Die wunderbare Welt der Werbung

Eine Antwort auf die 10 Thesen von Christian Kreiß in seinem Buch 'Die Moral der Märkte'

Der Moralphilosoph und forum-Autor Matthias Wühle antwortet auf die 10 Thesen von Christian Kreiß, mit denen er die Auflösung des deutschen Werberats fordert. Er setzt 7 eigene Thesen dagegen.
 
Matthias Wühle antwortet auf die 10 Thesen von Christian Kreiß. Foto: Matthias WühleVorweg eine Klarstellung: Die zehn Thesen gegen Werbung, die Christian Kreiß in diesem Forum aufgestellt hat, sind zunächst einmal genau das: Werbung. Am Ende der Thesen wirbt Kreiß für sein Buch: „Werbung - nein danke. Warum wir ohne Werbung viel besser leben könnten". Und auch dieser Text, der eine Antwort darauf darstellen soll, ist wiederum Werbung für das Buch für Christian Kreiß – wie auch jede weitere Diskussion darüber seine Werbekampagne fortsetzt. Kreiß hätte auch ohne Hinweis auf sein Buch den Artikel publizieren können. Aber sein Vorhaben ist nun mal, den Absatz seines Buches zu steigern und dafür benötigt er Werbung. Man merkt schnell: Werbung für ein Buch zu machen, das sich gegen Werbung richtet, ist so etwas wie Krieg, der Frieden schaffen soll: Ein Paradoxon. Unterstellen wir aber einmal idealistische Absichten und vernachlässigen die Eigenwerbung für das Buch. Bei genauer Untersuchung seiner zehn Thesen wird man feststellen, dass diese unhaltbar sind.
 
These1: Werbung informiert. Aber anders als man denkt
Am Beispiel „Trink Coca Cola" behauptet Kreiß, dass Werbung keinerlei Information erhält. Das stimmt so nicht. Dieser Slogan sagt zwar nichts über die Eigenschaften von Coca Cola aus. Die Information dieser Werbeaussage ist einzig die, dass es eine Werbeaussage für Coca Cola ist. Dies mag trivial oder sogar zirkulär klingen, beschreibt aber den funktionalen Kern von Werbung, auch Signalling genannt. Zu den Grundaxiomen der Werbung gehört die Erkenntnis, dass diese Geld kostet. Selbst in der einfachsten Form, etwa in einem handgemalten Schild „Frische Eier" am Tante Emma-Laden steckt die unterschwellige Botschaft, dass derjenige, der am Verkauf von Eiern interessiert ist, Zeit und materielle Ressourcen aufgewendet hat, um das Produkt herzustellen und zu vertreiben. Das Unternehmen signalisiert dem Verbraucher also, dass es in der Lage ist, über das notwendige Maß Ressourcen aufzubieten. Die Nachricht, die der Verbraucher damit empfängt, ist vielschichtig: Dass es sich offenbar um ein gesundes und finanzstarkes Unternehmen handelt, das es auch morgen noch geben wird, das man in Regresshaftung nehmen kann und das auch die finanziellen Ressourcen hat, um die Qualität des Produktes weiterhin zu halten oder sogar zu verbessern. Kunden, die Eier kaufen, wollen dies an derselben Stelle auch morgen noch tun. Und sie wollen ihr Geld zurückverlangen können, wenn die Eier den Qualitätsansprüchen nicht genügen konnten.
 
Auch der Autor Christian Kreiß betreibt durch das Veröffentlichen von Buch und Artikeln gegen die Werbewirtschaft Signalling: Nämlich, dass er besondere Kompetenzen auf dem Gebiet der Werbung aufweist. Jemand, der in der Lage ist, so etwas zu tun, beweist seine Fähigkeiten allein dadurch, dass er es tut. Wie aber könnte man von seinen Fähigkeiten am besten erfahren? Eben damit, dass er Werbung betreibt.
 
These 2: Werbung schafft Markteintrittsbarrieren – und damit Qualität
Ich habe gerade die Aussage getroffen, dass der Werbeaufwand die Qualität des Produktes verbessert. Das ist sicher etwas erklärungsbedürftig. Natürlich schmeckt Coca Cola nicht allein deshalb besser, weil jemand auf ein Emailleschild „Trink Coca Cola" geschrieben hat. Dennoch besteht dieser Zusammenhang, allerdings muss man dazu sehr lange Zeiträume betrachten. Desweiteren ist die Kausalität eine andere, als es auf dem ersten Blick aussieht. Wenn man Werbung aufmerksam verfolgt, wird man feststellen, dass es hauptsächlich Konsumgüter sind und dass die meisten beworbenen Produkte relativ homogen sind. Der Verdrängungswettbewerb ist hier also sehr hoch. Das bedeutet, dass sich Shampoos, Cola und Zigaretten eigentlich nur in unwichtigen Nuancen unterscheiden: Verpackung, Aussehen, Geschmacksvariationen. Der Grundnutzen, den diese Produkte erfüllen, ist jedoch stets gleich: Haare waschen, Durst löschen, Tabakgenuss. Die Markteintrittsbarriere für alternative Produkte liegt also niedrig. Denn prinzipiell handelt es sich um simple Produkte, die sich leicht imitieren und nachbauen lassen. Die Aufgabe der Werbung ist hier, die Markteintrittsbarriere zu erhöhen, so dass neue Produkte schon außergewöhnlich innovativ sein müssen, um überhaupt noch auf dem Markt wahrgenommen zu werden. Schlechte Produkte haben hier von vornherein keine Chance. Woran erkennt der Verbraucher aber tendenziell schlechte Produkte? Es sind eher die nicht beworbenen Produkte. Oder anders ausgedrückt: Nicht beworbene Produkte müssen im Prinzip so außergewöhnlich gut sein, dass sie es nicht nötig haben, beworben werden zu müssen. So etwas gibt es in der Realität eigentlich nicht. Daher lautet die Regel: Gute Produkte stammen von guten Herstellern. Eben Hersteller, die so finanzstark sind, dass sie noch Geld für Werbung übrig haben. Dies ist das Signal, das an den Verbraucher gesendet wird: Hier kaufen sie ein Produkt von einer finanzstarken Firma.
 
These 3: Wer viel Geld für Werbung ausgibt, den lieben Investoren und Kunden
Portfoliomanager großer Aktienfonds suchen stets nach Möglichkeiten, in Firmen zu investieren, deren Wert beständig steigt. So profitierten die Anleger von steigenden Aktienkursen und von jährlichen Dividenden. Fonds, in denen Aktien und Anleihen solcher Unternehmen gesammelt werden, nennt man Qualitätsfonds. Konzerne, die darin vertreten sind, sind oft Konsumgüterkonzerne, wie Reckitt Benckiser, Johnson & Johnson oder Procter & Gamble. Hinter diesen Konzernen stecken letztendlich Marken, wie Calgon, Penaten Creme oder Meister Proper. Es ist kein Zufall, dass diese Konzerne die höchsten Werbeaufwendungen der Welt haben. Procter & Gamble gilt aktuell sogar als das Unternehmen mit den weltweit höchsten Ausgaben für Werbung. Allein im Geschäftsjahr 2016 zahlte das Unternehmen 7,24 Milliarden US-Dollar – nur für Werbung. Interessanterweise ist Procter & Gamble nicht trotz, sondern aufgrund dieser Werbeausgaben so erfolgreich. Werbung erzeugt Kundenbindung und schafft Kundenvertrauen.
 
These 4: Werbung schafft Werte
Das so erzeugte Vertrauen kann übrigens auch sehr leicht schwinden, wenn sich herausstellen sollte, dass die Qualität der Produkte schlecht ist. Weil durch Werbung ein Markenwert geschaffen wird, können sich solche Unternehmen am Ende gar nicht leisten, Abstriche an der Qualität zu machen. Je höher der Markenwert, desto höher auch das Risiko, durch Skandale den Wert wieder zu zerstören. Allein Coca Cola hat aktuell einen Markenwert von 80,31 Milliarden Euro. Dieser Wert ist vollkommen immateriell und stellt praktisch nur den Kaufpreis für den Schriftzug „Coca Cola" dar. In ihm ist sämtliches Kundenvertrauen gebunden. Dies ist auch eine Hypothek der Zukunft. Deswegen greift die Kritik nicht, dass sich die Aktionäre auf Kosten der Verbraucher bereichern würden. Sondern Aktionäre dieser Unternehmen verdienen deshalb so gut daran, weil es die Verbraucher entlohnen. Daher also: Ja, Werbung macht selbstverständlich Produkte teuer. So teuer nämlich, wie Qualitätsprodukte sein müssen, damit man sie von Ramschware unterscheiden kann und so teuer, dass die Hersteller, die Aktionäre und Mitarbeiter dieser Unternehmen ein gutes Auskommen haben.
 
These 5: Das Hirschparadoxon – Werbung schafft nachhaltiges Wachstum
Wichtig ist hierbei die Betrachtung der Kausalität: Unternehmen mit hohen Werbeausgaben sind nicht qualitativ gut, weil sie hohe Werbeaufwendungen haben, sondern die Werbeaufwendungen sind deshalb so hoch, weil die Produkte qualitativ gut sind und diese auch gut bleiben sollen. Diese Qualität muss geschützt werden. Nicht umsonst wird das Markenzeichen auch „Schutzmarke" genannt. Eine fehlerhafte Betrachtung dieser Kausalität ist auch schuld am Tod des Hirschen, den Neiß so betrauert. Dabei ist seine Analogie zunächst zutreffend: Die Hirschgeweihe in der Tierwelt können tatsächlich als so etwas wie Werbung bezeichnet werden – weil es Signalling ist. Dasselbe trifft auch für Pfauenfedern und Hahnenkämme zu. All diese Attribute signalisieren den Weibchen – aber auch den männlichen Konkurrenten – Stärke, Größe und Durchsetzungskraft. Geraten diese Attribute zu übertrieben, werden diese evolutionär bereinigt. Dasselbe passiert auch in der Wirtschaft. Pan Am und TWA beispielsweise, zwei legendäre amerikanische Fluggesellschaften, denen man heute allenfalls noch in älteren amerikanischen Filmen begegnet, hatten ebenfalls viel für Werbung ausgegeben. Aber Werbung allein verhilft nun einmal nicht zu wirtschaftlichem Erfolg, sondern belastet diesen sogar kurzfristig. Unternehmen, die jedoch trotz Werbeausgaben bestehen konnten, werden in der Regel sehr alt, weil ihr Wachstum nachhaltig angelegt war. Procter & Gamble ist beispielsweise 1837 gegründet worden, Johnson & Johnson besteht seit 1886, demselben Jahr, in dem Coca Cola erfunden wurde. In der Geschichte des Marketings ist das eine Ewigkeit, vergleichbar mit der Evolution von Hirschen, die sich trotz – und wegen ihres Geweihs gegenüber anderen durchsetzen konnten.
 
These 6: Werbung ist eine kulturelle Bereicherung
Kreiß verwendet neben ökonomischen Argumenten gegen Werbung auch Gründe, die ich eher als folkloristisch bezeichnen würde. Anhand der oft herbeizitierten lila Kuh wirft Kreiß der Werbung vor, dass diese den „Sinn für Wahrheit" (was immer das sein soll) untergraben würde. Natürlich setzt Werbung auch voraus, dass der aufgeklärte Verbraucher sich selbst darüber Gedanken macht, ob der Ausdruck „weißer als weiß" einen Wahrheitsgehalt hat oder nicht. Dass Kinder das noch nicht können, ist ein Allgemeinplatz. Kinder, die lila Kühe malen, zeichnen auch Osterhasen und glauben an den Weihnachtsmann. Apropos Weihnachtsmann: Natürlich ist auch er eine Erfindung der Werbeindustrie. Von Coca Cola, um genau zu sein. Kulturgeschichtlich ist der Beitrag der Werbung an der heutigen Weihnachtskultur ebenso wertvoll und reichhaltig, wie der Beitrag der christlichen Religion.
 
These 7: Effektive Selbstregulierung – Warum wir den Werberat brauchen
Matthias Wühle:
Die Moral der Märkte.
Warum Ethik neu gedacht werden muss

Springer Fachmedien Wiesbaden
26. August 2016
ISBN 978-3-658-15333-5
264 Seiten
59,99 Euro
Keine Institution ist so effektiv, wie die selbstregulierende. Sie verschlingt keine Steuergelder und achtet darauf, dass die Spielregeln eingehalten werden. Denn niemand ist mehr an der Einhaltung interessiert, als die Werbetreibenden selbst. Würden die Regeln gebrochen, etwa durch unlautere, irreführende oder unsittliche Werbung, so sind es vor allem die anderen Werbetreibenden, die dadurch geschädigt würden. Unlautere Werbung schadet den Wettbewerbern mehr als den Verbrauchern, denn nur sie erleiden dadurch einen direkten finanziellen Nachteil. Die Forderung, den Werberat abzuschaffen, käme der Forderung nach Abschaffung des Finanzamtes gleich, mit der Begründung, dass es hin und wieder Fälle von Steuerhinterziehung gibt.
 
Fazit: Auch wenn man Seitenbacher-Werbung nicht unbedingt für eine kulturelle Bereicherung des Abendlandes hält. Es geht davon auch nicht unter. Aber Mitarbeiter und Kunden des Müsli-Herstellers scheinen ganz gut mit diesem Produkt zu leben. Trotz und aufgrund von Werbung.
 
Dr. Matthias Wühle, Jahrgang 1971, studierte Betriebswirtschaftslehre, Geschichte und Philosophie in Mainz und Frankfurt. Er promovierte über die Eignung ökonomischer Prinzipien für ein ethisches Programm und sieht sich damit in der Tradition der institutionenökonomisch geprägten Wirtschaftsethik Karl Homanns. Zwischen 2000 und 2011 arbeitete er als Marketing Manager für Turkish Airlines. Seit 2016 arbeitet er als Berater für eine Agentur für Finanzkommunikation und unterrichtet Marketing an der Euro Akademie Aschaffenburg. Matthias Wühle ist Autor mehrerer Bücher zum Thema Nachhaltigkeit und Märkten.

Wirtschaft | Marketing & Kommunikation, 30.10.2016

     
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