Wir wollten Rio lebendig halten
Interview mit Barbara Unmüßig über den Gipfel in Rio 1992
1992 fungierte Barbara Unmüßig als
Leiterin der UNCED-Projektstelle des Deutschen Naturschutzrings (DNR) und des
Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). In diesem Kontext war sie
in die Vorbereitung und Koordination des Rio Gipfels involviert. Seit 2002
leitet sie – gemeinsam mit Ellen Ueberschär – die Heinrich-Böll-Stiftung.
Elektrisiert waren Umwelt- und Entwicklungsorganisationen von den neuen Angeboten der UNO, sich in die Themen und Agenda von Rio 92 einzubringen und einzumischen. Der BUND und der DNR haben frühzeitig die Chancen erkannt und beim damaligen Umweltminister Klaus Töpfer Projektmittel in großem Umfang für den zivilgesellschaftlichen Vorbereitungsprozess beantragt. Da ich mich seit vielen Jahren mit globalen Umwelt- und Entwicklungsfragen beschäftigt hatte, hat es mich wahnsinnig gereizt, diesen Prozess zu steuern. Erstmal ist es mir gelungen, von Anfang an Umwelt- und Entwicklungsorganisationen zusammen an den Tisch zu bringen und nach und nach das Bündnis auch um andere wichtige zivilgesellschaftliche AkteurInnen zu erweitern. Gewerkschaften, Frauen- und Jugendorganisationen, alle haben sich anstecken lassen. Das ist vor allem durch das sogenannte Brückenforum gelungen. Ein Veranstaltungsort am Bonner Rhein, wo viele Vorbereitungskonferenzen der Zivilgesellschaft stattgefunden haben, Bündnisse geschmiedet, Arbeitsgruppen gegründet und neue Ideen ausgeheckt wurden. Das war Klasse.
Mehr zum Thema Rio+25 und SDG lesen Sie auf unserer Homepage und in der Ausgabe 4/2017 von forum Nachhaltig Wirtschaften. |
Hintergrund- und Positionspapiere, Studien, all das wurde auf den Weg gebracht. Wir waren üppig mit Projektmitteln ausgestattet. Das hat sehr viel dazu beigetragen, dass wir gleichzeitig aus allen Rohren die vorhandene Expertise in Deutschland aus der NGO-Szene und aus der Wissenschaft mobilisieren konnten.
Analysiert werden wollte auch die politische Lage: welche Länder und welche supranationalen Organisationen (vor allem Weltbank und IWF, damals sehr starke Akteure) bringen welche Positionen in den komplizierten Verhandlungsprozess ein? China war noch kein Player! Aber natürlich, das Hoch und Runter von US-Präsident Bush diskutierten wir auch schon damals: macht Klimaschutz mit oder ohne den USA im Boot überhaupt Sinn? Lieber ohne? Ohne durch die USA die Ziele und Vorgaben der Klimarahmenkonvention so verwässern zu lassen, dass sie wenig Sinn macht? Hochaktuell bis heute, leider.
Und, das kann sich heute niemand mehr vorstellen: deutsche Umweltverbände und Entwicklungsorganisationen waren auf der internationalen Verhandlungs- und Lobbybühne überhaupt nicht präsent. Um es direkter zu sagen: das war sehr provinziell. Es gab keine Erfahrungen mit globalen Verhandlungsprozessen und eine Menge Sprachbarrieren. Gerade einmal eine Person vom BUND hat damals die 1989 begonnenen Klimaverhandlungen beobachtet. Heute kaum vorstellbar, wie unterausgestattet wir damals in jeder Beziehung waren.
UNCED war deshalb ein riesiger Schub für die Internationalisierung deutscher NGOs. Und meine Aufgabe war es, Positionspapiere nicht nur an die deutsche Regierung und das Parlament auf den Weg zu bringen, sondern auch international. Das war ein Kraftakt, weil wir erst ein knappes Jahr vor Rio eigentlich so richtig loslegen konnten. Generell Lobbyarbeit bei Parteien und im Parlament war Teil meiner Aufgabe – gemeinsam mit all den immer mehr werdenden Mitstreiterinnen in den NGOs und Verbänden.
Es herrschte wie gesagt Aufbruch, wir hatten mehr Spielraum für unsere Themen und Positionen than ever. Die Industrielobbies haben UNCED noch nicht so wahr- und ernstgenommen. Das hat sich danach verändert, weil klar wurde, dass NGOs und Zivilgesellschaft bei der UNO sehr offene Tore hatten. Manche habe sich auch in Textexegese verloren und im Detail versucht den Wortlaut der Agenda 21 zu beeinflussen, das waren aber eher die internationalen NGO Profis. An manchen Passagen der Agenda 21 hat sich das ja auch gelohnt.
Ich hatte auch ein großes Motiv und Freude daran mit den deutschen Medien zu arbeiten und sie für die frühzeitige Berichterstattung zu gewinnen. Das war mir ein riesiges Anliegen, damit die breite Bevölkerung von diesen Verhandlungen überhaupt was erfährt. Das hat sehr gut geklappt, weil die deutschen Medien damals mehr zu Klimapolitik, Umweltthemen und Entwicklungsfragen berichtet haben, als in anderen Ländern. Wir haben über die Projektstelle Medienworkshops organisiert zum Beispiel auf der Insel Vilm, die heute die internationale Naturschutzakademie beherbergt.
Welche Ergebnisse hat der Gipfel 1992 gebracht und entsprachen diese Ihren Erwartungen? An welche Konfliktlinien erinnern Sie sich?
Am 14. Juni 1992 wurden in Rio de Janeiro die Klimarahmenkonvention, die Biodiversitätskonvention, die Agenda 21 und die Rio Erklärung verabschiedet. Das waren, was die Konventionen betrifft, völkerrechtliche Durchbrüche, auch weil sie einen neuen Typus im Umweltvölkerrecht darstellen. In der Klimakatastrophe und beim Verlust der biologischen Vielfalt bündeln sich ja wie im Brennglas all die Probleme und Folgen menschlichen Produzierens und Konsumierens. Rio hat erstmals den Ton dafür gesetzt, dass das industrialisierte Entwicklungsmodell letztlich nicht globalisierbar ist, wir keinen Planeten B oder C haben. Auch hat der industrialisierte Norden in allen Rio Texten anerkannt, dass er eine historische Verantwortung hat. Common but differentiated responsibilty and abitilty – diese wichtige Handlungsmaxime ist in Rio entstanden, die Verankerung des Vorsorge- und Verursacherprinzips im Völkerecht ebenso. Das waren historisch neue Erkenntnisse, verankert in UN-Dokumenten.
Geahnt hatten wir schon, dass Papier geduldig ist und Schwarz auf Weiß hatten wir, dass ein wirkliches Umdenken und Umsteuern in der Wirtschaftsweise, die nach wie vor fossil und mit hohem Ressourcenverbrauch nach vorne gebracht wurde, nicht in Angriff genommen werden soll. Das manifestierte sich auch in der Definition vom Kernbegriff von Rio 1992: „sustainable Development". Wachsweich, interpretierbar und ohne klare Ansagen an die Wirtschaft, im welchen Grenzen sie eigentlich bleiben muss. Dazu ist genug geschrieben worden. Das muss ich hier nicht wiederholen.
Die ökonomische Globalisierung, die Liberalisierung des Handels und der Finanzmärkte nahm gerade volle Fahrt auf. Der Dreiklang aus Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung, wie ihn z.B. der Washington Consensus von IWF und Weltbank markierte, die vor allem Ländern des globalen Südens diese Rezeptur verschrieben, um aus den sozialen und Verschuldungskrisen der 90er Jahre herauszukommen, war von Rio 92 wenig bis gar nicht beeindruckt. (Stärkster Ausdruck, mit welcher Macht die Expansion der Weltwirtschaft vorangetrieben wurde, war die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) zwei Jahre nach Rio.)
Die deutschen Organisationen jedenfalls haben in ihrer Presseerklärung zum Abschluss der Rio-Konferenz sehr gut und kritisch formuliert, dass die weltwirtschaftlichen Weichen hätten anders gestellt werden müssen. Rund um Rio und danach gab es sowohl unter deutschen NGOs, als auch im internationalen Kontext eine sehr gute Debatte dazu, wie eine solidarische und ökologische Weltwirtschaft eigentlich aussehen müsste, wenn sie dem vielzitierten „Geist von Rio" folgen würde. Das ist dann später ziemlich versandet, leider. Zum Glück ist die Debatte über die WTO in den 00er Jahren und heute über TTIP dann immer wieder aufgegriffen und weiterentwickelt worden.
Hätte der Gipfel bessere Ergebnisse bringen können, als er real erbracht hat? Haben die Ergebnisse des Gipfels dauerhaft politisch etwas verändert?
Natürlich hätten wir uns viel klarere Vorgaben für Politik und Wirtschaft gewünscht. Wir hatten dafür gekämpft, dass die Klimarahmenkonvention in Industrieländern klare Emissionsreduktionsziele vorgibt. Das ist am Widerstand vieler, natürlich vor allem der USA gescheitert. Erst in Kyoto 1997 war das dann – bescheiden genug – möglich.
Die Agenda 21 hatte keine Zeitpläne, kein Geld, war und ist nicht völkerrechtsverbindlich gewesen und ist dann auch im Sande verlaufen. Die Themen, vor allem die Agenda 21 wurden an Umwelt- und Entwicklungspolitiker delegiert – also an politisch eher marginalisierte Akteure in den Regierungskabinetten. In Rio wurden zudem keine Obergrenzen festgelegt für Abholzung, Fischfang, Treibhausgasausstoß. Heute sehen wir, dass wir viele Grenzen überschritten haben. Viele Millionen Menschen sind in den letzten 25 Jahren aus der Armut geholt worden. Rio hatte allerdings den Anspruch Leute aus der Armut zu holen, ohne die Umwelt zu zerstören. Das ist definitiv gescheitert.
Rio 92 ist ein wichtiger Referenzrahmen geblieben, war der Startschuss für die Konventionen. Jedoch: der Zustand der Welt, der Klimawandel, die Zerstörung der Ökosysteme, die Ressourcenknappheit und insbesondere die Ungleichheit hat doch nochmals massiv zu-, statt abgenommen. Ob das ohne Rio alles noch schlimmer wäre? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Solche Fragen sind müßig. Rio hat auf jeden Fall viel ökologisches Bewusstsein geschaffen, sehr viele Menschen politisiert und hier und da Handlungsdruck erzeugt. Das ist gut so.
Nach Rio jedenfalls hatten wir viele Diskussionen darüber, ob wir nun enttäuscht oder optimistisch sein sollten. Auch ein altes Thema in der Umwelt- und Entwicklungspolitischen Szene. Mit viel Pragmatismus jedenfalls haben wir weitergemacht, wollten Rio lebendig halten und die guten Elemente davon umgesetzt sehen.
Für mich war die Gründung des Forums Umwelt & Entwicklung ein ganz wichtiges Follow-up, weil die Zusammenarbeit zwischen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen unbedingt erhalten bleiben sollte. Damals war das keinesfalls trivial und selbstverständlich, dass im Forum weiter zusammengearbeitet wird. Die damaligen Insider wissen darum und es war, auch das gehört zur Historie, damals nicht unwesentlich für das Zustandekommen des Forum U&E, dass es die zwei Ministerien BMZ und BMU waren, die ihren weiteren Geldfluss daran knüpften, dass weiter zusammengearbeitet wird! Heute noch denkbar? Auch das weiß ich nicht.
Sie haben schon früh deutlich gemacht, dass Sie von den SDG, die aus dem Rio-Folgeprozess entstanden sind, nicht so viel halten. Aus welchen Gründen?
Zunächst: ich hätte gerne mehr Konkretion gehabt und Themen, die dringend mehr globale Aufmerksamkeit und Regulierung brauchen, aufgenommen gesehen, z.B. das globale Plastikmüllproblem oder ein eigenes Ziel für den Schutz unserer Böden. Und ich hoffe, dass den SDGs nicht das gleichen Schicksal wie der Agenda 21 widerfährt. Sie sind nicht völkerrechtlich verbindlich. Deren Umsetzung ist freiwillig und von einem breiten Engagement aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft abhängig. Wie die Rio Ergebnisse: ich sehe nicht, dass die SDGs und nicht einmal das Pariser Klimaabkommen verbindliche Orientierungsrahmen für künftige Investitionen und den globalen Handel werden. Für die notwendige soziale und ökologische Transformation sind ihre Ziele und Durchsetzungskraft (keine Sanktionen etc.) viel zu schwach.
Kontakt: Heinrich-Böll-Stiftung
e.V. | info@boell.de | www.boell.de
Gesellschaft | Politik, 30.11.2017
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