Der Weltzukunftsrat empfiehlt

Bildung für Erdenbürger

Zugegeben: Der Begriff „Bildung für Nachhaltige Entwicklung" ist sperrig und klingt nicht gerade sexy. Der Leitgedanke dahinter jedoch ist nichts Geringeres, als unsere (Um-)Welt zu retten. Spannende Beispiele aus aller Welt weisen den Weg.

© World Future CouncilEgal, wie groß oder klein unsere täglichen Entscheidungen auch sein mögen, auf einer globalen Ebene haben sie eine große Bedeutung. Es geht also darum, verantwortungsbewusst zu handeln. Warum wir das brauchen? Weil wir in einer Welt mit mehr als 7,5 Milliarden Menschen und begrenzten natürlichen Ressourcen leben. Individuen und Gesellschaften müssen daher lernen, so miteinander zu leben, dass sie und nachfolgende Generationen eine lebenswerte Welt vorfinden können. Die Herausforderungen unserer Zeit – Ressourcenraubbau, soziale Ungleichheit und die Ausbeutung der Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen – benötigen einen Paradigmenwechsel, dessen Fundamente in der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) liegen. Sie stattet Menschen aller Altersgruppen mit den notwendigen Fähigkeiten und Werten aus, damit sie verantwortliche Weltbürger werden. Hochwertige Bildung und die Stärkung des Bildungssektors in allen Bereichen sind daher der Schlüssel zur Entwicklung eines Landes und seiner Bürgerinnen und Bürger. Das bedeutet allerdings auch, existierende Bildungssysteme weiter zu entwickeln und sie darin zu bestärken, Lernende von der Kita bis zum hohen Alter dahin zu führen, kritisch und visionär zu denken sowie lösungsorientiert zu handeln.

Bildung braucht Ziele: die Nachhaltigkeits-Agenda 2030
© World Future CouncilSeit dem Brundtland-Bericht vor nunmehr fast 50 Jahren versucht die Weltgemeinschaft, die dringenden Herausforderungen der Menschheit anzupacken, weil es ohne globale Lösungen nicht mehr geht. Schon die UN-Millenniumsentwicklungsziele (2000 - 2015) formulierten acht internationale Entwicklungsziele und verpflichteten die Staatengemeinschaft, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Mit einigem Erfolg, jedoch nicht ausreichend. Es wurde immer klarer, dass der Fokus auf Nachhaltigkeit und gute Lebensperspektiven für jetzige und zukünftige Generationen gelegt werden muss. Im Herbst 2015 verabschiedete die internationale Staatengemeinschaft 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, auch Agenda 2030 genannt, mit 169 Unterzielen (Englisch: Sustainable Development Goals – SDG), die bis zum Jahr 2030 erreicht werden sollen. Die Präambel betont, dass die Agenda 2030 ein Aktionsplan für die Menschen, den Planeten und den Wohlstand sei, mit dem Ziel, „den universellen Frieden in größerer Freiheit" zu erreichen. Die Beseitigung der Armut in allen ihren Formen und Dimensionen, besonders der extremen Armut, stellt hierbei die größte globale Herausforderung dar und ist gleichzeitig eine unabdingbare Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung. Die 17 Ziele bedingen einander und ergänzen sich. Fünf Kernbotschaften sind dabei die handlungsleitenden Prinzipien: Mensch, Planet, Wohlstand, Frieden und Partnerschaft. Diese werden auf Englisch auch „5 Ps" genannt: People, Planet, Prosperity, Peace, Partnership.
Bildung ist eine Grundvoraussetzung um, alle anderen Ziele der Weltgemeinschaft zu erreichen. © www.sdgcompass.org – mit freundlicher Unterstützung von respACT, austrian business council for sustainable development
SDG 4: hochwertige Bildung ist die Grundvoraussetzung
Die Bildung muss sich in all ihren Ausprägungen für eine nachhalti ge Entwicklung einsetzen - sonst können die SDG unmöglich erreicht werden. © World Future CouncilHochwertige Bildung, vor allem für Kinder und junge Menschen, ist zentral, damit die Agenda 2030 erfolgreich umgesetzt werden kann. Es gibt kein Nachhaltigkeitsziel der Agenda, das ohne qualitative Bildung erreicht werden kann. Dabei kommt der Bildung für nachhaltige Entwicklung eine besondere Rolle zu, wie im Unterziel 4.7 formuliert. Ob Nachhaltigkeitsziel Naturschutz (14 und 15), Geschlechtergleichstellung (5), Wasserqualität (6) oder Klimawandel (13) – Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) kann diese Themen im Unterricht aufgreifen, flexibel umsetzen und plastisch vermitteln. Dabei nimmt sie Bezug auf lokales Wissen oder soziale Gegebenheiten. 2017 bekräftigten die Vereinten Nationen erneut, dass BNE eine „Schlüsselvoraussetzung für alle Nachhaltigkeitsziele" sei.

Die Schule als Transformator – vom Projekt zur Struktur
Mit den SDG haben wir einen globalen Fahrplan für die gemein same Zukunft der Menschheit auf diesem Planeten. © World Future CouncilViele Länder haben inzwischen Konzepte entwickelt, Nationale Aktionspläne (NAPs) verabschiedet und sich unter Beteiligung von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft auf den Weg gemacht, BNE effektiv umzusetzen. Deutschland hat beispielsweise seinen Nationalen Aktionsplan BNE am 20. Juni 2017 unter dem Vorsitz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) verabschiedet, um „eine umfassende Transformation zu mehr Nachhaltigkeit anzustoßen". Er stellt einen Fahrplan dar und zeigt Handlungsfelder, Ziele und Maßnahmen auf, Bildungssysteme nachhaltiger zu gestalten und BNE strukturell, zum Beispiel in den Lehrplänen, zu verankern. Der Nationale Aktionsplan sieht vor, BNE in allen sechs Bildungsbereichen zu platzieren (siehe Grafik), und in den jeweiligen Bundesländern gibt es verschiedene Ansätze, diese Vorgabe umsetzen.

Auch international gibt es Modelle, BNE im Bildungswesen einzuführen. Allen gemein ist jedoch: Für einen erfolgreichen Paradigmenwechsel in einer postmodernen Wissenschaftsgesellschaft muss Schulentwicklung neu gedacht werden. Die Schule sollte Mädchen und Jungen auf die reale Welt vorbereiten und sich von althergebrachten Strukturen und pädagogischen Ansätzen lösen. Finnland beispielsweise stellt schon seit Jahrzehnten das Kind und dessen Kompetenzen in den Mittelpunkt des Bildungssystems – die Stiftung World Future Council lobte diesen Ansatz 2015 mit einer ehrenvollen Erwähnung bei ihren alljährlichen „Future Policy Awards", der 2015 dem Thema Kinderrechte gewidmet war.

Von der Dominikanischen Republik über Kenia nach Zypern – von positiven Beispielen lernen
© World Future Council

"Bis 2030 für alle Menschen inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sicherstellen sowie Möglichkeiten zum Lebenslangen Lernen fördern".
Langsam dringen neuen Bildungsformate und Lernkulturen in bestehende Lernsysteme vor. Kenia beispielsweise hat den Lehrplan umgestellt, mit dem Fokus auf Kompetenzförderung und Spezialisierung, anstatt von Prüfung zu Prüfung zu lernen. Ab 2019 sieht der Lernplan vor, dass sich Mädchen und Jungen mit ihrer realen Welt auseinandersetzen und nicht nur für Examen lernen. Die Schule als Teil der Gemeinde soll geöffnet und Elternbeteiligung verstärkt werden. Bildung für nachhaltige Entwicklung und MINT-Bildung wird in 108 MINT-Schulen in 47 Countys durchgeführt, um sie in den nächsten Jahren in ganz Kenia im Lehrplan zu integrieren. (MINT = Mathematik, Ingenieurwesen/Informatik, Naturwissenschaften, Technik).
  • Die Dominikanische Republik gehört zu den sieben am meisten vom Klimawandel gefährdeten Ländern. Im Jahr 2012 wurde eine nationale Strategie eingeführt, die alle relevanten Akteure zusammenbrachte, um über die Veränderungen des Klimas zu informieren und den Umgang damit zu besprechen. Der Klimawandel ist nun ein fester Bestandteil des Lehrplans, der Kinder und Jugendliche darin stärkt, sich aktiv für ihre Zukunft einzusetzen. Mehr als 40.000 Lehrerinnen und Lehrer aus allen Bildungsstufen haben jeweils 60 Stunden Fortbildung absolviert, um das Thema umfassend in die Lehre mit aufzunehmen.

  • Der US-Staat Maryland hat 2011 Umweltbildungsstandards strukturell eingeführt mit der Vorgabe, dass Absolventen die Sekundarschule „umweltgebildet" verlassen (dieser Ansatz wurde beim oben erwähnten Future Policy Award mit Silber ausgezeichnet). Nachhaltige (Umwelt-)Bildung wird vom Kindergarten bis zum Sekundarabschluss fach- und stufenübergreifend unterrichtet. Wo möglich, werden naturwissenschaftliche Fächer wie Mathematik oder Biologie außerhalb des Klassenraums unterrichtet, entweder in der Natur oder im täglichen Umfeld.

  • Schottland hat mit seinem „Learning for Sustainability"-Bildungsmodell sein Bildungssystem komplett auf nachhaltige Bildung umgestellt, um die Ziele der Agenda 2030 zu erreichen. Nachhaltige Bildung einschließlich der Nachhaltigkeitsziele, „Global Citizenship", außerschulisches Lernen, Gesundheit und Wohlbefinden sind Teil des Lehrplans. Die Themen vernetzen sich so miteinander und bauen aufeinander auf.

  • Zypern gilt international als ein gutes und umfassendes Modell für BNE. Durch den Nationalen Strategischen Aktionsplan für Nachhaltigkeits- und Umweltbildung durchdringt BNE dort alle Bildungsbereiche und adressiert Themen vom Artenschutz über Klimawandel bis hin zum Wassermanagement.

  • Die japanische Stadt Okayama hat einen ganzheitlichen „whole city"-Ansatz entwickelt, der lokal ansetzt und dabei Bürger und Gemeinden einschließlich Schulen, Verwaltung, Wirtschaft und zivilgesellschaftliche Organisationen engagiert einbindet. Wöchentlich finden schulische BNE-Unterrichtseinheiten statt, die mit 37 Gemeinde-Lernzentren vernetzt sind. Diese Zentren dienen als Knotenpunkt für die Bildung für Nachhaltige Entwicklung, und es haben sich darin über 90 Clubs gegründet, in denen sich Groß und Klein engagieren, sei es durch gemeinsames Kochen, lokale Geschichtserkundungen oder Umweltaktionen.
Unsere Beispiele zeigen, dass BNE flexibel und anpassbar ist und dass es viele unterschiedliche Wege gibt, Bildung für Nachhaltige Entwicklung strukturell erfolgreich zu implementieren. Neben einem ernst gemeinten politischen Willen und einer Einbettung im Lehrplan braucht Bildung für Nachhaltige Entwicklung vor allem das Engagement und die Beteiligung aller Akteure. Lehrerinnen und Lehrer spielen eine wesentliche Rolle für eine erfolgreiche Umsetzung. Daher ist es besonders wichtig, BNE auch in ihre Aus- und Fortbildung aufzunehmen.

Eine Pädagogik, die das Kind und seine Einzigartigkeit ins Zentrum stellt, ist ebenso dringend, wie die Schule zu öffnen und sie als Teil des Gemeinwesens zu betrachten. Das Lernen außerhalb des Klassenzimmers, zum Beispiel in der Natur, stärkt junge Menschen und trägt dazu bei, dass sie lernen zu schützen, was sie lieb gewinnen. Schülerinnen und Schüler, ihre Eltern und Familien, die gesamte Schule (Leitung, Lehrpersonal oder Verwaltung), der Händler oder das Kulturzentrum – ihnen allen ist es möglich, gemeinsam nachhaltig und friedlich zu denken und zu leben. Für innovative Lehr- und Schulprojekte gibt es in Deutschland und auch international eine Menge guter Beispiele. Jetzt ist es an der Zeit, diese guten Beispiele in den täglichen Schul- und Fortbildungsalltag einzubeziehen, damit sie zum Mainstream werden.
 
Samia Kassid ist Diplom-Volkswirtin mit Schwerpunkt Entwicklungszusammenarbeit und Umweltpolitik und leitet seit Mai 2014 das Team der Stiftung World Future Council für das Thema Kinderrechte. Sie verfügt über langjährige Erfahrungen in den Bereichen Kinderrechte und Advocacy-Arbeit und sitzt bei der National Coalition Deutschland – Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention im Vorstand.

Gesellschaft | Bildung, 01.09.2018
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/03 2018 - Wasser - Grundlage des Lebens | Bildung erschienen.
     
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