Die Energiewende spielerisch erfahren

forum besuchte die aktuelle Sonderausstellung des Deutschen Museums in München

Was hat ein jodelnder Flamingo mit der Energiewende zu tun? Und wie sieht eigentlich eine Supraleitung aus? Das können Besucher des Deutschen Museums in München bei der aktuellen Sonderausstellung energie.wenden erfahren. Das Besondere: Sie schlüpfen dabei in die Rolle eines Politikers – mit dem Auftrag, es in puncto Energiewende allen recht zu machen. Und das ist gar nicht so einfach …
 
Wie lange muss man Kurbeln, bis eine Glühbirne leuchtet? Das können Jung und Alt hier erfahren. © Sebastian Henkes Von den rund 2.800 Besuchern der Museumsinsel betreten täglich rund 1.000 einen dämmrigen und futuristischen Tunnel. Er schlängelt sich an der Außenwand des Deutschen Museums entlang. Darauf ist in großen Lettern ‚Auf zu großen Zielen‘ zu lesen. Am Ende des Tunnels: viel Licht, ein helles Gelb – und ein Blick in die Zukunft. energie.wenden, die aktuelle Sonderausstellung des Museums, bricht mit alten Traditionen. Hier erhält der Besucher nicht nur einen Blick in die Zukunft der Energienutzung, sondern erlebt auch in ein neues Ausstellungskonzept. Dieses verspricht mehr Interaktivität, eine stärkere politische Ausrichtung und eine attraktivere Gestaltung.
 
Zeitreise durch die Energienutzung
Auf etwa 1.200 Quadratmetern erwarten den Besucher der Sonderausstellung 150 Exponate und neun Themenfelder zu wichtigen Bereichen der Energiewende. Eine Zeitreise führt zu Beginn entlang der zentralen Stationen der Energienutzung: Von den Anfängen mit Dampfmaschinen und fossilen Energieträgern geht es über die Hoffnung der 1960er-Jahre, die Kernkraft, bis hin zu den „grünen" Alternativen Solar-, Wind- und Wasserkraft. Doch da hört die Reise nicht auf. Auch Techniken der Zukunft, wie der Fusionsreaktor, werden gezeigt.
 
Ebenso vielfältig wie die immensen Herausforderungen der Energiewende sind die Exponate: Vom Tesla, mit dem Rafael del Mestre eine Erdumrundung gelang, einem Wärmetauscher für Abwärme von Industrieanlagen, bis hin zu einem mobilen Wasserkraftwerk oder der von amerikanischen Ölfeldern bekannten Pferdekopfpumpe ist alles vertreten. Dabei macht die Ausstellung Aspekte der Energiewende sichtbar, die sonst verborgen bleiben: Wie sieht eine Fernwärmeleitung aus? Wie eine Supraleitung im Vergleich zu einem herkömmlichen Erdkabel? Wie das Seekabel einer Offshore-Windkraftanlage? Wie unterscheiden sich verschiedene Solarzellen unter dem Elektronenmikroskop? Auf all diese Fragen geben beeindruckende Exponate mit detaillierten Hintergrundinformationen eine Antwort. Die Vielfalt macht deutlich: Die Energiewende ist ein Mammutprojekt globaler Dimension, das in vielen Bereichen der Gesellschaft vollzogen werden muss – es bieten sich aber auch in fast allen Bereichen des alltäglichen Lebens vielfältige Chancen für Innovationen und um Energie zu sparen.
 
Interaktivität steht im Vordergrund
Eine ganze Region mit Energie versorgen, ohne dass Nutzungsengpässe entstehen. Auch diese Herausforderung kann im Spiel gemeistert werden. © Sebastian HenkesMit jährlich rund 1,5 Millionen Besuchern ist das Deutsche Museum ein Dauerbrenner für Jung und Alt. Das Neue an der von den Kuratorinnen Sabine Gerber und Sarah Kellberg gestalteten Ausstellung energie.wenden ist die Interaktivität, mit der die Besucher zum Mitspieler der Ausstellung werden. An fast allen Stationen finden sich Elemente zum Anfassen, Ansehen, Anhören. Da gibt es sprechende Mülleimer, die über Recycling und den Cradle to Cradle-Ansatz informieren. Eine Modell-Stadt will vom Besucher per Dreh-Regler mit Energie versorgt werden – auf einem Bildschirm kann nachvollzogen werden, ob dabei Nutzungsengpässe entstehen. Deutsche Braunkohle oder kanadischer Ölsand erzählen dem Besucher, wie sie vor langer Zeit entstanden sind. Ein per Kurbel angetriebener Dynamo macht direkt erfahrbar, wie viel Energie nötig ist, um eine Energiesparlampe im Vergleich zu einer herkömmlichen Glühbirne zum Leuchten zu bringen. Diese interaktiven Elemente werden von den Besuchern gut angenommen – zu gut….. „Wir haben eine sehr aktive Ausstellung und sehr aktive Besucher. Dementsprechend geht schon mal was kaputt", erklärt dazu Kuratorin Sarah Kellberg.
 
Besucher agieren als Politiker
Das Herzstück der Ausstellung und eine wirkliche Innovation ist ein interaktives Spiel, bei dem die Besucher in die Rolle eines Politikers schlüpfen können. Dazu bekommen sie eine Lochkarte in die Hand gedrückt – mit dem Auftrag, die „Energie zu wenden". Nun betreten sie einen Gang inmitten der Ausstellung, das „politische Parkett." Dort begegnen sie – auf Bildschirmen -- Menschen aus verschiedensten Bereichen der Energiebranche. Das Spektrum ist vielfältig: der Vertreter eines Autokonzerns, der Elektroautos verkaufen möchte; das Hausmeisterehepaar, das sich bei der energetischen Sanierung von Mietwohnungen alleine gelassen fühlt; bis hin zu einem Landwirt, der beim Anbau von Energiepflanzen unterstützt werden möchte.
 
Tritt der Besucher in seiner Rolle als Politiker an den jeweiligen Bildschirm heran, erwachen die Akteure zum Leben – und versuchen nun das Gegenüber von ihrem Standpunkt zu überzeugen. Danach geht es an den „Wahlautomaten". Hier hat der „Politiker" nun drei Alternativen und muss schwere Entscheidungen fällen. Beispiel Elektromobilität: Er kann eine bestimmte Quote an Elektroautos bei den Neuzulassungen festlegen, den Kauf von Elektroautos mit einer Prämie fördern oder aber stattdessen den ÖPNV ausbauen. Seine Entscheidung wird auf der Lochkarte vermerkt und anschließend von Interessensgruppen kommentiert. Nun heißt es „Lasse ich mich davon beeinflussen oder bleibe ich bei meinem Standpunkt?" Das Beispiel Elektromobilität zeigt: Nie werden alle zufrieden sein. Fördere ich E-Mobilität, freuen sich die Chemikerin, die an Batterien forscht und der Vertreter des Autokonzerns. Fördere ich hingegen den ÖPNV, sind beide wenig begeistert. Dafür freut sich dann das Hausmeisterehepaar.
 
Das interaktive politische Parkett: Hier schlüpfen Besucher der Ausstellung energie.wenden in die Rolle von Entscheidungsträgern, um die Energiewende mit allen damit verbundenen Herausforderungen voranzutreiben. © Deutsches MuseumDie Ausstellung ist für das Deutsche Museum ungewohnt politisch
Dass dieses Rollenspiel zentraler Punkt der Ausstellung ist, wird auch bei der Gestaltung deutlich: Der lange Gang, in dem Monitore und Automaten zum Stempeln stehen, trennt die Fläche in zwei Hälften. Von diesem Gang aus können die Besucher in die angrenzenden Ausstellungsräume gehen, um sich zum entsprechenden Thema weiter zu informieren. Denn die übergeordnete Aussage lautet: Es gibt bei dem Versuch, die Energie zu wenden, keine richtige Entscheidung, da das Thema so komplex ist. Vielmehr soll sich der Besucher auf Grundlage der Informationen eine eigene Meinung bilden. Die Lochkarte gibt einen Überblick über die getroffenen Entscheidungen – diese werden bei der Auswertung in ein Gesamtbild, in eine politische Gesinnung eingeordnet. Überhaupt ist die Ausstellung für das Deutsche Museum sehr politisch. Als Sinnbild dafür kann die Wand am Ende des politischen Parketts angesehen werden, wo auf gelbem Hintergrund großflächig Aussagen wie „Kernenergie ist ein Verbrechen!", „Energiewende in die Hände der Bürger" oder „Mehr Verkehr – aber öffentlich" abgebildet sind.
 
Kuriositäten
Neben allem gegebenen Ernst schafft es die Ausstellung, die Thematik anschaulich, attraktiv und humorvoll zu vermitteln. Dafür sorgt neben der angesprochenen Interaktivität das freundliche Gelb, das die Gestaltung der Ausstellungsräume dominiert. Zwischen den Exponaten finden sich immer wieder Kuriositäten, die den Besucher zum Schmunzeln bringen. An der Station „Gekauftes Glück" werden Gegenstände ausgestellt, die Besucher mitgebracht haben. Die dort gezeigten Gegenstände sind zwar charmant – aber vor allem sinnlos und damit im Grunde ein Sinnbild für die Verschwendung von Ressourcen. Wer braucht schon einen jodelnden Flamingo oder die batteriebetriebene Miniatur einer winkenden Queen Elizabeth?
 
Skurril mutet auch die letzte Station des Rundgangs an, die Energieforschung aus dem Jahr 3049. Aus der Perspektive eines Archäologen der fernen Zukunft werden hier mit einem Augenzwinkern für uns ganz alltägliche Gegenstände gezeigt. Zum Beispiel eine Lederhose. Der Begleittext dazu erklärt, dass das Oktoberfest bis 2052 als das größte Volksfest der Welt galt – obwohl Fernreisen nur bis in die 2030er-Jahre üblich waren. Oder etwa Einschlüsse im sogenannten Ethylen-Tetrafluorethylen-Copolymer (EFTE), einem durchsichtigen Kunststoff, der gewissermaßen als Bernstein der Zukunft den Forschern im 31. Jahrhundert unsere versunkene Epoche nahebringt.
 
So geht der Besucher am Ende nicht nur informiert aus der Ausstellung heraus, sondern mit dem Gefühl, dass in Sachen Energiewende noch nicht alles verloren ist. Er muss das Schicksal nur selbst in die Hand nehmen.
Sebastian Henkes

Technik | Energie, 01.05.2017
Dieser Artikel ist in forum Nachhaltig Wirtschaften 02/2017 - Wie ernähren wir uns in Zukunft? erschienen.
     
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