und entdecken nebenbei ganz neue Formen der Kreativität.

Im Use-Less-Zentrum für nachhaltige Designstrategien wird Mode entwickelt. Doch nicht nur das. Die Use-Less-Designer erforschen darüber hinaus im Praxistest, wie man die Produktion und Nutzung von Bekleidung nachhaltiger gestalten kann – entlang des gesamten Wertschöpfungskreislaufs. Hier wird nicht über Mode, sondern durch Mode geforscht, ganz im Sinne der Slow-Fashion-Prinzipien.
Die Idee dahinter ist: Nicht nur Konsumenten müssen ihre Haltung verändern, Modedesigner müssen ihnen beim Einstellungswechsel vorangehen und dabei helfen. Die Verantwortung zeitgenössischer Gestalter geht also über die Aufgabe hinaus, aus einem tollen Stoff unbekannter Herkunft einen fantastischen Kleiderentwurf zu zaubern. Problemlöser und Prozessgestalter sind gefragt, nicht Superstars – denn bis zu 80 Prozent der Nachhaltigkeit eines Kleidungsstücks ist bereits im Design verankert!
Zero Waste – das Vermeiden von Stoffresten
Während der Produktion von Bekleidung werden allein beim Zuschnitt 15-30 Prozent der Stoffe zu ungenutztem Restmaterial. Das verursacht nicht nur Abfall, der beseitigt werden muss und die Umwelt belastet, sondern es werden auch Ressourcen verschwendet, die zur Herstellung verwendet wurden. Zero Waste ist deshalb einer der untersuchten Ansätze der Forschung und Entwicklung im Use-Less-Zentrum. Schon beim Zuschnitt von Bekleidung wird darauf geachtet, dass möglichst die gesamte Fläche der Stoffe ausgenutzt werden kann. Wenig bis gar kein Abfall soll produziert werden. Darüber hinaus gilt es, den Abfall, beziehungsweise den Verschnitt als Ressource zu behandeln.
Hier ist kreatives Umdenken gefragt. Das Design muss Kompromisse eingehen, um den Abfall zu reduzieren. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Entwürfe weniger ästhetisch sind. Ganz im Gegenteil: Der Modedesigner kann das Design durch diese Herausforderung erst vollkommen ausschöpfen, er kann neue Lösungsansätze hervorbringen. Und in der Tat: Aus den zunächst noch ungewohnten Silhouetten, die sich durch den Verbrauch der gesamten Stoffbreite ergeben, sind bereits neue Techniken für klassische und modische Formen von Blusen, Jacken etc. entstanden. Die besondere Herausforderung dabei ist, eine perfekte Passform zu finden, auch bei eng anliegender Kleidung oder eingesetzten Ärmeln. Andere Versuche haben ergeben, dass der Materialverbrauch auch beim klassischen T-Shirt um 15 Prozent reduziert werden kann. Alleine in Deutschland würde die Anwendung dieser Schnitttechnik pro Jahr immerhin circa 180 Container Stoff einsparen.
Parallel dazu sind im interdisziplinären Use-Less-Team Kommunikationskonzepte für Zero Waste entstanden: Drucke, Labels und Stickereien auf der Kleidung vermitteln hierbei, warum zum Beispiel dieses T-Shirt die bessere Entscheidung ist.
Upcycling – designen für die Wiederverwertung
Ein anderer wichtiger Schwerpunkt der Arbeit im Use-Less-Zentrum befasst sich mit Upcycling, das sich vom Textilrecycling unterscheidet. Das Textilrecycling setzt auf technischer Ebene an; das gesammelte Material wird je nach Qualität zum Beispiel als noch tragbare Gebrauchtware erneut in den Handel gebracht oder als Rohstoff für die Herstellung von recycelten Garnen, Putzlappen oder Dämmmaterialien eingesetzt. Das Upcycling dagegen setzt auf gestalterischer Ebene an. Es geht dabei darum, noch nicht genutzte Textilien (Restposten, Produktionsüberschüsse, Retouren) oder bereits genutzte Kleidung (Secondhand, Altkleider) aufzuwerten und einer Nutzung zuzuführen. Hier gibt es viele gute Beispiele, bisher aber wenige Lösungen, die für den Massenmarkt taugen.
Ein erfolgreiches Beispiel: Aus den nicht mehr gebrauchten, grünen Kombis der Polizei haben Studierende Sporttaschen und Rucksäcke entwickelt. Die Aufgabe, die gestellt wurde: Es darf nichts übrigbleiben und serielle Produktion muss technisch möglich sein. Die produzierte Kleidung hat auf diese Weise ein neues Leben bekommen und dabei geholfen, Techniken und Konzepte für serielles Upcycling zu entwickeln und zu untersuchen – vom Labor zum praktischen Lösungsansatz.
Wenn Designer bereits beim Entwurf die Wiederverwertung neuer Produkte berücksichtigen, kann Upcycling besonders effektiv eingesetzt werden. Die Produkte werden somit wieder in den Kreislauf zurückgeführt. Dazu ist eine enge Zusammenarbeit zwischen möglichst lokalen Produktionsstätten und Designern nötig, auch in Bezug auf die Sammlung und Sortierung gebrauchter Textilien, sowie in Bezug auf eine bessere Prognose von anfallenden Resten.
Aus den Aktionen und Workshops des Use-Less-Zentrums zu DIY (Do it yourself), Reparatur oder Upcycling sind Ideen zusammen mit Interessierten und Konsumenten entstanden: gemeinsam gestrickte Pullover mit dem „Wollator", dem mobilen Strickereignis, oder auch Beratungen zu Upcycling. So bietet zum Beispiel das aus dem Projekt entstandene „Nähwerk" in Braunschweig Beratung, Design und Fertigung von Unikaten und Serien aus lokalen Materialien und Upcycling an.Die besten Ergebnisse werden erzielt, wenn möglichst viele Methoden und Strategien, die an unterschiedlichen Stellen ansetzen, kombiniert werden und Designer ganzheitlich agieren. Traditionelles Handwerk ist dabei ebenso wichtig wie die digitale Technik. Nachhaltigkeit bildet hierbei das Fundament, nicht nur einen Zusatznutzen.

Prof. Martina Glomb hat sich durch die Punkszene getraut, ihre Leidenschaft für extreme Mode und DIY zum Beruf zu machen. Nach Schneiderlehre, Modedesignstudium und mehr als einem Jahrzehnt bei Vivienne Westwood in London und Italien wurde sie an der Hochschule Hannover Professorin mit dem Schwerpunkt Slow Fashion.
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 04/2018 - Frauen bewegen die Welt erschienen.
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