Design Thinking erobert die internationale Geschäftswelt: AirBNB, Telekom, Deutsche Bahn und Bayer – sie alle setzen schon auf den innovativen Ansatz. Doch kann diese Methode auch einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung in Unternehmen leisten? forum befragte dazu Design Thinking Spezialist Kilian Karg, der sich mit seiner jungen Berliner Agentur Protellus genau diese Frage gestellt hat.
Herr Karg, alle Welt redet von Design Thinking. Was macht diese Methode so besonders?
Das Besondere ist für mich die klare Ausrichtung auf den Nutzer bei der Produktentwicklung. Die Lösungen, die dabei entstehen, gehen nicht an der Realität vorbei. Ebenso die kreative Arbeitsweise und die starke Teamorientierung. Statt im Büro herumzusitzen, nutzen wir ein flexibles Arbeitsumfeld: Tische und Whiteboards auf Rollen, viel Freiraum für eigene und innovative Ideen. Gearbeitet wird im Stehen. Auch das wirkt Tunneldenken entgegen. Um Ideen besser greifbar zu machen, wird auch schon mal mit Lego oder Plastilin gebaut. Das Arbeiten mit Design Thinking macht ausgesprochen Spaß. Die richtige Zusammenstellung der arbeitenden Teams ist wichtiger Bestandteil der Methode. Hier gilt: so divers wie möglich. Idealerweise arbeitet im Team die italienische Ingenieurin neben dem chinesischen Designer, dem deutschen Ökonomen und der indischen Psychologin.
Welche Rolle spielt diese Art der Zusammenstellung der Teams?
Know-How sowie verschiedene Problemlösestrategien und Denkweisen aus unterschiedlichen kulturellen und fachlichen Richtungen ergeben im Team außergewöhnliches Potential. Die Teammitglieder befeuern sich gegenseitig mit Ideen.
Wenn wir in einem Unternehmen einen Inhouse Workshop gestalten, achten wir sehr auf die Vielfalt in den Teams. Zum einen werden so die interessantesten Lösungen auf die wirklich aktuellen Fragestellungen im Unternehmen gefunden, zum anderen hat so ein Workshop auch einen Weiterbildungs- und Teambildungscharakter. Das ist oft unglaublich spannend, wenn IT mit HR, Team-Assistenz und Geschäftsführung an einem Tisch stehen.
Gibt es da nicht auch Probleme, wenn die Teams so divers zusammengestellt sind?
Im Gegenteil. Wohl, weil Design Thinking nicht nur ein Methodenset ist, sondern auch ein Mindset, das Offenheit und Achtsamkeit beinhaltet. Offenheit und Respekt gegenüber verschiedenen Persönlichkeiten im Team sowie deren Ideen und Vorschlägen. Das ist sowohl im persönlichen als auch im Arbeitsumfeld unglaublich hilfreich. „Design Thinker" arbeiten in diesem Mindset und leben es auch oft im Privaten. Das schafft eine neue Art zu denken. Eine ganz neue Art des Miteinanders.
Was macht das Arbeiten im Team so außergewöhnlich beim Design Thinking?
Nicht gewollte, abschreckende Hierarchievorstellungen werden abgebaut. Teamarbeit wird nicht nur gepredigt, sondern tatsächlich praktiziert. Auch festigt sich positives Denken: weg vom „Nein! aber..." hin zum „Ja! Und...". Eine lebendige Fehlerkultur und der Verzicht auf vorschnelle Kritik helfen Ängste abzubauen. Kreativität wird gefördert, Potential gehoben. Ein bisschen erinnert mich das immer an die Aussage des Künstlers Joseph Beuys: „Jeder Mensch ist ein Künstler". Kreativität hat nichts damit zu tun, ob man hübsch zeichnen kann.
Man hört, dass Unternehmen Design Thinking zum Teil ihrer Unternehmenskultur machen. Liegt das an dieser Denkweise, dieser Haltung, die im Design Thinking steckt?
Ja, sicherlich auch daran. Wer heutzutage als etabliertes Unternehmen mit Startups und jungen Unternehmen mithalten möchte, erkennt in dieser Arbeitskultur des Design Thinking einen großen Vorteil. Nicht zuletzt wenn es darum geht die besten Arbeitskräfte auf dem Markt für sein Unternehmen zu gewinnen. Eine positive Macher-Kultur wird gefördert. Weg vom Dienst nach Vorschrift. Hin zum Out-of-the-box-Denken.
Viele große Konzerne arbeiten also bereits mit Design Thinking?
Ja, und gerade lange bestehende Institutionen haben viel Potential durch das angesammelte Know-How. Sie haben besonderen Einfluss durch ihre bereits bestehende Marktmacht und ihr etabliertes Netzwerk. Deshalb gilt es jetzt umso mehr, das agile, mutige und unglaublich wirkungsvolle Design Thinking insbesondere in die Organisationen zu bringen, welche auf Basis des Erreichten verstärkt innovativ und nachhaltig handeln möchten.
Ist Design Thinking also eine Methode, die zu besonders nachhaltigen Lösungen führt?
Ich bin davon überzeugt, dass Design Thinking eigentlich wie dafür geschaffen ist. In Methode und Mindset steckt alles, was man braucht, um gezielt nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Man muss dieses Potential aber bewusst heben.
Welche Chancen bietet Design Thinking dafür?
Im klassischen Design Thinking entsteht eine Innovation in der Schnittmenge von menschlicher Erwünschtheit, technischer Machbarkeit und wirtschaftlicher Rentabilität. Nachhaltigkeit wird in diesem Ansatz nicht explizit gefordert. Aber vor allem wenn wir die Umwelt- und Sozialverträglichkeit bewusst berücksichtigen, bieten sich mit Design Thinking großartige Chancen für nachhaltige Innovationen. Hier setzen wir mit Protellus an. Der Hintergrund, vor dem entwickelt wird, muss zusätzlich die Frage beinhalten: Ist das, was ich entwickle, wirklich nachhaltig sinnvoll? Ist es enkeltauglich? Oder werden soziale Missstände verstärkt? Wird die Umwelt durch das Produkt belastet? Genau dies macht eine Innovation in meinen Augen erst zur nachhaltigen, echten Innovation.
Sind denn Design Thinker an Nachhaltigkeit interessiert?
Design Thinking zieht viele kluge, offene und kreative Menschen insbesondere aus der Startup-Szene an. Und diese Generation stellt sich immer öfter auch die Frage: ‚Welche Auswirkungen hat ein Produkt auf Umwelt und Gesellschaft?‘ Design Thinking-Agenturen, die sich wie Protellus bewusst auf Nachhaltige Entwicklung ausrichten, finden sich aber so gut wie nicht.
Ihre Agentur ist also auf das Thema Nachhaltigkeit spezialisiert?
Hinter Protellus steckt eine Gruppe von Design Thinkern mit breitem fachlichem Hintergrund. In unserem Team findet sich unter anderem die Kompetenz aus Biochemie, Psychologie, Sport, Architektur, Städteplanung, Geschichtswissenschaften und Entrepreneurship. Dazu kommt die praxisorientierte, einjährige Ausbildung an der D-School des Hasso-Plattner-Instituts. Die beste Design Thinking Ausbildung, die es gibt. Daran haben wir angeknüpft und eine Agentur gebildet, die Design Thinking und Nachhaltigkeitsthemen stärker verbindet. Wir greifen bestehende Ansätze aus der ganzen Welt auf und entwickeln sie weiter. Dabei ist es eine Sache, den Prozess zu optimieren, Methoden neu zu entwickeln oder anzupassen. Eine andere Sache ist, das gesamte Schaffen bewusst unter ein begleitendes Mindset für nachhaltiges Handeln zu stellen. Und das weniger mit erhobenem Zeigefinger, als vielmehr ermutigend, unterstützend.
Was macht das Ausbildungsprogramm am Hasso Plattner Institut so hochwertig?
Es gibt unterschiedliche Ausbildungsformate am HPI. Jedes hat seine eigene Stärke. Die einjährige Ausbildung, die unserem Team die Grundlage für unser Schaffen gegeben hat, basiert zum Beispiel unter anderem darauf, dass die Methode nicht nur gelehrt, sondern real angewandt wird. In dem Programm werden mehrere kleinere und größere Design Thinking Projekte durchgeführt. Entwickelt werden darin Lösungen zusammen mit und für DAX-30 Unternehmen, kleine und mittelständische Unternehmen, für NGO’s und auch für staatliche Einrichtungen. Diese Erfahrungen können wir auch heute noch direkt in unserer beruflichen Laufbahn als Design Thinking Moderator, Coach oder Innovationsberater anwenden.
Können Sie uns ein Beispiel für eine aus dem Design Thinking-Ansatz hervorgegangene nachhaltige Innovation nennen?
Design Thinking (DT) fördert Nachhaltigkeit
Denn es kann - nach Ansicht der Experten von protellus:
- Design-Desaster verhindern
- Generationengerechtigkeit fördern
- Rebound-Effekte verhindern
- Ressourcen schonen
- alle Arten von Unternehmen zu innovativem, nachhaltigem Handeln führen
Mehr über Design Thinking und das in Potsdam stattfindende d.confestival, das Stelldichein der Bewegung, lesen Sie in der neuen forum-Ausgabe. |
Eines unserer Projekte hatte die Fragestellung: „Wie kann jungen Flüchtlingen das nicht gerade selbsterklärende deutsche Müllsystem näher gebracht werden?". Wir haben Mülleimer in Gestalt freundlicher Müllmonster entwickelt, um spielerisch das Trennen von Müll attraktiv zu machen. Überraschendes Ergebnis: das Spielen mit den Müll-Monstern ist derart anziehend, dass von den Kindern sogar absichtlich mehr Müll produziert wurde. Es
folgte eine besonders intensive Phase des Beobachtens und Eintauchens in die Lebenswelt von Flüchtlingen. Sich in die Situtation eines jungen Flüchtlings zu versetzen, ist natürlich nicht leicht. Das Resultat leuchtet aber ein: das fehlende Wissen über ein Mülltrennungssystem war das geringste Problem. Der Mangel an Privatsphäre und die unklare Zukunftsperspektive beschäftigten die Bewohner so sehr, dass das Thema Müll kaum Beachtung fand. Entwickelt wurde daraufhin ein Trennwandsystem, das Rückzugsmöglichkeiten, Schallschutz und Privatsphäre in der großen Halle bieten sollte. Dies erwies sich als ein wichtiger Schritt hin zur Lösung des ursprünglichen Problems. Oft verhindert erst der Blick auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Nutzer, dass mit bester Absicht wirkungslose Innovationen entstehen. In diesem Beispiel haben wir uns sehr viel Zeit genommen in der Analysephase. In anderen Fällen dauert die Entwicklung der Protoypen länger, weil nach dem Test mit den Nutzern weitere Versionen gebaut werden müssen. Natürlich macht es uns als Berater und Coach viel Spaß, über längere Zeiträume mit einem Innovations-Team in einem Unternehmen oder einer Institution zusammenzuarbeiten und um die beste Lösung zu ringen.
Wie sehen nachhaltige Design Thinking Innovationen aus, die besonders wirtschaftlich sind?
Ein Beispiel hierzu mit besonders hoher Reichweite kommt aus Stanford, dem Geburtsort des Design Thinking. Ehemalige Studenten der dortigen d.school haben mit d.light eine Solarlampe für den Einsatz in ärmeren Ländern entwickelt, um die dort üblichen Kerosinlampen zu ersetzen. Die Frage lautete hier: ‚Wie kann man Menschen in ländlichen Gegenden ohne Stromanschluss mit preisgünstigen und ökologisch verträglichen Strom- und Lichtquellen ausstatten?‘ Die Antwort war ein Produkt, das überall einsetzbar, transportabel, sicher und für alle erschwinglich ist – und dabei noch die Umwelt schont. Gleichzeitig ist d.light auch eine soziale Innovation, denn es schafft unglaublich vielen Menschen Zugang zu einer verlässlichen Lichtquelle. Inzwischen hat sich daraus ein wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen entwickelt und d.light wurde mittlerweile schon über 12 Millionen mal in Afrika, China, Südostasien und den USA verkauft.
Was bedeutet eigentlich der Name Protellus?
Der Name ist doppelt Programm. Wir fragen beim Design Thinking die ins Auge gefassten Nutzer eines
Produkts oder einer Dienstleistung nach ihren Bedürfnissen: „Tell us", teile uns deine Wünsche und Bedürfnisse mit. Wir haben aber auch die Bewahrung der Erde im Blick. Sie soll auch die dem Nutzer nachfolgenden Generationen beherbergen. Im alten Rom war „tellus" die Hüterin der fruchtbaren Erde. Wir stehen für die Bewahrung der Erde, also pro tellus. Vielleicht spielt Design Thinking ja eines Tages bei der Besiedlung eines anderen Planeten eine Rolle. Uns wäre es aber lieber, wenn es durch innovatives, verantwortungsbewusstes Handeln nicht so weit käme, dass wir unseren Planeten verlassen müssen. Wir fordern deshalb: Lasst uns mutig in die Zukunft schauen und endlich alle zusammen anpacken!
Kilian Karg ist Diplompsychologe und Design Thinking Coach. Bei Protellus leitet er ein-
und mehrtägige Workshops und ganze Innovationsprozesse für Unternehmen,
Verbände und Universitäten. Darüber hinaus arbeitet er mit seinem Team gezielt
an der verbesserten Verknüpfung von Design Thinking und Nachhaltigkeit.
Kontakt: Kilian Karg, Protellus |
kilian@protellus.de |
www.protellus.de